Herr Bartl, Sie haben gerade 60. Geburtstag gefeiert, RTLzwei wird nächste Woche 30 Jahre alt. Wer hat sich besser gehalten?

(lacht) Was mich angeht, müssen das andere beurteilen. Ich denke aber mal, dass RTLzwei sich besser gehalten hat. Mir macht das Spiel auf jeden Fall immer noch große Freude. Senderchef zu sein ist eine tolle Aufgabe, die ich über 20 Jahre an diversen Orten übernehmen durfte. Durch die stetige Veränderung des Wettbewerbs und ständig neue Talente bleibt das immer spannend: Programme zu planen und zu produzieren, dann der Nervenkitzel am Morgen nach der Ausstrahlung, ob das so aufgegangen ist, wie man es sich gedacht hat! Und das bei einem Sender, der dank seiner Positionierung gleichsam verpflichtet ist, jung und innovativ zu sein – nicht mit jedem Format, aber in der Gesamtheit.

Es ist natürlich kurios: Der älteste Senderchef verantwortet das jüngste Vollprogramm im deutschen Fernsehen…

Wenn ich hier alles Inhaltliche allein entscheiden oder darauf bestehen würde, immer Recht zu haben, wäre das tatsächlich seltsam und paradox, aber wir sind bei RTLzwei ein gut besetztes Team aus vielen kreativen Menschen. Denen will ich mit meiner gesammelten Erfahrung die nötige Rückendeckung geben, damit in einem kreativen Klima die Lust auf das Ausprobieren immer größer bleibt als Ängste und Bedenken. Natürlich weiß ich aber auch, dass alles seine Zeit hat und ich nicht ewig Senderchef bei RTLzwei sein werde.

Aber Sie denken nicht an Abschied, oder?

Nein, ich freue mich, wenn ich das noch eine Weile machen kann, bestimme das aber natürlich nicht selbst. 

Gab es Entscheidungen, bei denen Sie gerade durch die gesammelten Erfahrungen dann doch falsch lagen bei RTLzwei? 

Bevor ich zu RTLzwei kam, hatte ich das Vergnügen – ein bisschen war es auch Schicksal – mit Kabel Eins, ProSieben und Sat.1 schon drei andere Sender geführt zu haben. Bei meiner Ankunft in Grünwald zeigte sich wieder: Es dauert, bis man eine Marke verinnerlicht hat. Wenn Sie mich fragen, ob wir etwas falsch gemacht haben, dann war das ganz zu Beginn die Idee, RTLzwei breiter aufzustellen, mit fiktionalen Eigenproduktionen und klassischem Entertainment. Dabei war RTLzwei schon klar fokussiert auf Reality – mit Ausnahme von herausragenden Lizenzserien wie „Game of Thrones“ und „The Walking Dead“. Wir sahen damals die Gefahr einer zu großen Reality-Monokultur. Der sich verändernde Wettbewerb hat uns dann aber gelehrt, dass die Spezialisierung auf eine unverwechselbare Positionierung als Realitysender Nr.1 wichtiger ist als Breite. 

Aber gerade vergangenes Jahr kam doch erneut der Gedanke auf, mit klassischem Studio Entertainment in die Breite zu gehen. Stichwort „Glücksrad“ und „Genial daneben“. Wie passt das jetzt rein?

Wir können das Fernsehen heute nicht mit dem vor zehn Jahren vergleichen. Die TV-Nutzung ist deutlich rückläufig. Die Migration zum Streaming ist die große Bewegung im Markt, mit der sich alle konfrontiert sehen. Die Sender mit jüngerem Publikum sind davon jedoch weitaus mehr betroffen. Wir haben uns also die Positionierungsfrage gestellt. 

Mit welchem Ergebnis?

Wir wollen weiterhin das junge und innovative Element behalten, aber es muss uns mit RTLzwei auch gelingen, die älteren Zielgruppen zu erschließen, die dem TV treuer sind. Da war „Glücksrad“ tatsächlich ein erster Erfolg und wir freuen uns ebenso, „Genial daneben“ im Programm zu haben. Beides passt auch zum aktuellen Retro-Trend. RTLzwei wird älter, aber wir werden das gut aussteuern mit punktuellen Ansätzen. Das ist natürlich ein Spagat, bei dem es uns hilft, dass unsere jüngsten Formate digital und on demand bei RTL+ sehr erfolgreich sind. Konkret gehören „Kampf der Realitystars“, „Love Island“ aber auch „Köln 50667“ und „Berlin - Tag & Nacht“ im Streaming bei RTL+ laut AGF zu den meistgefragten TV-Formaten. Das ist für uns sehr lukrativ. 

Wie lukrativ?

Wir haben ein performance-basiertes Abrechnungsmodell mit RTL Deutschland vereinbart. Da ein nicht ganz unerheblicher Anteil der Nutzung von RTL+ auf Formate von RTLzwei entfällt, ist dieser Umsatzanteil sehr attraktiv. Das ist ein wesentlicher Beitrag zu unserem Geschäftsergebnis, im Vergleich zu den Erlösen im linearen Programm aber der kleinere Prozentsatz. Diese Herausforderungen im Werbemarkt spüren gerade alle: Die Nutzung wandert zu On Demand, aber die Monetarisierung noch nicht gleichermaßen. Diesen Übergangszustand der digitalen Transformation gilt es zu überstehen.

Als Sie 2006 ProSieben-Geschäftsführer wurden, hatte ProSiebenSat.1 gerade Maxdome gestartet um eine Antwort auf die „digitale Transformation“ zu geben. Und fast 17 Jahre später sind wir immer noch nicht viel weiter? Die Branche wirkt manchmal so, als wenn das Internet gestern erst erfunden wurde…

(lacht) Wir sind weit vorangekommen im Vergleich zu den frühen Maxdome-Zeiten. Die Nutzung von Streamingdiensten ist keine Ausnahme mehr. Was noch hängt, ist allein die Monetarisierung. Der Wettbewerb im Digitalen ist intensiver und es lassen sich nicht immer vergleichbare Preise erzielen – Stichwort Bewegtbildwährung. Was mich aber sehr positiv stimmt: Nach zehn Jahren, in denen die Refinanzierung durch Abonnements als das non plus ultra galt, entdecken alle derzeit die Werbung für sich. Hier sind wir mit dem hybriden RTL+-Modell und der Erfahrung von El Cartel gut positioniert. Aber sie haben schon Recht: Diese digitale Transformation ist weitaus mühsamer als wir alle dachten. Wenn sie sich rechnen soll. 

 

"So lokal wie wir ist das Silicon Valley nicht."

 

Stichwort Refinanzierung: Wie ist RTLzwei bzw. El Cartel denn ins Werbejahr 2023 gestartet?

Da geht es uns nicht viel anders als dem Wettbewerb. Wir befinden uns noch immer in einer Krise, die zum Teil mehr psychologisch als real ist. Bis sich die Entspannung gewisser Faktoren bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern durchschlägt, dauert es leider noch etwas. Der Start ins Jahr verlief bislang verhalten. Das haben wir aber in den Planungen berücksichtigt und wurden deshalb nicht kalt erwischt. Wir gehen davon aus, dass sich die Situation im zweiten Halbjahr bessern wird und bauen auf eine Renaissance, wie sie nach der Entspannung der Corona-Pandemie zu erleben war. Auch damals hat sich gezeigt, wie unverändert relevant TV-Werbung ist, um schnell Reichweiten zu erreichen. 

Jetzt entdeckt Streaming immer häufiger aber genau das Genre mit dem sich RTLzwei von HighEnd-Fiction der Streamer absetzen wollte: Reality. Wird Ihnen das gefährlich?

Einfacher wurde es noch nie, aber ich glaube nicht, dass die Streamingdienste das Genre jemals in der Breite bedienen werden wie wir. Es macht für sie strategisch weniger Sinn. Das sind einzelne Formate, die auch noch international funktionieren müssen. Wir merken ja gerade generell, dass es unrealistisch war zu glauben, die großen internationalen Streamingdienste würden endlos weiter wachsen. Unser Fokus ist der deutsche Markt, den wir besser kennen. Für ihn allein produzieren wir und das in einem viel größeren Umfang als die Streamer. Unser Produktionsvolumen ist mit dem der größeren Sender vergleichbar, weil wir komplett auf Eigenproduktionen setzen – mit Ausnahme der Spielfilme am Wochenende. So lokal wie wir ist das Silicon Valley nicht. 

Ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei ProSiebenSat.1 entdecken gerade die Liebe zu Hollywood neu. Ist die Renaissance von eingekauftem US-Programm die nächste Welle?

In der 30-jährigen Geschichte des Senders hatte RTLzwei immer wieder ein Händchen darin, sich Programmversorgung durch Innovation zu sichern. Wir haben Animes in Deutschland groß gemacht, hatten vor anderen Sitcoms im Programm und haben als erster Sender Bollywood zur Primetime gezeigt. Und die größten Kultserien waren bei RTLzwei zuhause: „24“, „Stargate“, „Dexter“, „True Blood“, „Game of Thrones“, „The Walking Dead“. Der Retro-Trend schwappt jetzt von den Shows auch auf ein Wiedersehen mit geliebten Serienhelden über. Gerade um die etwas älteren Zuschauerinnen und Zuschauer zu erreichen, kann ich mir vorstellen, punktuell wieder so etwas on air zu nehmen. Mal schauen, denn die Rechte sind oftmals vergeben.

Wo liegen jetzt die Prioritäten für das neue Programm-Duo Malte Kruber und Konstanze Beyer? Ist es der Vorabend?

„Berlin - Tag & Nacht“ und „Köln 50667“ waren über Jahre unsere Lokomotiven am Vorabend, die den Marktanteil in der Prime nach oben getrieben haben. Zuletzt haben sie leider stark verloren. Das ist sicher die größte Herausforderung. Wir hatten zwischenzeitlich mal gedacht, das Problem sei gelöst, als „Krass Schule“ erfolgreich lief – als quasi dritte Daily Soap. Aber dann kam die Corona-Pandemie, eine Produktionspause, und danach sind wir da nicht mehr in die Spur gekommen. Mit Filmpool haben wir uns auf einen inhaltlichen Relaunch von „Köln 50667“ verständigt, um diesen Spagat zwischen digitalem Erfolg und denen, die linear schauen, besser zu meistern. Generell müssen wir den Vorabend schon ab 16 Uhr neu stabilisieren. Da haben wir schon viel probiert und nicht furchtbar viel hat funktioniert. Um 18 und 19 Uhr geben wir Filmpool noch eine Chance. Natürlich sind wir unzufrieden mit der Marktanteilssituation des Senders und müssen wieder auf vier Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen kommen. Deswegen sind neue Ideen herzlich willkommen. Es gibt eine Aufbruchstimmung, weil wir die Chance haben neu zu denken und neben den bestehenden Leuchttürmen und bekannten Marken neue Ausrufezeichen zu setzen.

Sind die vier Prozent Marktanteil realisitischer als ein zweiter Grimme-Preis für RTLzwei?

(lacht) Der Grimme-Preis für „Der Sandmann“ mit Götz George in der Hauptrolle aus der Filmreihe „Die jungen Wilden“, produziert von Nico Hofmann, war 1995 ein früher Erfolg. Wir freuen uns aber auch über die Fernsehpreise, die wir in der Zeit von Tom Zwiessler gewonnen haben: den deutschen mit „Endlich Klartext“ und „Kampf der Realitystars“, den bayerischen mit „Wir sind jetzt“ – also sowohl in der Information, wie auch für Fiction und Unterhaltung. Das ist für alle, die an den Programmen arbeiten, eine schöne Ehre. Aber wichtiger ist natürlich, dass unser Programm wieder populärer wird und der Marktanteil steigt.

In Frankreich und den Niederlanden wurde der TV-Markt zuletzt von den Wettbewerbshütern unverändert national definiert. Macht das auch den Griff von RTL Deutschland nach RTLzwei vorerst unwahrscheinlicher?

Da gibt es keine Neuigkeiten aus dieser Richtung. Die Vorgänge in den Nachbarländern waren trotzdem interessant. Die Vorhaben von Thomas Rabe in Frankreich und den Niederlanden hatte eine schlüssige Logik, wonach nur nationale Champions die Chance haben, den immer ungleicheren Wettbewerb gegen internationale Konkurrenten zu bestehen. Eine Konsolidierung der Märkte scheint unausweichlich. Das sage ich, wenn ich die RTLzwei-Brille einmal absetze.

Sind Sie der letzte Geschäftsführer eines unabhängigen RTLzwei?

Das weiß ich nicht. Das ist eine Frage für unsere Gesellschafter. Meine Aufgabe ist es, ihnen ein gutes Ergebnis zu liefern, was wir in der Regel tun. Und das machen wir als Team mit großer Freude. RTLzwei hat irgendwann einmal das Kostüm des Schwarzen Schafs im deutschen Fernsehen verpasst bekommen und ich kann sagen: Wir sind gerne das schwarze Schaf und bekennen uns zum Guilty Pleasure. Mancher unterstellt uns, wir müssten doch Zyniker sein, aber ich versichere ihnen: Ich darf hier seit neun Jahren mit vielen tollen Menschen arbeiten, die mit Spaß und Achtsamkeit gemeinsam etwas erschaffen, das so woanders nicht möglich wäre – auch weil sich aus der Gesellschafter-Situation Freiheiten ergeben, die sonst kein Sender hat. Wir sind ein Independent ohne bestimmenden Gesellschafter. Und wenn sie mich persönlich fragen: Bisher war das ja auch weder für die Gesellschafter noch für uns so verkehrt.

Herr Bartl, herzlichen Dank für das offene Gespräch.