Frau Bilke, das ZDF ist der große Gewinner des Deutschen Fernsehpreises 2024. Gibt es Auszeichnungen, die Ihnen besonders viel bedeuten?

Schön ist die Bandbreite der Genres, in denen wir überzeugen konnten. Das vielfältige Programm macht das ZDF aus, und kann auch qualitativ überzeugen. Das zeigt, dass sich unsere Entwicklungsarbeit und unser Invest in Innovation auszahlen – zum Beispiel auch bei 3sat, das mit “Bosetti Late Night” punkten konnte. Neben unseren Unterhaltungsshows freue ich mich besonders über die Auszeichnung als bester Fernsehfilm für „Ich bin! Margot Friedländer“, unser Porträt einer wirklich beeindruckenden Frau. Und als Zuschauerin hatte ich auch viel Freude an der Serie „Push“, die ich als Neo-Chefin noch mit angestoßen habe. Wir arbeiten bereits an der zweiten Staffel.

Womit wir beim Thema des Gesprächs wären. Um neue Zielgruppen zu erreichen, haben Sie zuletzt auch einige langlaufende Produktionen beendet. Wird jetzt alle Energie in ZDFneo und ZDF Mediathek gesteckt?

Unsere Strategie „Ein ZDF für alle“ bedeutet, allen Menschen in Deutschland auf allen relevanten Ausspielwegen Programmangebote zu machen. Durch die veränderte Mediennutzung gehören neben dem linearen Fernsehen, das natürlich weiterhin sehr wichtig sein wird, auch die Mediathek und Social Media dazu. Für ein jüngeres Publikum spielt das non-lineare Angebot eine zentrale Rolle, da sie Programme gern flexibel und on-demand nutzen. Es ist also nicht eine Frage des „Entweder-oder“, sondern es geht um das harmonische Zusammenspiel der verschiedenen Ausspielwege. Insofern haben wir auch weiterhin alle Segmente der Fiction im Blick. Für das Hauptprogramm geht es beispielsweise weiter mit unseren neuen Reihen wie „Dr. Nice“ oder „Mit Herz und Holly“. Zum Jahresauftakt zeigen wir die zweite Staffel unserer Event-Serie „Der Palast“. Gleichzeitig verstärken wir unsere Anstrengungen für ZDFneo und die Mediathek.

Und das Briefing dafür lautet: Alles außer Crime?

(lacht) Wir sind im Linearen sehr stolz auf unsere extrem erfolgreichen Krimi-Marken, ob bei den Samstagsreihen wie dem „Erzgebirgskrimi“ oder den Serien am Freitag, wo gerade wieder „Jenseits der Spree“ gut gelaufen ist, um auch neue Formate zu nennen. Sonst kann man an der Stelle natürlich immer auch langlaufende Reihen wie „Wilsberg“ nennen. Das ist uns lieb und teuer und es gibt im Rahmen der Programmmodernisierung auch hier die eine oder andere Neuentwicklung, um auch dem eher älteren Publikum Neues zu bieten. Aber für die Jüngeren, für die wir mehr Gas geben müssen und auch extra Budget umgeschichtet haben, da kann es auch um Krimi gehen, wie unsere erfolgreich gestartete BBC-Koproduktion “A Good Girl’s Guide to Murder” zeigt. Aber es geht auch um eine größere Genrevielfalt.

Beispielsweise Comedy…

Wir haben in den vergangenen Jahren sehr intensiv und mit langfristiger Absicht in Comedy investiert. Bei „Doppelhaushälfte“ produzieren wir die vierte Staffel, dann startete kürzlich erst „Jugend“ und im Oktober kommt die dritte Staffel „Ich dich auch“. Wir freuen uns außerdem auf die Vampir-Serie „Love Sucks“, im Winter auf die Horrorserie „Hameln“, basierend auf der Geschichte des Rattenfängers von Hameln. Auch der „Club der Dinosaurier“ steht für das Jahr 2025 in den Startlöchern. All das ist Non-Crime in großer Bandbreite, von Comedy über Drama bis hin zu Vampiren und Dinosauriern. Unter diesen Geschichten liegen ganz reale gesellschaftliche Themen, mit denen wir aufgreifen wollen, was junge Menschen beschäftigt, also Geschichten über Coming-of-Age und Identitätssuche. Das entspricht dann auch in der fiktionalen Unterhaltung sehr stark unserem öffentlich-rechtlichen Auftrag.

Das Gegenteil von Unterhaltung ist nicht Information, sondern Langeweile.


Zwischenfrage angesichts der medienpolitischen Debatte: Wie verteidigen Sie Unterhaltung als öffentlich-rechtlichen Wert?

Unterhaltung ist laut Rundfunkstaatsvertrag ganz klar unser Auftrag, und sie hat viele Facetten: Als große Event-Show von Quiz bis Musik bringt sie Generationen zusammen, die gemeinsam mitraten, mitfiebern und mitfeiern. In Factuals von Kochen bis Garten stehen Menschen von nebenan auf der großen Bühne und repräsentieren mit ihren Biographien und Lebensentwürfen die Vielfalt unserer Gesellschaft. Wir erschließen unsere Welt durch Geschichten und unsere Werte werden durch Emotionen genauso geprägt wie durch Informationen. Das Gegenteil von Unterhaltung ist übrigens nicht Information, sondern Langeweile – insofern gilt: Wir wollen unser Publikum unterhalten, in jedem Genre.

Viele private Anbieter, bei denen Comedy früher groß war, haben sich fast gänzlich zurückgezogen. Wie erklären Sie sich das?

Wir haben diese Entwicklung auch gesehen und deshalb vor einigen Jahren mit viel Respekt entschieden, die anspruchsvolle Aufgabe anzugehen, neue fiktionale Comedyserien in Deutschland zu entwickeln. Uns reizt das Genre aufgrund des enormen Potentials der persönlichen Entwicklungen und Lebensreisen, die sich darüber erzählen lassen. „Doppelhaushälfte“ ist dafür ein gutes Beispiel, wie man gesellschaftliche Themen einfließen lassen kann. „Woke“ vs. bodenständig, Stadt vs. Land – oft nur vermeintliche Widersprüche, wie sich in den ersten Staffeln schon gezeigt hat. Aber natürlich hat nicht alles geklappt, was wir probiert haben. Das hatten wir erwartet und wir haben absichtlich viel entwickelt und beauftragt, weil wir das Genre nachhaltig wieder aufbauen wollten - und das ist uns gelungen.

Jetzt hat das ZDF-Hauptprogramm ja am Freitagabend mit „heute show“ und inzwischen auch „ZDF Magazin Royale“ ja auch Comedy im Programm. Fiktionale Comedy bleibt aber drüben bei ZDFneo und Mediathek?

Nicht jede ZDFneo-Comedy eignet sich fürs Hauptprogramm, aber hier und da werden wir sicher auch ein Rüberspringen erleben. Das Hauptprogramm braucht aber natürlich auch neue Akzente, zum Beispiel über Event-Serien, aber auch im fortlaufenden Programm, mit Serien genauso wie mit Filmen. Im Sommer haben wir Humor über 90er-Filme im Hauptprogramm ausprobiert: Von „Alles gelogen“ mit Bastian Pastewka bis „Das schwarze Quadrat“ aus der Schmiede des Kleinen Fernsehspiels, super besetzt mit u.a. Bernhard Schütz und Sandra Hüller. Mit der Humorfarbe haben wir - auch bei unseren Reihen - sehr gute Erfahrungen gemacht. Mit unseren Themenfilmen sind wir auch weiterhin unterwegs, „Kati – Eine Kür die bleibt“ über Kati Witt kommt jetzt im Herbst. 2025 zeigen wir einen Film über Hans Rosenthal, jüdisches Leben in den 70er Jahren und die Entwicklung der Erinnerungskultur, wie wir sie heute kennen. Also bei aller Begeisterung für Serien: Vergessen wir nicht den Reiz des Films. Nicht ohne Grund schielen inzwischen auch viele internationale Streamer darauf.

 

Bei aller Begeisterung für Serien: Vergessen wir nicht den Reiz des Films. Nicht ohne Grund schielen inzwischen auch viele internationale Streamer darauf.

 

Vor welcher der kommenden Produktionen haben Sie den größten Respekt? Vampire hätte man beim ZDF jetzt zum Beispiel nicht erwartet, Dinosaurier… gut… den Witz mache ich jetzt nicht…

(lacht) In der Tat war ich vor der Entwicklung der Bücher bei „Love Sucks“ sehr gespannt, wie es gelingen wird dieses Genre mit einer neuen Modernität aufzuladen. Da gibt es natürlich bei Fans des Genres gewisse Erwartungen – im Ergebnis kann ich jetzt sagen, es ist uns sehr gut gelungen. Es ist eine tolle Fusion aus Liebesgeschichte, Identitätsfindung und dem, was man von einer Vampir-Serie erwartet - und das mit einem wunderbaren Cast, allen voran Damian Hardung und Havana Joy. Das ist Drama plus X. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden es bald beurteilen können. Und auch die Dinos gehören nicht zu Stoffen, die wir vor zwanzig Jahren realisiert hätten - wenn toxische Männlichkeit in die Verwandlung zu Dinosauriern führt, dann muss das gut aussehen. Inhaltlich sehr aktuell, weil es um Männer- und Frauenrollen in der Gesellschaft geht - fiktional überhöht. Durchaus also ein Projekt, vor dem wir Respekt haben, aber um Neuem eine Chance zu geben, muss man sich, finde ich, auch etwas trauen. Ich spüre bei den Produzentinnen und Produzenten wie auch bei den Kreativen weiterhin eine große Neugierde, Begeisterung und Motivation - und genau das brauchen wir, damit es uns gelingt, mit besonderen Programmen und Ideen auch beim jüngeren Publikum erfolgreich zu sein.

Hameln“ ist die Aufbereitung einer großen IP, wie man in der Branche sagt. Lange hieß es: Große Produktionen im Hauptprogramm, Neoriginals sind budgetär überschaubarer. Die Unterscheidung gibt es nicht mehr?

An der Stelle ist zunächst wichtig, einzuordnen, dass sich das Budget von „Hameln“ neben dem ZDF auch noch aus anderen Quellen speist, also Koproduktion und Förderungen. Aber dennoch ist die Beobachtung richtig: ZDFneo hat sich entwickelt, war anfangs eine Experimentierfläche mit eher kleineren Budgets - und dementsprechend kleineren Risiken. Noch immer realisieren wir auch kleine, feine Ideen, aber fiktionale Projekte, die wir für ZDFneo und die Mediathek entwickeln, sind im Vergleich zu den Neo-Anfangszeiten größer geworden. Das ist eine Folge der strategischen Entscheidung, jüngere Zielgruppen besser zu erreichen. Dafür nehmen wir Geld in die Hand und haben 100 Millionen Euro für jüngere Zielgruppen umgeshiftet.

Und „Hameln“ ist trotz der großen IP nichts fürs Hauptprogramm?

Die IP würde sich natürlich auch fürs Hauptprogramm eignen, aber es geht auch um Produktion, Machart und Erzählweise. Das muss bei der Entscheidung eine Rolle spielen. Daher sehe ich diese Serie eher bei ZDFneo. Aber diese Diskussionen gibt es immer mal, auch „Sløborn“ und “Der Schatten” waren Serien, die bei Neo Premiere und einen Wiederholungsplatz im Hauptprogramm hatten. Am Ende finden Serienfans es so oder so in der Mediathek.

In der Pandemie entwickelte sich im ZDF die neue Form der „Instant Fiction“, also sehr schnell und auch günstig umgesetzte Erzählungen. Ist das ein Genre, das bleibt?

Die Produktionsumstände der Pandemie wollen wir alle natürlich nicht beibehalten, aber es liegt eine Tugend in dieser Art Programm zu machen, die sich bei passenden Themen auszahlen kann: Schnell auf aktuelle Themen reagieren zu können, um Ideen dann schlank und komprimiert umzusetzen. Das ist eine interessante Spielart, die wir seit der Pandemie auch schon ein bisschen weiter interpretiert haben mit Produktionen wie „Becoming Charlie“ – oder zuletzt mit „Bauchgefühl“ zum Thema Schwangerschaftsabbruch, was in der Mediathek sehr gut funktioniert hat. Zurzeit ist bereits die nächste „Instant Fiction“ in Produktion.

Wir reden über extrem viele Produktionen, die alles sind nur nicht Krimi. Wie sehr verärgert dann, wenn regelmäßig in Interviews das Vorurteil beharrlich gepflegt wird, vielleicht auch weil der Blick im Hauptabend des Hauptprogramms hängen bleibt?

Ich finde, wir können auf beides sehr stolz sein: auf die fiktionale Vielfalt, die entstanden ist, und auf unsere tollen Krimi-Formate. Aber ich finde es überhaupt nicht schlimm, sondern positiv herausfordernd, wenn immer noch mehr Freiräume und Spielwiesen gefordert werden. Da sind wir gerne Partner.

Gibt es denn andere Erwartungen oder Eindrücke von kreativer Seite, die Sie dann doch verwundern oder ärgern?

Wir stellen im Dialog mit Kreativen manchmal fest, dass wir zu mehr Kreativität bereit wären, als uns angeboten und zugetraut wird. Aber das ist dann ein gemeinsamer Prozess, bei dem wir stetig daran arbeiten, überholte Eindrücke davon, was das ZDF interessieren könnte, abzulösen. Was mich ehrlich gesagt mehr ärgert, ist die manchmal zu beobachtende Geringschätzung von langlaufenden Formaten, die mit viel Einsatz daran arbeiten, relevant und erfolgreich zu bleiben. Diese schwierige Herausforderung geht auf der stetigen Jagd nach dem Neuen manchmal unter.

Also müssen sich Fans von „Bergdoktor“ und „Traumschiff“ im Hauptprogramm angesichts einiger eingestellter Serienprojekte nicht sorgen?

Da kann ich beruhigen: Die nächsten Produktionen sind bereits beauftragt. Wir wollen mehr für Jüngere machen, weil wir uns da mehr anstrengen müssen, aber wir wollen deswegen niemanden vernachlässigen und arbeiten auch intensiv an unseren großen beliebten Marken, die wir schon lange im Programm haben. Die Strategie ist ganz klar: Ein ZDF für alle.

 

Wir wollen mehr für Jüngere machen, weil wir uns da mehr anstrengen müssen, aber wir wollen deswegen niemanden vernachlässigen.

 

Einige Projekte entstehend derzeit in ungewöhnlichen Partnerschaften. Gibt es da einen neuen Pragmatismus?

Partnerschaften und Koproduktionen eröffnen neue kreative Räume und ermöglichen auch nochmal andere finanzielle Budgets. Nicht nur mit Streamern. Wir freuen uns auch sehr über New8, unsere Partnerschaft mit anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten aus Europa, wo wir gemeinsam acht Serien koproduzieren. Unser erster Beitrag in diesem Rahmen ist „Push“. Gleiches gilt für die „European Alliance“ oder unsere strategische Partnerschaft mit der BBC. Für Kooperationen mit Streamern sind wir offen und setzen es zum Beispiel mit Prime Video bei der gemeinsamen Produktion von „The Assassin“ schon um. Bei „KranK“ arbeiten wir mit Apple TV+ zusammen. Da eröffnen sich Chancen und Möglichkeiten einer neuen Effizienz im Sinne der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.

Über die Bemühungen im Fiktionalen haben wir jetzt ausführlich gesprochen. Steht dann 2025 die Programmmodernisierung in der non-fiktionalen Unterhaltung auf der ToDo-Liste?

(lacht) Ich würde die Behauptung, wir wären da nicht gut aufgestellt, sofort zurückweisen. Wir haben fortlaufende Flaggschiffe wie die „heute-Show“. „Die Anstalt“ war für den Fernsehpreis nominiert. Und einen Fernsehpreis bekommen hat „Lass dich überwachen“, das wir von ZDFneo in die Primetime des Hauptprogramms geholt haben. Eine Auszeichnung gab es auch für das Factual „Buchstäblich leben“. Und die „Terra X-Show“ neuer Machart haben wir ja bereits angekündigt. Castingshow meets Wissenschaft meets Reise um die Welt - in öffentlich-rechtlich. Neben neuen Formaten geht es natürlich auch darum, weiterhin neue Köpfe ins Programm zu holen, das ist eine stetig laufende Aufgabe - nicht erst in 2025.

Frau Bilke, herzlichen Dank für das Gespräch.