Die Kritik in einem Satz: "The Honourable Woman" ist die beste Serie, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe.
Warum? Ich versuche mich zu beschränken - denn wenn ich alle Punkte, die mich an dieser Serie begeistern, beschreiben würde, wäre der Text viel zu lang. Und fange trotzdem in der ersten Minute der ersten Folge an. Denn die Eröffnungsszene setzt in dieser Gemeinschaftsproduktion von BBC und Sundance TV noch mehr den Ton als in anderen Serien. In der Küche eines Hotels wird Frühstück zubereitet, ein Ober bringt den Korb mit Brötchen in den eleganten Frühstücksraum an einen Tisch, an dem ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen - beide adrett gekleidet - mit ihrem Vater sitzen. Der Ober legt ein Brötchen auf den Teller des Jungen, geht hinüber zu dem Mädchen, legt dort ebenfalls ein Brötchen ab. Und dreht sich um und sticht dem Vater die Brötchenzange in die Halsschlagader. Völlig unerwartet, die Szene war bis dahin hell, fast leicht. Doch jetzt: Blut, überall Blut. Ein Close-up zeigt, wie die Blutlache sich auf der altrosa-farbenen Tischdecke und auf dem silbernen Besteck ausbreitet. Ein Horror, plötzlich über den kleinen Jungen, das kleine Mädchen und den Zuschauer hereingebrochen. Dieser Horror, diese Angst, dass jeden Moment etwas Schlimmes passieren könnte, lässt den Zuschauer von da an bis zur letzten Minute in der letzten Folge nicht mehr los. Obwohl die Bilder oftmals wirklich schön sind, fantastische viktorianische Häuser mit großen Gärten, tolle Balkon-Ausblicke über großartige Städte, malerische Straßenzüge und Landschaften. Und mittendrin: gutgekleidete, gutaussehende Menschen. Obwohl das Auge sich nicht sattsehen kann an den herrlich komponierten Bildern, ist der Geist auf der Hut - selbst in den ruhigen Szenen, von denen es viele gibt.
Nessa Stein, das Mädchen aus der Eröffnungsszene, ist die Tochter eines britisch-israelischen Waffenfabrikanten. Und 29 Jahre später, in unserer Gegenwart, führt sie die Firma ihres Vater in London weiter. Allerdings anders, als der sich das vermutlich gewünscht hätte: Während ihr Vater ein Zionist war und dafür sein Leben ließ, legt sie ihren Schwerpunkt auf die Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis. Das ruft Extremisten beider Seiten auf den Plan, dazu noch die verschiedenen Geheimdienste, die mitmischen und unterschiedliche Interessen verfolgen. Eine sehr clever gewebte Geschichte, in der mehr zu Tage tritt, als dem Zuschauer lieb ist. Ein Spiel mit unserem Vertrauen, bei dem wir immer wieder hereingelegt werden und irgendwann an unserem Urteilsvermögen zweifeln. Die Enthüllungen kündigen sich langsam, fast unbemerkt an, bis sie nach und nach zur Gewissheit werden, und sich für den Beobachter fast organisch anfühlen, dennoch ein Gefühl des Schreckens hinterlassen.
Dieser Effekt ist nicht nur die Folge einer grandios strukturierten Geschichte, sondern hat auch viel mit dem überzeugenden Schauspiel der Hauptdarsteller zu tun. Allen voran Maggie Gyllenhaal, die den starken Frauencharakter Nessa Stein auf eine solch überzeugende Art verkörpert - sensibel und gleichzeitig kühl -, dass ich das Bedürfnis habe, nach dieser Serie sofort alles, was sie je gespielt hat, anzusehen. Die Figur der Nessa hat eine unglaubliche Tiefe, die ich aus Spoilergründen jetzt nicht näher beschreiben kann, und Gyllenhaal gelingt es, diese Tiefe vom ersten Auftritt an spürbar zu machen. Es ist nur selbstverständlich, dass sie für diese Darstellung einen Golden Globe in der Kategorie "Beste Schauspielerin in einer Miniserie oder einem TV-Film" bekommen hat.
Auch die anderen Charaktere sind sehr gut besetzt: Andrew Buchan spielt Nessas Bruder, den zurückhaltenden, geheimnisvollen Ephra Stein, und es dauerte ein bisschen, bis mir auffiel, dass ich seine Schauspielkunst kurz zuvor in einer anderen Serie ebenfalls bewundert hatte - im Krimi "Broadchurch", wo er den Vater des Mordopfers spielt. Seine Frau Rachel wird von der wunderbaren Katherine Parkinson verkörpert, die ich nach ihrer Rolle als Jen Barber in "The IT Crowd" aus den Augen verloren hatte. Ganz großartig ist auch Stephen Rea als Mitarbeiter des britischen Geheimdiensts MI6, der gleichzeitig ein bisschen an einen zerstreuten Professor erinnert.
Im Grunde ist es falsch, diese Serie im Vergleich mit einer anderen zu bewerten, denn das macht sie kleiner, als sie ist. Und doch drängt sich der Blick zu "Homeland" auf, einer sehr erfolgreichen Spionage-Serie, die sich ebenfalls in der Gegenwart am Terrorismus, allerdings in Afghanistan und Pakistan, abarbeitet. "The Honourable Woman" lässt "Homeland" meilenweit hinter sich. Wo in "Homeland" Botschaften verbreitet, Vorurteile bestärkt und schwarz-weiß gemalt wird (selbst in der sehr guten ersten Staffel), wird in "The Honourable Woman" nur eines klar: Jeder hat eine dunkle Seite, bei manchen ist sie schwarz, bei anderen grau.
Die Geschichte ist abgeschlossen, und ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt. Denn so wie "The Honourable Woman" jetzt ist, ist die Serie perfekt. Und ich kann jedem nur dringend empfehlen, die Serie zu sehen - das geht bei iTunes oder ab 17. September auf dem Pay-TV-Sender Sony Entertainment TV.
Hinweis der Autorin: In einer früheren Version des Textes hatte ich geschrieben, dass ich mich darüber wundere, dass die Serie nicht für den Emmy nominiert wurde. Das war inhaltlich falsch: Die Serie konnte bei den Emmys 2014 gar nicht in Erwägung gezogen werden, sie geht wegen der Ausstrahlungsfristen erst um den Emmy 2015 ins Rennen, die Nominierungen stehen allerdings bisher nicht fest. Ich danke der Leserin, die mich in den Kommentaren darauf hingewiesen hat.