Herr Stuckmann, Ihre Serie heißt „Jugend“, erzählt aber von Menschen um die 30. Ist das schon Humor oder Jugend erzäht aus Sicht des durchschnittlich über 60-jährigen ZDF-Publikums?
Wir nehmen Jugend nicht wörtlich im körperlichen, physischen, alternden sondern im übertragenen Sinn. Was mich immer schon interessiert hat - und was mich zu der Serie inspiriert hat - ist die dunkle Seite von Jugend. Der Begriff wirf immer positiv und erstrebenswert benutzt. Aber auch gefüllt mit unglaublich viel Erwartungen. Wenn gesagt wird „Verschwende deine Jugend“, dann steckt dahinter ja gerade der Druck, etwas aus seiner Zeit, seiner Jugend zu machen. Wer jung ist, der darf eben nicht auf dem Sofa liegen. Lerne Sprachen, verreise, lerne Leute kennen, hab Sex, unternimm ständig etwas. Das ist wahnsinnig anstrengend. Und man darf dabei auf gar keinen Fall alt werden!
Eine Serie über Erwartungsdruck? Haben den nur junge Menschen?
Das ist ein Fluch. Auch wenn man 70 ist, darf man ja nicht einfach rumsitzen und sein Leben genießen. Dann muss man sich mit Ernährung beschäftigten, möglicherweise Veganer werden. Noch eine Sprache lernen, nicht zuhause rumsitzen sondern verreisen. Wir leben in einer Wel, in der man nie fertig ist. Alles ist immer ein Zwischenstadium und das ist der Kern der Serie: Menschen, die einfach nie ankommen, nie fertig sind, immer scheitern und davon überzeugt sind, dass das Beste noch kommt - und dabei vielleicht die beste Zeit ihres Lebens verpassen.
Ist die Serie autobiografisch?
Da steckt schon viel von mir selber drin. Ich glaube aber, jeder der mit offenen Augen durchs Leben geht und Humor hat, wird sich schnell darin wiederfinden. Weil man die Lächerlichkeit des eigenen Daseins nie einfach ausblenden kann.
Die Serie hat eine klare Formatierung, einen sehr eigenen Look, dazu das Thema. Was war zuerst da? Wie ist „Jugend“ entstanden?
Ich bin rückwärts in dieses Thema gestolpert. Der Ausgangspunkt, diese Serie zu machen, war formal. Ich hatte vor einigen Jahren „Eichwald MdB“ gemacht, deren zweite Staffel schön geworden ist - aber wir haben uns damals total übernommen bei dem Budget. Wir wollten zu viel und sind an den eigenen Ansprüchen daran, wie wir arbeiten wollen, gescheitert. Danach war ich so fertig, dass ich dachte, ich brauche etwas ganz anderes. Ein Projekt wo die Form vorgegeben ist und man sich ganz auf Text und Schauspiel fokussieren kann. Wenn man Comedy schreibt, trägt man eh immer diesen Wunsch mit sich rum, eine Sitcom zu machen. Ich hatte nach „Eichwald MdB“ Zeit, habe auch ein Stipendium in Los Angeles gehabt, mich dort nochmal mehr mit Sitcoms befasst. Die haben ein wahnsinnig flexibles Erzählmodell, das hat mich schon bei „Seinfeld“ begeistert.
Wie meinen Sie das?
Sitcoms sind das Gegenteil von dem, was zuletzt im Streaming und TV ausprobiert wurde. Ich meine den Trend zu großen Produktionen, die ganze Welten erschaffen und dann über viele Staffeln immer tiefer eintauchen und mit jedem Cliffhanger wird alles komplexer. Sitcoms sind das Gegenteil davon. Man kann wie ein Hubschrauber in jeder Situation, in jedem Thema landen - und einfach los erzählen. In einer langlaufenden Serie mit stark horizontaler Handlung müsste man erst mal eine Staffel lang Konstellationen und Themen einführen. Bei einer Sitcom kann man einfach sagen: Katrin datet gerade einen Mann, der deutlich älter ist und sie haben heute das dritte Date. Fertig - und bitte!
Und trotzdem gibt es im Streaming-Zeitalter kaum erfolgreiche neue Sitcoms. Klassiker der US-Networks werden hingegen weiterhin extrem nachgefragt. Warum dann die Zurückhaltung?
Meine These: Wir erleben gerade eine Mode. Sitcoms sind nicht altbacken, sie widersprechen nur vermeintlich dem, was Streamingdienste in den letzten Jahren gesucht haben, um Abos zu verkaufen. Serien mit starken Cliffhangern, wahnsinnigen Bildwelten und fantastischen Geschichten, die sich maximal vom bestehenden Angebot abheben, sind erstmal naheliegendere Lockvögel als etwas, was auf den ersten Blick nach abgefilmtem Theater aussieht. Und dann kam das Absurde: Die großen existierenden Sitcoms sind bei allen Streamingdiensten enorm nachgefragt, oft in den Top-Abrufen zu finden. Es gab Jahre, wo „The Office“ die erfolgreichste Serie auf Netflix war. „Friends“, „Seinfeld“. Aber trotzdem war es unmöglich Streamern eine Sitcom zu verkaufen, weil sie zwar zugaben, dass das Genre sehr gefragt ist aber eben nur Marken von denen hunderte Folgen vorliegen. Ins Risiko gehen wollte keiner - das ZDF schon.
Warum tun sich Ihrer Meinung nach gerade die Privatsender, die einst Comedy-Hochburgen waren, denn so schwer?
Ich frage mich auch immer, warum andere Sender so vorsichtig sind. Also als ich angefangen habe vor 20 Jahren war halt Sat.1 so die Kathedrale der deutschen Comedy. Die hatten einfach jeden. Bastian Pastewka, Anke Engelke, Kaya Yanar, Harald Schmidt. Ein bisschen noch bei ProSieben, auch was bei RTL aber Sat.1 hatte gefühlt 80 Prozent der Namen und Formate. Das ist dann beim allgemeinen Niedergang von Sat.1 in den Jahren darauf mit verloren gegangen. Jetzt hat das ZDF da die Führungsrolle übernommen, ausgehend irgendwie letztlich vom Erfolg der „heute show“, die irgendwann Mut gemacht hat für mehr Comedy.
Bleiben wir erstmal bei der Entstehung von „Jugend“: Wie kam es zum Setting der Serie?
Ich habe mich dann an meine Zeit als Endzwanziger in Berlin erinnert, die Stimmung und die Figurenkonstellation von damals in die Sitcom-Welt überführt, natürlich dabei ein bisschen verschoben und überzeichnet.
Wie findet man gerade für die Gattung der Sitcom die passenden Figuren? Das ist hier ja noch weitaus wichtiger als bei horizontalen Serien, wo später einfacher neue Charaktere eingeführt werden können?
Ich entwerfe immer Psychogramme. Eine Seite lang meist, manchmal auch ein bisschen mehr. Wo kommt die Figur her, warum ist sie so, wie ist sie überhaupt? Trauma ist heutzutage so ein abgenutztes Wort, aber tatsächlich finde ich es beim Drehbuchschreiben wahnsinnig spannend zu gucken, was sind so die Kindheitstraumen oder warum ist eine Figur auf eine bestimmte Art beschädigt? Was war da bei den Eltern los, was ist da passiert? Ist jemand vielleicht in der Arbeiterfamilie groß geworden und war dann die erste, die studiert hat? Idealerweise fängt man mit einer Figur an, die einem am nächsten ist und versucht dann die anderen Figuren quasi konträr drumherum zu bauen, um Widerstand zu haben. Bei einem idealen Ensemble hat jede Figur mit jeder anderen irgendwie zu tun und hat einen bestimmten Konflikt oder jede Figur denkt das Gegenteil von irgendeiner anderen Figur, so dass man möglichst viele Möglichkeiten hat, Themen zu diskutieren.
Und das tun die Charaktere bei „Jugend“ mit auffallend direkten Dialogen. Nicht Aktion, Reaktion sondern Aktion auf Aktion folgend, sehr rasant...
Ich bin Freund dieser Art von, ich weiß gar nicht, ob man es Hyperrealismus nennen kann. Was mir am Drehbuchschreiben so gut gefällt ist, dass man mehr mit schlechter und kaputter Sprache arbeiten kann. Also umgangssprachlicher, auch mal mit falschen Worten oder halben Sätzen, weil man mitten drin das Thema wechselt. Dialoge zwischen Menschen, die sich gegenseitig erzählen ohne zuzuhören. Also diese Dialoge, die eigentlich ineinander verschachtelte Monologe sind. Das finde ich wahnsinnig spannend. Und das ist das, was mich am Drehbuch schreiben mit am meisten interessiert. Bei „Jugend“ bietet es sich umso mehr an, weil wir hier sehr viele Egoisten in der Handlung haben, die quasi immer nur auf die nächste Atempause des Gegenüber warten um dazwischen zu gehen um das Gespräch wieder auf sich zu lenken.
Auffallend an „Jugend“ sind die durchaus kunstvollen Schnittbilder zwischen den Szenen. Wie kamen Sie darauf?
Das hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt und ist dann irgendwie eskaliert. Natürlich haben wir uns auch gefragt, wie macht man 2024 Sitcom und wie updatet man den Look?Also ohne jetzt zu sagen, man macht irgendwas ganz anderes. Es war schon klar: Wir verstecken das Studio und diese Guckkasten-Optik von Sitcoms nicht, bei der quasi die vierte Wand fehlt. Der Look hat sich dann mit den Regie-Kolleg*innen eHannah Dörr und Simon Ostermann sehr kollaborativ ergeben. Simon ist ein erfahrener Comedy-Regisseur und Hannah ein Zwitterwesen, weil sie Film aber auch Theater gemacht hat. Die Schnittbilder sind tatsächlich entstanden, weil wir uns ganz lange nicht sicher waren,: Brauchen wir die oder verzichten wir einfach drauf? Bei „Seinfeld“ sind die ja ganz klischeehaft, einfach Bilder, Häuser von außen und die wenigen Orte, wo klassisch New York erzählt wird. Bei „Friends“ gab es die fast gar nicht mehr, wo man sagen kann - ja warum auch?
Und was war Ihre Antwort darauf?
Meine Sachen sind immer sehr schnell und sehr hart, dialoglastig. Deshalb war die Frage: Braucht man da auch mal einen Moment zum Durchatmen, also Pufferzonen zwischen den Szenen, wo ein bisschen Musik kommt; wo man auf was anderes guckt. Die Entscheidung haben wir ehrlich gesagt vor uns hergeschoben. Und dann kamen wir auch dank Chat GPT auf die Idee, Straßenszenen aus Berlin zu nutzen. Aber dann fiel auf: Das ist doch etwas zu banal, was wäre wenn wir da auch kleine Geschichten erzählen? Dann haben wir angefangen, assoziativer ranzugehen um an die vorherige Szene anzuknüpfen und das mit Bildern zu unterfüttern. Dabei sind wir dann so eskaliert, dass ich mich frage ob wir da jetzt schon neue Bildwelten aufmachen und es gar nicht mehr als Durchatmer funktioniert. Aber bildgewaltig und originell ist es geworden!
Ist bei dem Tempo und all den untergebrachten Themen eine zweite Staffel denkbar?
(Lacht) Ich hoffe. Ideen habe ich noch genug, Das ist ja auch das Tolle an dem Genre Sitcom. Bei „Seinfeld“ hieß es immer, es ist „Comedy about nothing“ - aber das war gelogen. Eigentlich sind Sitcoms „Comedy about everything“. Weil eine gute Sitcom als Rahmen alles thematisieren kann. Natürlich gibt es schon zehntausende Sitcom-Folgen von tausenden Serien. Man könnte natürlich sagen: Hat man alles schon mal irgendwie gesehen, aber vielleicht nicht mit einem neuen Twist. Wenn beiläufig Femininsmus miterzählt wird. Wenn in einer Welt, in der alles digital läuft, Beziehungen eingegangen werden ohne sich jemals persönlich gesehen zu haben. Das sind dann Themen, die es in den „Seinfeld“-Sendejahren noch gar nicht gab, wenn man von Brieffreundschaften absieht. Ein gutes Beispiel also dafür, warum „Jugend“ meiner Meinung nach einen Platz hat und man mehr solcher Formate machen sollte.
Letzte Frage: US-Sitcoms oder britischer Humor. Bei solchen Labels kann man sich meist etwas vorstellen. Wie würden Sie eigentlich deutschen Humor beschreiben?
Ich glaube ja tatsächlich, dass es da gar keine großen Unterschiede gibt. Wenn man sich den Mainstream anschaut, da funktioniert Humor länder- und kulturenübergreifend. Aber es gibt natürlich gewisse Ausprägungen und Spezialitäten. Ich hoffe, dass mein Humor nicht spezifisch deutsch ist. Ich wüsste auch gar nicht, was spezifisch deutscher Humor sein sollte. Manchmal heißt es man dürfe über dieses oder jenes Thema keine Witze machen. Ich glaube das stimmt nicht. Ich glaube man kann über alles Witze machen. Die wichtige Frage ist: Was ist die Stoßrichtung dabei und wer ist das Ziel des Witzes? Ich habe schon Transsexuellen-Witze gehört, die funktionieren und einen empathischen Kern haben - weil sich nicht auf Kosten von Transsexuellen funktionieren. Vielleicht muss man eher sagen, dass die deutsche Humor-Rezeption eine andere ist, weil es bei uns im Vergleich zum angelsächsischen Raum einen anderen Entwicklungsstand bei Comedy gibt. Da haben USA und Großbritannien uns ein paar Jahrzehnte voraus. Wir tun uns da manchmal schwer im Umgang mit Humor. Da gibt es bei uns oft zu wenig Lesekompetenz im Bereich Humor.
Herr Stuckmann, herzlichen Dank für das Gespräch.
Die acht Folgen der ersten Staffel von "Jugend" sind in der ZDF Mediathek abrufbar. Die Serie startet am Dienstagabend um 21:45 Uhr auch linear bei ZDFneo.