Welchen Stellenwert die Brüder Jack und Harry Williams für den britischen Serienmarkt haben, wurde im vergangenen Herbst unübersehbar. Zeitgleich schickten BBC und ITV die von den "The Missing"-Machern produzierten Serien "Rellik" und "Liar" ins Rennen um die Montags-Primetime – eine spannender als die andere. Sieger im TV-Duell war in jedem Fall Two Brothers Pictures, die Kreativschmiede der beiden. Während "Liar" hierzulande bei Vox enttäuschend abschnitt, sammelt "Rellik" seine Zuschauer nonlinear bei Amazon ein.
Der Crime-Sechsteiler rollt seinen Fall von hinten nach vorne auf. Gleich zu Beginn bringt Kommissar Gabriel Markham einen bestialischen Serienmörder zur Strecke, der seine Opfer mit Säure verätzt und auch den Kommissar angegriffen hatte. Doch es sind noch etliche Fragen offen – vor allem die, ob Markham wirklich den richtigen Täter erwischt hat. Von diesem Punkt an erzählt "Rellik" die vorangegangenen Ermittlungen rückwärts. Folgerichtig also, dass der Titel der Serie rückwärts gelesen "Killer" ergibt.
Richard Dormer, bekannt als Beric Dondarrion aus "Game of Thrones", spielt Markham, den vom Säureangriff entstellten Ermittler, der auch innerlich eine spürbar gequälte Seele mit sich herum trägt. Die Williams-Brüder lassen den Zuschauer mit ihm leiden, wenn sein linkes Auge so verschwollen ist, dass er nicht mehr viel sehen kann, wenn er die Schmerzen mit Salbe und Wasser zu lindern versucht und sie schließlich doch nur im Bier ertränkt. Es ist der Fall, der ihn dennoch verbissen antreibt. Während seine Kollegen feiern, dass der Serienkiller per Fingerabdruck überführt und bei der Verhaftung von einem Scharfschützen erschossen wurde, ahnt Markham: Dieser psychisch kranke Familienvater kann es nicht gewesen sein, es fehlt an Zusammenhängen.
Zwar zeigen Einblendungen wie "10 Stunden und 28 Minuten zuvor" oder "16 Tage zuvor", an welchem Zeitpunkt der Vorgeschichte sich die Serie gerade befindet, und vor jedem weiteren Sprung in die Vergangenheit laufen die Bilder kurz rückwärts ab. Doch höchste Aufmerksamkeit ist trotzdem erforderlich, um der raffinierten Logik zu folgen und keine Wendung zu verpassen. Insbesondere sollte man sich nicht von der Nordic-Noir-artigen Düsternis ablenken lassen, die auch nicht davor zurückschreckt, den Kommissar mitten in der Nacht auf den Friedhof zu schicken, um bei strömendem Regen ein Beweisstück auszubuddeln.
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Die ungewöhnliche Erzählstruktur, die bislang sicher am prominentesten von Christopher Nolan in "Memento" zur Perfektion geführt wurde, reizte Jack und Harry Williams nach eigenem Bekunden schon während ihrer Arbeit an "The Missing". "Wir wollten auf keinen Fall, dass es nur eine technische Übung wird", so die Brüder. "Also mussten wir uns fragen, warum man eine Geschichte so herum erzählen würde. Sehr schnell wurde klar, dass es in erster Linie ums Motiv gehen muss. Darum, dass alles aus einem bestimmten Grund geschieht und dieser Grund in der Vergangenheit liegt."
Bei der Suche nach Motiv und echtem Täter halten die Williams-Brüder schillernde Verdächtige bereit, darunter den Psychiater Isaac Taylor (Paterson Joseph) oder die ebenfalls stark vernarbte Christine Levinson (Rosalind Eleazar). Wenn es jemanden gibt, den Markhams Seelenheil zu kümmern scheint, dann ist es seine Kollegin Elaine Shepard (Jodi Balfour), mit der ihn eine außereheliche On-Off-Affäre verbindet. Am Ende von "Rellik" – also dem Ende, das zum Schluss erzählt wird – ist des Rätsels Lösung so überraschend, dass der "Guardian" nach der letzten Folge über "ein Finale, das vergnügt alles in Brand setzt" jubelte und die gesamte Staffel lobte: "'Rellik' hat seine Zuschauer gezwungen, aktive Detektive zu werden – mit viel weniger vom sonst üblichen Händchenhalten."
"Rellik" ist bei Amazon Prime Video abrufbar sowie als DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.