Herr Hadda, vor anderthalb Jahren haben Sie im DWDL.de-Interview beklagt, dass Ihre Auftragsproduktionen nicht sonderlich rentabel waren und Sie Ihr Risiko nicht refinanzieren konnten. Jetzt legen Sie mit "Die Zweiflers" Ihr bislang größtes Projekt und Ihre erste große Koproduktion vor. Haben Sie Turbokultur damit auf ein solideres wirtschaftliches Level katapultiert?
In der Tat stellt diese Serie für uns eine neue Größenordnung dar – als Koproduktion mit ARD Degeto, HR, drei Regionalförderern, Hessenfilm, MBB und FFF, sowie dem German Motion Picture Fund und ZDF Studios als Weltvertrieb. Wir machen damit einen wichtigen Schritt nach vorn. Martin Danisch und ich sind in dieser Konstellation seit 2018 am Start – sechs Jahre, in denen wir alle unsere Projekte gemäß unserer Überzeugung umgesetzt haben. Jedes Projekt hat seine eigene wirtschaftliche Realität. Wir profitieren von den Learnings, die wir dabei gemacht haben.
Ko- statt Auftragsproduzent – was macht für Sie den größten Unterschied aus?
Warum ist die Serie für Sie so ein Herzensprojekt?
Ich bin in Frankfurt in einer jüdischen Familie geboren und aufgewachsen. Dieser ganz konkrete Mikrokosmos, der sich aus eigenen Erfahrungen speist, bildet das Fundament für "Die Zweiflers" – nicht autobiografisch, sondern emotional-biografisch. Es war mir ein Anliegen, eine Geschichte aus dieser Community heraus zu erzählen, weil ich das bisher so noch nie gesehen habe. In manchen anderen Produktionen, die das Sujet zumindest streifen, fühle ich mich nicht repräsentiert. Wenn deutsche Fiction jüdische Themen erzählt, herrscht meist das Opfernarrativ vor. So sehe ich weder mich noch meine Eltern- und Großelterngeneration. Als Kind war ich von Menschen umgeben, die zwar großes Leid erfahren, aber die Schrecken des Nationalsozialismus überlebt hatten. Für mich waren sie Helden.
Wir machen kein Erklärfernsehen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Antworten zu liefern, sondern Fragen zu stellen, die im Zweifelsfall zu noch mehr Fragen führen – auch an uns selbst gerichtet.
Turbokultur-Chef David Hadda
Worin genau besteht dieses Heldentum?
Ich glaube, viele Menschen wissen gar nicht so genau, wer die Juden sind, die heute in Deutschland leben. Größtenteils sind es ja keine Nachfahren von Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt sind, sondern von osteuropäischen Juden aus Polen, Ungarn oder Rumänien, die überlebt hatten und erstmals nach Deutschland kamen, weil die Alliierten hier sogenannte Displaced-Persons-Lager – Einrichtungen zur vorübergehenden Unterbringung – eingerichtet hatten, um die Ausreise nach Amerika oder Israel vorzubereiten. Einige wenige blieben hier, weil sie kein Visum bekamen, weil sie eine Familie gründeten, oder warum auch immer. Und ganz, ganz wenige von diesen wiederum wurden – wie unser fiktiver Familienpatriarch Symcha Zweifler – in Frankfurt im Rotlichtviertel tätig. Genau das ist für mich das empowernde Momentum im Narrativ: eine Figur zu erzählen, die alles verloren hat und sich mit allen Mitteln zurück ins Leben kämpft. Für mich persönlich sind das eher Helden als Opfer, auch wenn sich infolge des erlebten Leids viele intergenerationelle Probleme anschließen. Und gerade aufgrund der Ambivalenz sind es interessante Figuren für eine Serie.
Wie geht Ihre Erklärung dafür, dass die deutsche Fiction bisher diese Leerstelle hatte?
Vielleicht besteht eine gewisse Angst oder Sorge, missverstanden zu werden, wenn man solche ambivalenten Themen behandelt. Wir hatten das Glück, mit großer Freiheit aus der eben erläuterten Innensicht erzählen zu können. Seitens der ARD Degeto und des HR bestand der explizite Wunsch, unserer subjektiven Innensicht sowohl inhaltlich als auch gestalterisch zu folgen – eine sehr befreite, vertrauensvolle Arbeitsgrundlage.
Ist denn aus Ihrer Sicht eine besondere Sensibilität erforderlich, die nicht erforderlich wäre, wenn es um eine nicht-jüdische Familie ginge?
Alltäglicher Antisemitismus beginnt ja oft mit abgehangenen Klischees. Zugleich sind Klischees für Humor fast unverzichtbar. Ein Dilemma?
Für mich ist Humor eines der wichtigsten Stilmittel, um sich an der Realität abzuarbeiten und gleichzeitig auch eine Distanz zur Realität herzustellen. Das ist ein fantastisches Ventil, um genau mit diesen Klischees und Stereotypen zu spielen und sie dann zu brechen. Entscheidend ist der Bruch, auch im Hinblick auf die Erwartbarkeit beim Publikum, um Nachdenken und Hinterfragen zu provozieren. Sonst wäre es nur platte Reproduktion.
Johannes Boss' neues Joint Venture schließt überhaupt nicht aus, dass wir auch in Zukunft nochmal zusammenarbeiten.
Turbokultur-Chef David Hadda
Angesichts eines Portfolios aus Serien wie "Die Zweiflers" und "Deadlines", der gerade mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten "Bosetti Late Night" oder dem kürzlich in der ARD-Mediathek gestarteten Literaturformat "Longreads" mit Helene Hegemann scheint sich Turbokultur nach wie vor in keine Schublade einordnen zu lassen.
Wir haben große Freude daran, in all den unterschiedlichen Bereichen aktiv zu sein, ob es nun Shows, fiktionale Serien oder Podcasts sind. Diese Freiheit wollen wir uns auch ganz bewusst offen halten. Jede Geschichte verdient eine eigene Form und eine eigene Erzählweise, so dass man sich nicht im Vorfeld selbst limitieren sollte. Alle Geschichten, die wir erzählen, haben gemeinsam, dass sie aus einer ganz persönlichen Dringlichkeit heraus entstehen und trotzdem gesellschaftliche Relevanz spiegeln sollen und mit spannenden Köpfen umgesetzt werden, die eine besondere Haltung und Sicht auf die Welt mitbringen.
Sie haben vorige Woche die dritte Staffel der ZDFneo-Serie "Deadlines" abgedreht. Deren Schöpfer Johannes Boss hat unlängst seine eigene Produktionsfirma gegründet, zusammen mit der Beta-Film-Tochter good friends. Grund zur Eifersucht, dass er kein Joint Venture mit Turbokultur eingegangen ist?
Nein, das war nie im Gespräch. Johannes ist für mich ein begnadeter Autor. Sein neues Joint Venture schließt überhaupt nicht aus, dass wir auch in Zukunft nochmal zusammenarbeiten. Unser Markt ist so beweglich und bietet so viele verschiedene Optionen. Diese Flexibilität, sich ein Umfeld zu schaffen, in dem man die eigenen Geschichten mit besten Mitteln und Möglichkeiten erzählen kann, finde ich ausnahmslos gut. Bei "Deadlines" hat es uns den Freiraum ermöglicht, Sonja Heiss als Regisseurin und Autorin stärker in den Fokus zu nehmen. Immerhin hat sie mit uns ihre erste Serie nach ihrem großen Kinoerfolg "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" umgesetzt. Die dritte Staffel wird einen neuen Anstricht erhalten und im November erscheinen.
Ist "Deadlines" denn mit der dritten Staffel auserzählt?
Für uns nicht. Ob ZDFneo das auch so sieht, dürfte wohl vom Erfolg der neuen Folgen abhängen.
Wer so viel Hype um seine Formate erlebt wie Turbokultur, dürfte als inhabergeführte Produktionsfirma regelmäßig Übernahmeangebote von den Banijays, Betas, Fremantles und Leonines dieser Welt auf den Tisch bekommen. Haben Sie dafür ein offenes Ohr?
Der Fokus liegt für Martin und mich vor allem darauf, dass wir unsere Arbeit unter den richtigen Rahmenbedingungen machen können, also die Stoffe so umzusetzen, wie wir das für richtig halten. Natürlich muss man immer wieder überprüfen, wie das optimale Umfeld dafür aussieht. Der Markt verändert sich, unsere Betätigungsfelder vergrößern sich, aber bisher fahren wir mit unserer Aufstellung sehr gut. Die Freiheit, die wir in dieser Konstellation genießen, darf man nicht unterschätzen.
Das klingt nicht so, als ob Sie einen Anteilsverkauf kategorisch ausschließen würden.
Momentan ist das kein Thema für uns. Wir haben auch so klare Wachstumspläne. Aber wir wollen organisches Wachstum, kein künstliches Aufblasen von außen, weil das die DNA unserer Firma verwässern würde. Mit Sicherheit wird es in Zukunft Koproduktionen mit größeren Partnern geben, um zum Beispiel mit herausragenden Talenten zu arbeiten oder internationale Koproduktionen zu realisieren.
Herr Hadda, herzlichen Dank für das Gespräch.
"Die Zweiflers", ab sofort in der ARD-Mediathek. Am 10. Mai um 22:20 Uhr im Ersten alle sechs Folgen am Stück.