Als 100-prozentige Tochter der ARD verantwortet die in Frankfurt ansässige ARD Degeto Film das fiktionale Angebot mit jährlich mehr als 700.000 Sendeminuten fürs lineare Programm und Mediathek. Geschäftsführer der ARD Degeto Film ist seit Mai 2021 Thomas Schreiber. Es ist Ende Mai als wir uns in seinem Büro im Norden der Frankfurter Innenstadt zum Gespräch treffen, an dem auch Christoph Pellander teilnimmt: Er ist bereits seit Sommer 2019 Abteilungsleiter Redaktion und Programm-Management im Hause ARD Degeto Film. Es ist ein Gespräch über Modern Mainstream und Genre-Vielfalt. Wenige Wochen zuvor hatte DWDL über längst nicht mehr passenden und doch leidenschaftlich kultivierten Vorwurf von Medienpolitik und manchen Schauspielenden geschrieben, die Öffentlich-Rechtlichen würden nichts als Krimis produzieren.
Herr Schreiber, Herr Pellander, wenn man sich inzwischen die Genre-Viefalt der Degeto-Produktionen anschaut: Ist aus dem früheren Süßwarenhandel ein Delikatessengeschäft geworden?
Thomas Schreiber: Beim Delikatessengeschäft stimme ich zu, auch weil das „Deli“ der „Zweiflers“ im Wort steckt. Süßwarenhandel sind wir definitiv nicht – dieses Bild ist seit vielen Jahren klischeebeladener Unsinn. Nicht erst seit „Babylon Berlin“ – sicher derzeit unser prominentestes und international meistbeachtete Projekt – hat sich unsere Arbeit verändert. Überholte Vorurteile spiegeln nicht unsere programmliche Wirklichkeit. Schon Christine Strobl hat ein Portfolio aufgebaut, das zahlreiche filmische und serielle Delikatessen im Angebot hatte.
Christoph Pellander: Mir gefällt der Begriff Delikatessengeschäft sehr gut. Ich schätze aber auch richtig gutes Brot, daher möchte ich – um im Bild zu bleiben – sagen: Wir bringen neben dem wichtigen, manchmal etwas unterschätztem „Brot & Butter“-Geschäft inzwischen viele besondere Programme ins Erste, in die ARD Mediathek und ins Kino und haben somit hoffentlich für alle eine Spezialität im Angebot, gerne mit gewisser Raffinesse – ohne, dass dann allen alles schmecken muss. Daher passt das Bild. In der Gesamtheit haben wir den Anspruch, allen etwas zu bieten. Uns begleitet der positiv konnotierte Begriff des „Modern Mainstream“ in unserer Programmauswahl.
Also doch eher Supermarkt?
Pellander: Nein, mit ausschließlich Mainstream-Produktionen schärft man natürlich wenig sein Profil. Wir haben gleichzeitig den Anspruch und Auftrag, Programm zu fördern, das neuartig und innovativ ist und das Bildung, Geschichte oder Kultur vermittelt – unabhängig von Quote oder Abrufzahlen. Nachwuchs-Förderung gehört genauso dazu wie Programme mit „Special Interest“. Das alles ergibt am Ende unsere große Bandbreite, auf die ich sehr stolz bin.
Die ersten Monate 2024 waren die bislang erfolgreichsten für unsere Programme in der ARD Mediathek.
Thomas Schreiber
Schreiber: Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass wir seit 2020 für die ARD Mediathek produzieren dürfen. Das hat unsere Möglichkeiten, unsere Genrevielfalt, unsere Farbpalette deutlich erweitert. Wir haben den Etat für die Mediathek Jahr für Jahr gesteigert, inzwischen versechsfacht im Vergleich zum ersten Jahr. Die ARD hat keine Probleme, über 50-Jährige zu erreichen, aber wir sind nicht genauso stark bei den 30- bis 49-Jährigen. Das werden wir nur über die Mediathek schaffen, wo wir deutlich spitzer sein können. Über alle Mediatheken-Programme hinweg, die als sogenannte plattform-promotenden Formate das Ziel haben, die ARD Mediathek stärker bei der Eroberungszielgruppe zu verankern, sind 38 Prozent der Nutzer unter 50 Jahre alt. Bei „Testo“ waren es 57 Prozent, das heißt: Da haben wir unser Ziel erfüllt. Die ersten Monate 2024 waren die bislang erfolgreichsten für unsere Programme in der ARD Mediathek.
Pellander: Unser Stammpublikum im Ersten ist Ü50 und junge Inhalte funktionieren linear nun einmal sehr schwer. Das werden wir auch nicht mehr ändern. Wir haben – wie andere auch –versucht, mit neuen Inhalten in der Primetime gezielt junge Menschen zu aktivieren, haben dann aber festgestellt: Wir können einer jüngeren Generation nicht vermitteln, warum sie zu einer bestimmten Zeit vor dem Fernseher zu sein hat. Das gelingt nur noch bei Live-Events im Sport oder dem ESC.
Pellander: Deswegen der Fokus auf die ARD Mediathek, um junge Zielgruppen für die Plattform zu begeistern. Wobei die Mediathek auch von immer mehr älteren Menschen genutzt wird. Unsere Mystery-Serie „Oderbruch“ ist ein tolles Beispiel – die konnte Menschen jeden Alters aktivieren. Elf Millionen Abrufe und das trotz Login-Pflicht aufgrund von FSK16! Allein dank „Oderbruch“ haben wir 500.000 neue altersverifizierte Accounts in der ARD Mediathek, die nötig waren, um die Serie ab der dritten Folge vor 22:00 Uhr weiterschauen zu können. Das hat kein Programm bislang geschafft und neue Maßstäbe gesetzt.
Schreiber: Mit den internationalen Koproduktionen und Lizenzen soll monatlich eine Serie von der Degeto in die Mediathek kommen – das ist einer unserer Aufträge aus der ARD und die Landesrundfunkanstalten stellen uns dazu die finanziellen Mittel zur Verfügung.
Welche Learnings ziehen Sie aus den ersten Jahren der Produktion für die Mediathek? Was funktioniert und was vielleicht auch nicht?
Schreiber: Ein Learning lässt sich am Beispiel von „Asbest“ aufzeigen: Wenn wir auf den üblichen Wegen für unsere Programme trommeln, erreichen wir die Menschen, die wir ohnehin schon haben. Wir dringen aber nicht zu denen durch, die uns nicht auf dem Schirm haben, die uns nicht oder noch nicht nutzen und denen wir ein Angebot machen wollen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir mit unseren Angeboten ein ganz großes Publikum im Ersten erreicht haben, wird geringer. Wir müssen viel mehr kämpfen für unsere Programme.
Schreiber: Am Vorabend der Veröffentlichung in der ARD Mediathek haben wir eine Premiere in Berlin-Neukölln gefeiert mit dem Hashtag #AsbestSeries. Dass unser Cast und Gäste die Serie auf ihren Social-Media-Kanälen so stark beworben haben, hat den Erfolg erst in dem Ausmaß möglich gemacht. Denn: Deren Follower sind nicht unser übliches Publikum. So haben wir für die ARD Mediathek neue Reichweiten generiert. Es half, dass in der Community glaubwürdige Personen für uns bzw. unsere Produktion gesprochen haben. Das ist ein entscheidendes Learning, das wir dann zur vierten „Babylon Berlin“-Staffel mit den „Babylon Berlin in Concert“-Veranstaltungen im Theater des Westens erneut angewendet haben. Wir müssen Ideen finden, die über Multiplikation bei Social Media unser potentielles Publikum erreichen, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Pellander: Wir müssen in Zeiten begrenzter Gelder kreativer sein, weil wir nicht das Marketingbudget kommerzieller Wettbewerber haben, um für jede Produktion große Werbekampagnen fahren zu können. Deswegen suchen wir nach Programm, das organisch schon Distribution beinhaltet. Wir rufen auch die Macher:innen auf, die Verbreitung beim Pitch gleich mitzudenken. Wir stecken lieber Geld in Content als in Marketing.
Nun wird „ARD Mediathek & Chill“ trotzdem wohl nie über die Lippen gehen wie „Netflix & Chill“….
Pellander: Darüber könnte man stundenlang diskutieren, aber bleiben wir bei dem, was wir haben: 200.000 Content Assets jeden Tag auf dieser Plattform und damit ein Angebot, das in Umfang und Vielfalt unangefochten im deutschen Streamingmarkt ist. Das ist ein unvergleichlicher Mehrwert, den die ARD Mediathek bietet, und die Fiktion spielt dabei neben der Information die größte Rolle. Unser Ziel als ARD Degeto Film ist es, dass wir den Menschen nicht nur ihre neuen Lieblingsserien anbieten – sondern die Plattform so in den Köpfen zu etablieren, dass sie ihre neue Lieblingsserie zuerst bei uns suchen.
Wir ziehen nicht vor Drehstart den Stecker, weil Algorithmen nicht passen.
Christoph Pellander
Pellander: Natürlich! Allein von der Degeto kommen im Jahr etwa ein Dutzend Serien aus den unterschiedlichsten Genres in die Mediathek. Wir haben sicherlich noch immer einen Rückstand, weil die kommerziellen Wettbewerber schon vor Jahren mit Streaming-Serien gestartet sind. Manche sind gesprintet und wir laufen einen Marathon. Ich denke, es zeigt sich inzwischen immer deutlicher: Wir haben einen langen Atem. Das ist auch eine wichtige Botschaft in den Produzentenmarkt und an alle Kreative: Für uns spricht Verlässlichkeit, denn wer mit der Degeto arbeitet, der darf sich sicher sein, dass beauftragtes Programm auch produziert und veröffentlicht wird.
Ein kleiner Seitenhieb Richtung Streamer?
Pellander: Wir konzentrieren uns auf uns und ziehen nicht vor Drehstart den Stecker, weil Algorithmen nicht passen oder sich eine Ausrichtung ändert. Wir haben auch in der Pandemie mit Ausnahme eines Films im Norden Afrikas alle Projekte realisiert und auch dann gedreht, als andere abgewartet haben. Für uns spricht außerdem der große Freiraum, den wir den Kreativen bieten können. Daher freut es uns beispielsweise, dass die Idee bei „Die Zweiflers“, die Figuren Jiddisch, Deutsch, Englisch, Russisch und Hebräisch sprechen zu lassen, so positiven Anklang findet. Den Produktionen großen kreativen und dramaturgischen Spielraum zu lassen, eröffnet auch uns als Redaktion neue Perspektiven und Optionen, weit weg von Gleichförmigkeit. Für uns ist dieses Projekt auch ein Signal in die Branche: Wir sehen Eure Ideen und verstehen Eure Visionen.
Ist die Trennlinie zwischen Mediathek und linearem Hauptprogramm allein das Alter? Wären „Die Zweiflers“ oder auch „37 Sekunden“ nicht ebenso für die Primetime geeignet gewesen?
Pellander: Diese Frage kommt immer wieder, aber fast nie von den Macherinnen und Machern. Und das ist so bezeichnend, denen geht es gar nicht mehr um die Primetime, denn sie haben verstanden: Es gibt eine neue Währung.
Schreiber: Die Startseite der ARD Mediathek ist unsere Primetime.
Die Zeit ist vorbei, in denen 45 oder 90 Minuten das Maß der Dinge für eine Geschichte sind.
Christoph Pellander
Welches?
Pellander: Wir lassen den Kreativen bei den Serien für die Mediathek größte Freiheit, was die Länge einzelner Episoden angeht. Das kann kein linearer Sender mit einem fixen Programmschema. Der Content gibt den Timecode vor. „Die Zweiflers“ haben mal 52, mal 34 Minuten. Die acht Folgen unserer queeren BiPoC-Serie „Schwarze Früchte“, die in wenigen Tagen ihre Weltpremiere beim Tribeca Filmfestival in New York feiern wird, haben komplett unterschiedliche Längen. Manchmal entstehen im Schnitt neue Gedanken zur Dramaturgie und wir haben plötzlich sieben statt sechs Folgen. Oder umgekehrt auch mal eine Folge weniger als geplant. Kein Sendeschema dieser Welt würde das möglich machen. Die Zeit ist vorbei, in denen 45 oder 90 Minuten das Maß der Dinge für eine Geschichte sind, was immer schon eine recht deutsche Eigenart war.
Aber um eine These der US-amerikanischen Schriftstellerin Fran Lebowitz aufzugreifen: Braucht es in der Kunst nicht mehr Fenster als Spiegel? Und Serien für Zielgruppen zu produzieren und sie ins Regal der Mediathek zu stellen, weil sie im Schaufenster der Primetime irritieren könnten, klingt sehr nach Spiegel…
Schreiber: Darüber haben wir beide ja schon mehrfach gesprochen und ich bleibe bei meiner Position: Diese Gesellschaft schaut schon in zu viele Spiegel. Ich glaube sehr daran, dass wir Fenster und Türen in andere Landschaften brauchen, wenn wir die Welt verstehen wollen. Im Frühjahr 2021 haben wir, also Christoph Pellander, Christine Strobl und ich besprochen, wo wir unseren neuen Mediatheksserien platzieren. Es gab ein simples, für mich überzeugendes Argument: Unser Ziel, die strategische Bedeutung und Reichweite der ARD Mediathek zu steigern, erreichen wir nicht, wenn wir weiter so publizieren, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben.
Aber natürlich hat die Primetime nach wie vor einen gewissen Wert, oder nicht?
Pellander: Und wir setzen in der ARD natürlich weiterhin mit unserer Premium-Strategie auch auf Stoffideen, die für die Primetime gedacht sind. Unter Premium-Stoffe verstehen wir zum Beispiel Highend-Serien, die sowohl linear als auch in der Mediathek große Mengen erreichen. Wir waren in diesem Jahr zum Beispiel auf beiden Ausspielwegen sehr erfolgreich mit den Zweiteilern „Unschuldig – Der Fall Julia B.“ oder „Lost in Fuseta – Spur der Schatten“. Im Winter freuen wir uns auf das serielle Krimi-Drama „Die Augenzeugen“ in 4x45 Minuten mit Nicolette Krebitz und Lucas Gregorowicz u.a. in den Hauptrollen, das wir mit Servus TV auf den Weg gebracht haben.
Premium muss aber nicht immer Serie bedeuten.
Christoph Pellander
Auch „Oderbruch“ dürfte in die Reihe passen?
Pellander: Ja, bis auf die Tatsache, dass „Oderbruch“ aufgrund der Altersfreigabe nicht für 20:15 Uhr geeignet war. Aber inhaltlich ist es ein gutes Beispiel, weil wir eine sehr ambitionierte Mystery-Vampirserie in den Mantel eines Crime-Thrillers gepackt haben. Die Serie entwickelt sich von der Suche nach dem Mörder immer mehr zu einem Mystery-Rätsel mit übernatürlichem Twist. In die Premium-Strategie passen auch große Brands und IPs sowie Romanverfilmungen. So wird die erste Staffel von „Ronja Räubertochter“, die Highend-Verfilmung des Jugendbuchklassikers im Serienformat, im Dezember unsere nächste große Premium-Serie, mit der wir hoffentlich generationenübergreifend im Ersten und der Mediathek punkten. Staffel 2 planen wir erneut gemeinsam mit dem NDR stellvertretend für die Familien-Koordination bereits für 2025. Premium muss aber nicht immer Serie bedeuten.
Stichwort Film.
Pellander: Wir erwarten im Spätsommer mit großer Freude das „Comeback“ von „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ im Ersten, wenn Luise von Finckh als Enkelin des berühmten Kiez-Anwalts zu sehen sein wird. Auch das historische Weihnachtsevent „Bach – Eine Weihnachtsgeschichte“ (AT) mit MDR, BR und ORF gehört zu den Premium-Highlights in diesem Jahr.
Pellander: Sehr natürlich und die enorme Presse und Resonanz auf „Die Zweiflers“ sorgt dafür, dass die Serie sich in der Mediathek zu einem Langläufer entwickelt, der auch Wochen nach dem Release noch viele Menschen interessiert. Wir haben jeden Tag noch zwischen 50.000 und 100.000 Abrufe. Die Resonanz und das Echo auf die Serie sind für uns, unseren ARD-Partner HR und das Team herausragend.
Schreiber: Da setz ich noch einen drauf: Was mit „Den Zweiflers“ geschieht, ist unglaublich und auch ein Stück weit unwirklich. Die Berichte, Lobpreisungen und Interviews hören ja nicht auf, es kommen immer noch Anfragen – und zwar aus Deutschland und aus aller Welt. In meinem Berufsleben habe ich solch eine Begeisterung, Neugierde und Zuneigung für eine Serie noch nicht erlebt. Für mich sind „Die Zweiflers“ die Lena der modernen Serie – die Freude und Zuneigung ist wie bei Lena Meyer-Landrut, als sie in Oslo den ESC gewann.
Sie sprachen gerade die anhaltende Nutzung der "Zweifler" an. Ist das die größte Herausforderung? Produktionen effektiver, länger auszuwerten? Zu oft verpufft die Wahrnehmung ja mit der Online-Stellung...
Schreiber: Das ist uns bei „Babylon Berlin“ sehr gut gelungen, wo wir mit der vierten Staffel auch noch einen großen Schub in der Nutzung für die ersten drei Staffeln gespürt haben – Staffel 1 bis 3 haben noch einmal in wenigen Wochen 18 Millionen Abrufe erhalten. Und wir freuen uns auf die Fortsetzung unseres großen Erfolgs „Oderbruch“, wo wir jetzt in der Entwicklung der zweiten Staffel sind. Der Release wird dann sicherlich erneut auf die erste Staffel einzahlen.
Führt das zum Luxusproblem, sich bei der Budgetierung zwischen Fortsetzung erfolgreicher Serien und der Beauftragung neuer Serien entscheiden zu müssen?
Pellander: Für mögliche Fortsetzungen erfolgreicher Serien legen wir vorsorglich Etats fest, investieren aber weiterhin den Großteil des Mediatheksbudgets in neue Ideen. Ein Problem ist das nicht. High-End und Premium entstehen bekanntlich nicht über Nacht, und oftmals verschieben sich große Produktionen aus unterschiedlichsten Gründen um eine Saison. Die Degeto steckt gerade mit Blick auf die kommenden Jahre in den Entwicklungen von etwa 20 Serien für die ARD Mediathek, manches geht flink, manches hat einen längeren Reifeprozess. Dies gemeinsam mit den Macherinnen und Machern zu planen, ist Alltag im Programm-Management.
Ich persönlich möchte mir ein Leben ohne die Familie Zweiflers nicht vorstellen.
Thomas Schreiber
Schreiber: Als der Ausstieg von Sky bekannt wurde, haben wir bestätigt, dass wir die Entwicklung der Bücher beauftragt haben. Es werden acht Folgen, das Buch zur letzten Folge haben wir gestern bekommen. Wir wissen, dass Sky bei der Fortsetzung nicht mehr unser Partner sein wird, und schrauben gerade daran, die Finanzierung – nicht alleine, so viel kann ich verraten – für unseren Anteil zu schließen, sind aber noch nicht so weit, dass wir die Fortsetzung kommunizieren können.
Pellander: Und es gibt weiterhin ein weltweites Interesse an „Babylon Berlin“. Wir sind inzwischen bei 140 Ländern, in denen die Serie läuft. Der internationale Ruf nach einer neuen Staffel ist lauter denn je. Wenn also mal wieder darüber diskutiert wird, was eine deutschsprachige Serie in der Welt erreichen kann, dann ist „Babylon Berlin“ wohl der erfolgreichste Beleg dafür.
Und wie sieht es bei „Die Zweiflers“ aus, wo sie gerade so über den anhaltenden Erfolg geschwärmt haben?
Schreiber: Wir wünschen uns eine Fortsetzung. Ich persönlich möchte mir ein Leben ohne die Familie Zweiflers nicht vorstellen….
Pellander: Die Geschichte schreit nach einer Fortsetzung und mit dem Team von Turbokultur werden wir uns über die Zukunft der „Zweiflers“ unterhalten. Wir sind gerade noch mitten in der Auswertung der Zahlen, die sich etwas zieht, auch weil die Nutzung erfreulicherweise immer noch hoch ist. Den Wunsch nach einer Fortsetzung bei vielen Fans können wir auf jeden Fall sehr gut nachvollziehen.
Wie sieht es mit den internationalen Verkäufen der Serie aus?
Schreiber: Wir sind hier in der neuen, ungewohnten, aber vertrauensvollen Zusammenarbeit mit ZDF Studios, die die Serie international vertreiben. Über den Einstieg freue ich mich sehr, es gibt, wenn ich Markus Schäfer richtig verstanden habe, gute Gespräche und Verhandlungen, aber für Abschlüsse ist es noch ein kleines bisschen zu früh.
Kreative haben es nicht verdient, wenn das Potential ihrer Serie nicht maximal genutzt wird.
Thomas Schreiber
„Babylon Berlin“ war einst eine sehr ungewöhnliche Koproduktion mit Sky. Alle reden weiterhin über die Perspektive für Koproduktionen. Sehen Sie da weiter Möglichkeiten, etwa mit internationalen Streamern?
Schreiber: Wenn Sie die Frage offener formulieren und Sender inkludieren, gibt es schon viele Beispiele.
Pellander: Koproduktionen sind großartig, aber auch unerlässlich bei den notwendigen Budgets, um international mithalten zu können. Einerseits arbeiten wir hervorragend in historisch gewachsener Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in Österreich und der Schweiz, wo das Miteinander enger und besser als je zuvor ist. Nicht nur bei einer Marke wie „Tatort“, sondern auch bei neuen Premium- und Eventserien. Aber es gibt auch neuen Partner, wie mit CBS bei „Oderbruch“. Wir sind auch in Gesprächen mit anderen Playern, aber bleiben bei der Devise: Erstausstrahlung im deutschen Free-TV findet bei uns statt.
Schreiber: „Die Saat“ mit NRK war ein weiteres Beispiel. „Ronja Räubertochter“ wird international bei Netflix laufen. Es gibt da keine Denkverbote, wir gehen offen in Gespräche mit allen, die mit uns reden wollen. Egal, ob mit Sendern oder Plattformen.
Schreiber: Kreative haben es nicht verdient, wenn das Potential ihrer Serie nicht maximal genutzt wird. „Deutsches Haus“ lag übrigens ursprünglich vor sehr vielen Jahren auch mal bei uns, war damals aber in Konkurrenz zu dem Projekt „Die Akte General“ über den Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, das die Degeto dann mit dem SWR beauftragt hat. Aber derzeit gibt es Gespräche mit Disney über einige Projekte.
Die ARD Degeto engagiert sich mit mehreren Initiativen um kreativen Nachwuchs: Welcher Mythos über ARD Degeto begegnet Ihnen bei den Events und im Austausch mit neuen Talenten noch am häufigsten?
Schreiber: Vor ein paar Jahren musste man junge Kreative noch davon überzeugen, dass man nicht unbedingt beim roten „N“ arbeiten muss. Das hat sich aber deutlich gewandelt.
Pellander: Wir gehen ja regelmäßig in die Hochschulen und auch über den ARD Degeto Campus in den Austausch mit den Kreativen. Wir wollen jungen Filmschaffenden zurufen: Die Zukunft des Storytellings liegt bei uns! Wir sind nahbar, wir sind verlässlich. Uns erreichen so viele Stoffe jedes Jahr, immer mehr Serien: Das ist großartig! Gerade aktuell auch bei unserem Nachwuchswettbewerb Killerstories Series Award zum Genre Action, das wir angehen, um die Genre-Vielfalt in der Mediathek zu erweitern. Aber auch an Comedy sind wir dran.
Da hatte zuletzt das ZDF bzw. ZDFneo ja eine Offensive…
Pellander: Wir analysieren genau, welche Genres wir vielleicht nicht ausreichend bedienen, und dazu gehört auf jeden Fall auch Comedy. Man spürt, dass es da einen Bedarf gibt. Ich würde nicht direkt von einer Offensive sprechen, aber wir arbeiten verstärkt an komischer Serienunterhaltung aus unserem Haus, die bei uns inzwischen durchaus Tradition hat. Ob das „Die Hochzeit“ ist, der dritte Teil der Jan-Schütte-Improvisations-Comedy, bei der die ersten beiden Serien „Das Begräbnis“ und „Das Fest der Liebe“ zusammen auf acht Millionen Abrufe in der ARD Mediathek kamen. Ob es vier neue Episoden à 30 Minuten mit SWR, WDR und RB von „Kroymann“ in Form von Sketchcomedy sind – ein Genre, das die ARD Degeto bisher noch nie angegangen ist. Wir haben auch mit „Why me?“ eine Comedy-Serie von David Schalko abgedreht und drehen aktuell in 6 x 30 Minuten „Marzahn, mon amour“, Geschichten aus dem Leben einer Fußpflegerin basierend auf dem Roman von Katja Oskamp. Das sind beispielhaft einige Stoffe, die wir bewegen dürfen. Der Vorwurf, wir würden nur auf Krimi und Heimat setzen, war nie so falsch wie heute.
Beide täglichen Serien der ARD werden fortgeführt, wurde kürzlich entschieden - aber als Halbstünder. Linear hätte man also auch einfach auf eine der beiden Serien setzen können. Das beide fortgesetzt werden, ist also der Mediathek geschuldet?
Schreiber: Exakt, beide Serien haben eine hohe Nutzung in der Mediathek. Deshalb ging es uns um eine Lösung, die beide Produktionen für die Fans zunächst einmal bis Ende 2027 erhält, auch wenn wir für den Nachmittag im Ersten weniger Geld in die Hand nehmen können.
Letzte Frage: Würden Sie heute darauf wetten, dass wir zum 1. Januar eine neue Filmförderung in Deutschland haben?
Schreiber: Nein, den 1. Januar schließe ich aus… Aber wenn Sie Ihre Frage eine Winzigkeit anders formulieren, dann denke ich noch mal nach. Meine Wettfrage würde vermutlich lauten: „Wird es in dieser Legislaturperiode eine neue Filmförderung geben?“ Meine Antwort: „Das halte ich für realistisch.”
Herr Schreiber, Herr Pellander, herzlichen Dank für das Gespräch.