Ungleiche Ermittlerpaare sind ein beliebter Weg, um Krimiserien mit zusätzlicher Spannung zu versehen. Da gibt es Schriftsteller, Magier oder Teufel, die den Kommissaren bei der Arbeit helfen. Weitaus bodenständiger und doch wirkungsvoll ist die Konstellation von "Hierro": Was, wenn die Ermittlerin und der Hauptverdächtige dasselbe Ziel haben, nämlich den wahren Mörder zu finden?
"Ich spiele gern mit Erwartungshaltungen, um die Zuschauer herauszufordern", sagte Pepe Coira, als er sein Werk im Mai beim Großen Serien-Summit in Köln vorstellte. Genau das ist dem spanischen Autor und Produzenten vortrefflich gelungen. Wer sich auf "Hierro" einlässt, kann nie ganz sicher sein, ob die Beweggründe der Guten so gut und die der Bösen so böse sind, wie sie scheinen.
Dass das funktioniert, hat viel mit der titelgebenden Insel und deren Bewohnern zu tun. El Hierro ist die kleinste und abgelegenste der Kanarischen Inseln – mehr schroffe, vulkanische Natur und viel weniger Touristen als auf Teneriffa oder Fuerteventura. Es mag abgedroschen klingen, ist jedoch in diesem Fall keine Übertreibung, den Handlungsort als dritte Hauptfigur der Serie zu bezeichnen. Gegen ihren Willen ist die Untersuchungsrichterin Candela Montes hierher versetzt worden. Während sie noch mit der verschlossenen Gemeinschaft der Einheimischen fremdelt, gilt es, den Mord an einem jungen Mann aufzuklären, dessen Leiche am Tag seiner geplanten Hochzeit vom Meer angeschwemmt wird. Als Verdächtiger gilt schnell der Vater der Braut, Antonio Díaz, ein reicher Unternehmer, der für seine Drogengeschäfte berüchtigt ist.
Was "Hierro" so besonders macht, merkt man, wenn das Serien-Schicksal diese beiden Außenseiter zusammenführt. Zwar findet Candela zunächst Indizien, die für Díaz' Schuld sprechen, und nimmt ihn deshalb in Untersuchungshaft. Doch als er die Tat im Verhör vehement bestreitet, schleichen sich Zweifel bei ihr ein. Rational gibt es an diesem Punkt der Geschichte keinen Grund, dem Mann mit der Aura eines Mafiapaten Glauben zu schenken. Vielmehr wird da eine tiefe Verbindung zwischen zwei Menschen spürbar, die sich diametral gegenüberstehen und doch die subjektive Erfahrung teilen, von der Umgebung missverstanden und abgelehnt zu werden. Auch wenn das unheimlich ist und es draußen keiner wissen darf, schweißt es auf merkwürdige Art zusammen.
Die psychologische Konstellation zeichnen die Macher von "Hierro" – Pepe Coira als Headautor und sein Bruder Jorge Coira als Regisseur – mit feinem Strich. Oft wird mehr angedeutet als auserzählt. Dazu gehört auch, dass die von Candela Peña und Darío Grandinetti ebenbürtig stark gespielten Hauptfiguren im Verlauf der acht Folgen nur wenige gemeinsame Szenen haben. Dennoch geben Coira und Coira ihnen einen gemeinsamen Puls, der die Handlung vorantreibt, indem sie wie heimliche Komplizen von verschiedenen Enden auf dasselbe Ziel zusteuern – die Enthüllung der tödlichen Geheimnisse einer verschworenen Inselgemeinschaft. Das lässt genug Raum für Spannung in Bezug auf Täter und Motiv sowie für traumhafte Bilder einer filmisch noch unverbrauchten Landschaft.
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"Willkommen zum süchtig machenden kanarischen Noir", jubelte "El Diario" Anfang Juni zum Start von "Hierro" bei Movistar+, der spanischen Streaming-Plattform von Telefónica. "Eine der besten spanischen Serien der Saison", urteilte "El País" und lobte besonders, dass sich nur selten "eine so beeindruckende Landschaft so kraftvoll" in eine Serie eingefügt habe. Obwohl die Produktion keine deutsche Beteiligung hat, wies Pepe Coira beim Serien-Summit auf eine für ihn wichtige Verbindung hin: Mit seiner Produktionsfirma Portocabo hatte er die Idee erstmals beim "Co-Pro Series"-Pitch der Berlinale 2015 präsentiert, wo "Hierro" nicht nur zum besten Projekt des Jahres gekürt wurde, sondern in der Folge auch seine französischen Koproduzenten Atlantique Productions und Arte France fand.
Arte zeigt "Hierro" vom 19. September an jeweils donnerstags um 20:15 Uhr.