Frau Maischberger, Sie talken seit 20 Jahren in der ARD. Ist das für Sie persönlich ein Grund zum Feiern?

Absolut. Alleine schon, weil ich noch da bin. (lacht) Im Ernst, es ist ein Grund zum Feiern, weil wir die Sendung vor dreieinhalb Jahren noch einmal komplett neu aufgestellt haben. Es fühlt sich daher einerseits an wie 20 Jahre, andererseits aber auch, als hätte ich gerade erst angefangen. Die Sendung ist noch immer eine frische Liebe.

Als Sie 2003 begonnen haben, haben Sie das ursprüngliche Konzept recht schnell verworfen und sind vom Berliner Tränenpalast ins kleinere Kölner Studio umgezogen – stets unter großer medialer Beobachtung. Wie haben Sie diese Zeit wahrgenommen?

Das erste Jahr war schwierig, weil man sich auf so einem Sendeplatz erst finden muss. Man muss sich klar werden, für welches Publikum man arbeitet. In der Anfangszeit habe ich parallel noch weiter meine Sendung bei ntv gemacht, war also bei einem Sender, der von nachrichtenhungrigen Menschen eingeschaltet wurde. Der Sendeplatz am späten Abend in der ARD adressierte hingegen alle, die zu diesem Zeitpunkt vor dem Fernseher saßen, also kein reines Nachrichten-Publikum, erst recht kein sehr junges. Wir haben erst einmal viel ausprobiert und am Ende des ersten Jahres die Form gefunden, die für uns und unser Publikum passend war. Der WDR hat in dieser Zeit immer an uns geglaubt und uns machen lassen. Dieser Erfolg nach 20 Jahren ist also auch ein gemeinsamer.

Gab es denn einen Moment, in dem Sie gemerkt haben: "Jetzt passt's"?

An einen speziellen Moment kann ich mich nicht erinnern – auch, weil wir die Sendung in der Anfangszeit kontinuierlich verändert haben. Am Anfang haben wir eine Art Talkmagazin gemacht; mehrere Themen in einem großen Studio mit viel Publikum. Das hat nicht so richtig gepasst. Wir haben es nicht geschafft, die Menschen über die vielen Themenwechsel zu halten. Danach haben wir eine Zeit lang eine Sendung gemacht, in der nur ein einzelner Gast da war, etwa Helmut Schmidt, Hape Kerkeling oder Manfred Krug letzterer hat sogar noch mit seiner Band gespielt! Das waren unsere Highlights, aber mit anderen Gästen erreichten wir nur mäßige Erfolge. Am Ende des ersten Jahres hatten wir erstmals eine Runde, mit der wir uns auf ein Thema fokussiert haben. Damals war unsere Themenauswahl allerdings viel breiter als später, als zunehmend die politische Agenda die Diskussion bestimmte. 

Plötzlich sprachen Promis in Ihrer Sendung über Privatinsolvenzen und Nina Hagen diskutierte mit Joachim Bublath über UFOs. Was war das für eine Phase?

Das war eine tolle Phase mit ganz unterschiedlichen Sendungen. 2004 kam der damalige Bundespräsident Johannes Rau zum Amtsabschied mit seiner Frau in unser Studio, ein Jahr später gab es eine Runde über starke Frauen mit Petra Gerster, Monica Lierhaus, Heide Simonis und der damaligen PDS-Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht. Wir hatten auch mal ein "Quartett der Querdenker" mit Thomas Gottschalk, Alice Schwarzer, Heiner Geißler und Daniel Cohn-Bendit – lange bevor der Name "Querdenker" einen schlechten Ruf bekam. Das waren teils dolle Gästekombinationen, auf die ich im Nachhinein wirklich stolz bin. Aber die Zeiten wurden ernster. Wir sprachen viel über religiöse Streitigkeiten, sozialen Unfrieden, die Finanzkrise und auch sehr früh über Russland – 2008, nach dem Angriff auf Georgien, unter anderem mit Hans-Dietrich Genscher und Eduard Schewardnadse. Es schlich sich immer mehr eine krisenhafte Welt in die Sendung. Peu a peu haben wir uns daher wieder verändert.

Deppendorf, Maischberger, Struve © IMAGO / Uwe Steinert Vor der Premiere im Jahr 2003: Moderatorin Sandra Maischberger mit dem damaligen WDR-Fernsehprogrammdirektor Ulrich Deppendorf dem damaligen ARD-Programmdirektor Günter Struve in der Kulisse von "Menschen bei Maischberger" im Berliner Tränenpalast.

Sie haben schon recht früh das Publikum abgeschafft – lange bevor Corona kam. Inzwischen ist es wieder da. Wieso waren die Zuschauerinnen und Zuschauer im Studio zwischenzeitlich verzichtbar?

Das Studiopublikum erschien uns eine Zeitlang verzichtbar, weil wir in einem kleinen, konzentrierten Kreis über ein einziges Thema sprachen. Inzwischen wechseln wir die Themen und auch die Positionen im Studio – von der Kommentatorenrunde am Panel hin zu einem Solo, Duell oder Duett, wie wir es nennen. Für diese Wechsel ist es immer gut, nicht in einem leisen Studio herumzustaken, sondern das mit einer Late-Night-Atmosphäre zu verbinden. Heute würde ich nur sehr ungern auf Publikum verzichten. Als wir 2020, kurz nach der Einführung unseres neuen Konzepts, wegen Corona plötzlich keine Zuschauer mehr ins Studio lassen konnten, war das atmosphärisch schwierig. 

Zu diesem Zeitpunkt wurde in allen Talkshows nur noch über ein Thema gesprochen. Hat Sie das persönlich manchmal genervt?

Nein, dafür bin ich zu sehr jemand, der sich dafür interessiert, was gerade passiert. Wir passen die Form dem Inhalt an. Aber ich war natürlich froh, als wir irgendwann wieder andere Themen in den Vordergrund stellen konnten.

Inzwischen ist die Sendung wieder etwas bunter geworden, etwa mit Gästen wie Hape Kerkeling oder Harrison Ford. Wie herausfordernd ist es, am Ende einer Sendung nochmal die Gesprächstemperatur zu verändern?

„Bunter“ wäre nicht meine Wortwahl. Unsere Sendung ist ein bisschen wie eine Zeitung aufgebaut: die Nachricht des Tages auf der ersten Seite, eine Seite mit Kommentar und Meinung, Hintergrund und Vertiefung, Kultur, Wirtschaft oder Sport auf Seite drei. Da ist auch Platz für einen Stargast. Aber selbst mit Harrison Ford, Roland Kaiser oder Kurt Krömer sprechen wir auch über ernsthafte Themen. Die Relevanz in der ganzen Sendung ist mir wichtig. Nur bunt zu sein, um zu unterhalten, wäre mir zu wenig.

Wie soll es in Zukunft weitergehen mit Ihrer Talkshow?

Wir wollen die beiden Sendung am Dienstag und Mittwoch verstetigen – das heißt, mit einer gewissen Verlässlichkeit im Jahr für unsere Zuschauer präsent sein. Perspektivisch könnte ich mir aber auch wieder Variationen vorstellen. 

In Zukunft sollen Sie vereinzelt sogar drei Sendungen pro Woche moderieren. Das dürfte beim WDR-Rundfunkrat für Herzrasen sorgen, oder?

Der Rundfunkrat liegt nicht auf meinem Arbeitstisch. Mit den Gremien umzugehen, ist Sache der Sender. Ich halte mich zurück, bis mich jemand fragt. 

 

"Unser Konzept ist in dieser Form einzigartig und insofern bereits eine Alternative zu anderen Sendungen."

 

Im vorigen Jahr, als die Dosis Ihrer Sendung auf zwei Ausgaben pro Woche erhöht wurden, bat der Rundfunkrat den WDR bereits darum, "einen Vorschlag für ein alternatives Konzept zu erarbeiten, wie der Sendeplatz am Dienstagabend nach Ende der Vertragslaufzeit 2023 strategisch sinnvoll gefüllt werden kann". Wie haben Sie das denn wahrgenommen?

Wir als Macher der Sendung glauben bewiesen zu haben, dass wir uns auch nach vielen Jahren noch einmal komplett erneuern konnten – weg von der großen monothematischen Runde, hin zu einem Wechsel zwischen mehreren Themen, zwischen Debatte und Einzelgesprächen, verbunden mit Einordnung und Meinungsvielfalt. Unser Konzept ist in dieser Form einzigartig und insofern bereits eine Alternative zu anderen Sendungen. Wir freuen uns, wenn wir das so fortsetzen können.

Woher kommt Ihre Freude am Gespräch?

Für mich ist die Erfassung der Welt in Frageform das, was mich wirklich erfüllt. Ich bin immer dankbar, wenn ich alles, was um mich herum passiert, begreifen kann, indem ich Fragen stelle. Im Moment fehlt mir die Phantasie, dass mir irgendwann einmal die Fragen ausgehen werden. Selbst wenn ich im Zug unterwegs bin, dränge ich Menschen, die ich nicht kenne, zum Gespräch. (lacht) 

Was ist eine gute Frage?

Warum-Fragen sind immer gut.

Warum?

Warum-Fragen lassen sich nicht mit Ja oder Nein beantworten, weil das Gegenüber dazu gezwungen ist, etwas zu begründen – möglichst plausibel und so, dass der Antwort keine Nachfrage folgen muss.

Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass selbst auf Warum-Fragen nicht geantwortet wird. 

Da beginnt dann der sportliche Teil der Veranstaltung. Aber manchmal ist es ja auch eine Aussage, wenn es keine Antwort gibt.

Ihr Vorgänger bei der ARD war kein Geringerer als Alfred Biolek, den Sie nach Jahren und Anzahl der Sendungen längst eingeholt haben. Wie groß kamen Ihnen damals seine Fußstapfen vor?

Über die Fußstapfen hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht, weil ich ja wusste, dass Alfred und ich ganz unterschiedliche Schuhe tragen. Allerdings waren da Fußstapfen, die ich übersehen hatte – das Publikum am Dienstagabend in der ARD hatte ganz eigene Erwartungen an das Programm. Es war diese unvergleichlich freundliche, joviale, immer höfliche Art des Alfred Biolek gewohnt. Ich kam hingegen kam mit einer relativ scharfen Klinge an. Es hat eine Weile gedauert, bis wir uns aneinander gewöhnt haben.

Einige Jahre vor seinem Tod haben Sie Alfred Biolek porträtiert. Wie behalten Sie ihn in Erinnerung?

Alfred Biolek machte Unterhaltung – und zwar sehr gute. Als Journalistin, die aktuelle Berichterstattung im Sinn hatte, war er nicht wirklich ein Idol für mich. Durch den Film habe ich ihn dann von einer ganz neuen Seite kennengelernt. Wir, mein Co-Autor Hendrik Fritzler und ich, haben uns unter anderem mit seiner Herkunft beschäftigt. Seine Familie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus der ehemaligen Tschechei vertrieben und wir reisten gemeinsam an den Ort seiner Geburt. Dort haben wir sehr intensive Gespräche geführt. Später auch in New York, wo er lange vor seinem Outing mit seinem Lebensgefährten viel Zeit verbracht hatte, in der Nähe der Christopher Street. Ich habe Alfred als unglaublich feinen und empathischen Menschen erlebt, der aus seinem Leben, das, wenn es nach seiner Mutter gegangen wäre, mit einer Karriere als Jurist in einem Büro geendet hätte, ein wirkliches Abenteuer gemacht hat. Am Ende seines Lebens war er vom Alter und einem schweren Sturz zwar gezeichnet. Er hat aber nie seinen Humor verloren, sondern war immer in der Lage, mit einer gewissen Leichtigkeit auf dieses Leben zu blicken. Das muss ihm erst mal jemand nachmachen.

Und er ist vermutlich auch der einzige Mensch, mit dem Sie jemals zusammen im Fernsehen gekocht haben, oder?

(lacht) Das ist wohl wahr.

Wissen Sie noch, was es gab?

Coniglio alla cacciatora! Gerade habe ich wieder daran gedacht, weil ich es vor zwei Wochen zu meinem Geburtstag noch einmal gemacht habe und mich dabei scheußlich am Bräter verbrannt habe. An mir ist definitiv keine Spitzenköchin verloren gegangen.

Frau Maischberger, vielen Dank für das Gespräch.