Dass es eine Werbeaktion des Discounters Penny in die Hauptausgabe der "Tagesschau" schafft, ist eher ungewöhnlich. Gleiches gilt für eine kurze Sequenz, die am Montagabend in einem vom WDR produzierten "Tagesschau"-Beitrag über die sogenannten "wahren Preis", die Penny eine Woche lang bei neun seiner Produkte verlangt. Von zwei Kundinnen, die in dem Bericht zu ihrer Meinung befragt wurden, entpuppte sich eine später als WDR-Mitarbeiterin - was viele in den sozialen Netzwerken auch deshalb auf die Palme brachte, weil die junge Frau die Preisaufschläge für gut befand, da sie zum Nachdenken anregten.
Der sich aufdrängende Verdacht: Hat der WDR den Bericht manipuliert, weil sich sonst niemand fand, der eine ähnliche Position vertrat? In Wirklichkeit war die Situation offenbar ungleich banaler, wie der WDR am Mittwochvormittag mit einem Statement zu erklären versuchte. Demnach habe die Mitarbeiterin nach ihrem Frühdienst im WDR im Supermarkt eingekauft und sei dort vom Reporter zu der Discounter-Aktion befragt worden. "Er kannte sie nicht. Es kam zu einem Missverständnis: Die Kollegin sagte, sie komme gerade vom WDR Radio. Der Reporter verstand in dieser Situation, sie habe von diesem Thema im WDR Radio gehört", teilte der WDR mit. Und weiter: "Wir gehen transparent mit Fehlern um. Der Beitrag wurde - direkt als der Fehler erkannt wurde - korrigiert und mit einem entsprechenden Hinweis versehen."
Die Aufregung war dennoch da - weil zwischenzeitlich zahlreiche Medien, darunter auch DWDL.de, über die Befragung im Kölner Penny-Markt berichtete. Aber auch, weil sich mehrere Politikerinnen und Politiker fast schon reflexartig via "Bild" zu Wort meldeten. "Wenn's der Öko-Ideologie hilft, heiligt der Zweck beim WDR offensichtlich die Mittel", gab etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger zu Protokoll. Und sein Parteikollege Erwin Rüddel forderte gar die Ausstrahlung eines weiteren Beitrags, der "die Wahrheit" zeige. "Nämlich, dass das hart arbeitende Volk im Supermarkt kein Geld zu verschenken hat."
Stefan Brandenburg, Leiter des Programmbereichs Aktuelles beim WDR, hat schon am Dienstagabend via Twitter - bzw. nun "X" - versucht, die Situation zu erklären. Wie blickt er auf die zurückliegenden Stunden? DWDL.de hat mit ihm gesprochen.
Herr Brandenburg, der WDR steht in der Kritik, weil eine junge Frau in einem "Tagesschau"-Bericht einen O-Ton gab, ohne dass dem Publikum transparent gemacht wurde, dass es sich bei ihr um eine Mitarbeiterin Ihres Hauses handelte. Die Empörung war schnell groß. Was nehmen Sie aus der Debatte mit?
Menschen sind sehr schnell dabei zu urteilen und zu verurteilen. Das erschreckt mich, weil es über eine bestimmte Bubble bei Twitter hinausgeht und auch in offiziellen Richtungen zu beobachten ist. Gleichzeitig gehe ich in meiner Denkweise noch immer davon aus, dass ich mit einer Erklärung, wie ich sie bei Twitter schon am Dienstagabend abgegeben habe, durchdringen kann. Ich sehe zwar, dass viele meine Ausführungen verstehen, liken und weiterverbreiten. Aber ich muss auch feststellen, dass es viele andere gibt, die diese Verschwörungstheorien, die schnell im Umlauf waren, glauben. Dabei ist es in diesem Fall besonders absurd.
Was meinen Sie?
Es ist ja nicht so, dass die Kollegin etwas ganz Sensationelles gesagt hat. Es war ein Bericht über eine polarisierende Penny-Aktion. Da gibt es Leute, die finden das total bescheuert, und es gibt andere, die finden das total gut. Da können sie in jede Fußgängerzone gehen. Sie werden immer einen Anteil von Leuten finden, die es gut finden, wenn die wahren Kosten von Lebensmittelproduktionen ausgewiesen werden. Ich habe große Schwierigkeiten nachzuvollziehen, dass Menschen glauben, wir müssten Schauspieler einsetzen, um eine solche Äußerung verbreiten zu können. Das ist absurd.
Nun war die Geschichte schnell in der Welt, auch wir haben darüber berichtet und anfänglich geschrieben, dass der WDR eine Mitarbeiterin in die Tagesschau "gemogelt" habe. Wie lässt sich so etwas einfangen?
Mit Transparenz und Offenheit. Man kann jetzt natürlich darüber diskutieren, ob es schlau war, dass ich gestern Abend etwas dazu getwittert habe. Aber wenn ich so etwas lese, dann kann ich das nicht so stehen lassen, sondern muss erklären, was das für eine banale Verkettung, was das für ein blöder Zufall, was das für eine unglückliche Kommunikation war. Ich muss versuchen, denen, die guten Willens sind, erklären, wie es dazu kommen konnte, denn natürlich kann ich nachvollziehen, dass man irritiert ist, wenn man als normaler "Tagesschau"-Zuschauer einen solchen Beitrag sieht und hinterher liest, dass eine Mitarbeiterin des Senders vor der Kamera stand. Aus diesem Grund lege ich das offen – aber auch in der Hoffnung, dass man dann mit gesundem Menschenverstand draufschaut. Mir ist wichtig: Wir gehen transparent mit Fehlern um. Der Beitrag wurde – direkt als der Fehler erkannt wurde – korrigiert und mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Kolleginnen oder Kollegen zu interviewen, ohne die Zugehörigkeit transparent zu machen, verstößt ganz klar gegen unsere journalistischen Standards.
Wieso haben Sie "X", also den "Twitter"-Nachfolger gewählt, um sich zu erklären?
Ich habe einen persönlichen Weg gewählt, weil mir meine Erfahrung gezeigt hat, dass es manchmal gut ist, nicht nur als Unternehmen und Institution zu kommunizieren. Für mich ist das nicht vergnügungssteuerpflichtig, weil man ein solches Thema dann auch mit nach Hause nimmt. Man liefert O-Töne, die auch in der nächsten Zeit noch mit einem verbunden werden. Trotzdem finde ich es richtig, persönlich zu kommunizieren.
Nun müssen die Hintergründe zu solchen Sachverhalten ja zunächst intern geklärt werden, auch wenn draußen in Social Media schon der Sturm tobt. Wie schnell muss man heutzutage in solchen Fällen kommunizieren?
Man sollte schnell kommunizieren. Die Grenze ist aber: Es geht um Mitarbeitende, in diesem Fall um zwei. Der eine ist gestandener Reporter, die andere ist eine 22-jährige Journalismus-Schülerin in der Ausbildung, die im WDR derzeit als freie Produktionsassistentin arbeitet. Klar kann man sagen, dass sie Journalismus studiert und vielleicht wissen sollte, wie man sich in solchen Momenten verhält – aber offenkundig hat sie den Reporter ja sogar auf ihre WDR-Verbindung hingewiesen. Ich weiß nicht, ob ich mich mit 22 anders verhalten hätte. Diese junge Frau ist nun verständlicherweise fassungslos, in was sie hineingeraten ist, weil sie sieht, was die "Bild"-Zeitung mit ihr macht und wie ihr Name deutschlandweit diskutiert wird. Insofern muss ich erstmal meiner Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitenden gerecht werden, bevor ich anfange zu kommunizieren.
Auffällig ist, dass Politikerinnen und Politiker etablierter Parteien inzwischen erstaunlich schnell dazu übergehen, von einem kleinen Vorfall ausgehend den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk infrage zu stellen. Das wirkt mitunter geradezu reflexhaft. Im Zusammenhang mit dem Penny-Bericht sagte die CDU-Politikerin Serap Güler, die Fehler des WDR häuften sich "in rasanter Geschwindigkeit" und empfahl dem WDR "zwischen Ideologie und Journalismus" zu trennen. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr?
Ich nehme grundsätzlich wahr, dass sehr schnell geurteilt wird und dass nicht immer erst geurteilt wird, wenn man sich die Sachlage genauer angesehen hat. Ich muss natürlich aushalten können, wenn jemand sagt, dass wir ein, zwei Fehler zu viel machen, würde mir aber manchmal wünschen, dass Menschen erstmal hören, was denn die andere Sichtweise ist, bevor sie ein solches Urteil fällen und in die Welt senden. Das ist in diesem Fall nicht passiert. Ich gebe immer gerne Auskunft, auch wenn es mal nicht so gut für uns aussieht und wir einen Fehler gemacht haben. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass man unterscheidet zwischen Fehlern, die etwa aus Nachlässigkeit oder der Verkettung von Umständen passieren, und einem absichtlichen manipulativen Agieren. Man sollte sich schon sehr sicher sein, bevor man mit solchen Behauptungen arbeitet. In diesem Fall ist es doch sehr klar: Das hat mit dem Versuch einer Manipulation überhaupt nichts zu tun.
Nun ist es vermutlich grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sich auch WDR-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, etwa bei Straßenumfragen, vor einer Kamera äußern. Aber ist es auch eine gute Idee?
Wir alle beim WDR stehen für dieses Unternehmen und müssen dafür sorgen, dass wir nicht angreifbar sind. Mir selbst ist es auch schon passiert, dass ich in der Breite Straße vom Team eines Privatsenders angefragt wurde, auch von einem WDR-Team das mich nicht kannte. Da habe ich dann stets abgelehnt. Wir müssen dafür aber nach den Erfahrungen der letzten Tage noch einmal sehr deutlich sensibilisieren: Macht bei so etwas am besten nicht mit. Und wenn ihr unbedingt möchtet, muss die Zugehörigkeit zum WDR sehr deutlich werden – auch in dem Beitrag.
Herr Brandenburg, vielen Dank für das Gespräch.