Herr Plasberg, wie ist es Ihnen im vergangenen Jahr ergangen?
Frank Plasberg: Mir ist es richtig gut ergangen. In meinem Leben habe ich manche Entscheidungen zu spät getroffen. Der Abschied von "Hart aber fair" kam aber zur rechten Zeit. Dieses Grundrauschen von Montag bis Montag ist weg - herrlich.
Thomas Gottschalk erklärte kürzlich, er wolle aus Sorge vor dem nächsten Shitstorm lieber gar nichts mehr sagen. Ist seine Sorge berechtigt?
Plasberg: Ich fand die letzte "Wetten, dass..?"-Sendung großartig. Gottschalks Abschiedsworte waren allerdings der schwächste Teil der Show. Die hätte er sich sparen können. Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der es freie Rede gibt. Wer sich von irgendwelchen Idioten den Mund verbieten lässt und Angst vor Shitstorms hat, der soll sich wetterfeste Kleidung kaufen.
Jürgen Schulte: Wir haben mit NDR und WDR gerade das Debatten-Format "Die 100" On Air gebracht – zeitgleich in beiden Dritten ausgestrahlt. Wir glauben, damit einer gesellschaftlichen Entwicklung, wie Gottschalk sie meint, entgegenzuwirken. In einer Ausgabe zum Klimawandel hatten wir einen Gast, der an der Kante zum Klimwandelleugner war. Es ist wichtig, auch solche Menschen ins Gespräch zu bringen. Es braucht dann allerdings Journalisten wie Ingo Zamperoni, die ihnen entgegnen, dass die Wissenschaft auf einem anderem Stand steht. In diesem Land kann jeder seine Meinung sagen. Allerdings sollten die Fakten stimmen. Deswegen haben wir vor Jahren bei "Hart aber fair" den Faktencheck erfunden.
Plasberg: Mein größter Spaß war es, wenn bei Illner oder Will ein Gast sagte: "Da brauchen wir einen Faktencheck!" Schön, wie das in den allgemeinen Sprachgebrauch übergangen ist.
Gibt es etwas, das Sie nach Ihrem Abschied vermissen?
Plasberg: Bei schlimmen Nachrichten wie jenen zum Krieg in Nahost spüre ich, dass mir die Schutzmauer fehlt, die ich über all die Jahre durch unsere Sendung hatte, weil wir ständig überlegen mussten: Werden wir der Aktualität noch gerecht, passt das Thema, sitzt der Fokus, welche Gäste, welche Filme... Dieser professionelle Vorhang, der mich beschäftigt und abgelenkt hat, der fehlt mir. Jetzt schlägt es voll auf mich durch. Und was ich vermisse? Ganz klar, diese wunderbare Truppe, mit der ich so lange zusammengearbeitet habe und die jetzt leider auseinanderbricht.
"Ich habe mir geschworen, meinem Nachfolger nichts nachzurufen. Das hat bisher auch sehr gut geklappt, obwohl mir das immer schwerer fällt."
Frank Plasberg
In wenigen Tagen produzieren Sie zum letzten Mal "Hart aber fair". Was geht Ihnen mit Blick darauf durch den Kopf?
Schulte: Der 11. Dezember wird ein sehr schwerer Tag für das gesamte Team von Ansager & Schnipselmann. Natürlich ist es hart, dass wir den Produktionsauftrag nach 23 Jahren verlieren. Wir haben das Format nicht geerbt, sondern haben die Sendung im Dezember 2000 als Gegenentwurf zum klassischen Berliner Talk, wie ihn Sabine Christiansen machte, innerhalb von sechs Wochen mit einem ganz kleinen Team entwickelt und auf Sendung gebracht..
Plasberg: Im Übrigen mit dem WDR zusammen. Damals war ich noch ein mittlerer Hierarch beim Sender. Es gehörte zum Erfolgsgeheimnis, dass ich mir im Haus in jedem Gewerk genau die Leute aussuchen durfte, mit denen ich das Format machen wollte – und von denen ich wusste, dass sie Lust darauf haben. Damit macht man sich allerdings keine Freunde unter den jeweiligen Abteilungsleitern.
Wie kam es zum Bruch, nur ein Jahr, nachdem Louis Klamroth Ihre Nachfolge angetreten hat?
Schulte: Das muss man rückwärts erzählen. Wir haben die Entscheidung Ende Mai vom WDR erfahren. Ein paar Tage davor war Louis Klamroth beim Sender und hat die Zusammenarbeit mit uns als 100-prozentigem Auftragsproduzenten aufgekündigt. Wiederum ein paar Tage davor hatten wir erfahren, dass die ARD-Videoprogrammkonferenz Louis als Moderator für "Hart aber fair" gesetzt hatte. Die Botschaft lautete also: "Hart aber fair" geht nur weiter, wenn Louis Klamroth moderiert. Louis hat dann irgendwann augenscheinlich entschieden, das Format in Zukunft mit der Florida Factual zu produzieren, deren Mitgesellschafter er ist. Die Gründung der Florida Factual erfolgte etwa zu der Zeit, als Louis die Zusammenarbeit mit uns aufkündigte. Von der Gründung haben wir übrigens bei DWDL erfahren.
Wie lief das Gespräch mit Louis Klamroth?
Schulte: Mit uns hatte Louis zuvor nie darüber gesprochen. Er ist zum WDR gegangen. Der WDR hat uns informiert.
War Ihnen nach Bekanntwerden der Gründung der Florida Factual schon klar, dass da was im Busch ist?
Schulte: Als wir mit Louis darüber sprachen, warum er nicht mehr mit uns produzieren möchte, war der Artikel bei DWDL bereits erschienen. Damit war die Begründung öffentlich. So eine Firma gründet man ja nicht an einem Tag bei einer Tasse Tee. Es wird schon eine geraume Zeit Vorbereitungen dazu gegeben haben.
Wie hat man sich die erste Begegnung vorzustellen, als alles auf dem Tisch war?
Schulte: Professionell. Natürlich steht bei der ersten Begegnung etwas zwischen einem. Bei weiteren im Übrigen auch. Aber das Team hat professionell weitergearbeitet. Es gab keine Krankmeldungen, niemand hat sich beleidigt zurückgezogen. Wir werden die Sendung jetzt ordentlich zu Ende bringen. Das sind wir uns selbst, der ARD und nicht zuletzt den Zuschauern, die uns 23 Jahre lang eingeschaltet haben, schuldig.
Sind Sie persönlich enttäuscht?
Plasberg: Die Sendung hieß ja nicht Illner, Will oder Maischberger. Aus diesem Grund war es die Idee zu zeigen, dass das Format stärker ist als der Moderator. Dafür sollte das Team ein Jahr lang Luft haben. Wir hatten zuvor lange nach einem Nachfolger gesucht – und Louis Klamroth war vor allem unsere Wahl. Ich habe mir geschworen, meinem Nachfolger nichts nachzurufen. Das hat bisher auch sehr gut geklappt, obwohl mir das immer schwerer fällt.
Haben Sie die Sendung in den vergangenen Monaten gesehen?
Plasberg: Ja, der Fernseher lief bei uns montags. Aber davor saß nur meine Frau, sie hat die Sendung mit Interesse geschaut. Für mich wäre das Arbeit gewesen und ich wollte Abstand gewinnen. Es gab nach meinem Abschied auch kaum Kontakt zu Louis. Seit meiner letzten Sendung haben wir vielleicht ein- oder zweimal gesprochen, bevor wir dann gemerkt haben: Er will den Bruch. Er war auch von Anfang an so gut wie nie hier in der Firma. Das war für die Truppe neu und gleichzeitig verstörend, dass er offensichtlich die Distanz gesucht hat.
"Ich musste 66 Jahre alt werden, um einen vordergründig so freundlichen Menschen mit einer solchen Vorgehensweise kennenzulernen."
Frank Plasberg
Sie haben vorhin erzählt, dass es Ihnen wichtig war, selbst die Leute zu suchen, mit denen Sie zusammenarbeiten. Das gilt ja dann auch für Loius Klamroth. Können Sie ihn also ein Stück weit verstehen?
Plasberg: Klar kann ich das verstehen. Aber es ist ein Unterschied, ob man etwas Neues aus dem Boden stampfen muss oder ob man ein perfektes Team, das dieses Format getragen hat und das sich auf eine gemeinsame Erneuerung und Weiterentwicklung eingestellt hat, ob man ein solches Team auf diese Weise zurücklässt. Im Übrigen: Die klare Maßgabe lautete: Die Gesichtsveränderung ist für die Anfangszeit Veränderung genug – und danach wird "Hart aber fair" weiterentwickelt. Das wollte unsere Truppe natürlich auch.
War Ihr Rückzug vor einem Jahr rückblickend ein Fehler?
Plasberg: Vielleicht wäre es besser gewesen, ich höre auf und im Januar ist eine völlig neue Sendung da – mit anderem Namen, anderen Farben und das Publikum hängt von der Decke. Aber das Ziel, das wir gemeinsam abgesprochen hatten, war zunächst den Wechsel in der Moderation zu schaffen. Deswegen habe ich ein Jahr vor meinem Vertragsende aufgehört. Für mich persönlich ist der Abgang wunderbar gelungen, für die Firma leider nicht. Ich musste 66 Jahre alt werden, um einen vordergründig so freundlichen Menschen mit einer solchen Vorgehensweise kennenzulernen.
Waren Sie mit den Sendungen der vergangenen Monate inhaltlich zufrieden?
Schulte: Die Sendungen hätten in diesem Jahr anders ausgesehen, wenn Frank sie moderiert hätte oder wir mit Louis in einem echten Austausch an einer Weiterentwicklung hätten arbeiten können. Nun sah sie so aus wie sie aussah. Es gab bessere und es gab schlechtere Sendungen. Zuletzt befanden wir uns in einer Zwischenphase und haben das Beste daraus gemacht.
Gab es letztlich schlicht zu wenig Erneuerung?
Schulte: Wir haben die Sendung über all die Jahre hinweg immer wieder erneuert und schwierige Aufgaben gemeistert. Wir standen immer unter Beobachtung und unter Erfolgsdruck. Neu ist jetzt, dass Quotenziele für "Hart aber fair" vertraglich offenbar festgelegt wurden. Das konnte man ja - nicht dementiert - bei "Medieninsider" lesen: Linear darf die Quote im Schnitt nicht unter 8,4 Prozent sacken und jede montags linear ausgestrahlte Ausgabe von "Hart aber fair" muss im Schnitt noch 250.000 Mal in der ARD-Mediathek geklickt werden. Das sind aus meiner Sicht faire Vorgaben – wir waren linear immer besser als 8,4 Prozent. Das sollte also klappen. Um Erfolg in der Mediathek zu haben, muss man die Sendung natürlich verändern - ich bin davon überzeugt, dass das unserer Redaktion auch gelungen wäre. Im Übrigen: Druck ist uns schon immer ein Begleiter gewesen. Vor unserem Wechsel vom WDR Fernsehen ins Erste im Jahre 2007 hat uns der damalige ARD-Programmdirektor Günter Struve das schnelle Scheitern vorhergesagt. Die Reise hat dann 16 Jahre gedauert…
Sie sind sauer auf den WDR?
Schulte: Überhaupt nicht. Die ARD besteht aus neun Landesrundfunkanstalten und der Programmdirektion in München. Es ist doch klar, dass Kompromisse gefunden und Bündnisse geschmiedet werden müssen. Auch wenn wir die Entscheidung, wie sie jetzt für "Hart aber fair" gefallen ist, falsch finden, kann sie einer ARD-Logik folgend durchaus richtig sein. Die ARD – das sind ja Menschen, mit denen wir seit mehr als zwei Jahrzehnten Jahr für Jahr Fernsehen aus fast allen Genres produzieren. Vertrauensvoll und auf Augenhöhe. Daran ändert ja eine einzelne Entscheidung nichts.
Plasberg: An dem Prozess selbst ist überhaupt nichts auszusetzen. Es ist klar, dass Verträge endlich sind. Das ist der Deal. Das wussten wir, das wussten die Mitarbeiter. Das ist völlig fair. Ärgerlich ist die Art und Weise.
"Klar ist, dass nicht alle hier bleiben können."
Jürgen Schulte
Was bedeutet der Verlust des Produktionsauftrags für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Firma?
Schulte: Ich möchte Ihnen keine Zahl nennen, weil es ja auch um viele freie Kolleginnen und Kollegen geht. Eine solche Sendung ist eine gewisse Mischkalkulation. Klar ist, dass nicht alle hier bleiben können. Unabhängig davon versuchen wir natürlich, uns so aufzustellen, dass wir weiterhin eine gute Produktionsfirma sein werden.
Das Aus erfolgt in einer Zeit, in der der Produktionsmarkt mit großen Herausforderungen zu kämpfen hat. Das macht es nicht leichter, oder?
Schulte: Natürlich ist es schwierig, wenn so ein Dickschiff plötzlich nicht mehr da ist. Aber es öffnen sich auch neue Türen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem wir final erfahren haben, dass wir mit "Hart aber fair" ab 2024 nichts mehr zu tun haben werden, haben wir den Pitch für "Die 100" mit Ingo Zamperoni gewonnen. Davon wurden gerade zwei Pilotfolgen gesendet, mit deren Ergebnis wir sehr zufrieden sind. Nun müssen NDR und WDR entscheiden, wie es weitergeht. Idealerweise kann daraus ein neues Regelformat entstehen. Und natürlich arbeiten wir an der Weiterentwicklung bestehender Formate. Auch 2024 wird es ja zum Beispiel wieder "Frag doch mal die Maus" geben. Wir sind stolz darauf, seit 13 Jahren Teil des Teams zu sein, dass die "Maus" auf der großen Samstagabend-Showbühne in Szene setzt - seit diesem Jahr zusammen mit der großartigen Esther Sedlaczek. Und "Was kann der Mensch" mit Eckart von Hirschhausen geht weiter. Wir freuen uns über das Vertrauen, das die Unterhaltung des WDR und der ARD da in uns hat.
In dieser Woche läuft bei Sky außerdem der Dokumentarfilm "23 – Der mysteriöse Tod eines Hackers", den Sie produziert haben. Wie ist dieses Projekt entstanden?
Schulte: Wir haben einen Redakteur, der den Kinofilm "23 – Nichts ist so wie es scheint" über den rätselhaften Tod von Karl Koch, einem der ersten deutschen Hacker, kannte und der Geschichte nachging. Nach 30 Jahren wollten wir der Frage näherkommen, wie Koch damals gestorben ist. War es Mord? War es der KGB? Daher begann eine knietiefe Recherche, etwa beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim LKA und bei Staatsanwaltschaften, ehe unsere Executive Producerin Anja Bruchhausen auf Chrstian Asanger bei Sky zugegangen ist. Das Besondere des Doku-Stoffes liegt darin, dass es mit dem Ukraine-Krieg, aber auch mit dem Terror gegen Israel, hochaktuelle Bezüge gibt. Stichworte: Cyberkrieg und Cybersicherheit. Außerdem freue ich mich darüber, dass auch Frank darin zu sehen ist.
Wie kam's dazu?
Schulte: Wir wollten nicht einfach nur auf cleane O-Töne, sondern auf größere Interviews setzen. Da fiel mir ein, dass wir in der Firma jemanden haben, der solche Interviews nachweislich ganz gut führen kann. So kam Frank an Bord. Zum Glück gibt man als Journalist seine Neugierde nicht mit dem Rentenbescheid ab.
Plasberg: Für mich war das Projekt eine großartige Erfahrung. Ich war für die Dreharbeiten sogar in Washington. Als Redaktionsleiter der "Aktuellen Stunde" habe ich es einst nur bis nach Bielefeld geschafft. (lacht)
Wie soll es im kommenden Jahr mit Ansager & Schnipselmann weitergehen?
Schulte: Wir wollen uns treu bleiben. Auch wenn wir nicht i&u heißen, machen wir Information und Unterhaltung. Gerade produzieren wir zum ersten Mal ein Satireformat. "Schroeder darf alles" - mit Florian Schroeder - für Das Erste und die ARD-Mediathek. Daran knüpfen wir an und werden weitere neue Formate entwickeln: Ich habe noch einen unerfüllten Produzenten-Traum – ich will unbedingt ein Koch-Format machen. Habe ich bis heute aus irgendwelchen Gründen nicht geschafft. Information und Unterhaltung plus Relevanz, das ist und war immer unser Ziel.
Plasberg: … selbst bei der Baumarkt-Sendung, die wir einst bei "Hart aber fair" gemacht haben. (lacht)
Schulte: (atmet schwer)
Sie meinen jene "Hart aber fair"-Sendung, in der Sonya Kraus den Tisch zersägt hat.
Schulte: Die Sendung war meine Idee und hatte damals eine ganz schlechte Quote. Das wird mir bis heute nachgetragen.
Plasberg: Aber immerhin hat es der Tisch bis ins Haus der Geschichte gebracht. Es hat sich also doch gelohnt.
Herr Plasberg, Herr Schulte, vielen Dank für das Gespräch.
"23 - Der mysteriöse Tod eines Hackers", am Donnerstag um 20:15 Uhr bei Sky Crime