Herr Steffens, was genau ist ein Abenteurer?
Ein Abenteurer ist jemand, der aus persönlichem Interesse und Leidenschaft Reisen unternimmt, von denen er oder sie nicht weiß, wie sie enden.
Macht Sie das zu einem?
Eher zum Dokumentarfilmer, der jeden Drehtag bestmöglich durchplant. Aber es liegt zum Glück im Wesen unserer Arbeit, unvermeidbar ins Unvorhersehbare zu schlittern. Tauchgänge mit Haien oder Gletscherbesteigungen können Sie noch so präzise vorbereiten; irgendwann wird man dabei zum Abenteurer wider Willen.
Hat RTL diese Einschränkung also nur vergessen, wenn es Sie in der "Geo-Show" als Wissenschaftler und Abenteurer ankündigt?
(lacht) Ach, das ist bei der Ankündigung eines Berufsreisenden wie mir schon okay.
Kippt übers Sprachliche hinaus noch mehr, wenn Sie nach jahrzehntelanger Arbeit fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen nun ins Private wechseln?
Ja, denn ob Sie’s glauben oder nicht: Wir sind wissenschaftlicher, schlagen aber zumindest in den Dokus ab Herbst dramaturgisch publikumswirksamere Bögen, stellen uns also die Frage, warum Menschen sich überhaupt für einen Vulkan am anderen Ende der Welt interessieren sollen, wenn sie vorher acht Stunden lang gearbeitet haben und sich eigentlich, so wie ich es ja auch gern mache, nur noch mit Bierchen auf dem Sofa entspannen wollen.
Und die Antwort?
Suchen wir durch andere Herangehensweisen als im Wissenschaftsformat am Sonntagabend. Aber wissen Sie, ich bin mit "Geo" aufgewachsen, und der Heft-Claim „die Welt mit anderen Augen sehen“ beschreibt präzise unsere Haltung: Vorgefertigte Meinungen muss ein Wissenschaftsjournalist auf jeder Reise hinterfragen, sich also im positiven Sinn selbst ständig verunsichern. Um Neues zu lernen.
Zurück zu RTL…
Da beginnen wir das "Geo"-Abenteuer mit einer Show, um "Geo" beim Publikum populär zu machen, was sehr wichtig ist. Wenn man die großen Probleme der Menschheit wie Artensterben und Klimawandel lösen will, darf man in Demokratien nämlich nicht nur mit der Minderheit ohnehin sensibilisierter „Terra X“-Zuschauer um die 65 kommunizieren, sondern muss die Mehrheit erreichen, den Durchschnitt, und beides repräsentiert RTL. Durch die – zugegeben holprige – Fusion von RTL mit Gruner + Jahr, sind für mich jetzt ein paar Dinge möglich, die zuvor unmöglich waren.
Dinge inhaltlicher Natur?
Zunächst mal publizistischer. Das größte Medienhaus Europas ist ein 360-Grad-Unternehmen, das "Geo"-Themen, also auch meine, breit in die weite Welt trägt. Ich kann unsere Arbeit über alle Medien verbreiten. Dazu gehören mehrere TV-Sender, der Streamingdienst RTL+ inklusive Podcast-Plattform, dazu Beteiligungen an ein paar Dutzend Radiosendern, die Zeitschriften, nicht zu vergessen den weltgrößten Buchverlag Penguin Random House, mit dem wir innerhalb des Bertelsmann-Konzerns zusammenarbeiten, da erscheinen ja auch meine Bücher. Und natürlich "Geo" selbst, immer noch das führende Wissensmagazin in Deutschland.
Wuchtige Werbung, die ich Ihnen sogar abkaufe. Aber kann man dann sagen, sie sind aktuell der einzige Journalist bei RTL formerly known as Gruner + Jahr, der wirklich von dieser umstrittenen Übernahme profitiert?
Ob ich der Einzige bin, der davon profitiert, weiß ich jetzt nicht… Aber falls ja, möchte ich es nicht bleiben. So eine Fusion ist hochkomplex, da klappt naturgemäß nicht alles auf Anhieb. Hoffentlich wird "Geo" der Showcase für die gelungene Fusion, und wir können "Geo" als neue Marke unterm RTL-Dach etablieren, ohne die inhaltliche DNA zu verlieren. Das ist bei allem Risiko für beide Seiten sehr spannend.
Und der Klima- und Artenschutzzweck heiligt dabei so die Mittel, dass Ihre GEO-Show ständig auf Tränendrüsen drücken und Saalapplaus fordern darf?
Religiös formuliert: Wer nur in der eigenen Kirche predigt, wird die Gemeinde nie erweitern. Deshalb musste ich vom Hügel der Erkenntnis runter, auf dem ich mich noch zwei Jahrzehnte gemütlich von der Abendsonne meiner öffentlich-rechtlichen Karriere hätte bescheinen lassen können. Falls es schiefgeht, kriege ich für diesen Abschied aus der Komfortzone sicher Häme, aber um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: RTL ist eben echtes Abenteuer. Mit ungewissem Ausgang. Und genau deshalb so spannend.
Häme könnte es auch im Erfolgsfall geben, sofern man Ihnen Greenwashing unterstellt, ausgerechnet beim langjährigen Formel-1-Sender RTL, dem eine gute Quote im Zweifel lieber ist als das Klima, für Umweltschutz zu unterhalten.
Dessen bin ich mir schon deshalb bewusst, weil ich als RTL-Moderator nicht nur nach außen wirken soll, sondern als Nachhaltigkeitsbotschafter auch nach innen. Bertelsmann hatte sich vorher schon halbwegs ambitionierte Klimaziele verordnet, die aber im Gesamtkonzern noch nicht überall angekommen sind. RTL ist eben in alle Richtungen ein Spiegel der Gesellschaft. Meine Herausforderung ist da, Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber mit den Widersprüchen, mit denen RTL als langjähriger Formel-1-Sender zu kämpfen hatte, kämpfe ich auf andere Art auch in meinem Leben. So wie wohl jeder Mensch.
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen?
Kein perfektes. Ich war gestern auf einem Maifest, und was habe ich gegessen? Ne Bratwurst! Mache ich ab und zu gern, dürfte es streng ökologisch gesehen aber nicht, wenn sie nicht bio ist. Da weiß ich es zu schätzen, was RTL versucht. Der Laden ist genauso menschlich und widersprüchlich wie das echte Leben. Diese inneren Konflikte sind keine Schwäche, sie machen stark. Es ist natürlich bequemer, sich gegenseitig in derselben Filterblase zu applaudieren, das führt aber zu nix.
Und was führt zu was?
Wenn wir uns fragen, was in der Handwerkerin oder dem Vater auf dem Weg zum Kindergarten vorgeht, wenn er oder sie vor Klimaklebern im Stau steht.
Das Merkel-Mantra, alle mitnehmen zu müssen?
Man kann demokratische Gesellschaften nicht ohne Mehrheiten verändern. Die finde ich bei RTL und bin darüber hinaus in der Lage, durchs 360-Grad-Projekt innerhalb von vier Wochen theoretisch 99 Prozent der Deutschen zu erreichen, also alle.
Und praktisch?
Wird das nie so sein, ich bin ja nicht doof. Aber wir erreichen bei RTL mehr von denen, die hart – oder auch gar nicht – arbeiten, aber dabei nie reich werden, und können ihnen erklären: Oberhalb deiner Probleme gibt es etwas Übergeordnetes wie Arten- oder Klimaschutz. Und wenn wir beides nicht in den Griff kriegen, Deine alltäglichen und unser aller übergeordnete Probleme, dann ist alles andere bald auch egal, also lass uns reden. Aber nicht ideologisch.
Wie ideologisch ließe sich bei mindestens 120 bereisten Ländern Ihr ökologischer Fußabdruck beurteilen?
Wenn ich das nicht selbstkritisch sähe, wäre ich unseriös. Wir kompensieren die Vielfliegerei daher im Rahmen des Möglichen. Ich muss für meinen Beruf reisen, so wie jemand, der fürs Außenministerium arbeitet, für eine Hilfsorganisation, eine große Firma oder Klimaforschung betreibt. Der Vorwurf, Wasser zu predigen und Wein zu trinken, kommt ja auch meist aus der Ecke, in der auch Klimawandelleugner sich tummeln, die wollen Menschen auf persönlicher Ebene jenseits der sachlichen desavouieren, weil sie keine Argumente haben. Wer es Verrat nennt, wenn Leute ins Ausland fahren, um aus dem Ausland zu berichten, ist weltfremd oder Populist. Auf der wissenschaftlichen Ebene: Die Naturschutzgebiete der Erde haben acht Milliarden Gäste jährlich. Was glauben Sie, würde damit passieren, wenn keiner hinreist?
Nichts Nachhaltiges, nehme ich mal an…
Genau. In der Corona-Krise konnte das Phänomen, was passiert, wenn der Flugverkehr eingestellt wird, erstmals konkret gemessen werden. In Afrika zum Beispiel ist die Wilderei seither schlimmer denn je. In Südamerika gilt Ähnliches für die Abholzung der Wälder. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige weltweit. Und weil die Menschen sich beim Reisen lieber intakte als zerstörte Landschaften ansehen, hat der Fremdenverkehr ein intrinsisches Interesse daran, sie zu schützen. Natürlich ist auch Tourismus oft von Profitgier getrieben und betreibt Greenwashing. Aber auf lange Sicht bleibt er ein wichtiger Hebel des Umwelt- und Klimaschutzes. Pauschal Flüge zu verbieten, wird der Komplexität der Zusammenhänge da schlicht nicht gerecht.
Was war eigentlich für Ihre Karriere als umweltbewegter Wissenschaftsjournalist ausschlaggebender – Fernweh, Tierliebe, Ökologie?
Zwei Dinge, an denen Sie sehen, was ich für’n alter Knacker ich bin: Ich habe als Sechsjähriger noch auf dem Schwarzweißfernseher ferngesehen, Jüngere kennen das ja gar nicht mehr. Bei Sendungen von Bernhard Grzimek habe ich dann beschlossen, Tierfilmer zu werden, und bin darüber vielleicht ein bisschen nerdig geworden. Zweite Motivation: Ich bin in den Siebzigern in einem Dorf der norddeutschen Tiefebene aufgewachsen, aus dem ich nur wegwollte. Je weiter weg, desto besser. Das war mein Antrieb.
Wie RTL ihn bei „DSDS“ formulieren würde: Sie leben Ihren Traum!
Ich habe den schönsten Beruf der Welt, und ja – er macht mich jeden Tag glücklich.
Aber ist er nicht ein Albtraum, darin jeden Tag zu erleben, wie unsere Zivilisation gegen die Wand fährt und alle machen einfach weiter wie immer?
Ja, zumal ich diesen Job vor 30 Jahren als junger Mann begonnen habe, der einfach mit Kumpels um die Welt fahren und Naturfilme drehen wollte. Mein erster Tauchgang durchs Great Barrier Reef war ‘ne Glücks-Party in einer Welt von solcher Schönheit, dass ich zwei Nächte nicht schlafen konnte. Seither war ich ein halbes Dutzendmal dort und die Zerstörung wurde immer schlimmer. Also Schluss mit Schönfärberei, habe ich mir gesagt, und begonnen, auch über Naturzerstörung zu berichten. Dieser Lernprozess ist bis heute frustend, denn wir haben kein Erkenntnis-, sondern nur ein Handlungsproblem. Das macht einen manchmal schon irre.
Nur irre oder auch mutlos?
Dafür zitiere ich gern einen Satz von Karl Popper, den wir zum Motto unseres "Geo"-Projektes gemacht haben: Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative. Ohne Hoffnung auf den Sieg braucht auch ein Fußballer gar nicht erst anzutreten, dann ist er chancenlos. Was die Natur und damit unsere Zukunft betrifft: Sieht nicht gut aus im Moment, zugegeben. Klimakrise und Artensterben sind mächtige Gegner, aber Homo sapiens darf man nie unterschätzen. Das Spiel ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.
Herr Steffens, vielen Dank für das Gespräch.
"Die große Geo-Show - In 55 Fragen um die Welt", Samstag um 20:15 Uhr, RTL