Frau Raab, der Entwurf für den sogenannten Reformstaatsvertrag ist nun offiziell. Ist das aus Ihrer Sicht der erhoffte große Wurf oder ein notwendiger Kompromiss verschiedener Interessen?

Heike Raab: Es ist ein sehr großer Wurf und eine grundlegende Reform des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der digital ist und alle Zielgruppen erreichen soll. Wir schaffen einerseits als Zukunftsangebot eine gemeinsame, digitale Plattform. Und andererseits konsolidieren wir. Ich bin überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist. Ein Weg, der auch im Sinne der Vorschläge des Zukunftsrates ist.

Gehen wir gleich rein in die Details: Sie wollen die Anzahl der Sender sowohl im Radio als auch im Fernsehen reduzieren, überlassen die tatsächliche Entscheidung aber den Sendern selbst, die darüber nicht sehr glücklich sind. Wieso?

Der Auftrag bestimmt den Bedarf. Als Länder haben wir uns nach dem Bericht des Zukunftsrates aufgemacht, im Auftrag noch einmal deutlicher herauszuarbeiten, wofür es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gibt. Wir werten ihn nun auf und sagen, dass die Öffentlich-Rechtlichen wichtig sind für informierte Bürgerinnen und Bürger. Dazu gehören die Bereiche Bildung, Dokus und Kultur - aber auch das Erreichen von allen Zielgruppen, was im Augenblick nicht mehr gelingt. Auf der anderen Seite beschränken wir den Auftrag quantitativ, weil wir bislang ein System hatten, was immer mehr gemacht hat. Wir wollen mehr Klasse statt Masse, damit der Auftrag besser als bislang erfüllt wird. Genau dieses Ziel erreichen wir mit der Reform.

Und die Spartensender sind aus Ihrer Sicht schlicht Masse?

Es gibt eine Reihe von Gemeinschaftsprogrammen und dadurch gewisse Doppelstrukturen. Nun haben wir zum Beispiel einen Korb für junge Menschen gebildet, darin sind gedanklich Kika, Funk, ZDFneo und ARD One enthalten. Die Idee ist, dass sich die Sender untereinander abstimmen, ob und welche sinnvolle, andere Organisation es gibt. Mit ZDFneo und ARD One richten sich aktuell zwei Programme an dieselbe Zielgruppe. Hier sehen die Länder Konsolidierungsmöglichkeiten und halten eines für verzichtbar.

Es ist ein sehr großer Wurf und eine grundlegende Reform des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der digital ist und alle Zielgruppen erreichen soll.


Welche Sender würden Sie streichen?

Es geht nicht nur darum, Sender zu streichen. Es geht darum, ein sinnvolles Zukunftskonzept zu entwickeln. Wir haben die Anstalten immer gebeten, dass sie uns Vorschläge machen. Anfang des Jahres gab es in dem Bericht des Zukunftsrates deutliche Kritik, inzwischen machen sich ARD und ZDF auf, eine gemeinsame Open-Source-Streamingplattform zu entwickeln. Das ist ein wichtiger erster Schritt, aber reicht nicht aus. Viele junge Zielgruppen sind an die US-Streamingdienste oder andere Plattformen verloren gegangen. Deshalb muss radikal umgedacht werden. Artikel 5 Grundgesetz ist für uns grundlegend wichtig.

Das ist die Pressefreiheit.

Richtig. Wir Länder geben den legislativen Rahmen in einer abstrakten Form vor, aber die Anstalten müssen Artikel 5 leben. Das ist die Programmhoheit. Deshalb können wir aus der Rundfunkkommission nicht vorgeben, welche Sender es gibt. Wir erwarten hier eine konstruktive, agile Arbeit der Anstalten und sind überzeugt davon, dass es einen guten Vorschlag geben kann und muss.

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  • Bereits vor einigen Jahren hat die Politik die Möglichkeiten der Öffentlich-Rechtlichen im Bereich der Spartensender flexibilisiert. Die bis dahin dezidiert von der Politik beauftragten Sender tagesschau24, One, ARD Alpha, ZDFinfo, ZDFneo, Phoenix und Kika können seither durch die Anstalten weiterentwickelt werden, das schließt auch eine Überführung ins Digitale oder ein komplettes Aus mit ein. Die ARD wollte im Zuge dessen auch bereits bis Ende 2023 bekanntgeben, welchen Spartensender man einstellen will. Daraus ist bekanntlich nichts geworden und man hat die Entscheidung auf 2024 vertagt. Nun wird man sich der Frage der Spartensender noch einmal gemeinsam mit dem ZDF nähern müssen.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich die Sender in der Frage der Spartensender zeitnah einigen und welcher Zeithorizont schwebt Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen vor?

Alle Maßnahmen im Reformstaatsvertrag haben unterschiedliche Inkrafttretungszeiträume. Welche für die Veränderungen im Hörfunk-Bereich sowie im Fernsehen anzunehmen sind, das müssen wir noch sehen. Dazu erwarten wir uns Hinweise aus der noch laufenden, öffentlichen Anhörung. Wir wissen, dass man nicht einfach unverzüglich einen Sender einstellen kann. Es gibt manchmal technische Verträge, die zum Zwecke der Distribution der Medieninhalte abgeschlossen wurden. Wenn ein solcher Vertrag bis ins Jahr 2028 reicht, kann ich mir vorstellen, dass die Veränderungen 2028 umgesetzt werden. Das sind aber alles Informationen, die nur die Anstalten haben und wir erwarten uns hier Vorschläge.

Kommen wir zu den Sportrechten, wo es vielleicht große Veränderungen geben wird. Es soll nicht mehr Sport in den Programmen geben und auch nicht mehr Ausgaben in diesem Bereich, es soll aber der Anteil von Breitensport erhöht werden. Daraus ergibt sich: Weniger Fußball. Richtig?

Die Anstalten haben im Sommer großartige Olympische Spiele übertragen. Das war öffentlich-rechtlicher Sport at its best. Sport ist mehr als nur Fußball. Bei Champions League und WM sind FIFA und UEFA mit unfassbar teuren Verträgen ausschließlich am Profit und nicht am Gemeinwohl orientiert. Wir wollen, dass Sport in der gesamten Breite übertragen wird.

Mit ZDFneo und ARD One richten sich aktuell zwei Programme an dieselbe Zielgruppe. Hier sehen die Länder Konsolidierungsmöglichkeiten und halten eines für verzichtbar.


Sie legen auch fest, dass die für Sportrechte aufgewendeten Mittel ein "angemessenes Verhältnis zum Gesamtprogrammaufwand" nicht überschreiten dürfen. Was ist ein solches, angemessenes Verhältnis?

Bislang geben die Anstalten 8 bis 10 Prozent ihres gesamten Programmaufwandes für Sportrechte aus. Damit gehen wir in die Anhörung und werden im Anschluss entscheiden, ob wir dabei bleiben oder gegebenenfalls noch Abschläge vornehmen.

Sie wollen die Grenzen bei der Presseähnlichkeit der Online-Angebote enger ziehen, forcieren aber auch den Regionalauftrag der ARD-Landesrundfunkanstalten. Wie passt das zusammen? Wenn die ARD regional stärker wird und immer mehr abbildet, schadet das den Zeitungen vor Ort.

Regional ist nicht lokal. Der Telemedienauftrag der Öffentlich-Rechtlichen sagt, dass Bewegtbild und Audio im Vordergrund stehen müssen. Text darf es nur in einem gewissen Maße geben. Es gibt auch den Sendungsbezug. Hier ist in der Vergangenheit von vielen Verlagen beklagt worden, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten sowohl den Sendungsbezug als auch die Presseähnlichkeit zu exzessiv gelebt haben. Als Länder wollen wir im dualen System im Sinne des Qualitätsjournalismus sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Medien haben – dies unterstützen entsprechende rechtliche Leitplanken. Zu den Privaten gehören die Zeitungsverlage. Es geht uns um ein faires und gesundes Miteinander. Ob wir bei den Formulierungen im Entwurf bleiben, ist noch nicht entschieden. Die Anstalten haben uns vorgeschlagen, dass sie sich selbst verpflichten könnten, ihre Textangebote in einem anderen Rahmen vorzusehen. Gegenüber einer belastbaren Selbstverpflichtung, die von den Verlagen anerkannt wird, sind wir aufgeschlossen.

Ist "Presseähnlichkeit" überhaupt noch der richtige Begriff? Video und Audio ist doch auch Presse. Und auch alle wichtigen privaten Nachrichtenplattformen bieten das an.

Der Begriff der Presseähnlichkeit ist richtigerweise zu hinterfragen. Es macht keinen Sinn, Buchstaben zu zählen. Wir wollen, dass der Rundfunk Bewegtbild und Audio in den Vordergrund stellt. Das heißt ja nicht, dass es keine Texte geben darf. Aber es ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit.

In einem früheren Entwurf war auch noch von einer zentralen Verwaltungseinheit für alle ARD-Anstalten die Rede. Die ist vom Tisch. Dabei hatte der Vorschlag auch Befürworter innerhalb der ARD. Wieso kommt diese Einheit doch nicht und stattdessen "nur" ein vorsitzübergreifendes Büro?

Der Zukunftsrat hat uns empfohlen, dass die ARD eine andere Organisationsform entwickelt, weil sie bislang zu viel koordiniert und zu wenig entscheidet. Man könnte also eine zentrale Geschäftsführung für Verwaltung und Technik einführen, das haben wir auch diskutiert. Da hatten wir aber die Sorge, dass durch diese zusätzliche Geschäftsführung die Anzahl der Intendanten von neun auf zehn gestiegen wäre. Das wollten wir verhindern und daher haben wir uns für das EfA-Prinzip entschieden: Einer für Alle. Eine ARD-Anstalt soll sich federführend um eine konkrete Aufgabe kümmern.

Ich wünsche mir in einer Demokratie, dass der Primat der Politik Vorrang genießt und dass wir gestalten, statt den Rechtsweg zu bestreiten.


Sprechen wir noch über die Finanzierung bzw. die Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs. Was ist da der aktuelle Stand? Es stand eine Indexierung des Rundfunkbeitrags und ein Rationalisierungsabschlag, den die Länder geltend machen können, im Raum. In dem nun vorgelegten Entwurf ist davon keine Rede. Was ist der aktuelle Stand?

Der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag ist noch nicht zu Anhörung gestellt, weil uns die Ergebnisse des KEF-Sondergutachtens aktuell nicht vorliegen. Wir haben bei der Vorlage des Entwurfs also noch nicht gewusst, wie die finanziellen Auswirkungen der Reformen sind. Das Sondergutachten wird uns voraussichtlich in dieser Woche übermittelt, die Ergebnisse nehmen wir mit in unsere Beratungen. Allerdings wissen wir schon, dass sich die Reformen nicht auf die laufende Beitragsempfehlung für die nächste Beitragsperiode auswirken.

Wie sieht’s mit eben dieser aktuellen KEF-Empfehlung aus?

Wir werben dafür, dass die Reformen so grundlegend sind, dass sie auch die Beitragsentwicklung mittel- und langfristig stabilisieren. Wir müssen mit der Ratifizierung des Reformstaatsvertrags durch alle 16 Landtage, das wird sich bis ins nächste Jahr ziehen, sodass der Staatsvertrag dann frühestens im August oder September 2025 in Kraft treten kann. Erst dann kann auch der Rundfunkbeitrag steigen.

Erwarten Sie also, dass die Anstalten zwischen Januar und August/September 2025 die Füße still halten und nicht, wie beim letzten Mal, das Bundesverfassungsgericht anrufen, um die KEF-Empfehlung durchzusetzen?

Ich wünsche mir in einer Demokratie, dass der Primat der Politik Vorrang genießt und dass wir gestalten, statt den Rechtsweg zu bestreiten. Wenn der Reformstaatsvertrag mit der aktuellen KEF-Empfehlung nicht von allen Landesparlamenten ratifiziert würde, steht den Anstalten natürlich der Klageweg offen.

Muss die KEF auf Basis des Reformstaatsvertrags eine neue Beitragsberechnung durchführen? Und wenn ja, wie ist da der zeitliche Fahrplan?

Die nächste Beitragsberechnung erfolgt automatisch mit dem 25. KEF-Bericht. Ende November oder Anfang Dezember 2024 wird das nächste Anforderungsschreiben an die Anstalten rausgehen. Dort wird sich die Frage an den anzuwendenden Reformen orientieren.

Die KEF kann doch die Anstalten nicht fragen, wie hoch ihr Bedarf unter Einbezug möglicher Reformen wäre, wenn diese noch nicht einmal beschlossen sind?

Wir haben mit der KEF ein Verfahren entwickelt, das vorsieht, dass die Anstalten zusätzlich anmelden, wir ihr Bedarf wäre, wenn die Reformen kommen würden.

Frau Raab, vielen Dank für das Gespräch!