Das Leben mag die besten Geschichten schreiben, aber erst wenn diese so gut inszeniert werden wie in der neuen zwölfteiligen Mafia-Serie „Gomorrah“ (so der englische Titel für den internationalen Markt), dann kann daraus der nächste weltweit erfolgreiche, europäische Serien-Hit nach „Downton Abbey“ werden. Das internationale Interesse an der Serie basierend auf dem spektakulären gleichnamigen Buch von Roberto Saviano ist enorm: In mehr als 60 Ländern ist die mehrheitlich italienische Produktion bereits schon jetzt verkauft, bestätigt der Münchener Koproduzent und Distributor Beta Film. Am Montag startet die Serie bei Sky Atlantic in Großbritannien, am 10. Oktober ist Deutschland-Premiere bei Sky Deutschland und für 2015 hat sich Arte die FreeTV-Rechte gesichert. In den USA hat übrigens die Weinstein Co. zugeschlagen.



Die ersten vier Folgen der Serie, die DWDL.de schon sehen konnte, beantworten die Sorge, dass hier eine Produktion vielleicht zu voreilig mit Vorschusslorbeeren überhäuft wurde, mit einem lauten und klaren: Keineswegs. Die Serie ist nach einem Kinofilm aus dem Jahr 2008 die zweite Verfilmung basierend auf dem Buch von Roberto Saviano, der sich 2006 damit zum Mafia-Feind Nr.1 machte, seitdem unter Personenschutz in ständig wechselnden Unterkünften lebt und auch bei der Festival-Premiere der Serie beim Filmfest München vor einem Monat mit Bodyguards erschien. Er enthüllte in der Mischung aus Roman und Reportage das Innenleben der wirtschaftskriminellen Familienclans der Camorra rund um Neapel.

Auch in München betonte Saviano noch einmal: Möge man bei der ersten Folge noch schockiert denken, dass das ja gottseidank nicht die Welt sei, in der man selber lebe - so beschleicht den Zuschauer der Serie mit jeder weiteren Folge das unangenehme Gefühl, dass es genau die Welt ist, in die wir alle leben. „Gomorrah“ ist nicht nur Sittenbild einer berüchtigten italienischen Institution sondern bitterböse Kapitalismus-Kritik, weil das große Geld hier nicht mit kleinen krummen Dingern verdient wird und Drogen längst nicht mehr das einträglichste Geschäft der Mafia sind. Auch dort hat man schließlich erkannt: Schmutzige Hände waschen sich in sauberen Geschäften einfach viel besser. Vom dreckigen Abwasser erzählt die Serie - nahbar durch die Perspektive des 30-Jährigen Ciro.

Er ist die rechte Hand des mächtigen Paten Pietro Savastano, der  wegen einer  absurd lächerlichen Lappalie bei einer gewöhnlichen Straßenkontrolle verhaftet und zu langjähriger Gefängnisstrafe verurteilt wird. Das Macht-Vakuum im Clan führt zu Rivalitäten. Üblicherweise folgt der Sohn an die Spitze, doch der 20-jährige pummelige Genny wirkt wie ein verzogener, verwöhnter Junge ohne Charisma und die nötige Bereitschaft zu Härte. Deshalb entbrennt ein Machtkampf um die Spitze des Clans zwischen Ciro, Genny und auch Pietros Ehefrau, die sich plötzlich als weitaus gerissener entpuppt als gedacht.

Eine zweite Ebene bekommt die Serie im Laufe der Staffel durch all die Rechnungen, die offen sind - auch unter Clan-Mitgliedern. Und ein Mafiosi vergisst nie. Eine dieser Rechnungen hat Ciro noch offen - und das ausgerechnet bei seinem inhaftierten Mentor und Paten Pietro. Welche Rache könnte süßer sein als sich mit seinem Erzfeind zu verbünden? All das wird erzählt in Bildern, die Hollywood neidisch mache, weil sie - gedreht an Originalschauplätzen in und um Neapel - eine Authentizität mit einer sehr stimmungsvollen Bildsprache verbinden. Mancher Bildfilter und Musikunterlegung sorgt für zusätzliche, passende Atmosphäre.

„Gomorrah“ ist eine epische Geschichte zwischen Familienehre und Unmenschlichkeit, zwischen Trostlosigkeit und protzigem Prunk, zwischen großen Geschäften und kleinen Gefallen. Und immer wieder mischt sich zwischen die Liebe zum christlich geprägten Leben auch die hemmungslose Vorbehaltlosigkeit, eben solches Leben auszulöschen. Gewalt bahnt sich bei „Gomorrah“ immer wieder in rohen Bildern ihren Weg, ohne dass sie dabei plumper Selbstzweck ist. Die Serie ist hart, aber realistisch. Sie ergeht sich nicht in einer sonst oft so schwer erträglichen Coolness, die Gewalt in anderen Serien zugeschrieben bekommt.

Es ist nicht das, was man sieht, was den Zuschauer bei „Gomorrah“ schockiert, sondern die maßlose kriminelle Energie dahinter und die fiese Heimtücke. Wenn beispielsweise in einem Treppenhaus bis zur Wohnungstür Benzin vergossen wird, um als Denkzettel eine Wohnung in Flammen zu setzen, in der gerade Mutter und ihr nicht ganz sündenfreier Sohn zu Abend essen, dann badet die Serie nicht in diesen potentiell dramatischen Bildern. Stattdessen sieht man den Anruf der Mafiosi bei der Feuerwehr, um einen Brand zu melden. Es sollte schließlich nur ein Denkzettel sein.

Genau das ist es, was einen schon von Anfang an in den düsteren Bann dieser unter künstlerischer Leitung von Stefano Sollima entstandenen Serie zieht, die intensiv beide Gesichter der Mafia beleuchtet. Das eine scheint von außen gesellschaftsfähig, auf den ersten Blick vielleicht sogar ehrenwert. Doch die Methoden der Handlager sind das legendäre, weltbekannte Gegenteil. Keine Serie, auch keine HBO-Produktion, konnte das Wirken der Mafia in unserer heutigen Zeit beklemmender und packender inszenieren. Weil es schmerzlicher vor Augen führt, dass Globalisierung und Kapitalismus die Mafia weitaus einflussreicher gemacht hat und nicht nur ein italienisches Problem ist.