Herr Marka, Herr Yesilkaya – Sie haben bereits sieben "Tatorte" zusammen gemacht.

Sebastian Marka: Ich glaube sogar acht, wobei wir beide auch welche ohne den anderen gemacht haben.

Waren das dann sozusagen teambildende Maßnahmen, um auch ein riesiges Mystery-Projekt wie "Der Greif" zu bewältigen?

Marka: Das kann man so sagen. Seither können wir alles miteinander machen – von der Großhochzeit über Krimifilme bis hin zur großen Fantasy-Serie.

Erol Yesilkaya: Wir haben ja sogar schon am Vorabend gemeinsam angefangen, mittlerweile unsere gemeinsame Produktionsfirma DogHaus gegründet und sind überhaupt sehr eingespielt aufeinander.

Marka: Wobei der "Tatort" sozusagen die Spielwiese war, auf der wir vieles, was jetzt auch im "Greif" so passiert, bereits ausprobiert haben: witzig, düster, skurril, gruselig, Thriller – alles dabei, alles nach unserem Geschmack.

Yesilkaya: Wir haben ohnehin einen sehr ähnlichen Geschmack, können einander die Sätze vervollständigen und streiten uns dennoch sehr selten, wofür es bei einer Produktion wie dieser echt genügend Anlässe gegeben hätte. Wir sind aber noch immer die besten Freunde. Alles super!

Alles super, weil Fantasy, was das Handwerk betrifft, am Ende die gleichen Schreib- und Drehprozesse erfordert, wie Krimi oder Komödie?

Marka: Es ist auf der einen Seite das Gleiche, weil man Schauspieler, Crew und acht Stunden Drehzeit hat.

Yesilkaya: Deshalb war der Genre-Wechsel auch organischer als der Format-Wechsel. Von Film zu Serie ist ein ganz schöner Sprung.

Marka: Aber auf der anderen Seite bringt das Fantasy Genre Elemente mit, wie teure Kulisse und jede Menge CGI, die viel größer und komplexer sind als beim "Tatort". Handwerklich haben uns gemeinsame Routinen also sehr geholfen. Das war schon ein anstrengender Ritt, an dem wir insgesamt fünf Jahre gearbeitet haben.

Pausenlos?

Marka: Erol hat parallel noch an einer weiteren Serie geschrieben und ich einen "Tatort" gedreht.

Yesilkaya: Aber sonst war "Der Greif" über diesen Zeitraum hinweg unser Hauptprojekt – was sich auch dadurch erklärt, dass unsere erste gemeinsame Liebe gar nicht "Tatort", sondern Hohlbein war.

Marka: Die meiste Aufmerksamkeit für tolle Storys kriegt man hierzulande definitiv für "Tatorte". Aber unsere Entscheidung, überhaupt Filme machen zu wollen, hing auch damit zusammen, früher die Bücher von Hohlbein gelesen zu haben. Deshalb haben wir ihn auch aktiv angesprochen. Ich habe hier einen 20 Jahre alten Brief liegen, wo ich ihn um die Rechte an seinem Stoff bitte.

Yesilkaya: Seither haben wir ihn regelrecht gestalkt.

Marka: Als ich Wolfgang unseren ersten gemeinsamen "Tatort" auf seinem Riesenfernseher gezeigt habe, meinte er [imitiert Hohlbeins Stimme] "ja, also eure Bilderwelten, schön düster, das ist mein Geschmack". Dann durften wir wiederkommen und haben uns mit jedem Film quasi nach oben zu ihm hochgearbeitet, bis er unserer neu gegründeten Produktionsfirma die Rechte gegeben hat, mit denen wir zu Quirin Berg gegangen sind.

Als Partner von Wiedemann & Berg verantwortlich für Serien wie "Dark" und "Der Pass".

Marka: Also der deutsche Produzent, der so ein großes Ding verantworten kann. Und genauso wie wir hat er mit 13 Jahren den "Greif" gelesen und deshalb sofort gesagt, er sei dabei.

Yesilkaya: Und auch Philipp Pratt, bei Prime Video für deutsche Originals zuständig, kam nicht rein und fragte, was wir da hätten, sondern: wo muss ich unterschreiben? Mit diesem Spirit sind wir da rein und haben nicht mehr zurückgeschaut. Zeig ihm mal das Bild, Sebastian.

Marka: [zeigt Handyfoto als Kind mit T-Shirt von "Der Greif"] Das bin ich an meinem elften Geburtstag mit diesem Geschenk an.

Was macht die epische Story zwischen realer und surrealer Welt über Ihre Kindheitserinnerungen hinaus denn verfilmbar? Anders als bei Büchern von Schätzing oder Fitzek ist die Visualisierung ja nicht schon in der Literatur geplant und verankert.

Yesilkaya: Absolut richtig. Wolfgang Hohlbein hat dieses Stilmittel intuitiver Erzählung mit Sätzen wie Mark – die Hauptfigur – wusste einfach, er müsse nach Norden gehen. Da denkt ein Drehbuchautor: Oh mein Gott, wie sollst du das adaptieren? Das wird aber durchs Kopfkino, das seine Ideen auslösen, locker ausgeglichen. Und für mich stellt sich natürlich auch die Frage: wenn alles im Roman bereits perfekt für eine Verfilmung vorformuliert wäre – warum sollte ich es dann adaptieren, wo bliebe da der eigene künstlerische Ausdruck?

Hat Ihnen Wolfgang Hohlbein den denn zugebilligt?

Yesilkaya: Hat er, es war großartig! Wir konnten unsere Aspekte des Romans in die Verfilmung einbringen.

Marka: Und anders wär’s auch nicht gegangen, unsere Empfindungen als Jugendliche in die Verfilmung als Erwachsene zu transportieren. Figuren wie der türkischstämmige Metalhead aus Erols Heimatstadt Krefeld, die wir zu Krefelden gemacht haben, sind Kombinationen unserer Jugend und macht den Roman erst verfilmbar, weil er in einer echten Welt spielt, zu der wir persönlich Bezüge haben, und zugleich in der parallelen Fantasy-Welt, die allein – wie in Hohlbeins Buch "Midgard" zum Beispiel oder US-Serien wie "The Witcher" – nicht funktionieren würde.

Haben Sie trotz dieser autobiografischen Perspektive auf den Greif dennoch das Publikum und dessen Sehgewohnheiten im Blick?

Yesilkaya: Da hat uns der "Tatort" geholfen, weil er zwar stark im Krimi-Realismus wurzelt, aber meist Genre bleibt. Wenn du das nicht selbst in Geister-"Tatorten", die wir auch gemacht haben, ausreichend im Mainstream der Wirklichkeit erdest, funktioniert es nicht. Und da helfen persönliche Erfahrungen mit dem Stoff ungemein.

Marka: Deshalb sind wir ja auch nicht Regisseur und Autor allein, sondern das Publikum.

Yesilkaya: Also auch Amazon-Prime-Abonnenten.

Marka: Wir haben ständig im Hinterkopf, die Zuschauer nicht nur dramaturgisch, sondern auch emotional mitzunehmen. Da hilft es übrigens enorm, dass wir nicht nur gegenseitig unsere größten Fans, sondern auch die größten Kritiker sind.

Yesilkaya: Die Formel, wie man erfolgreich für sich und das Publikum Filme macht, ist noch immer nicht geknackt. Wäre das der Fall, würden alle nur noch danach drehen.

Gibt es unabhängig von dieser Formel so etwas wie Lehrsätze, nach denen man Fantasy verfilmen sollte – oder auch nicht?

Yesilkaya: Ernstnehmen, wie ein Arthaus-Drama behandeln, dabei so echt bleiben wir möglich, also keinen Trends folgen – dann werden die Leute spüren, dass du ein Überzeugungstäter bist.

Marka: Gerade weil Fantasy teuer ist und mehr Vorbereitung erfordert, darf man nicht zulassen, dass es die anderen Elemente, wie Comedy und Drama zu stark überlagert.

Normalerweise müsste man bei einem so teuren Produkt hinzufügen: Und unbedingt auf Englisch drehen. Warum haben sie sich für Deutsch entschieden?

Marka: Weil Amazon Prime Deutschland dafür da ist, deutschen Content zu produzieren, der weltweit funktioniert. Vor 20 Jahren hätte man es dennoch auf Englisch machen müssen, aber dank international erfolgreicher Formate wie „Dark“, schaffen es deutsche Serien mittlerweile selbst in die USA.

Yesilkaya: Heute würde man deshalb auch „Die unendliche Geschichte“ auf Deutsch drehen, damals ging das nicht.

Marka: Es ist einer der Nebeneffekte des Streaming-Zeitalters, das Publikum weltweit an untertitelte oder synchronisierte Serien zu gewöhnen.

Hat "Der Greif" womöglich sogar eine deutsche Ton- und Bildsprache, die als solche im Ausland wahrgenommen, gar geschätzt wird?

Marka: Bei "Dark" war es der dunkle Wald, sehr deutscher Mythos, bei uns – hoffe ich – die Mischung aus deutscher Architektur und deutschen Neunzigern mit einer präzisen, ökonomischen Erzählsprache, die aus Gründen geringerer Budgets international fast schon ein deutsches Qualitätskriterium ist. CGI zum Beispiel einzusetzen, wo es sinnvoll ist, nicht nur der Computereffekte willen.

Yesilkaya: Wir haben deshalb sogar mal darüber gesprochen, auf Film zu drehen, um diesen digitalen Bonbonlook zu vermeiden, den heutzutage fast jede Serie hat. Das leicht Körnige macht es echter – und passt perfekt zu Hohlbein.

Haben Sie von dem bereits das nächste Buch in petto?

Yesilkaya: Wenn "Der Greif" erfolgreich wird, wird es auch mehr Hohlbein von uns geben.

Marka: Dafür haben wir gesorgt.