Frau Zöllner, vor zehn Monaten sind Sie zur Programmdirektorin beim RBB gewählt worden. Wie viel Normalität ist seither wieder im Haus eingekehrt?
Es herrscht ganz sicher viel mehr Normalität als vor einem oder einem halben Jahr. Und doch sind wir von echter Normalität noch entfernt, geschweige denn von Routine. Allerdings habe ich erlebt, dass gerade die Arbeit an unserem neuen Programmschema viel Freude gemacht hat, auch wenn es einen Sparzwang gibt. Die Hinwendung zum Programm hat Kreativität und Zuversicht freigesetzt.
Das RBB Fernsehen hat erst vor zwei Jahren sein Vorabendprogramm umstrukturiert, damals noch unter der Verantwortung Ihres Vorgängers Jan Schulte-Kellinghaus. Wieso krempeln Sie jetzt schon wieder alles um?
Mit dem, was wir hatten, waren wir nicht zufrieden. Wir haben bemerkt, dass die Publikumsakzeptanz in dieser wichtigen Zeitzone nicht steigt, sondern zurückgeht. Die ursprüngliche Hoffnung, mit mehr Service und auch mehr Programm-Übernahmen durchzukommen, hat sich nicht erfüllt. Stattdessen erwarten die Menschen von uns ab 18 Uhr mehr regionale Tagesaktualität. Das ist der Grund, weshalb wir uns dazu entschlossen haben, sowohl "schön + gut" als auch "Studio 3" zu beenden und durch eine 90-minütige Live-Strecke mit dem Titel "Der Tag in Berlin & Brandenburg" zu ersetzen, die die gewünschten Inhalte deutlich besser transportieren kann.
Nun war es schon bisher für den RBB stets eine Herausforderung, die Weltstadt und das Ländliche unter einen Hut zu bringen. Wie soll dieser Spagat in der neuen Sendung funktionieren?
Natürlich kann man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und auf die unterschiedlichen Welten in Berlin und Brandenburg verweisen. Das mag zum Teil auch zutreffend sein. Wahr ist aber auch, dass selbst zwischen Neukölln und Charlottenburg Welten liegen. Das finde ich allerdings nicht schlimm. Wenn man nämlich nach konkreten Themen, Geschichten und Nachrichten schaut, wird man feststellen, dass es aller Unterschiede zum Trotz viele Schnittmengen gibt. Denken Sie nur an Infrastruktur- oder Umweltprobleme. Bahnstreik, Hitzewellen oder die Folgen einer hohen Inflation betreffen die Menschen in Berlin und Brandenburg gleichermaßen.
Mit welcher Struktur wird die neue Sendung daherkommen?
Ein bisschen lässt sich "Der Tag in Berlin & Brandenburg" mit dem ARD-Morgenmagazin vergleichen. Wir unterbrechen auch mal mit Nachrichten und haben einen festen Sportblock um 19:15 Uhr. Dazwischen gibt es täglich mindestens zwei Live-Strecken, die von verschiedenen Orten in Berlin und Brandenburg gesendet und die Themen des Tages aus einer neuen Perspektive aufgreifen werden. Auf diese Weise wollen wir dem Publikum ein Live-Gefühl vermitteln und zeigen, dass der RBB da ist, wo die Musik spielt. Angereichert wird all das durch wiederkehrende Rubriken, Service, Ausflugstipps, aber auch Gäste im Studio.
"Wir haben jetzt eines der experimentellsten Programmschemata aller Dritten Programme, auch wenn es aus der Not heraus geboren wurde."
Was ist Ihr Quotenziel?
Ich habe keine Quotenvorgabe gemacht und werde auch Ihnen daher keine Quote nennen, die wir erreichen wollen. Aber natürlich hoffen wir, erfolgreicher zu werden als wir es zuletzt waren. Gerade am Erfolg unserer Nachrichtenmagazine können Sie erkennen, was möglich ist. Die "Abendschau" war 2023 mit 31,8 Prozent Marktanteil im Schnitt so erfolgreich wie noch nie und "Brandenburg aktuell" hat mit 24,6 Prozent das zweiterfolgreichste Jahr seiner Geschichte hinter sich. So hoch hinaus können wir vor 19:30 Uhr vermutlich nicht kommen, aber da ist eben auch deutlich mehr drin als zuletzt.
Wird es durch die einheitliche Sendestrecke eigentlich günstiger?
Nein, günstiger wird es nicht. Die alte Struktur hatte weniger eigenproduzierte Anteile, weil beispielsweise viel mehr Beiträge aus anderen Service-Sendungen der ARD übernommen wurden. Wir investieren deshalb ab sofort mehr in unseren Vorabend und tun das im Übrigen auch gerne, weil diese Zeitschiene für Dritte Programme diePrimetime ist. Dafür werden wir im Gegenzug an anderer Stelle sparen und etwa anstelle von der "rbb Praxis"unter dem Titel "Gesund+" eine Sendung starten, die sich aus Beiträgen anderer ARD-Anstalten speist.
Der RBB hat in den vergangenen Jahren versucht, sich ein cooleres Image zu verpassen. Wie viel wird davon noch übrigbleiben?
Wir haben jetzt, glaube ich, eines der experimentellsten Programmschemata aller Dritten Programme, auch wenn es aus der Not heraus geboren wurde. Nach 22 Uhr richten wir unser Programm deutlich jünger aus und bieten vermehrt Inhalte für Zielgruppen an, die vorwiegend digital unterwegs sind. Hier zeigen wir in Zukunft auch Videostreams unserer Radiosender. "Blue Moon", ein Community-Talk aus dem Radio, kommt beispielsweise von unserer jungen Welle Fritz, und wir übernehmen "Die schöne Lesung" von radioeins. Darüber hinaus setzen wir "Thadeusz und die Beobachter" fort, auch wenn wir die Sendung in der klassischen Fernsehform nicht mehr finanzieren konnten. Es war schwer, zu diesem Schluss kommen zu müssen. Umso glücklicher bin ich, dass sie eine Zukunft als Radiosendung hat, die wir dann als Videostream aus einem historischen Radiostudio im Haus des Rundfunks aufzeichnen und so doch wieder zurück ins RBB Fernsehen holen.
Das klingt, als müsste das Radio nun das Fernsehen retten.
So würde ich das nicht formulieren. Aber die klassischen Grenzen zwischen Video und Audio lösen sich zunehmend auf, wie Sie beispielsweise an zahlreichen Video-Podcasts erkennen können. Die Pandemie hat sicher einen Digitalisierungsschub ausgelöst und dank smarter Produktionstechniken ist es heute möglich, substanzielle Inhalte durchaus günstiger herzustellen als noch vor wenigen Jahren. Es muss nicht immer Hochglanz sein.
Zu den wenigen Sendungen, die Sie sich um 20:15 Uhr noch leisten, gehört ein Bürger-Talk. Der hört nun auf den Namen "Wir wollen reden" statt "Wir müssen reden". Was hat es damit auf sich?
Der Titel drückt aus unserer Sicht besser aus, dass die Themen tatsächlich vor Ort von den Menschen gesetzt werden. Neu ist, dass am Ende jeder Ausgabe gelost wird, wohin wir mit unserem Team als nächstes gehen. Anschließend schwärmen die Reporter aus, befragen die Menschen, machen kleine Reportagen. All das fließt schließlich in die Live-Sendung mit ein. Darüber hinaus starten wir unter dem Titel "Politik und Wir" einen neuen Community-Talk auf der Streamingplattform Twitch.
Das dürfte sich nicht an Ihr Stammpublikum richten.
Nein, wir richten uns explizit an eine junge Zielgruppe, die die klassischen Talk-Show-Formate eben nicht mehr schaut. Dennoch ist es uns wichtig, ein Angebot zu machen, das politische Themen in diesen aufgeladenen Zeiten aufbereitet. Wir tun das auf einer Plattform, die ganz besonders für Live-Streaming und Interaktion ausgelegt ist, und nutzen dafür den Twitch-Kanal der ARD, um mit jungen Menschen in den Dialog zu kommen. Das ist, wenn sie so wollen, politische Bildung für Social Media.
In der Vergangenheit war der RBB die TV-Heimat von Kurt Krömer gemacht. Ist eine Rückkehr denkbar?
Wir finden Kurt Krömer einzigartig und die Kolleginnen und Kollegen aus unserer Unterhaltungsredaktion haben vielfach zum Ausdruck gebracht, wie gern wir wieder mit ihm zusammenarbeiten würden. Klar, es kommt auf die Idee an und auch darauf, was wir uns leisten können. Aber Kurt Krömer weiß, dass wir sehr glücklich wären, wenn sich etwas Neues ergibt. Die Türen stehen offen.
Frau Zöllner, vielen Dank für das Gespräch.