Herr Schalko, in den Besprechungen Ihrer früheren Serien tauchte immer mal wieder das Attribut "kafkaesk" auf, so auch bei DWDL.de. Fühlen Sie sich selbst mit Franz Kafka verbunden?
Solche Vergleiche werden immer schnell gezogen – ich kann damit nicht viel anfangen. Es ist auch eine leere Hülse geworden, ähnlich wie "lynchig" für wummernde Sounds beim Film. Kafka war immer ein Vorbild für mich. Ich bewundere ihn für sein kompromissloses Schreiben. Aber auch für seine Bescheidenheit und dass er sich vom Literaturbetrieb mehr oder weniger abgekoppelt hat. Durch die großartigen Biografien von Reiner Stach wurde mir auch klar, wie viele Kafka-Klischees nicht stimmen. Und wie anschaulich sich sein reales Leben mit der Entstehung seiner Literatur verschränken lässt...
... was dann auch zum Motor Ihrer Miniserie wurde.
Das kenne ich aus Biopics sonst nicht. Da wird das Werk eines berühmten Schriftstellers oft ausgeklammert oder nur gestreift. Man sieht zwar, dass es entsteht, aber warum es entsteht und in welchem Zusammenhang, wird ganz selten dargestellt. Meistens sieht man den Schriftsteller nur irgendwo sitzen und schreiben. Genau dieses Bild haben wir versucht auszusparen. Bei uns sieht man ihn nur ein einziges Mal schreiben – einen Antrag auf Gehaltserhöhung.
Warum hat es zehn Jahre bis zur fertigen Serie gedauert?
Am Anfang dachte ich, es würde relativ einfach. Kafka ist schließlich ein großer Name. Dann habe ich schnell gemerkt: Es wird überhaupt nicht einfach. Jeder hat so seine Schulassoziationen mit Kafka und befürchtet dann natürlich, dass es ganz schwermütig und kompliziert wird. Per se gelten Literaturverfilmungen – und dann noch vom wichtigsten Avantgarde-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts – nicht unbedingt als breitenwirksam. Deswegen waren zwar sämtliche Streamer sehr interessiert, sind aber immer im letzten Moment abgesprungen. Als wir alle durchhatten, dachte ich, das Projekt sei gestorben. Dann rief überraschend Christian Granderath vom NDR an, der von unserem Kafka-Projekt gehört hatte und gerade auf der Suche nach einem Programm zum 100. Todestag war. Mir schien sein Vorhaben, alle anderen ARD-Anstalten für eine Beteiligung zu gewinnen, sehr ambitioniert. Zwei Wochen später meldete er sich wieder und hatte tatsächlich alle an Bord.
Neun ARD-Anstalten plus ORF – klingt nach der Hölle des Redakteursfernsehens.
Das war auch mein erster Gedanke. (lacht) Es hat sich dann aber als sehr harmonische Zusammenarbeit herausgestellt, bei der wir richtig gute Diskurse hatten und ich im Zweifelsfall der Letztentscheider sein durfte. Trotz zehn Redaktionen hat das gut funktioniert, weil alle im gleichen Geiste gearbeitet haben und alle daran interessiert waren, dass es Kafka gerecht wird. Das ist öffentlich-rechtliches Fernsehen im besten Sinne. Wenn wir zum Beispiel Amerikanern – auch amerikanischen Intellektuellen – unsere Serie zeigen, dann sagen sie, es wäre völlig unmöglich, dafür einen amerikanischen Auftraggeber zu finden.
Sonst schreiben Sie Ihre Drehbücher meist selbst. Hier hat Daniel Kehlmann, also einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart, das getan. Wie verändert das Ihre Arbeitsweise?
Erstens bekommt man nur selten so gute Drehbücher auf den Tisch. Zweitens hätte ich das bei weitem nicht so gut schreiben können wie Daniel. Wir sind privat ohnehin eng befreundet, das heißt, wir haben das einfach in unsere Gespräche integriert – und es ging dann eben jahrelang auch um Kafka. Drittens wäre das ganze Projekt ohne die intensive Beratung von Reiner Stach so nicht möglich gewesen. All das hat mir die Regiearbeit extrem erleichtert. Die feingliedrigen Dialoge, die Daniel geschrieben hat, inszenieren sich fast wie von selbst.
Wie haben Sie es ganz konkret vermieden, ein klassisches Biopic über Kafka zu drehen?
Uns beiden war wichtig, die schon erwähnte Verschränkung zwischen Literatur und Leben zum Kern der Erzählung zu machen. Wir hätten es als anmaßend empfunden, aus der Perspektive Kafkas zu erzählen. Deshalb erzählen wir aus der Perspektive seiner Weggefährten, etwa seines Freunds Max Brod, seiner Verlobten Felice Bauer oder seiner letzten großen Liebe Dora Diamant. Daniel hat es geschafft, dass in den Dialogen so gut wie kein Wort von Kafka vorkommt, das er nicht selbst irgendwo in seinen Werken geschrieben hat. Wir wollten ihm nichts in den Mund legen, sondern seine Literatur für ihn sprechen lassen.
Bei den Streamern sehe ich im Moment sehr viel Konsolidierung und Kommerzialisierung. Es ist sehr schwierig geworden, Projekte dort unterzubringen, die abweichen von der Massenware.
David Schalko
Das heißt im Umkehrschluss: Kafka bleibt ein Rätsel, das Sie nicht lösen wollen...
... und auch nicht lösen können. Im Gegenteil: Ich habe fast das Gefühl, je näher man ihm kommt und je mehr man über Kafka weiß, desto geheimnisvoller wird er. Manches lässt sich vielleicht erklären. Ich kann zum Beispiel eine Erklärung für seine Bindungsangst suchen. Oder ich kann sein Verhältnis zu Max Brod psychologisieren. Was ich aber nicht psychologisieren kann, ist sein Werk, in dem plötzlich Sätze auftauchen, die aus einer ganz anderen Welt zu stammen scheinen. Manchmal denke ich, dass Kafka uns eigentlich aus einer fremden Welt berichtet, die er durch eine geheime innere Tür betreten hat.
Ihre Serie zählte zu den ersten Produktionen, die von der neuen österreichischen Anreizförderung profitiert haben. In Deutschland wird noch über eine ähnliche Regelung diskutiert. Wie verändert sich Ihr Heimatmarkt durch die höheren Fördermittel?
Der Markt hat sich in kürzester Zeit stark internationalisiert. Es wird wesentlich mehr gedreht und es kommen wesentlich mehr ausländische Produktionen zu uns nach Österreich. Aber auch die Anzahl österreichischer Spielfilme fürs Kino hat sich fast verdoppelt. Im Augenblick haben wir von der Effizienz her die höchste Förderquote in Europa mit bis zu 40 Prozent der förderfähigen Produktionskosten. In Zeiten der internationalen Koproduktion kommt man an solchen Fördermodellen gar nicht mehr vorbei. Die Herausforderung liegt jetzt darin, genügend Personal zu finden und neue Kräfte auszubilden. Was in Österreich fehlt, ist ein großes Studio. Das unterscheidet uns von Prag, Budapest oder Babelsberg.
Bei "Kafka" sind alle Streamer abgesprungen. Aber wie blicken Sie generell auf deren weitere Entwicklung?
Bei den Streamern sehe ich im Moment sehr viel Konsolidierung und Kommerzialisierung. Ich glaube, die Zeit der avantgardistischen Zugänge und Möglichkeiten ist vorbei. Es ist sehr schwierig geworden, Projekte dort unterzubringen, die abweichen von der Massenware. Ein weiteres Problem liegt in der Abhängigkeit von den Streamern, die dadurch entstanden ist, dass sie die Produktionen exklusiv auf ihrer Plattform halten. Wenn sie eine Serie plötzlich nicht mehr zeigen wollen, um sie schnell steuerlich abschreiben zu können, wird es oft schwierig, die eigene Produktion dort herauszubekommen, selbst wenn öffentliche Fördergelder hineingeflossen sind. Das steht im Widerspruch zu unserem Bestreben nach Nachhaltigkeit und zum Interesse des Publikums, dass Projekte, in die viel Herzblut geflossen ist, langfristig zugänglich bleiben.
Herr Schalko, herzlichen Dank für das Gespräch.
"Kafka", ab Mittwoch in der ARD-Mediathek. Außerdem am 26. und 27. März jeweils um 20:15 Uhr im Ersten.