Frau Winger, nach "Deutschland 83/86/89" und "Unorthodox" beschäftigt sich auch "Transatlantic" mit Ihrer deutschen Wahlheimat, wenngleich Jahrzehnte früher. Warum dieser Sprung in eine Zeit so lange vor Ihrem Umzug nach Berlin?

Stimmt, jetzt wo Sie es sagen… Wobei ich auch 1986 nicht in Berlin war, mir mein Wissen darüber also mit harter Recherche erarbeiten musste. Über Musik und Popkultur hatte ich zwar einen Bezug zum Deutschland jener Jahre, aber nie über die Folgen des Kalten Krieges für Berlin nachgedacht, bevor ich dort hingezogen bin. Von daher war "Deutschland 83" anders als "Unorthodox", das im Berlin meiner Zeit hier spielt, eher ein zeitgenössisches Kostümdrama als irgendwie biografisch.

Was haben die Formate dennoch gemeinsam?

Meine Geschichten entstehen immer aus Neugierde, sind häufig Fish-out-of-water-Stories und führen sie auf unterschiedliche Art aus der Dunkelheit ins Licht. Trotzdem wollte ich eigentlich nie etwas über Zweiten Weltkrieg oder Nationalsozialismus machen und war nach all den Angeboten, die ich dazu abgelehnt hatte, selbst überrascht, dieses hier angenommen zu haben.

Was hat Sie dennoch überzeugt?

Vor allem, was mein Vater mir darüber mal erzählt hatte, als wir gemeinsam über den Potsdamer Platz gegangen sind und ihm dort die Varian-Fry-Straße auffiel.

Benannt nach einer Hauptfigur, die mit Mary Jane Gold das Emergency Rescue Committee zur Rettung europäischer Juden betrieben hatte.

Den kannte er zwar nicht persönlich, dafür zwei andere Seriencharaktere, die fürs ERC gearbeitet hatten. Mit Lisa Fittko protestierte er in den Sechzigern gegen den Vietnamkrieg, mit Albert Hirschman lehrte er in den Siebzigern in Harvard. Als mein Vater mir davon 2012 erzählte, war ich schon deshalb so fasziniert von der Geschichte, weil der Einfluss jüdischer Intellektueller auf mein akademisch geprägtes Elternhaus in Cambridge, Massachusetts, wo ich aufgewachsen bin, so enorm war.

So gesehen kam "Transatlantic" für Sie sogar vor "Deutschland 83".

Ja. In meiner Kindheit und später in New York, hatten so viele im Umfeld meiner Eltern deutschen Akzent, dass ich deren Immigrationsgeschichte fühlen konnte. Genau darüber hatte ich wieder nachgedacht, als die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge zu Tausenden nach Berlin kamen. Am Ende war das aber nicht der Hauptgrund, "Transatlantic" zu machen.

Details zur Serie

  • Eine internationale Gruppe junger Heldinnen und Helden riskiert im Marseille der Jahre 1940/41 ihr Leben, um mehr als zweitausend Geflüchtete aus dem besetzten Frankreich zu retten – darunter viele Literatur- und Kunstschaffende, die im Nationalsozialismus auf der Liste der meistgesuchten Personen stehen. "Transatlantic" ist inspiriert von der wahren Geschichte über Varian Fry, Mary Jayne Gold und der Hilfsorganisation "Emergency Rescue Committee".

Sondern?

Dass uns Gemeinschaft, Kreativität und Lebensmut oder Liebe, Sex und Freundschaft dieser Erzählung daran erinnern, wie viel Licht selbst in tiefster Dunkelheit steckt. Dabei fasziniert mich besonders, dass Leute verschiedenster Herkunft, Klassen, Hintergründe und Ansichten, die sich ansonsten wohl nie getroffen hätten, eine Art magischer Gemeinschaft bilden. Neben Deutschland waren 1940 ja auch Italien, Nordfrankreich, Spanien faschistisch, England wurde bombardiert, Amerika war neutral – selten zuvor war eine Zeit dunkler als diese.

Umso mehr handelt "Transatlantic" abseits all jener, die sich und anderen geholfen haben, von denen, die es wie die USA nicht getan haben, den untätigen Ignoranten also.

Sie machen dunkle Zeiten noch dunkler: Menschen und Bürokraten verbrecherischer Systeme und ihrer Nachbarn, die ihrem Alltag nachgehen und den menschlichen Preis ignorieren. Wobei Marseille eine Sonderrolle spielt. Unabhängig vom Pétain-Regime im Norden, gab es dort einerseits Kollaborateure, andererseits Anfänge der Résistance und mittendrin diese Intimität des ERC. Aus Sicht einer Autorin war das alles sehr interessant.

Ist es am Ende diese Intimität im Umfeld herzloser Zerstörungswut, die "Transatlantic" von der Vielzahl anderer Fiktionen zwischen Shoah und Weltkrieg unterscheidet?

Und die Feier des Lebens in schrecklicher Zeit. Beides hat mich damit verbunden, obwohl es im Kern tieftraurig bleibt. Ich habe mich oft gefragt, wie ich empfunden hätte, wenn mein Umzug aus den USA nach Berlin 2002 eine Flucht gewesen wäre, und habe mich da an Filme meiner Kindheit erinnert, die vielfach von jüdischen Emigranten stammten.

Die haben einfach weitergemacht.

Und ihre Traumata mit Humor, Liebe, Kunst in einer großen deutsch-jüdischen Exilgemeinde aufgearbeitet. Die halbe Crew von "Casablanca" bestand aus Flüchtlingen. Billy Wilder und Ernst Lubitsch waren deshalb als Künstler und Menschen unglaublich inspirierend für mich.

Würden Sie "Transatlantic" als deutsche oder internationale Produktion bezeichnen?

Deutsch. Unbedingt.

Glauben Sie, dass sie besonders in den USA auch als deutsche Produktion wahrgenommen wird oder doch eher, schon wegen der Sprache, der Organisation ERC und einiger Darsteller:innen, als internationale?

Macht das einen Unterschied?

Transatlantic © Anika Molnar / Netflix Der Hauptcast von "Transatlantic"

Insofern, als deutsches Kino und Fernsehen in den USA nur dann wahrgenommen wird, wenn es sich mit Krieg und Tyrannei beschäftigt – wie man an vier Oscars für "Im Westen nichts Neues" sieht.

Das sehe ich komplett anders. Zum einen gibt es in den USA selbst unglaublich viele Produktionen, die mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben. Zum anderen sind mittlerweile auch aus Deutschland Projekte erfolgreich, die damit gar nichts zu tun haben.

Mir fiele da nur "Dark" ein und dann wieder die beiden Historien-Serien "Babylon Berlin" oder "Deutschland 83".

Trotzdem sind Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg nicht immer deutsche Themen und deutsche Themen nicht immer Zweiter Weltkrieg oder Kalter Krieg. Und hier geht es auch nicht um Deutsche und Flüchtlinge oder Opfer und Täter, sondern um gewöhnliche Menschen, die ungewöhnliche Dinge machen. Ich glaube, wir sind uns einig, hier uneinig zu bleiben.

Okay, aber?

Am wichtigsten ist mir, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die meine Vision teilen. Deshalb sind es auch immer wieder dieselben Leute, etwa die deutsche Bühnenbildnerin Silke Fischer, der Kameramann Wolfgang Thaler aus Österreich oder die Kostümbildnerin Justine Seymore aus England. Auch, wenn diese Show am Ende eine deutsche Produktion ist, schlägt sie demnach Brücken und ist auf organische Weise international.

Als wir 2015 anlässlich von "Deutschland 83" übers Fernsehen geredet haben, meinten Sie, in den USA wüsste niemand, was das abseits einiger Witze in "30 Rock" zu "Wetten, dass…?" eigentlich sei.

Und nicht nur darüber (lacht). Tina Fey ist halb Deutsche, deshalb hat sie ständig Witze über Deutschland gemacht…

Hat sich an dem Bild durch deutsche Produktionen, die über Streamingdienste ein weltweites Publikum finden, etwas geändert?

Definitiv. Weil das alte Bild von Deutschland altmodisch, also überholt war und sich die Welt seither geändert hat, und zwar radikal. Es wird zusehends unwichtiger, wo etwas entsteht, solange es gut ist. Früher haben Amerikaner fast nichts Ausländisches gesehen. Punkt. Jetzt haben sich Fenster in alle Länder geöffnet – auch das nach Deutschland. Ich finde wirklich nicht alles von hier gut, aber es gibt viele Produktionen, die ich liebe.

Zum Beispiel?

"Miss Merkel" bei RTL, eine Comedy über die Bundeskanzlerin als Hobbydetektivin.

Ich habe darüber bei DWDL geschrieben.

So unglaublich! Jeder in den USA würde es lieben, weil die meisten Angela Merkel lieben.

Als Anker der Stabilität in einer instabilen Welt?

Vielleicht. Aber auch, weil sie ein so einzigartiger Charakter ist, dass man ihr auch abkauft, nach der Pensionierung Kriminalfälle in der Uckermark zu lösen.

Weckt das Ihr Interesse, eine Historienserie übers Leben Angela Merkels zu machen?

Nein, zumindest vorerst nicht. Wobei ich durchaus Fantasien in andere Richtungen als bisher habe, Real Crime zum Beispiel oder Comedy. Auch in "Transatlantic" steckt Humor. Meine Serien sind immer ein Genremix.

Welche wird ihre nächste?

Ich arbeite unter Hochdruck daran, kann aber noch nicht verraten, worum es darin geht.

Wenigstens Zeit und Ort?

Es spielt in der Gegenwart Großbritanniens.

Müssen Sie dafür wie bei "Transatlantic" und der Geschichte Ihres Vaters eine persönliche Verbundenheit zum Stoff spüren?

Über der Oberfläche nicht, sonst hätte ich "Deutschland 83" nie machen können. Unter der Oberfläche fühle ich mich mit all meinen Charakteren verbunden. Wer über die Vergangenheit schreibt, schreibt immer über die Gegenwart. Und wer über andere Menschen schreibt, schreibt immer auch ein bisschen über sich selbst.

Frau Winger, vielen Dank für das Gespräch.

Alle Folgen von "Transatlantic" stehen ab dem 7. April bei Netflix zum Abruf bereit.