Frau Ruff, die Stimmung im Markt ist weiter angespannt, gleichzeitig wird ITV Studios Germany in diesem Jahr 25 Jahre alt: Sind Sie in Feierstimmung?

Ich bin natürlich wahnsinnig stolz auf die 25 Jahre, die wir mit ITV Studios Germany erreicht haben. Gleichzeitig zeichnete sich im Frühsommer vergangenen Jahres ab, dass alles ein bisschen schwieriger wird, Stichwort Werbemarkt. Dementsprechend stand mir im vergangenen Herbst nicht der Sinn nach einer großen Party. Es fühlt sich nicht richtig an, ein großes, rauschendes Fest zu veranstalten wie wir es zum 20-Jährigen gemacht haben. Man kann nicht Champagner trinken und auf den Tischen tanzen, wenn wir alle den Gürtel enger schnallen müssen. 

Also so gar keine Party?

(lacht) Okay, wir haben letzte Woche im kleinen Kreis mit dem Team gefeiert und das Jubiläum sonst vor allem zum Anlass genommen, uns als Firma für gute Zwecke zu engagieren. Denn so viel diese Branche auch meckert und jammert, wir tun das auf einem sehr hohen Niveau. Uns geht es gut, anderen weniger. Daraus ergab sich die Idee der „Social Days“ unterschiedlichster Art. Das wurde zu einem Teambuilding-Event mit Wirkung. Es hat bei uns im Haus viele nachhaltig sehr beseelt, einige Verbindungen bleiben auch bestehen. Ich kann das auch anderen Unternehmen nur sehr empfehlen.

Nicht nur die Firma feiert Jubiläum, Sie auch: Zehn Jahre Christiane Ruff bei ITV Studios Germany…

Irre, oder? Als ich angefangen habe, habe ich ganz sicher nicht zehn Jahre im Blick gehabt. Ich war damals 54, werde jetzt 64, und habe mir damals gedacht: Komm, das mach ich jetzt mal 'ne Zeit lang. Und kaum dreht man sich zweimal um, sind zehn Jahre vergangen. Und keins davon war langweilig. 

 

"Fühle michverpflichtet, das Schiff nicht zu verlassen, bis die Branche wieder auf dem richtigen Weg ist"

 

Sie bleiben weiter an Bord?

Ich habe immer noch Spaß an meiner Arbeit und schwierige Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, erfordern eine starke Führung. Ich würde also nicht gehen, wenn es noch viel zu tun gibt und man sich auf einen sich verändernden Markt einstellen muss. Da bin ich zu preußisch und fühle mich dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet, das Schiff nicht zu verlassen, bis die Branche wieder auf dem richtigen Weg ist.

Die Gründung von ITV Studios Germany bzw. Granada fiel in die wilden Zeiten des Privatfernsehens. Wie würden Sie die heutige Zeit beschreiben?

Gute Frage. Es sind mit Blick auf die Sender und Plattformen gerade Zeiten der Vorsicht, des Abwägens und oftmals des ängstlich seins. Es geht vielmehr darum, Dinge zu bewahren, also das Gegenteil von den wilden Zeiten des Angriffs. Auf die folgten dann ja die goldenen Jahre, die vielberufenen. Heute geht Verteidigung über Abenteuer; alle suchen den Hoffnungsschimmer am Horizont. Ich persönlich habe ja ehrlich gesagt das Gefühl, dass wir schon wieder viel mehr Gas geben könnten, aber leider noch oft mit angezogener Handbremse gefahren wird. Vielleicht auch wegen des Sportsommers. Aber nicht mit uns! Unser Legenden-Dschungel zum 20-Jährigen - nächstes Jubiläum - wird ein ziemlicher Knaller. Die Produktion in Südafrika ist im Kasten, da kann man sich noch im Spätsommer bei RTL+ und RTL echt auf was freuen. Das ist ein Ausrufezeichen gegen die Olympischen Spiele für alle, die mehr Drama brauchen.

Voraufgezeichnet statt live: Ändert das die Dynamik des Dschungelcamps? Was macht diese Staffel zum Jubiläum besonders?

Wir haben eine sehr vielversprechende Besetzung zum Jubiläum und natürlich mehr Zeit für die Postproduktion, was toll aber auch total ungewohnt ist. Alle Beteiligten sagen immer, dass der Zeitdruck der Live-Produktion in Australien seinen eigenen Reiz und Nervenkitzel mitbringt. Dieses Unmittelbare wollen wir uns bei den regulären Staffeln schon behalten. „Die Stunde danach“ wird dieses mal besonders spannend, weil die Promis aus dem Dschungel jetzt selbst zu Gast sein können. Es kann also kommentiert und ausdiskutiert werden, was vor Ort passiert ist. Das ist neu und verspricht viel.

20 Jahre Dschungelcamp, 18 Jahre „Perfektes Dinner“ und einige andere ITV-Formate laufen auch sehr lang. Braucht es da Innovation, wenn man so viel zu verteidigen hat?

(lacht) Ich persönlich liebe das Risiko. Aber natürlich profitieren wir von unseren Dauerbrennern, wie das „Dinner“ mit seinem heimeligen Effekt im Angesicht von allerlei Krisen in der Welt, aber auch „Gefragt, gejagt“, oder „Grill den Henssler“, dem wir zusammen mit Vox zum Beispiel im Spätsommer mit „Deutschland grillt den Henssler“ ein Spin-Off geben. Dass wir bei RTL den Dschungel mit dem Legenden-Dschungel ergänzen, ist auch eine Weiterentwicklung. Das „Quizduell“ im Ersten haben wir mit der wunderbaren Esther Sedlaczek verjüngt. Mit „Alone“ haben wir im Reality-Genre Survival reingebracht und mit „Love Island VIP“ setzen wir mit RTLzwei in diesem Jahr auch eine ganz neue Variante um - ganz anders als die bisherige Daily-Version. Das ist Innovation im Bestehenden und natürlich ein großer Luxus, dass uns dieses Portfolio einen Großteil unseres Umsatzes sichert. Aber gleichzeitig lechze ich nach Neuem! 

 

"Realitys? Mein lieber Herr Gesangsverein, es muss doch irgendwann mal genug davon geben"

 

Nach was denn zum Beispiel?

Ich würde „Double the money“ sehr gerne nach Deutschland bringen, eine Show, in der Teams gegeneinander antreten, um mit kreativen Geschäftsideen Woche für Woche das Geld zu verdoppeln. Eine sehr unterhaltsame, spielerische Form von Entrepreneurship. Und im Reality-Segment gibt es auch noch Ideen und das obwohl ich mir seit Jahren denke: Mein lieber Herr Gesangsverein, es muss doch irgendwann mal genug davon geben. Für weitere Bikini-Realitys braucht es, wenn schon, einen besonderen Twist. Generell sehe ich aber auch im Show-Segment für den Freitag- oder Samstagabend Bedarf und das bei einigen Sendern. 

Wirklich? Will wirklich jemand das Geld in die Hand nehmen für ein neues Studioset?

Momentan findet man eher Gehör, wenn eine große Show schon irgendwo gelaufen ist. Wir bauen da natürlich sehr auf unsere Kolleginnen und Kollegen in UK. Kaum ein Sender traut sich gerade für eine Show ein Set zu bauen. Man setzt eher auf Show-Marken, die das heimische Publikum schon kennt. Bei Sat.1 sieht man aktuell eine Renaissance des Quiz, da werden natürlich auch andere Sender aufmerksam und für die privaten Sender ist ein in Staffeln produzierbares Showformat durchaus attraktiv. ARD und ZDF haben ohnehin viele erfolgreiche Showformate. Trotzdem werden wir auch dort weiterhin ein breites Formatportfolio anbieten.

Stichwort Effizienz: Jährlich schwankt die Perspektive für Daytime TV. Mal heißt es, dafür sei kaum noch Budget da, dann wieder werden Offensiven ausgerufen…

Wenn Sie wüssten, wie viel Daytime-Ideen wir über die vergangenen zwei Jahre entwickelt haben über mehrere Sender hinweg. Wir haben uns, mit Blick auf Briefings, in denen Neues gefordert wird, wirklich wund entwickelt und am Ende wird es dann z.B. eine Kochsendung, die hausintern umgesetzt wird. Natürlich ist es frustrierend, wenn das Team viel Zeit investiert, am Ende aber etwas genommen wird, was gar nicht im Briefing stand. Aber um es positiv zu sehen: Immerhin haben wir jetzt viele frische Ideen in der Schublade! Empfindlich werde ich nur bei Formatklau und das nimmt gerade wieder zu.

Formatklau wird wieder zum Ärgernis? 

Ja und das zunehmende Ghosting. Man hat Termine und Gespräche, bekommt positives Feedback - und dann meldet sich niemand mehr. Absagen gehören zum Geschäft, aber keine Reaktionen zu bekommen und teilweise über Wochen oder Monate nicht zu wissen, wohin die Reise geht, blockiert viel. Entscheidungen werden nicht getroffen, weil man eventuell hofft, noch was Besseres zu finden. Es ist wie beim Dating. Hinzu kommt, dass bei der Fülle der Einreichungen, die Senderverantwortlichen nicht mehr hinterherkommen. Das ist zum Problem in der Branche geworden, geht aber auch unseren internationalen Kolleginnen und Kollegen so.

 

"Ein Problem sind natürlich auch mehrjährige exklusive Deals von Sendern mit einzelnen Produktionsfirmen, die schon mal auf absehbare Zeit erhebliche Programm-Budgets binden."

 

Vielleicht auch eine Konsequenz aus zu vielen Firmen, die auf Aufträge hoffen?

Der Markt ist definitiv überflutet von Produktionsfirmen, insbesondere im Fiktionalen, wo mit dem Start der Streamer ja eine Goldgräberstimmung ausgebrochen ist. Da wurde eine kurze Zeit lang wie verrückt bestellt, aber heute wissen wir nach einigen Rückzügen: Der Kuchen wurde gar nicht größer, sondern nur kleinteiliger. Aber es sitzen jetzt mehr am Tisch und haben Hunger. Die stürzen sich alle auf den gleichen Kuchen, um was abzubekommen. Das kann nicht gut gehen. Da wird sich der Produzentenmarkt irgendwann die Augen reiben: Reicht das Geschäft für alle? Nein, wird es nicht. Weil wir die unverhältnismäßig verrückten Zeiten im Streaming hinter uns gelassen haben. Und ein Problem sind natürlich auch mehrjährige exklusive Deals von Sendern mit einzelnen Produktionsfirmen, die schon mal auf absehbare Zeit erhebliche Programm-Budgets binden.

Hat das Konsequenzen für ITV Studios Germany? Spielt Fiktion noch eine Rolle?

Bei uns arbeiten über zweihundert Leute an non-fiktionalen Formaten und gut eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen in der Fiction. Das spricht eine deutliche Sprache, aber mein Herz wird immer für Serien und Filme schlagen und wir werden in die Richtung nicht nur weiter entwickeln, sondern auch weiter produzieren. Die Öffentlich-Rechtlichen sind inzwischen wieder zur ersten Adresse für alle geworden, die fiktionale Ideen platzieren wollen. In den Mediatheken und bei ZDFneo ist einfach ein super Spielfeld entstanden. Wir freuen uns, dass wir da auch im Rennen sind. Natürlich bleiben wir weiterhin auch unverdrossen mit allen anderen Streamern und Sendern im Dialog. 

Letzte Frage: Bei welchem Ihrer Formate würden Sie selbst mitmachen?

Beim „Perfekten Dinner“, weil ich rasend gerne koche und Menschen an einem Tisch versammle. Ich finde es auch immer wieder spannend auf neue Leute zu stoßen, die man noch nicht kennt. Aber eben lieber beim Essen als beim Dating, deswegen wäre ich bei „Love Island“ raus und bei „Alone“ würde ich in der Wildnis nicht überleben.

Und beim Dschungelcamp?

Da sage ich aus Witz immer, ich würde gerne mal dieses Sozialexperiment eingehen und hätte auch gar nicht so sehr Angst vor den physischen Spielen. Und vor einer Bohnen-Reis-Diät ist mir auch nicht bange, aber bei den Essprüfungen käme ich an meine Grenzen. Und wenn man am Lagerfeuer erstmal ins Reden kommen würde - und da bin ich ja immer ganz weit vorne - müsste ich mir danach vermutlich eine neue Branche suchen (lacht).

Frau Ruff, herzlichen Dank für das Gespräch.