Herr Karrer, worüber haben Sie sich in den letzten Monaten mehr den Kopf zerbrochen: Die Krise am Werbemarkt oder die lange unklare Zukunft von El Cartel Media und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Stephan Karrer: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mich nur auf die Werbeumsätze konzentriert habe. Man kann so ein Thema nicht ausblenden. Ein für mich sehr emotionaler Moment war, als wir der Belegschaft kommuniziert haben, dass der Antrag beim Bundeskartellamt gestellt wurde. Selbstverständlich hat das jeden einzelnen von uns in den vergangenen Monaten beschäftigt. Andererseits haben wir ein hochkompetitives Umfeld, das uns gar nicht viel Zeit lässt, darüber nachzudenken. Der Werbemarkt in Deutschland ist weltweit einer der angespanntesten. Nur in Brasilien und den USA läuft es ähnlich schlecht. Das hat mir geholfen, pragmatisch mit der Situation umzugehen. Wir hatten weiter einen Job zu tun.

Jetzt herrscht Klarheit für das nächste Jahr, 2024 wird RTLzwei auch weiterhin von El Cartel Media vermarktet, ein Wechsel zur Ad Alliance erfolgt, je nach Entscheidung des Bundeskartellamts, frühestens 2025. Helfen Sie mir bei der Einordnung: Ist das sowas wie ein Sterben auf Raten? Die lebenserhaltenden Maßnahmen wurden nochmal verlängert, aber im nächsten Jahr wird der Stecker gezogen?

Ich fühle mich nicht so, als würde ich auf der Intensivstation liegen, im Gegenteil. Wir sind am Leben und sehr vital unterwegs. Ich liebe meinen Job und das Team, das setzt wahnsinnig viel Energie bei mir frei. Wir können jetzt Gas geben und ganz ehrlich: Ein Jahr lang Planungssicherheit ist in der heutigen Zeit gar nicht mal so wenig. Für uns und auch andere Unternehmen. Was danach kommt, ist reine Spekulation. Was mich am meisten an der ganzen Situation positiv überrascht hat, war die Reaktion aus dem Werbemarkt. Das Feedback unserer Kunden und Partner hat uns viel Kraft gegeben und wir haben hier alle viel Lust durchzustarten. Wir sind mitten in den Jahresverhandlungen für 2024.

Wie sieht Ihre Rolle in dem Prozess mit der Ad Alliance aus? Inwieweit sind Sie in die Übernahme involviert und inwieweit nur ein Zuschauer des Prozesses?

Wir sind eine einhundertprozentige Tochter von RTLzwei. Andreas Bartl ist neben mir noch Geschäftsführer von El Cartel Media. Am Ende ist es natürlich so, dass RTLzwei das Vermarktungsmandat vergibt und entscheidet, wer die Inventare vermarktet. Wir sind im Austausch, aber wenn es um die konkreten Verhandlungen mit der Ad Alliance geht, macht das der Sender. Da bin ich persönlich nicht involviert.

Unterjährige Veränderungen sind den Agenturen nicht zu vermitteln, weil die Budgets größtenteils verteilt und weil Mediapläne gemacht sind. 


Wieso genau macht ein solcher Vermarkterwechsel eigentlich nur zum Jahreswechsel Sinn?

Fernsehen ist in der Wahrnehmung von vielen Personen inzwischen ja schon ein altes Medium, dabei aber trotzdem immer noch sehr relevant. Jahresbudgets werden bereits ab Oktober verhandelt. Unterjährige Veränderungen sind den Agenturen nicht zu vermitteln, weil die Budgets größtenteils verteilt und weil Mediapläne gemacht sind. Das ist tatsächlich auch heute noch so. Da müssen wir uns nach unseren Kunden richten. Darüber hinaus müssen Systeme und Prozesse angepasst werden, die Rechnungsstellung, Trading-Volumina übernommen werden und so weiter. Da waren wir uns mit der Ad Alliance sehr schnell einig, dass es nur zum Jahreswechsel Sinn macht.

Wann braucht es also eine Entscheidung des Bundeskartellamts, um Klarheit für 2025 zu haben? Es ist ja vermutlich im Sinne aller, so früh wie möglich die Fakten auf dem Tisch zu haben, oder?

Als Geschäftsführer von El Cartel kann ich sagen: Ich brauche diese Klarheit nicht. Wir machen ganz normal weiter und haben ein Geschäftsjahr vor uns, bei dem niemand weiß, wie es laufen wird. Unser Fokus liegt auf dem Daily Business und ich habe für mich entschieden, dass ich mich nur mit Themen beschäftige, die ich verantworte und beeinflussen kann. Ich konzentriere mich auf die Aufgabe, für RTLzwei so viel Umsatz wie möglich zu generieren. Ich weiß nicht, wann das Kartellamt entscheidet, deshalb zerbreche ich mir darüber nicht den Kopf.

Für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürften es unruhige Wochen und Monate gewesen sein. Wie war die Stimmung in der Belegschaft und wie haben Sie versucht, das aufzufangen?

Ich kenne viele im Haus seit zehn Jahren. Es war also nicht einfach mit so einer Situation umzugehen, zumal wir als El Cartel diese nicht beeinflussen können. Ein paar Kolleginnen und Kollegen haben gesagt, dass sie mit der Ungewissheit nicht umgehen können und sind gegangen. Das ist traurig, aber vollkommen verständlich. Es waren aber nicht mehr als im Rahmen der üblichen Fluktuation, deshalb ziehe ich den Hut vor meinem ganzen Team. Die vergangenen Monate haben uns zusammengeschweißt und das ist überhaupt keine Floskel. Ich hatte das Gefühl: Je offener man mit dem Team spricht und je ernster man sie nimmt, desto gelassener waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Transparenz macht den Unterschied.

Wenn man sich andere Beispiele im deutschen oder europäischen Medienmarkt anschaut, überrascht es nicht, dass die Entscheidung Zeit braucht und nicht einfach durchgewunken wird. 


Was haben Sie Ihrem Team denn gesagt, wenn es eigentlich gar nicht so viele Fakten gibt, die Kolleginnen und Kollegen aber natürlich viele Fragen haben?

Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich nicht verrückt machen sollen. Wenn man sich andere Beispiele im deutschen oder europäischen Medienmarkt anschaut, überrascht es nicht, dass die Entscheidung Zeit braucht und nicht einfach durchgewunken wird. El Cartel ist ein kleinerer Vermarkter, aber auch nicht völlig unbedeutend. Gleichzeitig war es wichtig zu sehen, dass unser Business durch die Ankündigung nicht weggebrochen ist. Es gab keine einzige Agentur, die ihr Commitment uns gegenüber zurückgeschraubt hat. Der Markt hat den Prozess akzeptiert und arbeitet mit uns erst einmal gelassen weiter.

El Cartel galt unter den TV-Vermarktern mal als Nummer drei am Markt. Inzwischen ist das anders. Auch, weil die Konkurrenz durch Zukäufe wächst. Hinzu kommen sinkende Reichweiten und die Werbekrise. Macht es aus Ihrer Sicht also Sinn für RTLzwei und seine Gesellschafter, Synergien mit der Ad Alliance zu suchen? Haben Sie dafür Verständnis?

Natürlich habe ich das. Es ist nichts Verwerfliches daran, sich Optionen anzuschauen. Neben der Vermarktung arbeitet RTLzwei ja bereits schon bei anderen Themen mit RTL Deutschland zusammen. Und auch wir als El Cartel suchen seit langem immer wieder Kooperationen mit ganz verschiedenen Unternehmen im Markt, um etwa unser Portfolio zu erweitern – im Digitalen oder bei Out-of-Home. Das ist ganz normal.

Es gab auch Gespräche mit anderen Vermarktern über einen möglichen Zusammenschluss?

Das kann ich Ihnen nicht bestätigen, aber natürlich gehört es zu meinen Aufgaben, nicht nur im Fernsehen nach Optionen zu schauen, sondern auch im Digitalen oder im Bereich Out of Home. Wir sind sehr breit aufgestellt und da sind Gespräche mit anderen Marktteilnehmern normal.

Es dürfte ja schon Planungen für eine Zeit von RTLzwei unter der Vermarktung der Ad Alliance geben. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von El Cartel können dann wechseln und wie viele verlieren ihren Job?

Das sind Gespräche, die RTLzwei mit der Ad Alliance führt und in die ich nicht involviert bin. Dazu kann ich also nichts sagen.

Das Groteske in unserer Branche ist ja: Ich kann Ihnen wenig über den Dezember dieses Jahres sagen, aber schon etwas mehr über das kommende Jahr.   


Sie haben davon gesprochen, dass durch die Entscheidung jetzt Energie freigesetzt werde. Wie genau äußert sich das und wie stellt sich El Cartel für 2024 auf?

Mein Gefühl ist, dass die aktuelle Situation einen Vorteil für uns bewirkt. Egal ob wir dritte, vierte oder fünfte Kraft am Markt sind: Unser Inventar ist relevant und der Markt weiß das. Wir verhandeln mit Agenturen und unseren Kunden gerade das kommende Jahr und gehören zu den ersten Vermarktern, die schon so weit sind. Ich spüre eine große Bereitschaft, Deals mit uns zu machen. Zu dem Zeitpunkt, als wir bekanntgegeben haben, dass El Cartel RTLzwei auch 2024 vermarktet, hatte ich schon die ersten Anfragen für Jahresverhandlungen auf dem Tisch. Das motiviert uns sehr.

Gibt es denn inzwischen schon etwas mehr Klarheit zum kommenden Werbejahr? Geht die Krise weiter?

Das Groteske in unserer Branche ist ja: Ich kann Ihnen wenig über den Dezember dieses Jahres sagen, aber schon etwas mehr über das kommende Jahr. Für 2024 ist mein Gefühl, dass es wieder etwas bergauf geht. Wir haben aktuell kein Briefing, das schlechter ist als das vorherige. Das war im vergangenen Jahr ganz anders. Mittlerweile haben viele Kundinnen und Kunden ihre Probleme, von Lieferengpässen bis zu Delistings im Handel, gelöst und ich glaube nicht, dass wir ein drittes Jahr in Folge eine derartige Rezession sehen werden.

Und wie sieht es für den Rest des laufenden Jahres aus?

2023 war ein wahnsinnig schleppendes Jahr. Als Gattung trifft uns das hart. Klar, die politischen Voraussetzungen haben sich nicht verbessert und die aktuelle Wirtschaftslage ist schwierig. Trotzdem glaube ich an unser Medium. Und es gibt ja nicht nur TV: Wir haben dieses Jahr im Digitalen, in Social Media und mit unserem Partner McFiT unser bestes Jahr aller Zeiten hingelegt. Das zeigt, dass wir längst nicht mehr nur ein TV-Vermarkter sind, sondern ein ganzheitlicher Bewegtbildvermarkter. Die Rückgänge im klassischen Fernsehen können diese Erlöse noch nicht ausgleichen, aber wir sind auf einem guten Weg.

Der Werbemarkt in Deutschland ist weltweit einer der angespanntesten. Nur in Brasilien und den USA läuft es ähnlich schlecht.


Was wird eigentlich aus Ihnen persönlich, sollte das Bundeskartellamt grünes Licht geben und RTLzwei ab 2025 von der Ad Alliance vermarktet werden?

Das weiß ich selber noch nicht. Meine Schwester hat mir zum 18. Geburtstag eine Visitenkarte geschenkt, auf der stand "Lebenskünstler". Ich habe einige Semester Lehramt studiert und danach Bankkaufmann gelernt. Ich wusste lange nicht, was ich eigentlich mal werden will. Damals habe ich durch Zufall eine Annonce des damaligen DSF gesehen, die einen Disponenten gesucht haben. Das war für mich der größte Glücksgriff in meinem beruflichen Leben. Dadurch habe ich eine Branche gefunden, in der ich mich ausleben kann und in der ich Spaß habe. Gedanken über die Zeit nach 2024 habe ich mir noch nicht gemacht, die Halbwertszeit von Geschäftsführern ist oft überschaubar. Ich würde mir natürlich wünschen, dass es möglichst lang vorwärts geht, aber ich habe mich nie über Titel definiert. Ich kann auch bei uns in der Gemeinde auf dem Wertstoffhof arbeiten (lacht). Hauptsache es macht Spaß und man ist von netten, interessanten Menschen umgeben.

Bei LinkedIn schrieben Sie kürzlich an die Konkurrenz auch in Köln gerichtet: "Tut uns Leid, aber uns gibts weiterhin". Das klingt nicht so, als wären Sie ein großer Fan des Projekts Vermarkterwechsel - und hätten es am liebsten, wenn es so weiterlaufen würde wie bisher.

Da lesen Sie aus dem Post etwas heraus, das so gar nicht gemeint war, sondern einfach nur augenzwinkernd. Wir kennen uns in der Branche alle seit so vielen Jahren, seien es die Kolleginnen und Kollegen in Köln und Unterföhring, oder auch bei WarnerBros. Discovery, Visoon, Sky oder Sport1. Wir arbeiten bei Screenforce ganz eng zusammen und da sage ich: Spaß muss sein. Diese Zusammenarbeit ist sehr konstruktiv, auch jetzt während dieses Prozesses. Was am Ende geschieht, ist offen. Ich kann gut damit leben, wenn sich RTLzwei für Köln entscheidet. Mein ganz persönlicher Ehrgeiz ist, dass El Cartel es macht, so lange es nur geht. Natürlich stehen wir alle untereinander in einem Wettbewerb. Die Konkurrenz, die uns aber wirklich weh tut, sitzt eher in den USA. Das sind die Endgegner, auf die wir uns konzentrieren müssen.

Spannend, dass Sie es ansprechen. RTL Deutschland und die Ad Alliance dürften ja auch genauso vor dem Bundeskartellamt argumentieren: Es zählt nicht mehr nur rein der klassische TV-Markt, sondern der gesamte Bewegtbildmarkt mit den großen, internationalen Playern.

Ich kenne die aktuelle Meinung im Bundeskartellamt nicht. In den zurückliegenden Jahren wurde dort und von den Behörden in anderen europäischen Ländern das lineare Fernsehen noch immer als eine separate Branche betrachtet und entsprechend entschieden. Allerdings ist klar, dass sich der Markt in den vergangenen zehn Jahren massiv verändert hat.

Herr Karrer, vielen Dank für das Gespräch!