Auf den ersten Blick schien es nicht sonderlich mutig, als Netflix ausgerechnet eine Mafia-Serie als sein erstes italienisches Original ankündigte. Und dann auch noch aus den Händen der bewährten Produktionsschmiede Cattleya, die den epochalen Welterfolg "Gomorrah" zu verantworten hat. Doch beim genaueren Hinsehen merkt man: So wie das organisierte Verbrechen in zahllosen Formen und Farben daherkommt, können auch zwischen zwei Serien Welten liegen.
Selbst wenn es nur etwas mehr als 200 Kilometer von Neapel nach Rom sein mögen, herrscht dort eine völlig andere Atmosphäre, sind die mächtigen Clans dort mit anderen Prioritäten befasst und verschmelzen in der Hauptstadt noch mehr Gruppen zu einer unheimlichen Zweckallianz. "Suburra" aus der Feder von Headautorin Barbara Petronio führt dem staunenden Zuschauer vor, wie intensiv sich mitunter die Wege von Mafia, Politik und Kirche kreuzen.
Der Zehnteiler beginnt mit zwei eindringlichen Bildern: eine nächtliche Kamerafahrt, die sich im menschenleeren Vatikan vom Petersdom entfernt; kurz darauf ein ranghoher Kardinal inmitten einer fieberhaften Drogen- und Sex-Orgie. Das Spannungsfeld zwischen ehrenwerter Ober- und korrupter Unterwelt Roms ist gleich in den ersten Momenten gesetzt. Als Prequel, das ein paar Jahre vor dem 2015er Spielfilm "Suburra" von "Gomorrah"-Regisseur Stefano Sollima ansetzt, erzählt die Serie vom erbitterten Kampf um ein Stück Land an der Küste. Es braucht ein wenig Geduld und Konzentration, ehe man versteht, wer alles dahinter her ist und wo genau die gegnerischen Linien verlaufen.
Drei junge Männer, die viel weniger Helden als Antihelden sind und sich zu Beginn verabscheuen, finden im Laufe der Geschichte zusammen, um gemeinsame Sache zu machen: Aureliano Adami (Alessandro Borghi), ein wasserstoffblonder Schlägertyp, dessen Schwester zum Hirn der Unternehmung wird; das privilegierte Polizistensöhnchen Gabriele "Lele" Marchilli (Eduardo Valdarnini), das heimlich Drogen auf den Partys der Schönen und Reichen vertickt; sowie Alberto "Spadino" Anacleti (Giacomo Ferrara), Sprössling einer Gangsterfamilie, die von allen als "Zigeuner" tituliert wird.
Während diese drei Junioren mit wachsender Entschlossenheit für ihr vermeintlich verdientes Stück vom Kuchen antreten, bekommen sie es mit Gegnern zu tun, die weitaus erfahrener und skrupelloser sind – einer ehrgeizigen Beraterin mit Beziehungen zum Vatikan, dem bereits erwähnten Kardinal mit allzu weltlichen Lüsten oder einem zunächst noch demütigen, volksnahen Politiker, der rasch herausfindet, dass der rechte Weg nicht unbedingt ins ersehnte Amt führt. Um alle schlängelt ebenso unauffällig wie bedrohlich ein Mann namens Samurai (Francesco Acquaroli) herum, der mal hinter Säulen spioniert, mal Drohungen und mal Bestechungsgelder überbringt. Dieses Figurentableau ist zwar nicht immer leicht zugänglich, dafür umso kraftvoller und vielschichtiger.
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Für zartbesaitete Gemüter ist die rohe Gewalt von "Suburra" sicher nicht ganz einfach zu ertragen. Da werden Menschen und Tiere bisweilen brutal gequält und getötet, und besonders wenn die Rohheit vom jugendlichen Haupttrio ausgeht, ist sie stets auch Ausdruck von dessen verzweifelter Perspektivlosigkeit und somit inhaltlich motiviert. Rein quantitativ kommen auf jede Gewalt- oder Sexszene (anders als im Film) ohnehin fünf bis sechs pure Dialogszenen, die den Figuren und ihren jeweiligen Motiven genügend Luft zum Atmen geben. Dabei sorgen starke schauspielerische Leistungen immer wieder für spannende Nuancen.
Die drei Regisseure der ersten Staffel, Giuseppe Capotondi, Andrea Molaioli und Michele Placido, schwelgen sowohl in der majestätischen Architektur Roms als auch in der Leuchtkraft der Küste – nur um sie umso radikaler mit der Trost- und Ausweglosigkeit ihrer Figuren zu kontrastieren. Die harten Extreme funktionieren hier auch visuell. Übrigens handelt es sich bei Placido, dem Regisseur der ersten beiden Folgen, tatsächlich um den Mann, der in den 80ern als Commissario Cattani in "Allein gegen die Mafia" zum europäischen Superstar wurde. Herausragend ist auch der Soundtrack des kanadischen Electronic-Music-Künstlers Loscil, der entscheidend zu Puls und Stimmung der Serie beiträgt.
Die ersten zehn Folgen von "Suburra", produziert in Zusammenarbeit mit Rai Fiction, stehen seit Herbst 2017 bei Netflix zum Abruf. Die zweite Staffel ist bereits abgedreht, wird aber wohl erst Anfang 2019 zu sehen sein.