Herr Hager, als Sie vor einem Jahr Intendant des HR wurden, war noch nicht absehbar, in welche Krise der RBB-Skandal die ARD stürzen würde. Wären sie lieber beim Wachstumsprojekt Mediathek geblieben, wenn Sie das geahnt hätten?
Mir war schon klar, dass das hier kein Durchmarsch wird und nicht alle Hurra schreien. Aber eigentlich dachte ich, dass ich mich in der ARD ganz gut auskenne und mir eher noch das Regionale erarbeiten muss. Tatsächlich kam es dann fast umgekehrt: Hier im HR habe ich mich vom ersten Tag an gut aufgenommen gefühlt, während eine Krise dieser Größenordnung in der ARD für mich unvorstellbar schien. Selbstverständlich hätte ich das Amt trotzdem angenommen, denn jetzt sind wir ja erst recht gezwungen, beim Umbau der ARD Geschwindigkeit aufzunehmen.
Wie hat sich der HR in Ihrem ersten Jahr verändert?
In meinen vorherigen Jobs war ich immer sowas wie der "Firestarter": jemand, der dafür sorgt, dass Dinge in Bewegung kommen. Hier war und ist meine Aufgabe eine andere, weil die Bewegung schon vorher da war. Das rechne ich meinem Vorgänger und allen Beteiligten hoch an. Meine Rolle habe ich darin gesehen, dieser Bewegung, die teilweise in unterschiedliche Richtungen ging und sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten hatte, einen klaren Kompass zu geben. Ich glaube sagen zu können, dass uns das im ersten Jahr im Kreise der Geschäftsleitung gelungen ist. Wir haben ein Zielbild für 2032 erarbeitet und dies mit den bereits laufenden Strategieprojekten synchronisiert, so dass im zweiten Jahr nun ganz konkrete Umsetzungen folgen können.
Sie haben intern einen Fünf-Punkte-Plan formuliert, um den Handlungsbedarf zu skizzieren. Ein wesentlicher Punkt sind ausgerechnet die Finanzen, die beim HR als kleinerer Anstalt traditionell eher knapp ausfallen.
Die große Aufgabe, die vor uns liegt, ist es, eine Transformation im Schrumpfen hinzukriegen. Wir müssen kleiner, aber dafür flexibler werden. Die alte Logik lautete, dass wir ein relativ stabiles Angebotsprofil mit Fernseh- und Radioprogrammen rund um die Uhr hatten und wenn wir mehr davon gemacht haben, konnten wir einen höheren Finanzbedarf anmelden. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Wenn wir unseren Auftrag künftig wirklich ernst nehmen und zeitgemäß umsetzen wollen, dann heißt das, dass wir viel flexiblere Angebote machen müssen – das Digitale vor dem Linearen priorisieren, auf unseren eigenen Plattformen, aber auch auf Drittplattformen, vor allem aber schneller mal was Neues starten und dann bei Misserfolg auch wieder sein lassen. Diese Flexibilität, die gerade Angebote für junge Zielgruppen erfordern, haben wir heute de facto nicht. Wir können sie nur erlangen, indem wir an bestimmten Stellen schrumpfen. Wir können nur Neues machen, wenn wir dafür Altes sein lassen. Und um ganz ehrlich zu sein: Eigentlich müssen wir zuerst Altes sein lassen, damit die notwendigen Ressourcen frei werden, um über das Neue vernünftig nachdenken zu können.
Bei der Frage, was man sein lässt, wird es meist schnell schmerzhaft.
Die entscheidende Frage heißt aus meiner Sicht: Wo liegt der künftige Kern unseres Auftrags? Je mehr die digitalen Plattformen ins Zentrum des Angebots rücken, desto mehr reden wir über gemeinsame Plattformen der ARD, in Zukunft sicher auch übergreifend mit dem ZDF. Als HR allein können wir mit unseren Reichweiten in der digitalen Welt jedenfalls nicht viel ausrichten. Das heißt im Umkehrschluss: Wir werden viel stärker mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Anstalten zusammenarbeiten, Redundanzen reduzieren, Ressourcen klüger einsetzen und komplementär dazu der hessischen Gesellschaft ein spezifisches regionales Angebot machen, das so nur von uns kommen kann.
Unsere Logik ist noch immer stark am Sendeplatz oder an der Welle orientiert, obwohl wir ja eigentlich schon seit Jahren vom Switch ins Digitale sprechen.
Florian Hager, HR-Intendant
Das erfordert dann aber auch eine andere Organisationsstruktur als bisher.
In der Tat. Wenn wir eine vernetzte Organisation hinkriegen wollen, müssen wir auch die Struktur des Hauses entsprechend anpassen. Wir sind noch immer stark in Silos organisiert, was natürlich von der traditionellen Beauftragung in Fernsehen, Hörfunk und Telemedien herrührt. Um aber das Angebotsportfolio flexibler aussteuern zu können, müssen wir diese Silos auflösen. Unser Anspruch für die Zukunft sollte sein, dass Änderungen im Portfolio keine Restrukturierungen zur Folge haben.
Mit der jetzigen Struktur wären die unvermeidbar.
Gibt man einen Sendeplatz auf, hängt da eine Redaktion dran. Zack, hat man eine Restrukturierung. Unsere Logik ist noch immer stark am Sendeplatz oder an der Welle orientiert, obwohl wir ja eigentlich schon seit Jahren vom Switch ins Digitale sprechen. Am Sendeplatz hängt das Budget, das Marketing und auch das Selbstverständnis der Mitarbeitenden. Wenn wir aber wissen, dass wir immer weniger Menschen übers Lineare erreichen, dann können wir nicht immer weiter Geld aus den Sendeplätzen ziehen, ohne die Sendeplatz-Logik an sich in Frage zu stellen. Diese kleinteilige Logik aufzulösen und durch eine größere, thematisch orientierte zu ersetzen, wird also extrem spannend und alles andere als trivial.
Wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es aber noch keine konkreten Vorschläge dazu, was der HR künftig sein lässt, wie viel er spart und wie er sich neu strukturiert.
Doch, wir haben da klare Zielvorgaben, was die Ressourcen betrifft. Auf dieser Basis wollen wir jetzt das Angebot entwickeln und werden das nicht von oben herab verordnen. Unsere Rolle als Geschäftsleitung und meine als Intendant ist es, ein Zielbild zu formulieren und damit einen Rahmen vorzugeben. Wie wir unsere Struktur und unser Portfolio konkret verändern werden, ist Teil des Prozesses und richtet sich nach den Veränderungen des Mediennutzungsverhaltens – aktuell sind wir zum Beispiel mit unserer linearen Radioflotte noch sehr erfolgreich aufgestellt. Die Weichen werden im Laufe des Jahres gestellt, so dass dann jeder weiß, welche konkreten Schritte in den Folgejahren anstehen.
Wir haben uns leider nie Gedanken gemacht, mit welcher Governance ein dezentrales System sinnvoll gesteuert wird.
Florian Hager, HR-Intendant
Was die engere Zusammenarbeit innerhalb der ARD angeht, haben Sie und Ihre Intendantenkollegen Anfang Februar die Einrichtung von senderübergreifenden Kompetenzzentren für Hörspiel, Gesundheit, Klima und Verbraucher beschlossen. Der HR liefert seit Jahr und Tag ARD-weit Wetter und Börse. Wie stellen Sie sich die weitere Aufteilung inhaltlicher Zuständigkeiten vor?
Am Beispiel des HR lässt sich das gut aufzeigen. Wir würden unsere vorhandenen Kompetenzen gern einbringen und ausbauen. Ausgehend vom Wetter sind wir natürlich schnell beim Klima, von Finanzen und Börse beim breiteren Kontext der Wirtschaft. Und beide Schwerpunkte laufen wiederum in der gesellschaftlichen Debatte um Nachhaltigkeit zusammen. Wesentliches Ziel einer Koordination in den Kompetenzzentren muss natürlich sein, unnötige Dubletten zu vermeiden und Ressourcen effizienter einzusetzen. Ich verstehe den HR auch deshalb als Motor dieses Prozesses, weil wir es uns allein von unserer Aufstellung her gar nicht mehr leisten können, von allem etwas zu machen.
Wenn man das konsequent weiterdenkt, landet man irgendwann bei einer bundesweiten Organisationseinheit, die auch regionale Ableger hat, anstelle der jetzigen unabhängigen regionalen Anstalten, die auch gemeinsame bundesweite Angebote wie die Mediathek oder Das Erste vorhalten.
Nicht zwingend. Ich würde immer dafür plädieren, die programmlichen Aufgaben einer Landesrundfunkanstalt nicht zur Disposition zu stellen. Wir sind als föderaler Senderverbund ja das Abbild eines föderalen Staats. Von einer programmlichen Zentralisierung halte ich gar nichts, und sie würde auch nicht zu unserem gesetzlichen Auftrag passen. Die dezentrale Aufstellung ist in meinen Augen ein Abbild der digitalen Logik und ein absoluter Vorteil. Wir haben uns nur leider nie Gedanken gemacht, mit welcher Governance ein dezentrales System sinnvoll gesteuert wird. Und was wir auch offen diskutieren müssen: Wenn die einzelnen Landesrundfunkanstalten sich nach und nach auf ihren jeweiligen programmlichen Kern und hoheitliche Aufgaben konzentrieren, also im Programm zum Beispiel auf breite regionale Versorgung plus themenspezifische Tiefenkompetenz für die gesamte ARD, dann bleiben aus meiner Sicht Querschnittsfunktionen aus Verwaltung, Produktion und Technik, die sich übergreifend und aufgabenbezogen in Kompetenzzentren bündeln lassen. Durch die fortschreitende Digitalisierung müssen wir all das nicht mehr zwangsläufig an jedem Standort machen. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass wir sowas nicht von heute auf morgen hinkriegen. Da geht es nicht zuletzt um Personalfragen, die bei uns in der Regel über Fluktuation zu lösen sind und somit fünf bis zehn Jahre dauern, bis sie finanzwirksam sind.
Um so eng zusammenarbeiten zu können, wären Einigkeit und Vertrauen im Intendantenkreis wichtiger denn je. In Wahrheit gab die ARD zuletzt oft ein anderes Bild ab.
Als jüngstes Mitglied dieser Runde nehme hier ich durchaus Bewegung wahr. Interne und externe Einflüsse wie jene, die aus Berlin auf uns eingeprasselt sind, führen schon dazu, dass man enger zusammenrückt. Unser Weg vorwärts wird nur gemeinsam gehen und nur, wenn wir uns gegenseitig vertrauen. Ich habe das Gefühl, alle Intendantinnen und Intendanten haben das verstanden und wollen wirklich nach Kräften dafür sorgen, dass das System besser wird. Für mich kann ich das jedenfalls zu hundert Prozent versichern. Schließlich bin ich derjenige in der Runde, der die Resultate von dem, was wir heute entscheiden, selbst auch miterleben wird.
Sachsen-Anhalts Staatskanzlei-Chef Rainer Robra fordert gar den Ausstieg aus der bisherigen Intendantenverfassung der Öffentlich-Rechtlichen. Fühlen Sie sich angesprochen, wenn er von "absolutistisch regierenden Intendanten" spricht, die ihre Anstalten "wie ein Theater zur Goethezeit" führen?
Ganz ehrlich: Solche pauschalen Äußerungen gehen mir echt zu weit. Wer sich mal die Mühe macht, unsere Arbeitsstrukturen anzuschauen, trifft auf ein modernes Verständnis von Führung mit geteilten Verantwortungen und Beteiligung. So lebe ich es in unserer Geschäftsleitung, so leben wir es insgesamt im HR. Herr Robra kann gerne mal eine Woche hier mit mir arbeiten.
Herr Hager, herzlichen Dank für das Gespräch.