Herr Doelger, Ihre Serie "Der Schwarm" firmiert allgemein als Öko-Thriller. Sie selbst sprechen von einem "Monsterfilm". Was meinen Sie damit?
Frank Schätzings Roman ist eine 900 Seite lange Auseinandersetzung mit Naturphänomenen, die die Geschichte vorantreiben. Unsere Aufgabe war es, diese Vorlage in eine fesselnde, charakterzentrierte Serie zu verwandeln. Wir haben frühzeitig entschieden, dass wir einen Monsterfilm machen wollen, in dem man das Ungeheuer nicht sieht. Das Wesen muss spürbar und lebendig sein, sein Lebensraum ist das Wasser. Die Protagonisten wissen, dass da draußen etwas lauert, aber sie wissen nicht genau, was. Erst ganz am Ende soll die Erkenntnis stehen, dass in Wahrheit wir selbst die Ungeheuer sind.
Frank Schätzing hat sich vorige Woche von Ihrem Ergebnis distanziert. "Es pilchert mehr, als es schwärmt", hat er über die Serie gesagt.
Ich wusste, dass die Verfilmung eines Bestsellers immer eine enorm heikle Angelegenheit ist, und man hofft immer, dass der Autor mit der darauf basierenden Fernsehserie oder dem Film zufrieden ist. Jede erfolgreiche Adaption muss auf ihre eigene Art und Weise erfolgreich sein. Deshalb schlug ich vor, aus "Der Schwarm" eine charakter-orientierte Serie zu machen: die Wissenschaft zu vereinfachen, aber darauf zu achten, dass der Kern intakt bleibt und in die Geschichte passt. Frank Schätzing und ich verbrachten viel Zeit damit, eine solche Adaption zu diskutieren, und einigten uns schließlich auf einen achtteiligen Entwurf für die Serie. Während dieser ganzen Zeit war ich offen für seine Vorschläge, und er war offen für meine. Als sich die Serie zu verselbstständigen begann, gingen unsere und seine Vorstellungen davon, was die Serie sein könnte, auseinander.
Zumindest für deutsche Verhältnisse passt der Begriff "Monsterfilm" auch zum enormen Aufwand, ein solches Werk zu produzieren, das rund 44 Millionen Euro gekostet hat. Dabei sind Sie eigentlich viel mehr Budget gewohnt. "Game of Thrones" hätte dafür zum Schluss nicht mal drei Episoden hingekriegt.
Sie glauben doch hoffentlich nicht, dass höhere Budgets automatisch zu besseren Serien führen. Viel Geld kann auch dumm ausgegeben werden, weniger Geld dafür umso klüger. Es kommt weniger auf die Höhe des Budgets an, als auf die kreative Vorstellungskraft des versammelten Teams. Und ich kann ohne Übertreibung sagen: Das Team, das wir für den "Schwarm" versammelt haben, ist eines der besten, mit denen ich in meiner bisherigen Karriere gearbeitet habe. Meine wichtigste Aufgabe bestand darin, alle Mitwirkenden immer wieder dazu anzuhalten, noch fantasievoller zu denken. Schließlich gibt es für eine Serie wie diese keine festen Regeln: Acht Stunden, die in einer ganz eigenen Welt zwischen Realität und Übernatürlichem spielen – das hat alle unsere Entscheidungen inspiriert und eine kollektive erfinderische Erfahrung entfesselt. Das Team war glücklicherweise dazu bereit und hat sich voll darauf eingelassen.
Klingt so, als feuerten Sie Ihre Mitwirkenden wie ein Cheerleader an. Wie definieren Sie denn Ihre Rolle als Showrunner, die im US-System völlig selbstverständlich, hierzulande aber immer noch leicht sagenumwoben ist?
Der Begriff mag für manche etwas furchteinflößend klingen, wenn sie noch nie damit zu tun hatten. Meine Erklärung geht so: Im Grunde genommen springe ich nur für die tradierte Rolle eines Regisseurs ein. Jeder ist doch daran gewöhnt, eng mit einem Regisseur oder einem Produzenten zusammenzuarbeiten. Bei jedem Projekt muss es eine kreative Stimme geben, die alles koordiniert und formt. Das ist bei Serien eben zunehmend der Showrunner. Aber der Prozess bleibt für große Teile des Kreativteams der gleiche: Es gibt einen in ihrer Mitte, der ihre Ideen überarbeitet und absegnet. Die Rolle der Regie wandelt sich insofern, als für eine Serie in der Regel mehrere Regisseurinnen und Regisseure engagiert werden, die ihre jeweiligen Episoden drehen, schneiden und abgeben – und dann obliegt es mir als Showrunner, ihre getane Arbeit in die Hand zu nehmen und zu einem Projekt zu verschmelzen. Mein Ziel war immer, dass "Der Schwarm" wie ein achtstündiger Film wirkt und nicht unbedingt wie eine achtteilige Serie. Dafür ist es von Vorteil, wenn der Showrunner entweder selbst schreibt oder – wie ich – sehr eng an den Autoren dran ist. Bei Bedarf kann er dann jederzeit – ob im Dreh oder im Schnitt – Dialoge umstellen oder sonstige Änderungen vornehmen, die für einen Regisseur oder Produzenten viel schwieriger wären.
Als ob "Der Schwarm" nicht schon aufwendig genug wäre, haben Sie parallel zur Postproduktion bereits die nächste von Intaglio Films produzierte Serie, "Concordia", gedreht und die übernächste, "Doing Good", vorbereitet.
Bei "Concordia" habe ich mich von Anfang an mehr im Hintergrund gehalten. Dort arbeitet ein fabelhaftes Team von Producern unter meiner Leitung. Wenn sie mich brauchen, bin ich jederzeit für sie da, um Ratschläge zu geben. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass man den Schritt aus der zweiten Reihe in die Entscheider-Position nicht abstrakt planen kann. Man braucht jemanden, der einem die Verantwortung anvertraut. Genau das tue ich mit der nächsten Generation von Producern, die die Firma weiter nach vorn bringen und mir eines Tages nachfolgen werden. Nach unserer intensiven Zusammenarbeit beim "Schwarm" weiß ich, dass sie bereit dafür sind. Bei "Doing Good" werden sie entsprechend noch mehr Verantwortung übernehmen.
Ich werde zwar weniger hands-on arbeiten und nicht mehr jeden Tag an jedem Set stehen, aber noch genauso greifbar sein für Rat und Orientierung.
Frank Doelger, Produzent und Showrunner
"Der Schwarm" war also Ihr letztes Projekt, das Sie selbst hands-on realisiert haben?
Ich werde zwar weniger hands-on arbeiten und nicht mehr jeden Tag an jedem Set stehen, aber noch genauso greifbar sein für Rat und Orientierung und natürlich für ständigen Zugriff auf meinen Erfahrungsschatz aus über 35 Jahren des Produzierens. Wenn ich meinen Job richtig mache, sollte es für mich ab dem ersten Drehtag sowieso nicht mehr viel zu tun geben. Idealerweise komme ich ans Set und schaue den Regisseuren und Department Heads bei ihrer konzentrierten Arbeit zu, weil sie genau wissen, was sie tun, wenn sie unsere zuvor gemeinsam formulierte Vision umsetzen. Ich erinnere mich noch an die HBO-Serie "Rome" vor fast 20 Jahren. Das war die erste Serie, die ich produziert habe. Wir hatten einen schweren Start, alles war ziemlich kompliziert. Als wir die zwölfte Folge drehten, das Finale der ersten Staffel, kam ich zur Probe ans Set – für eine sehr dramatische Szene, die Ermordung Caesars – und es war das erste Mal nach sechs Monaten Dreh, dass ich mich umschaute und kein Detail finden konnte, das meiner Kommentierung bedurft hätte. Jedes Kostüm, jedes Requisit, jeder Scheinwerfer – alles war prima. Ich ging also zurück in mein Büro und war einfach nur glücklich. Es hatte zwölf Folgen lang gedauert, aber endlich waren alle Mitwirkenden zu einem Team mit gemeinsamer kreativer Vision verschmolzen. Das passiert, wenn man mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet.
Haben Sie das beim "Schwarm" schneller so empfunden?
"Der Schwarm" war noch komplexer als "Rome", weil es das allererste Projekt von Intaglio Films war und mein allererstes Projekt mit mehreren Partnern. Die längste Zeit meiner Karriere habe ich Filme und Serien für HBO produziert. Da kamen die Anmerkungen von einem einzigen Sender, nicht von fünf Auftraggebern. Ich habe beim "Schwarm" viel mehr hands-on gearbeitet als bei meinen letzten Staffeln von "Game of Thrones". Für mich war das eine wichtige Lernerfahrung, wie man als Showrunner navigiert, wenn man so viele verschiedene Partner hat, wenn man eine deutsch-italienische Crew managen muss und – zum ersten Mal in meinem Leben – eine Postproduktion in Deutschland mit einem deutschen Team. Mir war ja bewusst, dass dieses Modell die Schablone für alle weiteren Projekte von Intaglio sein würde.
War das Management der verschiedenen Koproduktionspartner also die größte Herausforderung für Sie?
Wenn Sie mich das vor drei Jahren gefragt hätten, hätte ich "ja" gesagt. Aber in der Zwischenzeit ist mir klar geworden: Man investiert eigentlich immer wahnsinnig viel Zeit, um kreative Übereinstimmung zwischen verschiedenen Menschen zu erzielen. Als Produzent macht man das mit Autoren, mit Regisseuren, mit Department Heads. Man hört ihnen zu und ermuntert sie zu kreativem Input. Im Umgang mit unseren Partnern ZDF, France Télévisions, Rai, Hulu Japan und Viaplay wurde mir klar: Das ist im Prinzip der gleiche Prozess. Jeder kommt mit seinen Ideen und Gedanken, und dann ist es meine Aufgabe und die meiner Producer, in diesem kreativen Feld zu navigieren. Welche Ideen sind unterstützenswert, welche nicht? Und wie stellen wir sicher, dass wir diejenigen akzeptieren, die gut fürs Projekt sind, und die anderen höflich abweisen, mit denen wir nicht einverstanden sind? Also auch hier eine kreative Verhandlung, die geprägt war von unserer Vision, wie dieses Projekt aussehen sollte.
Wobei Sie in einer solchen Koproduktion vermutlich mehr kreative Macht ausüben können, als wenn Sie nur einen Auftraggeber haben.
Meine Position ermöglicht es mir, klar zu formulieren, wie die kreative Vision für ein Projekt aussieht, und andere zu ermuntern, diese zu akzeptieren. Aber als Macht würde ich das niemals bezeichnen. Vor Jahren hatte ich mal einen kleinen Streit mit einem befreundeten Produzenten. Der sagte zu mir: Du bist viel zu rücksichtsvoll gegenüber dem Sender! Ich entgegnete ihm: Jemand hat mir gerade 50 Millionen Dollar Budget anvertraut. Warum sollte ich nicht respekt- und rücksichtsvoll sein gegenüber Senderverantwortlichen, die mir so vertrauen und deren Jobs von diesem Projekt abhängen könnten? Die Annahme, ich würde das mühsam finden, ist abwegig. Dieses Ausmaß an Vertrauen und Ressourcen ist ein großes Geschenk. Im Gegenzug tue ich selbstverständlich mein Möglichstes, um den Partnern das zu geben, was sie erwarten und wofür sie bezahlt haben.
Herr Doelger, herzlichen Dank für das Gespräch.
"Der Schwarm", in der ZDF-Mediathek und ab 6. März im ZDF