Frau Beyer, Herr Kruber, RTLzwei hat sich mit Realityshows über viele Jahre hinweg von anderen Marktteilnehmern sehr deutlich unterschieden. Inzwischen mischen sehr viele Ihrer Konkurrenten in diesem Bereich mit – von RTL+ bis hin zu Netflix. Wo befindet sich da noch die Reality-Nische für RTLzwei?
Malte Kruber: RTLzwei ist noch immer das "Home of Reality". Reality ist für uns aber nicht nur ein TV-Genre, sondern bedeutet im wörtlichen Sinne Realität. Die bilden wir ab. Das ist ein Versprechen und findet statt in ganz verschiedenen Spielformen, mit Dokusoaps über die Geissens oder Wollnys, aber auch mit Leuchttürmen wie "Kampf der Realitystars", das sich aktuell wieder sehr stark geschlagen hat. Dabei achten wir mehr denn je darauf, dass unsere Formate digital wie linear funktionieren. Eine der ersten Stellschrauben, an denen ich bei RTLzwei gedreht habe, war es, an die lineare Ausstrahlung von "Kampf der Realitystars" eine Live-Show anzuschließen, mit der wir die Show trotz der hohen, wirklich sehr erfolgreichen Pre-Nutzung bei RTL+ noch einmal ins Hier und Jetzt holen. Das sorgt für einen ganz wichtigen Lagerfeuermoment, obwohl die eigentliche Sendung bereits vor Monaten in Thailand aufgezeichnet wurde. Wir suggerieren nicht, dass "Kampf der Realitystars" live ist, aber durch die Verlängerung nutzen wir die noch immer vorhandene Stärke der linearen Ausstrahlung. Beides ist möglich ohne sich zu kannibalisieren: Erfolg im Streaming und linear! Das werden wir auch bei weiteren Formaten so handhaben.
Zum Beispiel?
Kruber: "Love Island", das wir im Sommer auf den Bildschirm zurückbringen werden, ist noch immer die stärkste Dating-Reality-Brand, hat in den zurückliegenden Jahren aber – nicht zuletzt aufgrund der massiven Konkurrenz im Streamingbereich – ein paar Federn gelassen. Wir versuchen daher auch hier, den Lagerfeuermoment wieder stärker nach vorne zu stellen, schließlich ist "Love Island" mit der wunderbaren Sylvie Meis die einzige Reality dieses Genres, die, ähnlich wie der Dschungel oder "Promi Big Brother", tagesaktuell produziert wird. Diesen Vorteil wollen wir nutzen und dem Publikum wesentlich mehr Einflussmöglichkeiten geben als bisher. Aktuell denken wir über verschiedene Ideen nach, etwa die Einführung eines Votings, bei dem die Fans wirklich mitbestimmen können. Dazu kommt, dass wir die nächste Staffel mit mehr Liveshows garnieren werden und das Format auf 20:15 Uhr heben, um dem Publikum das eventisierte Live-Gefühl noch besser zu vermitteln.
Konstanze Beyer: Das "Home of Reality" umfasst aber auch unsere Doku-Reihen und Sozialreportagen, also echtes Leben und echte Menschen aus Deutschland. Damit können sich die Zuschauer identifizieren und auch Dinge verstehen, die in ihrer Nachbarschaft passieren, ohne selbst direkt Einblick zu haben. Wir interessieren uns für interessante Milieus und soziale Mikrokosmen um uns herum, wie etwa ein Pfandleihhaus, zu dem wir eine Doku-Reihe zeigen werden. Kurz gesagt: Bei RTLzwei menschelt es. Vor diesem Hintergrund ist auch die Rückkehr der „Kochprofis“ zu sehen, für die wir mit Andi Schweiger und Frank Oehler zwei Köche der Urbesetzung gewinnen konnten. Wir hatten das Thema Kochen lange nicht im Programm und werden das Format in einer etwas modernisierten Version zeigen, schließlich hat sich die Restaurantwelt in den zurückliegenden Jahren massiv verändert.
In der Vergangenheit haben Sie das DokuLab gestartet, mit dem Ziel, hochwertige Doku-Projekte zu fördern. Wie weit sind Sie seither gekommen?
Beyer: Von 130 Einreichungen haben wir neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Jahr gefördert. Am Ende hat sich eine Idee durchgesetzt, die wir aktuell produzieren. Geplant sind zwei Einzelfilme, in denen es um antiasiatischen Rassismus gehen wird, ausgehend von einer True-Crime-Geschichte. Das ist auch für uns ein Experiment, weil Absolventen der HFF und der Filmakademie Baden-Württemberg hinter dem Projekt stehen, also Autoren, mit denen wir sonst eher nicht in Berührung kommen. Solche Akzente im Programm sind uns wichtig – auch als Signal in die Branche, dass RTLzwei die gesamte Klaviatur bespielt. Dazu zählt auch eine von den gebruederbeetz produzierte Dokumentation über die Rennfahrerin Sophia Flörsch, die vor wenigen Wochen beim dok.fest München ihre Premiere feierte. Außerdem werden wir in der nächsten Saison eine schon lange geplante Dokumentation über eine Kaserne der Bundeswehr in Munster ausstrahlen, produziert vom Grimme-Preis-prämierten Autor Karsten Scheuren. Ein weiterer Mikrokosmos also, und es wird auch hier menscheln.
Wir dürfen im Entertainment-Bereich allerdings nicht den Fehler begehen, Formate zu machen, die erkennbar eine Nummer zu groß für uns sind. Die riesige Shiny-Floor-Show wird es bei RTLzwei deshalb nicht geben.
Malte Kruber
Ein wichtiges Standbein von RTLzwei sind seit Jahren die Familien-Dokusoaps. Gleichzeitig gibt es jedoch immer mehr Promis oder Semi-Prominente, die sich ohnehin den ganzen Tag selbst filmen. Die brauchen gar nicht unbedingt eine eigene Dokusoap bei RTLzwei, oder?
Kruber: Mit den Geissens und den Wollnys haben wir nach wie vor erfolgreiche Leuchttürme im Programm und ich bin davon überzeugt, dass wir auch weiteren Protagonisten ein gutes Zuhause bieten können. Für die neue Saison haben wir ja exklusiv Harald Glööckler verpflichtet – eine diverse, schillernde Persönlichkeit, bei der sich gerade unglaublich viel im Leben verändert. Deshalb der Titel: „Herr Glööckler sucht das Glück“. Gleichzeitig haben wir weiterhin den Anspruch, bekannte Marken weiterzuentwickeln. Mit der Dokusoap "Davina & Shania – We love Monaco" ist uns das bereits gut gelungen. Das Format über die Töchter der Geissens ist außerdem ein Beweis dafür, dass dieses Genre sowohl im linearen Programm als auch im Streaming sein Publikum findet – obwohl oder gerade weil die Protas auch in Social Media aktiv sind. Das gilt auch für Daniela Katzenberger, die schon Influencerin war, als man das noch gar nicht so nannte.
Wie dankbar sind Sie eigentlich den Geissens, dass sie RTLzwei davor bewahrt haben, eine Dokusoap mit Michael Wendler zu machen?
Kruber: Wir schätzen Carmens und Roberts langjähriges Vertrauen in RTLzwei und sind ihnen dankbar für den dauerhaften Erfolg.
Beyer: Robert Geiss hat ja in diesem Zusammenhang geäußert, dass es ihnen nicht darum ging, RTLzwei zu verlassen. Die Geissens wissen also, was sie an uns haben und wir wissen, was wir an den Geissens haben.
Darauf wollten wir nicht hinaus. Ihr Chef Andreas Bartl hat nach dem Vorfall angekündigt, die Wendler-Sache zu analysieren, damit so etwas nicht mehr vorkommt. Was hat diese Analyse ergeben?
Kruber: Andreas Bartl hat zu diesem Thema alles gesagt und das ist gut so.
Er hat eine kritische Analyse angekündigt. Nun wäre deren Ergebnis interessant.
Beyer: Das Ergebnis ist etwas, das uns intern betrifft. Die Lehren, die wir daraus ziehen, sind nicht unbedingt für die Öffentlichkeit interessant.
Dann müssen wir das so stehen lassen, bleiben aber trotzdem noch bei der Außenwirkung. RTLzwei will als sehr junger Sender wahrgenommen werden, hat aber ein Publikum, das im Durchschnitt 51 Jahre alt ist. Muss RTLzwei im linearen Programm reifer werden?
Kruber: Reifen ist eigentlich ein guter Prozess, wenn man das zum Beispiel auf Wein bezieht. Sehr jung sind wir eh nicht, das sind toggo oder Comedy Central. Tatsache ist: Die Gesellschaft wird älter, die Fernsehnutzung auch, und damit natürlich RTLzwei. Unser Ziel ist es in der Ansprache breiter, also auch älter zu werden, ohne die jungen Zielgruppen aufzugeben. Wir sind überzeugt, dass das mit dem richtigen Mix aus jungen, älteren und generationenübergreifenden Inhalten gelingen kann. Plus den relevanten Kanälen zu allen Zielgruppen, die nicht jeden Tag fernsehen oder gar kein TV-Gerät mehr haben. Diese Kanäle haben wir wie kein anderer Sender. Wir sind “young at heart!”
Beyer: Wir machen Programm für Leute jeden Alters, die sich jung fühlen. Wenn dann eine ganze Menge Über-50-Jähriger das auch toll findet – wunderbar! Die lehnen wir doch nicht ab, weil sie unser Durchschnittsalter statistisch nach oben ziehen.
Man kann uns nun wirklich nicht vorwerfen, untätig gewesen zu sein.
Konstanze Beyer über die Versuche, die Daytime zu stabilisieren
Kruber: Mit den Wollnys, den Geissens und natürlich „Davina & Shania“ funktioniert der Altersspagat schon wegen des Inhalts hervorragend und ganz unangestrengt. Aber auch "Glücksrad" und "Genial daneben" sind beides Formate, bei denen das überraschenderweise sehr gut funktioniert hat – auf einem Sender, der eigentlich nicht deren Heimat war. Das zeigt mir, dass es nicht falsch ist, alten Marken neues Leben einzuhauchen. Wir dürfen im Entertainment-Bereich allerdings nicht den Fehler begehen, Formate zu machen, die erkennbar eine Nummer zu groß für uns sind. Die riesige Shiny-Floor-Show wird es bei RTLzwei deshalb nicht geben.
Eine Lehre aus "Skate Fever"?
Kruber: "Skate Fever" war der Versuch, etwas Großes auf die Beine zu stellen. Das war inhaltlich wirklich in Ordnung, wurde vom Publikum aber nicht goutiert. Im Gegensatz dazu zeigt der Erfolg von "Genial daneben", dass es auch einem reifer besetzten Panel gelingen kann, das junge Publikum anzusprechen. Vielleicht passen "Genial daneben" und auch das "Glücksrad" deshalb so gut zu uns, weil beide Formate im besten Sinne bodenständige Unterhaltung sind und wir auch unser Publikum als bodenständig betrachten.
Einer Fortsetzung beider Formate steht daher vermutlich nichts im Wege, oder?
Kruber: Was Erfolg hat, wir fortgesetzt, klar. Nach den aktuellen Runs ziehen wir erstmal Bilanz. Denn obwohl wir die Shows klug modernisiert haben, ist es ja möglich, dass das Publikum primär aus Nostalgie ein paarmal einschaltet, aber nicht dauerhaft. Das ist die hohe Kunst, alte und neue Fans zu regelmäßigen Zuschauern zu machen. Bislang gab es keinerlei “Ermüdungserscheinungen”, da haben andere Neuauflagen deutlich größere Sorgen.
Wie sieht es mit neuen eigenen Showkonzepten aus?
Kruber: Wir haben das belgische Hit-Format „Finders Keepers“ eingekauft und bringen es als „Ein Haus voller Geld – Such dich reich!“ on air. Bei einer Familie werden 100.000 Euro versteckt. Sie hat dann eine halbe Stunde Zeit möglichst viele Scheine zu finden. Da gehen sie teils echt rabiat vor. Sehr lustig und auch wieder sehr bodenständig mit breiter Zielgruppenansprache. Moderator ist Oliver Pocher, der für noch mehr Humor sorgt. Generell möchte ich die Menschen einfach mehr zum Lachen bringen.
Klingt, als hätten Sie dann schon Kandidaten für die nächste Home-Makeover-Show. "Glücksrad" ist ja ursprünglich eine Show, die wie gemacht ist für den Vorabend. Da hat RTLzwei ja nachweislich einige Probleme. Wie wollen Sie diese angehen?
Beyer: Im Vorfeld unserer beiden Soaps haben wir wahnsinnig viel ausprobiert – in alle Richtungen. Man kann uns nun wirklich nicht vorwerfen, untätig gewesen zu sein. Unser Vorhaben für die nächste Zeit ist es den Nachmittag zu beruhigen, indem wir auf das setzen, von dem wir wissen, dass es das Publikum interessiert. Aus diesem Grund programmieren wir "Hartz und herzlich" schon seit einigen Wochen um 16 Uhr. Auf dem 17-Uhr-Sendeplatz haben wir gerade erst unsere Schrebergarten-Doku-Soap "Von Hecke zu Hecke" getestet. Das ist unser bester Neustart auf dem Slot seit 2018; in dem Jahr haben wir viel ausprobiert, unter anderem auch 'Krass Schule', was lange recht gut lief.
Kruber: Und seit dieser Woche läuft nun in einem nächsten Schritt die Reality-Soap "B:REAL", eine Symbiose aus Reality und einer in Teilen gescripteten Doku-Soap. Ein Thema sind die Partys von KDRS-Teilnehmerin Prinzessin Xenia von Sachsen in Berlin, wo sie und ihre Freundin Kader Loth sich regelmäßig mit jeder Menge Reality-Promis treffen. Unser Anspruch ist es nicht eine klassische Doku zu drehen, sondern das Publikum mit einer weiterentwickelten Form zu unterhalten, die aber in der Essenz wahrhaftig bleibt. Wir hoffen damit eine gute Rampe für unsere Soaps zu bauen.
"Köln 50667" hat gerade erst einen massiven Relaunch hinter sich und nicht wenige gehen davon aus, dass es sich dabei um die letzte Chance handelt. Wie zufrieden sind Sie bislang?
Kruber: Bei unseren beiden Soaps zeigen die Quoten in den zurückliegenden Wochen einen ziemlich konstanten Aufwärtstrend. Besonders gut performt zurzeit „Berlin – Tag & Nacht“. Das ist weiterhin ein Dauerbrenner – im Fernsehen wie im Streaming. Und auch bei "Köln 50667" scheinen die Fans nach dem Relaunch Ende März zurückzukommen. Wir sind hier gut beraten einen langen Atem zu bewahren.
Gilt das auch für die "Südklinik am Ring", die nach dem Sat.1-Aus der "Klinik am Südring" zu RTLzwei gewechselt ist?
Kruber: Die Herausforderung liegt darin, dass Fans das Format finden. Wir sehen sowohl bei uns als auch bei der Konkurrenz eine gute Entwicklung, wo das Format auch in Reruns immer noch gut funktioniert. Eine Entscheidung, ob es weitergehen wird, ist allerdings noch nicht gefallen.
Und bald kommen die jungen Trovatos?
Kruber: Warum nicht? Think big! Im Ernst: Wenn wir auf etablierte Formatierungen und Marken gehen wollen, streben wir eine positive Weiterentwicklung an. Wir wollen nicht unbedingt alles auf links drehen. Die Seele eines jeden Formats muss erhalten bleiben, aber das Format muss auch zum Sender passen.
Beyer: Damit sind wir wieder beim Menscheln. In das „Home of Reality“ sollen die Zuschauer gerne und mit einem guten Gefühl eintreten. Deshalb zeigen wir auch in den Sozialdokus nicht nur Probleme, sondern bemühen uns noch stärker um einen positiven „human touch“ und Humor. Das gehört zum Leben und die Protagonisten sind mir persönlich ans Herz gewachsen.
Frau Beyer, Herr Kruber, vielen Dank für das Gespräch.