Herr Pratt, am Donnerstag startet Sebastian Fitzeks “Die Therapie" bei Prime Video. Geht damit auch eine grundsätzliche Änderung der Strategie in Richtung Mainstream einher? Verkürzt gefragt: Mehr Fitzek, weniger “Der Greif”?

Wir haben von Anfang an auf breite Unterhaltung gesetzt, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Wir sind sehr stolz auf unsere beiden großen fiktionalen Projekte, “Luden” und “Der Greif”, die im ersten Halbjahr dieses Jahres gestartet sind. “Luden” hat viele Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht und wurde auch in der Presse phänomenal aufgenommen. “Der Greif” hat darüber hinaus weltweit gut funktioniert. Aber schon Mitte des vergangenen Jahres haben wir einen Strategiewechsel für von Amazon MGM Studios Deutschland für Prime Video entwickelte Projekte eingeleitet, von hoch budgetierten High-End-Serien hin zu etwas moderater budgetierten Inhalten, die gleichzeitig noch stärker den Mainstream bedienen. 

Was müssen künftige Projekte mitbringen, wenn sie bei Prime Video laufen sollen?

Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Projekten, die wir für Prime Video lizenzieren oder koproduzieren und unsere Eigenentwicklungen, für die mein Team bei Amazon MGM Studios zuständig ist. Unsere Eigenproduktionen sind Leuchttürme, sie müssen herausstechen aus dem großen Angebot von Prime Video und viele Menschen auf den Service aufmerksam machen. Wir stellen uns die Frage: Was kann in die deutsche Popkultur eingehen und was kann Talk of Town werden? Mit “LOL: Last One Laughing” haben wir das geschafft und das ist natürlich immer auch bei anderen Projekten unser Ziel. In Zukunft wollen wir breiter erzählen und so noch mehr den Mainstream erreichen. “Die Therapie” passt gut zu dieser Strategie. Die Serie ist ein Psychothriller, an den ich total glaube und der Potenzial hat, Zuschauer:innen auf der ganzen Welt zu begeistern. Da bin ich sehr froh, dass wir mit Regina Ziegler einen exklusiven Deal für die Serien-Verfilmungen von Sebastian Fitzek haben.  

Was wird denn im Rahmen des Deals noch entstehen? 

Wir haben viel vor und schaffen Fakten. Ich freue mich daher sagen zu dürfen, dass wir aus dem Fitzek-Buch “Heimweg” einen Film machen. Die Dreharbeiten dazu sind bereits vor einigen Tagen gestartet. Und da werden sicherlich auch noch einige weitere Projekte folgen. 

Was sind denn die Genres, auf die Sie verstärkt schauen, um ein größeres Publikum anzusprechen? 

Am Anfang des Streamer-Hypes wollten viele das HBO des Streamings werden. Da wurde es dann teils etwas spitz. In Deutschland waren wir mit dem von uns hier für Prime Video entwickelten und lizenzierten Formaten schon immer – mit ein paar Ausnahmen – im Mainstream unterwegs. Wir suchen nach breitem Popcorn-Entertainment und sprechen damit ein breites Publikum zwischen 25 und 60 Jahren an. Im fiktionalen Bereich setzen wir auf Comedy, Crime/Thriller und Romance. Wir wissen inzwischen schon sehr genau, was bei unseren Zuschauer:innen sehr gut funktioniert und was für große Hits sorgt und darauf setzen wir verstärkt. Unser deutsches Publikum liebt insbesondere Comedy in allen Facetten, allen voran natürlich “LOL”, aber auch Serien wie “Die Discounter” oder “Der Beischläfer”. Nächstes Jahr starten wir die Comedyserie “Viktor bringt’s” mit Moritz Bleibtreu und eine neue Serie mit Anke Engelke und Bastian Pastewka. In Punkto Crime/Thriller sind wir mit Sebastian Fitzek schon ganz gut aufgestellt, halten aber natürlich auch noch nach mehr Ausschau. Im Romance-Bereich starten wir in 2024 mit sehr hohen Erwartungen „Maxton Hall – Die Welt zwischen uns“. Und uns ist es wichtig, dass es ein sogenanntes „Elevating Element“ gibt. Zum Beispiel, fände ich Abenteuer-Comedy, Comedy mit Action-Elementen und Zeitreise-Filme super. Im non-fiktionalen Bereich suchen wir nach Talent-Docu-Follows a la „Apache 207“, „Unzensiert: Bushidos Wahrheit“ oder „Jan Ullrich – Der Gejagte“ sowie nach Comedy-, Dating-, Food, Music-, Game- und Reality-Competition Formaten. 

 

Wir machen künftig ein bis zwei Dutzend Projekte pro Jahr, das sind also deutlich mehr als bislang. 

 

Wie viel soll da in 2024 und darüber hinaus entstehen?

Wir machen künftig ein bis zwei Dutzend Projekte pro Jahr, das sind also deutlich mehr als bislang. Unser Auftragsbudget im kommenden Jahr ist deutlich höher als das in 2023. Wir sind in einer guten und starken Position und bauen unsere Investitionen sowie das Output-Volumen weiter aus. Mein Team arbeitet dabei Hand in Hand mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen, die für die Lizenzeinkäufe zuständig sind. Unsere Originals sind Mammutprojekte, wir arbeiten von der ersten Idee bis zum Start auf Prime Video teilweise Jahre daran. Um das zu ergänzen, investieren wir ganz gezielt in flexible „Schnellboote“. Das sind z.B. Lizenzformate, bei denen die Entwicklung schon weiter vorangeschritten ist, und die wir exklusiv für unseren Service sichern.

Wo sehen Sie für Prime Video denn aktuell besonderes Wachstumspotenzial? 

Im Bereich Reality machen wir im kommenden Jahr einen großen Aufschlag. Da gibt es neben der neuen Show “The 50” mit den 50 größten Reality-Stars Deutschlands, in das ich große Hoffnungen setze, noch einige weitere Projekte, an denen wir arbeiten. 

Für die Doku-Serie “Joko Winterscheidt Presents: The World’s Most Dangerous Show” hat Prime Video gerade einen Deutschen Fernsehpreis erhalten. Ein Genre, das man zuvor nicht unbedingt bei Ihnen erwartet hatte. Gibt es Genres, die weiterhin nicht in Frage kommen?

Wir befinden uns eigentlich immer in einer Lernphase, wir testen immer viel und justieren dann nach. Ich bin da gar nicht festgelegt. News, Arthouse, Kunst und starke kulturelle Formate oder Politik sind nicht unsere Kernthemen. Wir gehen auf Entertainment und sind da für jedes Genre offen. 

Wie stehen Sie zu Partnerschaften? Würde der Fokus auf mehr Mainstream auch Koproduktionen und Verwertungsfenster bei anderen Partnern ermöglichen? 

Wir haben da schon verschiedene Modelle getestet und sind grundsätzlich offen für alles. Die deutschen Inhalte konkurrieren immer mit dem US-Content auf unserem Service. Das ist die Benchmark, die es zu erreichen gilt. Das kostet Zeit und kreative Power, aber natürlich auch Geld. Um das zu schaffen, sind Partnerschaften sehr sinnvoll. 

 

Wir wollen für Wiedererkennbarkeit sorgen und Gesichter aufbauen, mit denen wir immer wieder arbeiten. 

 

Kommen wir zum konkreten Fahrplan: Mit welchen Inhalten startet Prime Video ins erste Quartal 2024?

Wir haben einen spannenden Genre-Mix. Anfang des kommenden Jahres kommt mit “Trunk” ein Survival-Horror-Film, der gerade erst beim Film Festival Cologne Premiere gefeiert hat. Wir starten “Die Teddy Teclebrhan Show”, eine große Variety-Show mit Teddy und all seinen Charakteren, Gästen und Showeinlagen. Unser Reality-Format “The 50” versammelt die 50 größten Reality-Stars des Landes zu Challenges, die für ordentlich Diskussionsbedarf zwischen den Teilnehmenden sorgen werden. Zu Ostern gibt’s dann eine neue Staffel von “LOL”, danach “Viktor Bringt’s” mit Moritz Bleibtreu und die schon angesprochene neue Serie mit Bastian Pastewka und Anke Engelke. 

Sie haben einen Exklusiv-Deal mit Teddy Teclebrhan und setzen über “LOL” inzwische auch auf wiederkehrende Köpfe; früher hätte man von Sendergeschichtern gesprochen...

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und wollen Verlässlichkeit. Wir wollen für Wiedererkennbarkeit sorgen und Gesichter aufbauen, mit denen wir immer wieder arbeiten. Das ist eine Win-Win-Situation: Z.B. sind es die großartigen Künstlerinnen und Künstler von “LOL”, die das Format erst zum Erfolg geführt haben, gleichzeitig haben sie auch vom Erfolg und der Strahlkraft der Show profitiert. Aus „LOL“ sind viele Kooperationen entstanden, z.B. mit Teddy Teclebrhan, Martina Hill, Bastian Pastewka, Anke Engelke, Moritz Bleibtreu und da wird noch mehr kommen. Auch bei fiktionalen Projekten arbeiten wir so: Jana McKinnon, die in “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” Christiane F. verkörpert hat, spielt in unserem neuen Film “Silber und das Buch der Träume” und Bruno Alexander ebenfalls aus Bahnhof Zoo bekannt, spielt bei „Die Discounter“ mit. Harriet Herbig-Matten war die Tina bei “Bibi und Tina” und ist in einer Hauptrolle bei “Maxton Hall – Die Welt zwischen uns” zu sehen. Wir setzen auf große Stars wie Michael Bully Herbig, gleichzeitig bemühen wir uns aber, neue Gesichter aufzubauen. Es gibt leider relativ wenig große Gesichter in Deutschland. Da müssen alle Anbieter viel mehr arbeiten, denn es gibt so viele fantastische Schauspielnde, Künstlerinnen und Künstler. 

Wie groß ist die Priorität, weitere für mehrere Staffeln geeignete Formate wie "LOL" zu finden? 

Wir sind über den Sommer ein wenig in uns gegangen und haben unsere Strategie an dieser Stelle geschärft. Jährlich wiederkehrende Formate stehen weit oben auf unserer Liste. Bei “LOL” wissen unsere Kundinnen und Kunden mittlerweile: Jährlich zu Ostern gibt es neue Folgen, angereichert vielleicht durch das ein oder andere Special. So würde ich das gerne auch mit anderen Formaten machen. “Die Discounter” hatten wir bislang immer im November. Es ist aber auch gar nicht so einfach, eine jährliche Taktung zu schaffen, gerade bei Serien. 

 

Ich wünsche mir mehr Projekte, die eine klar kommerzielle, popcorn-artige Ausrichtung haben.

 

Aus welchen Bereichen würden Sie gern mehr Ideen aus dem Markt hören? 

Ich wünsche mir mehr Projekte, die eine klar kommerzielle, popcorn-artige Ausrichtung haben. Und das am besten in den Bereichen, die ich eben schon genannt habe. Also gerne glossy, farbenfroh, unterhaltsam und eskapistisch. Im Endeffekt suchen wir nach Projekten, die laut sind und die Kraft haben, aus sich selbst heraus zu funktionieren. Wir fragen uns: Wo ist der USP so stark, dass Millionen Menschen das sehen wollen? Das kann einerseits über große Namen passieren, aber auch über bekannte Marken und/oder in sich starke Geschichten. Mir fehlen z.B. auch verspielte Familienunterhaltung und Abenteuerkomödien. Also Filme, die Erwachsene alleine, aber auch mit ihren Kindern anschauen können. Und auch im Bereich Crime wollen wir breiter werden: Crime mit Comedy-Elementen bekommen wir sehr selten vorgeschlagen. 

Streaminganbieter sind mit Serien und Binge Watching groß geworden. Horizontal erzählte Geschichten erscheinen inzwischen aber nicht mehr ganz so stark nachgefragt. Sind Filme die neuen Serien? 

Am Anfang haben viele Anbieter stark auf Serien und das fiktionale Binge-Watching gesetzt. Aber auch wenn der Hype sich um die Serien gedreht hat, der Film war nie weg. Wir glauben sehr an den deutschen Film. Mit “Sachertorte” und “One Night Off” hatten wir da schon Projekte, aber da wird noch sehr viel mehr kommen. Im Dezember starten wir z.B. Kerstin Giers Bestseller-Verfilmung „Silber und das Buch der Träume“, in der ich sehr großes Potenzial sehe. Das große Angebot an Serien sorgt bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern manchmal auch für Überforderung. Bei Filmen haben die Menschen die Möglichkeit, sich nur für einen Abend bzw. eine recht überschaubare Zeit zu binden. 

Wie sieht es eigentlich mit langlaufenden Serien aus?

Wir befinden uns immer noch im Wachstum. So lange das anhält, dreht es sich bei uns darum, Leuchttürme zu schaffen, die die Menschen anziehen. Wir diskutieren immer wieder über Soaps, Dailys und Weeklys, aber das wird wohl eher zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Dann aber ganz bestimmt. 

Herr Pratt, vielen Dank für das Gespräch!