Herr Nakschbandi, seit knapp einem halben Jahr führen Sie die Film- und Medienstiftung NRW. Die Branche ist neugierig darauf, was Sie vorhaben. Wie war der Einstand?
Der Start war arbeitsreich und natürlich ziemlich aufregend. Es galt, die Mitarbeitenden, die Verhältnisse, die Arbeitskultur und die Struktur kennenzulernen. Vieles war neu für mich, weil ich nach 26 Jahren in der Privatwirtschaft beruflich anders sozialisiert bin. Deswegen habe ich mit jeder und jedem sehr ergiebige Einzelgespräche geführt, um zu verstehen, wo wir schon gut sind und wo wir besser werden müssen. Aus diesen Gesprächen hat sich für mich ein Bild von der DNA der Film- und Medienstiftung NRW aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geformt. Das war zeitintensiv. Ich bin sehr beeindruckt, was für ein Know-how hier im Haus herrscht und wieviel professionell und engagiert umgesetzt wird, da habe ich große Hochachtung.
Und welches Bild hat sich geformt? Mit welchen Konsequenzen?
Wir haben analysiert, was zeitgemäß ist und was vielleicht nicht mehr. Daraus ergeben sich Handlungsmöglichkeiten. Jetzt arbeiten wir vor allem erst einmal an unseren Strukturen, denn sie bieten uns den Rahmen dafür, gute Entscheidungen zu treffen, die gleichzeitig nicht zu lange brauchen. Unsere Hauptstakeholder sind Kreative und der Standort NRW, die wir bei jeder Entscheidung im Blick behalten, denn es ist unsere Aufgabe, ihnen den besten Dienst zu erweisen.
Können Sie das konkretisieren?
Wir haben die bisher getrennten Förderabteilungen zu Film, Games, Audio, Webvideo-Content, VR etc. zusammengelegt – das Team Talents & Programs. Alle können viel besser voneinander profitieren, wenn die Gattungen nicht getrennt voneinander gedacht werden. Idea first, form second. Es geht also um eine konsequentere Weiterentwicklung und -verwertung von Ideen über ein Medium hinaus, um weitere Zielgruppen und neue Erlösquellen für die Kreativwirtschaft im Land zu erschließen. Warum eine entwickelte Idee nur als Film oder Game sehen und sich darauf festlegen müssen? Kann eine Filmidee nicht auch als Podcast weitergedacht und vertrieben werden? Was wird fiktional umgesetzt, was dokumentarisch? Was seriell? Warum nicht gemeinsam überlegen, wie die Idee bestmöglich gefördert werden kann.
Das klingt nach einer deutlich aktiveren Rolle der Film- und Medienstiftung...
Einer meiner Leitsätze lautet: Die Stiftung ist keine Bank. Es geht um eine andere Art, an Stoffe und Einreichungen heranzugehen. Wir überweisen ja nicht einfach nur Geld. Wir schauen uns Projekte genau an, bilden uns eine fundierte Meinung. Sehen wir eine ökonomische Perspektive, eine gesellschaftliche Relevanz? Wenn wir dann entsprechend unserer Richtlinien und Parameter in der Jury zu der Entscheidung kommen, zu investieren, wollen wir künftig einen Schritt weiterdenken als bisher. Wir sind also vielmehr Sparringspartner und Ermöglicher als Bank.
Für Projekte welcher Art? Was nehmen Sie in den Fokus?
Wir müssen einerseits große Stoffe unterstützen, damit das Land NRW und der Standort Deutschland im internationalen Konkurrenzfeld wettbewerbsfähig bleiben und nicht weiter den Anschluss verlieren. Es geht auch um eine Internationalisierung unseres Geschäfts, etwa im wachsenden Feld der Koproduktionen, weil sich immer weniger Projekte im Alleingang realisieren lassen. Ein nationaler Markt gibt immer seltener her, was es zur konkurrenzfähigen Produktion auf internationalem Qualitätsniveau braucht. Da haben wir Nachholbedarf. Wir sind verpflichtet, Talente zu fördern, kulturelle Vielfalt zu pflegen und Stoffen mehr Raum für Entwicklung zu geben. Creativity doesn‘t mix well with pressure.
Man kann aber kritisieren, dass kommerziell orientierte Großprojekte sich mutmaßlich auch über unternehmerisches Risiko finanzieren lassen müssten. Hat die Stiftung nicht eine andere Aufgabe?
Das ist keine Frage des „Entweder-oder“, sondern des „Sowohl als auch“. Internationaler Erfolg fördert das Interesse am Standort und belebt den kreativen Austausch. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Stiftung, öffentliche Gelder dahingehend verantwortungsvoll einzusetzen, dass Vielfalt gesichert wird. Denn das ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft enorm wichtig. Mir liegt auch aufgrund meiner persönlichen Biografie die Förderung „kleinerer“ Stoffe sowie unabhängiger Unternehmen und Teams sehr am Herzen. Allerdings geht das nur mit einer ganzheitlichen Strategie. Welche Reise strebt man mit einer Idee an? Ich könnte mal ein Beispiel nennen.
"Mit der Herstellung eines Films ist es nicht getan. Erst danach beginnt eine immer schwierigere Reise um die Aufmerksamkeit"
Gerne.
Wenn Sie heute einen Dokumentarfilm planen, dann muss man in den intensiven inhaltlichen Austausch darüber gehen, wie man aus der Recherche das bestmögliche Ergebnis herausholt. Wir werden schwerlich die Recherche für einen Film und dessen Produktion fördern, wenn es kein schlüssiges oder realistisches, also markttaugliches Konzept für die Verwertung gibt. Mit der Herstellung eines Films ist es nicht getan. Erst danach beginnt eine immer schwierigere Reise um die Aufmerksamkeit des Publikums und eine möglichst erfolgreiche Verbreitung. Wir sind keine Produzent:innen und werden nicht in diesem Sinne tätig – was wir wollen, ist, mit unserem großen Netzwerk und unseren Fördermöglichkeiten aktiver helfen. Das ist auch ein Paradigmenwechsel für uns, stärker als bisher Brückenbauer und Networking Center zu sein. Wir werden in Kürze auch zum ersten Mal in der Geschichte der Film- und Medienstiftung NRW eine Unit für internationale Beziehungen aufbauen, um diese noch intensiver als bisher zu pflegen und zu gestalten.
Das gab es bisher ja auch durchaus schon, etwa bei den International Emmys oder in Cannes….
Beziehungen wie beispielsweise die zu den International Emmys wollen wir deutlich intensivieren. Da sind wir schon top vernetzt und wollen die internationale Bühne für Kreative aus NRW ausbauen. Dort wie auch bei der Berlinale oder in Cannes, Venedig, Toronto oder Locarno. Deswegen können wir uns jetzt aber nicht zurücklehnen. Mein Motto „From Good to Great!“ bedeutet, dass wir immer neue Inspiration suchen müssen. Welche Beziehungen haben wir bisher zum Markt in Afrika, Asien oder Südamerika? Was können wir von dort lernen oder gemeinsam stemmen? Kenia, Ghana, Südafrika sind boomende Produktionsländer. Im Gaming ist Südafrika auch ein wichtiger Standort. Das finde ich spannend, hier müssen wir viel weiter über unseren Tellerrand schauen - es gibt in der Welt so viel Neues zu lernen für uns.
Und jetzt steht in Köln erstmal das Seriencamp an...
Das Thema Serie ist ein Fokusthema. Das Seriencamp ist für das Land wirklich bedeutend. Wir sind meiner Vorgängerin Petra Müller dankbar, dass sie diese Entscheidung getroffen hat. Wir werden das Camp zu einem zentralen Spielplatz für Serien in Europa machen. Das Team ist sehr engagiert, und wir unterstützen das Seriencamp aus voller Überzeugung, haben hier auch keine Mittel gekürzt - im Gegenteil. Im Festivalbereich wollen wir noch etwas zulegen, wenngleich nicht alle Festivals die Förderung in bisheriger Höhe bekommen können, das lassen die Mittelkürzungen einfach nicht zu. Im Conference-Bereich sehen wir schon die Verzahnung von Serien mit anderen Gattungen, die uns am Herzen liegt. Und wir sehen hier eine Plattform für Talentförderung, auch sehr wichtig.
Sie haben viel vor, gleichzeitig wurden aber der Stiftung zu ihrem Amtsantritt die Mittel gekürzt…
Das geht erstmal nicht zusammen, da haben Sie Recht.
Fragt man sich in der Situation, ob das Land NRW es mit der Medienbranche eigentlich wirklich so ernst meint, wie es in Sonntagsreden behauptet wird?
Um das richtig einzuordnen, muss man ergänzen, dass NRW sich in den vergangenen Jahren über die Maße engagiert hat und enorme Steigerungsraten für Investitionen verzeichnen konnte. Jetzt wurde uns nach langer Zeit der Kuchen verkleinert, von dem viele etwas haben wollen, teilweise darauf angewiesen sind. Natürlich ist das hart, wenn einfach knapp fünf Millionen Euro gestrichen werden. Ich will die Kürzung gar nicht verteidigen, aber auch in den Kontext der angespannten Haushaltslage in NRW bringen. Es wird schließlich überall gespart, eben auch bei uns. Aber als jemand, der aus der Privatwirtschaft kommt, ist mir das Wirtschaften nach Einnahmen und Ausgaben gut vertraut: Es gilt, die veränderten Rahmenbedingungen zu akzeptieren und dann daran zu arbeiten, sie bestmöglich zu nutzen. Dennoch sind die Kreativen, die Unternehmer angesichts der marktwirtschaftlichen Gesamtlage mehr denn je auf Förderer angewiesen, wenn wir nicht reihenweise Insolvenzen sehen wollen. Weitere Kürzungen wären riskant.
"Wir wollen auch für den zweiten Schritt da sein, können das aber nicht bei der bisherigen Vielzahl geförderter Projekte"
Und wo haben Sie nun gespart?
Wie bereits beschrieben, müssen wir uns auf entscheidende Projekte konzentrieren, die für den Medienindustriestandort NRW und für die kulturelle Vielfalt einen Mehrwert leisten. Weniger Kleinteiligkeit, mehr Fokus. Weniger Selbstverwirklichungsstoffe, mehr allgemeine Relevanz. Nehmen wir die Drehbuchförderung: Wenn Sie einem Autor oder einer Autorin 10.000 oder 20.000 Euro in die Hand geben, kann davon niemand ein Drehbuch entwickeln. Wir müssen konzeptionell anders fördern. Vielleicht nicht mehr 30 Drehbücher, sondern nur noch zehn, aber die begleiten wir dann verlässlich über einen längeren Zeitraum über diverse Entwicklungsstadien hinweg, bis sie exzellent geworden sind - oder auch nicht, natürlich gehören weniger glänzende Ergebnisse und Scheitern auch immer mal dazu. Aber wir wollen mit unserer Förderung das Versprechen abgeben, als Partner an der Seite zu stehen und nicht nur das Geld überweisen.
Es gilt also: Weniger ist mehr?
Niemand hat etwas davon, wenn wir mit der Gießkanne unterwegs sind aber nicht nachhalten, ob die Kreativen alles gegeben und alles bekommen haben. Nicht realisierte Projekte nützen dem Standort nichts, also investieren wir in weniger Ideen, dafür begleiten wir sie gerade in der ersten Entwicklungsphase und über einen angemessen langen Zeitraum. Das ist zielführender. Entwicklungen brauchen Zeit und ich möchte nicht, dass vielversprechende Projekte nach einer Anfangsfinanzierung scheitern, weil niemand den zweiten Schritt finanziert. Wir wollen auch für den zweiten Schritt da sein, können das aber nicht bei der bisherigen Vielzahl geförderter Projekte. Es ist ein sehr spannender kreativer Bereich – und es ist auch ein Business mit allem, was dazu gehört.
Die Branche treiben einige Sorgen um. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation und medienpolitische Komponente?
Ich verstehe die großen Sorgen wirklich gut – und ehrlich gesagt bewundere ich die ungebrochene Energie trotz der Umstände, in der den Leuten buchstäblich der Hahn abgedreht wird. Es wurden sehr viele Investitionen runtergefahren, viele Produzentinnen und Produzenten haben das leider unternehmerisch nicht überlebt, andere bangen entsprechend um ihre eigene Zukunft. Die Verunsicherung hinsichtlich der angekündigten Reform des FFG, wegen der die Branche jetzt seit eineinhalb Jahren in Ungewissheit lebt, hilft da überhaupt nicht. Es ist unsere Aufgabe als öffentliche Entscheidungsträger und medienpolitische Institutionen, den Kreativen endlich wieder klare Perspektiven aufzuzeigen und ihnen tatkräftig und verlässlich unter die Arme zu greifen.
Herr Nakschbandi, herzlichen Dank für das Gespräch.