Herr Rijssemus, All3Media ist ein internationales Produktionshaus, aber die Marke war in Deutschland lange nicht besonders sichtbar. Hat man sich unter Wert verkauft und ändert das jetzt?
All3Media ist ein föderalistisch aufgestelltes Unternehmen. Wir ziehen als All3Media aus unseren beweglichen Labels eine große Kreativität, indem wir diesen sehr viel Freiheit geben, um erfolgreich neue, unterschiedliche Formate und Content zu entwickeln. Die Sichtbarkeit unserer Produktionslabels steht im Vordergrund, die Marke der Muttergesellschaft spielt dabei eine unterschiedlich große Rolle. Entsprechend lässt sich Föderalismus differenziert auslegen.
Wie legen Sie ihn aus?
Ich bin der Überzeugung, dass wir gerade in dieser föderalistischen Aufstellung in Deutschland, den Niederlanden und Belgien - den Märkten, die ich verantworte - eine Power entwickeln, die nur wenige in der Vielfalt bieten können und wir so die All3Media-Familie mit vielen unterschiedlichen Marken noch stärker machen. Global hat die Marke All3Media schon eine höhere Strahlkraft, die wir auch in unserem Markt entwickeln wollen. Genau deshalb hat das Thema Kommunikation auch in meiner Strategie eine hohe Priorität. Die Aufstellung macht aber auch deutlich: Wir sind Teil eines großen international führenden Produktionshauses und wollen dieses Netzwerk noch stärker nutzen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist aktuell die deutsche Adaption unserer Eigenentwicklung „De Verraders“ bzw. international „The Traitors“ von Tower für RTL. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, eine schlüssige Strategie zu haben.
Wie sieht Ihre Strategie für All3Media in Deutschland aus?
Es geht darum mehr Miteinander statt Nebeneinander zu schaffen, mit einer Kooperation unserer Labels letztlich wirtschaftlich als auch kreativ einen größeren Mehrwert zu kreieren. Gerade auch für unsere Kunden. Ich habe mit den Geschäftsführungen unserer Labels in den vergangenen Monaten die jeweiligen Strategien herausausgearbeitet, damit wir uns auf die jeweiligen Stärken fokussieren, um zu wachsen, und wir nicht im Wettbewerb noch zusätzliche Energien verschwenden.
Eine andere Strategie als z.B. bei Banijay. Wie wollen Sie das verhindern?
Jedes dieser Unternehmen hat eine klar definierte Rolle in der All3Media-Familie. Unsere Kunden müssen genau wissen, wer bei uns für was steht. South & Browse hat unter der neuen Führung von Nikola Kohl einen klaren Fokus auf Factual und Highend-Dokumentarfilme und -serien, Content mit visuell und journalistisch hohem Anspruch. Filmpool Entertainment steht für hochvolumiges Entertainment, insbesondere für die Daytime und Access. Da haben wir eine Achterbahnfahrt hinter uns, aber dank Vittorio Valente und seinem Team ist diese Company unternehmerisch und kreativ so stark aufgestellt, dass man gerade in solchen Momenten innerhalb kürzester Zeit wieder auf Angriffsmodus geht und mit neuen Ideen an unsere Partner herantritt und diese dann auch verkauft. Hier freuen wir uns über die neue Vielfalt von Gerichtsshows für RTL, der kommenden Vorabendserie „Die Landarztpraxis“ für Sat.1 und „Quiz Taxi“ für Kabel Eins. Tower realisiert gerade unter der Führung von Kirstin Benthaus-Gebauer unser familieninternes, weltweites Hitformat „Die Verräter“ für RTL und legt den Fokus auf die Auswertung des All3Media International-Katalogs (z.B. auch mit der nächsten Staffel „Roadtrip Amerika“ für Kabel Eins) sowie Third-Party-Formaten. Aber eben nicht mehr auf Fiction. Auch wenn Jochen Wigand mit „Ich dich auch“ bei der Tower eine erstklassige Sitcom für ZDFneo produziert hat, wird diese Serie in einer möglichen nächsten Staffel unter dem Dach der neuen All3Media Fiction produziert.
Wozu die Neugründung?
All3Media ist international stark in der Fiction, immerhin die Hälfte unserer Programme sind Serien und Filme. Wir glauben an die Chance, auch in Deutschland mehr Fiction auf internationalem Niveau zu produzieren als bisher, also Content made in Germany, aber international auswertbar. Da gab es in den vergangenen Jahren einige Erfolgsgeschichten bei geschätzten Kolleginnen und Kollegen des Wettbewerbs. Und da wollen wir mitspielen. Dafür haben wir All3Media Fiction unter der Geschäftsführung von Irina Ignatiew-Lemke gegründet, die bestehende Marke Filmpool Fiction, mit Iris Kiefer und Mathias Lösel in der Geschäftsführung, mit den etablierten „Tatort“-, „Polizeiruf“- und „Kommissar Dupin“-Produktionen für die ARD ist ein Teil davon.
Wie sieht es mit der noch sehr jungen Marke The Fiction Syndicate aus?
Das ist eine Initiative, die eng an Vito und Filmpool Entertainment hängt. Wir wollten die Fiction-Aktivitäten von All3Media forcieren und mit All3Media Fiction dafür eine neue operative Marke schaffen. Auch als Signal an die Talente im deutschen Markt. Ansonsten sind wir eine große Familie und arbeiten auch hier entsprechend eng zusammen.
Im Markt wird diskutiert, wie viel Musik noch im Genre Serie steckt. Sie sehen demnach noch viel Potential?
Wir erleben natürlich gerade eine vorübergehende Zurückhaltung aufgrund eines schwierigen Jahres. Deutschland ist jedoch ein großer Markt mit einer enormen Nachfrage nach eigenen Geschichten und eigenproduzierter Fiction. Ganz anders beispielsweise als in meinem Heimatland in den Niederlanden, wo die Angebote viel stärker international orientiert sind. Wir sind sehr zuversichtlich und sind bestmöglich aufgestellt, um die positive Entwicklung hin zu Geschichten aus Deutschland, aber mit internationalem Anspruch und Ansprache, bedienen zu können. Da spielen sicher auch die internationalen Streamingdienste eine große Rolle, denen das auch sehr wichtig ist.
Sie sprechen selbst die Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden an, da will ich gerne nachhaken…
Wie viel Zeit haben wir? (lacht) Die Liste ist sehr lang…
Man konnte in der „Wirtschaftswoche“ lesen, dass die deutsche Bürokratie Sie wahnsinnig macht…
Fangen wir positiv an. Sehr positiv ist die Größe des Marktes mit so vielen möglichen Kunden. Wir können hier noch etwas spielerischer Themen entwickeln, um dann zu sehen, wo wir diese Idee in welcher Umsetzung platzieren könnten. Wissen Sie, wenn Deutsche über die Niederlande sprechen, dann heißt es oft, sie finden vieles dort so niedlich. Und ein bisschen was ist da dran. Bei der Größe des Marktes verliebe ich mich schon manchmal auch in den Production Value, der bei deutschen Produktionen sichtbar ist. Ob das eine Schlagershow von Florian Silbereisen ist oder auch das Dschungelcamp. Das ist wirklich ganz großes Fernsehen, dafür fehlt in den Niederlanden einfach das Budget.
Das war jetzt die Lobhudelei. Und was ärgert Sie?
Ich würde es eher Möglichkeiten für Verbesserungen nennen. Bei der letzten MIPCOM wurde bilanziert, dass die Niederlande Nr. 3 in der Welt für TV-Export ist. Deutschland hingegen ist auf einem ähnlichen Platz, aber bei den Importen. Eine Folge dessen ist leider: Neue originäre Ideen aus Deutschland haben es unglaublich schwer, weil man am liebsten Formate nimmt, die mit vorherigem Erfolg im Ausland quasi eine eingebaute Versicherung haben. Dann ist das Total Buy Out-Modell immer noch sehr präsent in Deutschland. Wenn ich mit Senderchefs spreche, betonen diese zwar immer, dass alternative Modelle denkbar sind. Aber in der Realität wird das selten umgesetzt. Als Konsequenz legen Produktionsfirmen weniger Fokus auf Eigenentwicklungen, weil sich diese nicht so lukrativ auswerten lassen. Und wenn man dieses Mindset erstmal über Jahrzehnte etabliert, verliert man auch die Fähigkeiten. Das ist schade, weil es genug Kreativität und kreatives Talent im deutschen Markt gibt. In den Niederlanden ist es sozusagen Industriestandard zu sagen, wir teilen die Rechte am Format: Bei „The Traitors“ ist RTL Netherlands ins Risiko gegangen, ein völlig neues Format auf Sendung zu bringen, das wir mit IDTV entwickelt haben. Also teilt man die Rechte fair und die Distribution übernimmt in diesem Falle All3Media International. Und damit profitiert IDTV bei jedem Verkauf mit.
Da könnte Deutschland also von den Niederlanden lernen?
Das ist einer der Punkte. Meine wichtigste Aufgabe bei All3Media in Deutschland ist es, Talente für uns zu gewinnen und zu halten. Und was braucht es dafür? Schutz und Freiheit. Schutz vor der Angst, etwas falsch zu machen. Und die Freiheit, so arbeiten zu können, wie sie am besten ihre Kreativität ausleben können. Und da spüre ich in Deutschland sehr viel Reglementierung und eher ein Denken in Arbeitszeit statt Ergebnis. Wenn alle an einem Strang ziehen, pragmatisch gedacht wird, die Ziele klar sind, dann ist die Priorität doch das erfolgreiche Ergebnis und nicht die Frage wie viel Zeit man dafür aufgebracht hat.
Lässt sich so eine Strategie denn in angespannten Zeiten umsetzen?
Wir spüren wie alle anderen einige Herausforderungen und es geht langsamer voran als ich es mir wünschen würde. Aber ich bin mit der Entwicklung unserer Labels sehr zufrieden. Darüber hinaus hilft es, wenn man mit Tower gerade das wichtigste neue Format für den größten deutschen Privatsender realisiert, mit Filmpool Entertainment auf mehreren Sendern bestens vertreten ist und auch mit South & Browse in diesem Jahr trotz schwieriger Rahmenbedingungen neue Kunden gewonnen hat.
Der Druck auf „Die Verräter“ ist inzwischen aber auch enorm. Was macht Sie denn so sicher, dass das Format dem Hype gerecht wird, weil bisher alle strategischen Reality-Formate wie „The Mole“ oder „Survivor“ in Deutschland gefloppt sind.…
„Die Verräter“ ist ein ganz anderes Programm als „The Mole“. Das Publikum weiß, wer zu den Verrätern und wer zu den Loyalen gehört und der Spaß entsteht beim Beobachten des Lügens und Betrügens, den raffinierten Täuschungen. Ein einzigartiges Reality-Game. „The Mole“ ist ein sehr komplexes Ratespiel, das vom Publikum viel abverlangt. Das ist etwas anderes, anstrengenderes als das beobachtende Vergnügen bei „Die Verräter“. Das geht übrigens auch den Machern so: Das ist Reality-Fernsehen pur, bei dem niemand eingreifen muss und damit keiner beeinflussen könnte, wie es ausgeht. Deswegen freue ich mich schon darauf, unsere Idee im September auch nach Deutschland zu bringen.
Schmälern die internationalen Schlagzeilen über den Verkaufsprozess von All3Media die Vorfreude bzw. Ihr Daily Business?
In unserer Branche muss man sowieso immer mit einer hohen medialen Aufmerksamkeit umgehen. Ich konzentriere tatsächlich meine Energie vollkommen auf unser Daily Business.
Herr Rijssemus, herzlichen Dank für das Gespräch.