Weiter geht es mit historischem Gemetzel! Dieses Mal auf dem Gebiet des heutigen vereinigten Königreich, wo sich dänische Wikinger erheben um die angelsächsischen Königreiche Englands unter ihre Fittiche zu nehmen und neben „Vikings“ und „Game of Thrones“ Gesprächsthema zu sein, wenn es um mittelalterliche Epic geht. Dass „The Last Kingdom“ episch sein kann, beweist die BBC-Serie - bei uns in Deutschland via Netflix zu sehen - direkt in den ersten Minuten. Kaum findet man seine ideale Sitzposition auf der Couch, tauchen sie bereits mit peitschenden Klängen am Horizont auf: Wikinger-Schiffe an der Küste, bei denen man schnell weiß, dass sie nicht zur Tea Time vorbei kommen möchten. Der angelsächsische König des Dorfes gerät in Alarmbereitschaft, bringt Frauen und Kinder in Sicherheit und schickt einen Spähtrupp mitsamt seines Sohnes zum Anlegeplatz, um abschätzen zu können, wie viel Zeit ihnen noch zum evakuieren bleibt. Dieser bleibt jedoch nicht lange unentdeckt und bekommt von einem der Boote zugebrüllt, dass da wohl jemand eine Lektion zu lernen hat. Wenig später wird deutlich, dass er mit seinen Lektionen nicht all zu zahm auftritt: Vor den Toren des Dorfes stehend wirft er dem König den Kopf seines Sohnes zu.
In der darauffolgenden, unfassbar elegant choreografierten Schlacht wird einem auch schnell deutlich, besser nicht zu großes Gefallen an bestimmten Charakteren zu finden. Denn bereits sympathisch eingeführte Figuren sagen hier und da etwas schneller Lebewohl, als man es dachte und irgendwie auch wollte. Aber gut, wenn uns der Fantasy-Hit „Game of Thrones“ etwas gelehrt hat, dann dass man sich in diesem Genre bloß keine Lieblinge zulegen sollte. Allerdings ist „The Last Kingdom“ in dieser Hinsicht so nett und lässt gar nicht erst genug Zeit verstreichen, die man mit den entsprechenden Figuren verbringen könnte. Immerhin: Mit Uhtred (Alexander Dreymon) wird - vorerst - immerhin die Person am Leben gelassen, die die Geschichte verfolgt. Bei der Schlacht um seine Heimat wird er von dänischen Wikingern gefangen genommen und steigt durch seine Tat, die Tochter von Plünderungsanführer Ragnar (Tobias Santelmann) vor einer Schändung zu bewahren, langsam aber sicher zu dessen Ziehsohn auf.
Das Erste, was man bei „The Last Kingdom“ benötigt, ist höchste Konzentration. Das ist der Preis für eine Serie, die nicht gemütlich erzählen möchte. Für Menschen, die ein Problem damit haben, Namen ihrem Träger zuzuordnen, empfiehlt es sich, diese Serie ausgeschlafen anzuschauen. Alleine in der ersten Folge treten drei Personen auf, die auf den Namen Uhtred hören. Doch es lohnt sich, denn wie kaum ein anderer Vertreter der historischen Serienecke, vermag es „The Last Kingdom“ absolut bodenständig und geschichtsnah zu erzählen. Drachen wären ein No Go. Damit schafft man es aber, keine schnöde Kopie der großen Serien zu werden, sondern genau das darzustellen, was man auf dem Markt bisher noch schmerzlich vermisste. Es ist ein Realismus, den man schätzen, aber auch mögen muss. Sollte man also ein zweites „Game of Thrones“ erwarten, würde die Serie enttäuschen. Das hier ist BBC, nicht HBO. Aber dennoch episch.
Für den kanadisch-irischen Erfolg „Vikings“ bildet man witzigerweise ein Sequel. Denn der Ragnar der hier auftritt, ist faktisch gesehen der Sohn des Ragnar Lodbrok, welcher in „Vikings“ zu sehen ist. Wo Historiker bei der History-Produktion aber Ausstattungsdetails wie Waffen und Kleidung kritisieren, weil sie nicht den neuesten Ständen der Forschung entsprechen, wird „The Last Kingdom“ durch die Bank gelobt. An dieser Stelle muss aber auch gesagt werden, dass die britische Variante der Wahrheit vermutlich weitaus näher kommt und doch keinen Anspruch auf Gewissheit erheben kann, da sich Wissenschaftler immer noch nicht einig sind, wie das bei den Wikingern damals eigentlich genau war. Die Geschichte von „The Last Kingdom“ ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Bernard Cornwell, welcher bereits durch seine erfolgreiche Sharpe-Reihe bewies, was für ein tolles Händchen er für historische Stoffe hat.
Wer Sorge hat, dass „The Last Kingdom“ mit seinem Realitätswahn an vernünftiger Unterhaltung scheitet, dem sei gesagt: Weit gefehlt. Beides geht hier Hand in Hand. Besser als je zuvor werden dem Zuschauer in einer fiktionalen Erzählung die politischen Zwickmühlen vor Augen geführt, in der sich die Angelsachsen und Dänen damals befunden haben müssen. Als i-Tüpfelchen wird selbst Religionsverweigerern eine spannende Diskussion zwischen Christentum und nordischer Götterwelt präsentiert. Die Christen sehen die Wikinger als seelenlose Boten des Teufels und die Nordmänner das Christentum als überflüssig. In einer stimmungsvoll inszenierten Szene erklärt Uhtred den Himmel schmunzelnd als Walhalla, nur ohne den ganzen Alkohol, die Kämpfe und den Sex. Momente wie diese bringen eine gewisse Gutmütigkeit in die Serie, die zwischen all dem blutigen Gemetzel auch dringend notwendig ist, um den Puls wenigstens ab und an auf ein gesundes Niveau runterzuholen.
Angesichts so mancher prominenter Vertreter dieses Serien-Genres kann man im vornherein gewisse Hoffnungen und Sorgen haben bei „The Last Kingdom“. Doch von Episode zu Episode wandelten sich in der achtteiligen ersten Staffel Hoffnung in Realität und Sorgen zu Freude. Die Leistungssteigerung vom bereits ordentlichen Piloten ging soweit, dass ich mich inmitten der stärksten Momente an „Braveheart“ erinnert fühlte. Für solch frisch gemachte antike Geschichte möchte man einfach nur sein Schwert erheben - und freut sich, dass eine zweite Staffel beauftragt wurde.