Frau Grünfeld, Sie sind mit Ihrem Team bei Cheerio Entertainment vor etwas mehr als einem Jahr angetreten. Das deutsche Fernsehen war damals gefühlt in einem ganz anderen Zustand als heute. Wie schauen Sie auf das erste Jahr Cheerio zurück?

Nadine Grünfeld: Ein erstes Geschäftsjahr ist auf vielen Ebenen turbulent (lacht). Wir waren sehr mit dem Aufbau des Unternehmens beschäftigt. Wenn man aber bei Seven.One Studios eine neue Produktionsfirma gründen darf, dann ist das Gründung deluxe. Da hat man schon am ersten Tag ein Geschäftskonto und ist bei der Handelskammer gemeldet. Diese ganzen Aufgaben übernimmt Unterföhring, das war eine große Erleichterung. Wenn ich es gewollt hätte, dann hätten sie uns sogar das Klopapier geschickt.

Und wie blicken Sie auf das operative Geschäft zurück?

Da waren wir getrieben von unseren Produktionen. "Zurück in die Schule" haben wir als Einstiegsgeschenk bekommen, da hatte unsere Firma noch nicht einmal ein Logo. Innerhalb von wenigen Monaten waren wir mit der Sendung on Air. Das ist etwas, mit dem mein Co-Geschäftsführer Frank Kott und ich uns gut auskennen. Wir waren vorher bei der Banijay Group / EndemolShine Germany und wissen schon, wie wir im Studio die Lampen einschalten. Aber wo die Drucker herkommen oder auch die Verträge, das war auch für uns neu und eine Herausforderung. Die Organisations-Sachen, die manchmal etwas unsexy sind, gehören aber dazu, wenn man ein neues Unternehmen aufzieht. Dabei haben wir uns auch immer gefragt: Wer sind wir eigentlich und was wollen wir?

Und? Wer sind Sie?

Ich kann Ihnen eins sagen: Wir verstehen uns als eine neue Generation von Produzentinnen und Produzenten. Wir sind mittlerweile 49 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hungrig sind, jede Position ausfüllen und kreativ toll arbeiten. Das aufzubauen und die DNA zu kreieren, damit haben wir uns, neben dem Produzieren, am meisten beschäftigt. Wir wollen uns auch immer wieder hinterfragen. In der aktuellen Zeit muss man beispielsweise auch anders produzieren.

Was machen Sie anders?

Wir flitzen als kleines Speedboot im Vergleich zu den großen Tankern, die auf dem Markt herumtuckern. Wir fokussieren uns mit viel Liebe und Leidenschaft auf das Produzieren und das Erzählen von Geschichten. Wir setzen auf flache Hierarchien und konzentrieren uns auf Eigenentwicklungen – neben den Produktionen, die wir gemeinsam mit Talpa auswerten. Wir schauen uns genau an, welche Programme der Markt braucht, die aber auch bezahlbar sind. Da hilft uns der Blick in die Niederlande zu unseren Partnern bei Talpa: Wie stellen wir uns schmal auf – arbeiten aber gleichzeitig schnell und effektiv?

Wir verstehen uns als eine neue Generation von Produzentinnen und Produzenten


Cheerio hat im ersten Jahr unter anderem "Zurück in die Schule" und einen Jahresrückblick mit Jörg Pilawa sowie den "Heiratsmarkt" produziert. Hinzu kommt bald ein Reality-Format mit Calvin Kleinen sowie die großen Shows "Murmel Mania" und "The Floor". Wo ist da der USP von Cheerio? Das alles hätte RedSeven doch auch produzieren können.

Unser USP ist, dass wir alle "positiv bekloppt" sind! Wir bestehen zu 100 Prozent aus Energie. "Zurück in die Schule", ein Lizenzformat aus Italien, ist ein gutes Beispiel dafür. Es ging darum, die Sendung unfassbar schnell auf die Beine zu stellen. Wir haben es innerhalb von wenigen Monaten geschafft, ein Format abzuliefern, das in Sachen Qualität dem Original entsprach. In der neuen Staffel konnten Sie sehen, dass wir an der Sendung gearbeitet und Dinge verändert haben. Beispielsweise gab es Kinder im Studio. Das ist authentisch, weil die Promis in der Show für echte Grundschulen spielen. Diese Veränderung hat sehr gut funktioniert, die Stimmung im Studio ist eine ganz andere gewesen. Wir wollen immer besser werden.

Aber ist das bei anderen Produktionsfirmen anders? Dort will man auch immer das beste Produkt abliefern, sich immer wieder verbessern und nach Möglichkeit nie stehen bleiben.

Ja, das sollte das Ziel sein. Im Alltag ist es aber oft so, dass das gar nicht möglich ist, weil man mit vielen anderen Dingen beschäftigt ist. Ein Schlüssel sind tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein guter und vertrauensvoller Umgang mit ihnen. Das schreibe ich mir persönlich auf die Fahne: Ich investiere viel Zeit in Gespräche mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Entwicklung von Personal und jungen Talenten ist aus meiner Erfahrung in den letzten Jahren sehr vernachlässigt worden. Wir holen bewusst sehr junge Leute, die wenig bis keine Erfahrung in dem Genre haben und ihnen geben wir eine Chance, sich zu beweisen.

Hat das auch Kostengründe? Vielen Produktionsfirmen fällt ja aktuell die Tatsache auf die Füße, dass sie jahrelang Talente für viel Geld zu sich gelockt und gebunden haben. Jetzt sieht die Auftragslage dünn aus und die Kosten sind hoch.

Es geht um etwas anderes: Wir müssen unbedingt und zu jeder Zeit am Puls der Zeit arbeiten. Ich bin Mutter von zwei Kindern und meine 16-Jährige erzählt mir zu Hause jeden Tag von Snapchat und TikTok. Ich bin Mitte 40 und habe gedacht, mit Instagram wäre ich schon vorne dabei (lacht). Durch unsere jungen Kolleginnen und Kollegen bekommen wir in diesem Bereich wertvollen Input. Wenn ich mir Youtube, TikTok oder auch Twitch anschaue, muss ich feststellen: Da brauche ich den Einfluss der jungen Leute, um zu verstehen, wie diese Zielgruppe Inhalte konsumiert. Menschen wollen und müssen sich doch weiterentwickeln. Das fördern wir bei uns.

Entwicklung von Personal und jungen Talenten ist aus meiner Erfahrung in den letzten Jahren sehr vernachlässigt worden.


Wenn große Sendergruppen wie die Seven.One Entertainment Group neue Produktionsfirmen gründen, ist die Angst immer große, dass Budget aus dem freien Markt abwandern könnte. Nun hat Cheerio auch "Cut it!" für Sixx produziert. Eine Sendung, die vorher von Lightkid umgesetzt wurde. Bestätigen sich da nicht alle Ängste der unabhängigen Produktionsfirmen?

Nein, die Angst muss niemand haben. Die ursprüngliche Produktionsfirma von "Cut it!" wollte das Format nicht mehr selber betreiben und der kreative Kopf hinter der Sendung, Katharina Fusban, fand bei uns eine neue Heimat. Wir haben es also mit Liebe adoptiert. Das gilt auch für andere Projekte: "Zurück in die Schule" ist ein Lizenzformat aus Italien, der Jahresrückblick mit Jörg Pilawa war ein Wunsch von Sender und Moderator. "Der Heiratsmarkt" ist durch den Entwicklungsdeal zwischen Fox und der Seven.One Entertainment Group entstanden. Und jetzt machen wir ein neues Reality-Format mit Calvin Kleinen, das ist eine Geschichte, die wir selbst entdeckt haben.

Entdeckt?

Ich folge Calvin bei Instagram, weil ich selbst ein großer Reality-Fan bin. Und dabei habe ich festgestellt, dass er Party-Promoter sucht. Ganz ehrlich: Alleine das klingt ja fast schon nach einer guten Sendungsidee. Also haben wir miteinander gesprochen und werden ihn nun dabei begleiten, wie er Partykönig am Goldstrand werden will. Die Idee habe ich per WhatsApp gepitcht - auch so etwas, das es früher nicht gegeben hat. Außerdem haben wir gerade noch eine weitere komplett selbst entwickelte Reality-Show abgedreht, die bei Joyn zu sehen sein wird. Joyn ist aktuell unsere Hauptaufgabe: Wenn man so nah dran ist an einem Sender-Netzwerk, dann merkt man schnell, in welchem Bereich Inhalte gebraucht werden.

Und dann haben Sie auch noch einen Deal mit Talpa Concepts, deren Inhalte Cheerio auf den deutschen Markt bringen kann.

Wir produzieren neben dem neuen "The Floor" auch noch "Murmel Mania". Und gerade erst hat Sat.1 angekündigt, dass wir für sie die neue Show "The Tribute – Die Show der Legenden" produzieren werden. Damit ist Talpa bislang in zwei Staffeln sehr erfolgreich gewesen. Coverbands treten darin gegeneinander an und die Gewinner erhalten einen großen Auftritt.

Mir war von Anfang an wichtig, dass wir keine Sieben, keine Eins, kein Rot und keinen Pfeil im Unternehmensnamen haben.


Worauf schielen Sie noch, wenn es um Talpa-Formate geht?

Ich muss gar nicht schielen, sondern kann sehr genau hinschauen (lacht). Wir sind in einem engen Austausch und pflegen eine gute Partnerschaft. Auch bei den Entwicklungsprozessen sind wir oft von Beginn an dabei und schauen, wo Potenziale liegen. Da kommt noch ganz viel, das kann ich jetzt schon verraten.

Wie weit sind Sie in der Vorbereitung auf "Murmel Mania" und wie sehr wird sich die Sendung von der Version unterscheiden, die bislang bei RTL zu sehen war?

Wir besprechen uns gerade mit den Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden: Welche Bahnen werden gespielt? Welche Gäste laden wir ein? Und wir überlegen natürlich auch, wer die Show moderieren soll. Da stecken wir also mitten in den Vorbereitungen.

Was ist die Herausforderung bei der Produktion von "The Floor"?

Dort gibt es 100 Kandidatinnen und Kandidaten, die in vielen Themengebieten viel wissen müssen. Da versuchen wir gerade, genau die Leute zu finden, die gut zur Sendung passen. Und es geht darum, die Spiele für das deutsche Fernsehen zu übersetzen. Wir können zurückgreifen auf die verschiedenen Versionen, die bereits produziert worden sind. Da suchen wir uns die besten Spiele aus, haben aber auch einige Ideen, die wir anders umsetzen wollen als die Kollegen.

Das erste Cheerio-Jahr hat aber auch gezeigt, wie schwer es ist, ein Format zu produzieren, das beim Publikum auf Anhieb gut ankommt, oder? Ich kenne die Joyn-Zahlen nicht, aber auch unabhängig davon: Der "Heiratsmarkt" ist ziemlich gefloppt.

Wenn das so einfach wäre, hätten wir nur Hits. Das wäre auch langweilig (lacht). Und zum "Heiratsmarkt": Da blutet mir das Herz. In jeder Sendung steckt von allen Produzentinnen und Produzenten unfassbar viel Arbeit. Alle sollten mit Liebe und Eifer ihre Formate machen, aber manchmal muss man auch einfach sagen: Die Zuschauer wollten es linear nicht sehen. Digital ist der "Heiratsmarkt" - wenn man nur die linearen Zahlen kennt - überraschend erfolgreich. 

Da blutet mir das Herz.
Nadine Grünfeld über den Quoten-Flop "Der Heiratsmarkt"


Haben Sie denn schon eine erste Analyse, weshalb es im Linearen nicht so gelaufen ist?

Meine Vermutung ist: Das Versprechen der Sendung hat nicht gezogen. Eltern und Dating zusammen haben nicht genug Reiz bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ausgelöst. Aber es fällt aktuell auch auf, dass sich sehr viele Dating-Programme auf unterschiedlichen Sendern im Linearen sehr schwertun. 

Bislang hat Cheerio nur für die Sender der Seven.One Entertainment Group produziert. Wird es dabei bleiben oder ändert sich das perspektivisch?

Wir produzieren für alle. Dafür stehen wir und das sieht man auch in unserem Firmenlogo. Es ist gut für uns, ein Teil von Seven.One Studios zu sein – mir war trotzdem von Anfang an wichtig, dass wir keine Sieben, keine Eins, kein Rot und keinen Pfeil im Unternehmensnamen haben. Durch unsere Historie sind Frank Kott und ich sehr verbunden mit Köln, wir haben auch schon viel für die Öffentlich-Rechtlichen produziert. Das erhalten wir uns und wir sprechen mit den Kolleginnen und Kollegen auch schon über diverse Projekte. Aber so eine Firma hochzuziehen, ist eine Menge Arbeit und dauert einfach. Was glauben Sie, wie lange ich auf unsere Drucker gewartet habe (lacht)?

Ist der Aufbau des Unternehmens denn inzwischen abgeschlossen? Können Sie sich also auf das Produzieren konzentrieren?

Die Amtsgänge sind abgeschlossen und ich kann alle beruhigen: Wir haben inzwischen auch Klopapier (lacht). Im Aufbau sind unsere Webseite und die Social-Media-Auftritte. Da überlegen wir gerade zusammen mit der Belegschaft, was wir über uns erzählen wollen und wie unser Außenauftritt sein soll. Da lassen wir uns bewusst Zeit und konzentrieren uns eher auf das Entwickeln von Ideen und das Produzieren unserer Formate. Aber natürlich ist die digitale Visitenkarte nach außen hin wichtig und wir werden uns in den nächsten Schritten damit beschäftigen.

Frau Grünfeld, vielen Dank für das Gespräch!