Herr Himmler, vor 15 Jahren haben Sie zum Start des Senders ZDFneo verantwortet, damals bewusst eigenständig aufgestellt. Jetzt legen Sie eine ZDF-Reform vor, bei der eine neue Direktion zentral die Verantwortung für alle Marken übernimmt. Warum?

Stimmt: Ich durfte ZDFneo mit aufbauen, habe vorher als Redakteur in der Chefredaktion gearbeitet, war Programmplaner und später Programmdirektor. Aus den verschiedenen Perspektiven und mit den Jahren ist die Erkenntnis gereift, dass wir im ZDF eine große Strukturreform brauchen. Dass wir unsere Portfolio-Steuerung, Planung und Distribution kanalübergreifend zusammenführen müssen.

Damit wird künftig also zentraler geplant?

Es hatte bisher seine Berechtigung, jeden Kanal einzeln zu planen; aber heute braucht es eine 360 Grad-Sicht auf die Dinge. Dabei behalten die Kanäle ihre Identität. Gleichzeitig haben unsere Sendungsmarken erheblich an Bedeutung gewonnen. Das ist der Blickwinkel für die Zukunft: Wie können wir die starken Programmmarken des ZDF - beispielsweise „heute“, die „heute show“ oder „Terra X“ - über alle Ausspielwege noch besser, noch gezielter zu den Nutzerinnen und Nutzer bringen.

Gab es da bislang Schwächen?

Von Schwäche würde ich nicht reden. Die Qualität der ZDF-Programme ist augenscheinlich - wir freuen uns gerade sehr über 30 Nominierungen beim Deutschen Fernsehpreis. Aber gewachsene Strukturen müssen bisweilen reformiert werden. Bislang war die Programmdirektion für die Planung des linearen Angebots zuständig, die Planung digitaler Medien war hingegen bei der Chefredaktion angesiedelt. Das gilt es jetzt, in der neuen Direktion zusammen zu führen: alle Planungsthemen,  die Distributions-Fragen und auch Elemente der Programm-Kommunikation. Die Distribution ist mittlerweile genauso wichtig wie die Erstellung von Qualitätsinhalten - und da können wir tatsächlich noch besser werden.

Können Sie das konkretisieren?

Wir bereiten uns auf eine Zukunft vor, in der Ausspielwege wegfallen und neue dazukommen werden. Man kann dafür aber nicht ständig Strukturen umbauen. Deswegen eine neue Direktion, die zentral unsere Portfoliosteuerung und Distribution verantwortet, auch weil Programm- und Social Media-Kommunikation nah am Programm sein sollte und schon bei der Entwicklung mitgedacht werden muss. Es geht darum, vorausschauender zu planen und effizienter zu distribuieren, ganz im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer.

Bislang war jemand für ZDFneo als Kanal verantwortlich, aber nicht unbedingt für die Programme, die dort liefen - die Rolle entfällt?

Für die Identität der Ausspielwege ist es weiter hilfreich, wenn sie von einer Person nach innen und nach außen vertreten wird. Nur werden diese Kolleginnen und Kollegen künftig mehrere Hüte aufhaben: Wir wollen Genre-Koordinierung und Kanalidentität zusammenbringen. Wer ZDFneo verantwortet, wird über alle Ausspielwege hinweg auch für die Genres verantwortlich sein, die ZDFneo besonders prägen. Gleiches gilt für ZDFinfo und auch die Kulturprogramme. Gleichzeitig geht die redaktionelle Zuständigkeit für Phoenix in die Chefredaktion, für Arte in die Programmdirektion. Beides war bislang in der Intendanz angesiedelt. Mit der Gründung einer neuen Direktion werden wir uns verschlanken und effizienter werden. Wir haben von der KEF weitere Sparauflagen bekommen und deswegen werden wir mit den Zusammenlegungen auch Personalkosten einsparen, rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Das zeigt: das ist ZDF reformfähig und verschlankt sich aus eigener Kraft.

Wer wird die neue Direktion führen?

Die Vorbereitung ist komplex. Seit über einem Jahr wird in rund 35 Arbeitspaketen an der neuen Struktur gearbeitet, übrigens ohne externe Unternehmensberatung. Wir steuern diesen Prozess intern selbst. Die neue Direktion für Steuerung, Planung und Distribution wird auf Augenhöhe eng mit der Programmdirektion und der Chefredaktion zusammen für den Erfolg unserer Angebote arbeiten. Wer diese Direktion mit rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leiten wird, kann ich noch nicht öffentlich sagen.

Hört die Person an der Spitze der neuen Direktion auf den Namen Florian Kumb?

Ich merke, Sie lassen nicht locker … Ich werde dem Verwaltungsrat im November einen Vorschlag machen. Aber klar: wir haben dafür einen geeigneten Kandidaten oder Kandidatin im Sinn.

 

"Tatsächlich ist die Mediathek in Zukunft das ZDF. Wie lange wir dabei noch von Mediathek sprechen, werden wir sehen"

 

Ein solcher Umbau ist immer auch eine interne Herausforderung, wenn bisherige Muster und Verantwortungen verändert werden. Gehen da alle im Haus mit?

Der Prozess ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Ich war selbst auch mal Direktor und habe deshalb eine Ahnung davon, wie sich das anfühlt, wenn an dieser Stelle eine große Reform umgesetzt wird. Die neue Direktion hat auch eine stark beratende Funktion, soll die Programmdirektion und Chefredaktion in ihrer Programmarbeit unterstützen. Wir haben intensiv um die beste Struktur gerungen, aber sind uns jetzt sehr einig, dass dies eine zukunftsweisende Aufstellung ist. Nur gemeinsam sind wir stark und kann der Umbau gelingen.

Sie haben betont, wie lange der Prozess schon läuft im ZDF: 2024 ist das also ihr großes Thema. Werfen wir einen Blick in die Glaskugel: Was wird den ZDF-Intendant 2025 beschäftigen?

(lacht) Ich werde mich bestimmt nicht langweilen. Zunächst einmal die Frage, ob das alles so aufgeht wie geplant. Das werden wir erst nächstes Jahr merken. Aber die darüber hinaus wichtigste Aufgabe im kommenden Jahr wird die Weiterentwicklung der Mediathek sein, der entscheidende Ausspielweg der Zukunft für das ZDF. Denn hinter und in der Mediathek steckt letztlich das gesamte Programmangebot des ZDF. Dort läuft alles zusammen, was wir über diverse Kanäle verbreiten. Deren Weiterentwicklung ist auch eine Aufgabe für die neue Direktion, die sich mit vielen Zukunftsfragen beschäftigen muss. Daten-Management aber auch der Einsatz von KI werden immer wichtiger.

Mediathek ist ein Begriff, keine Marke. Wie zeitgemäß ist es, einen linearen Sender als das ZDF zu bezeichnen und wiederum das eine Angebot, wo wirklich alles verfügbar ist, mit diesem generischen Zusatz zu versehen?

Da machen Sie einen richtigen Punkt. Tatsächlich ist die Mediathek in Zukunft das ZDF. Wie lange wir dabei noch von Mediathek sprechen, werden wir sehen. Diese App ist das Dach, unter dem sich alles versammelt, auch unsere Sendermarken. ZDFneo und ZDFinfo werden dafür noch klarer als Genre-Marken positioniert, um linear und in der App als Synonym für ein Genre zu stehen.

Wenn das ZDF zur App wird - ist dann öffentlich-rechtlicher Rundfunk noch die richtige Begrifflichkeit?

Bei allem Fokus auf der App: Auf absehbare Zeit gehören die linearen Kanäle zum Erfolg - und nicht nur das Hauptprogramm. Neo und Info machen linear ein Drittel des jungen Publikums des ZDF aus. Sie sind ein zentraler Bestandteil unserer Verjüngungsstrategie. Aber wir definieren das ZDF der Zukunft so: alle für den öffentlich-rechtlichen Auftrag relevante Genres und Marken müssen ihr Publikum finden, egal auf welchem Distributionsweg. Eben ein ZDF für alle. Und Konflikte, die sich bei dieser zukunftsgewandten Definition unseres Auftrags ergeben, lassen sich nur inhaltlich im Diskurs lösen und weniger mit einem Wechsel von Begrifflichkeiten.

Herr Himmler, herzlichen Dank für das Gespräch.