Frau Wildermuth, Frau Strobl, Dokumentationen und Doku-Serien sind weiterhin gefragte Genres, allerdings wird der Begriff inzwischen extrem strapaziert. Gehört das, was z.B. Netflix mit „Harry & Meghan“ veröffentlicht hat, nach ihrer Definition in dieses Genre? 

Wildermuth: Eine Dokumentation ist nach meiner Auffassung ein journalistisches Qualitätsversprechen, das weit höheren Ansprüchen gerecht werden muss als so manches, was fälschlicherweise so betitelt wird. Nicht bei allem, was sich z.B. im Netz Doku nennt, steckt eine Dokumentation drin. Was Netflix da veröffentlicht hat, war möglicherweise unterhaltsam, aber nach meinem Verständnis keine Dokumentation. Es gab schon immer eine etwas andere Auffassung von Dokumentation im anglo-amerikanischen Raum. Die deutsche Tradition ist weitaus beobachtender, zurückhaltender und ergebnisoffen. Das ist journalistisches Handwerk, während ich manche so genannte Dokumentation bei internationalen Streamingdiensten eher als PR-Produktion bezeichnen würde.

Strobl: Eine Dokumentation bei uns würde in der Tat anders aussehen. In der ARD geht es uns darum, Nähe zu Menschen herzustellen, ohne die Distanz zu verlieren oder die journalistische Hoheit abzugeben – und das geht. Wir haben das z. B. bei „Kevin Kühnert und die SPD“ oder auch "Konfrontation: Markus Feldenkirchen trifft Robert Habeck" gezeigt.

Wildermuth: Eine meiner leidenschaftlichsten Aufgaben ist es, dafür zu werben, dass die Gesellschaft unabhängigen Qualitätsjournalismus wertschätzt. Denn wir wissen alle: Niemand braucht uns, um sich einfach nur filmen zu lassen. Das kann inzwischen jeder selbst. Wir müssen uns davon abheben durch professionellen Journalismus. Wir stellen Fragen, beleuchten Hintergründe und ordnen ein. Wir müssen dafür sorgen, dass Unterschiede zwischen Journalismus und Selbstdarstellung gesehen und verstanden werden. PR-Filme von Vereinen oder Prominenten sind genau das – und keine Dokumentation.

Und Sie wollen genau das, die Dokumentation, in der ARD stärken mit der vor knapp einem Jahr eingerichteten Koordination Dokumentationen unter Führung des Bayerischen Rundfunks…

Strobl: Die ARD hat allein im Ersten bereits einen Informationsanteil von 47 Prozent. Wir sehen aber, dass der Dokumentation – als vertiefende Form der Informationsvermittlung – in Zukunft eine zentrale Rolle zukommt. Deshalb haben wir sie im Zuge unserer Programmreform linear und nonlinear gestärkt. Es ist zweifellos ein Trend der vergangenen Jahre, auch bei internationalen Anbietern, dass es eine größere Nachfrage nach längeren vertiefenden Formaten gibt – vielleicht gerade als Gegentrend zur Kurznachricht in den sozialen Netzwerken. Die neu geschaffene Koordination trägt dem Rechnung.

Wildermuth: Die irgendwann einmal aufgestellte Behauptung, dass junge Leute nur noch eine geringe Aufmerksamkeitsspanne mitbringen, ist nicht mehr haltbar. Der Podcast-Boom im Audio-Bereich ist schon ein Beweis dafür und die Nachfrage nach Dokumentationen ebenso. Das sehen wir etwa an den Online-Abrufen, aber auch an den langen Schlangen junger Leute bei Dokumentarfilm-Festivals. Und wir als ARD können hier unsere ganze Stärke ausspielen: Wir können länger recherchieren, kontextualisieren und einordnen – sowohl bei Stoffen von globaler Relevanz als auch regionaler Nähe. 

Hat die Branche einen Fehler gemacht als man vor einigen Jahren dachte, für junge Menschen muss es kurz und snackable sein? Hat man sie mit dem Seichten verschreckt?

Wildermuth: Ich glaube, man muss differenzierter auf das Nutzungsverhalten schauen. Wir haben einerseits in der Kurzform neue Formate auf neuen Plattformen etabliert. Eines dieser Formate, die wir im BR mit großer Leidenschaft verfolgen, ist der BR24 Faktenfuchs, dessen Redaktion mit Methoden des Social Listening schaut, welche Themen gerade viral gehen und was dazu aufgeklärt oder richtiggestellt werden muss. Da reden wir von einem schnellen Nutzungsszenario, oft auf mobilen Geräten. Am anderen Ende des Spektrums sorgt die immer stärkere Nutzung non-linearer Inhalte auch auf den großen Wohnzimmer-TVs für mehr Nachfrage nach Vertiefung – das zeigt uns die Medienforschung. Viele Menschen suchen hintergründige Information und Einordnung, und das unabhängig davon, ob sie zu einer gewissen Zeit rechtzeitig zuhause sind und vor dem Fernseher sitzen. Deswegen bin ich froh über die von Christine Strobl angestoßene Programmreform, die die ARD Mediathek als digitalen Ausspielweg Nr. 1 stärker berücksichtigt. Der hohe Wert des dokumentarischen Erzählens ist der Raum, den es für Polyperspektivität und Langzeitbetrachtung bietet, bei Produktionen wie „Stimmen aus dem Krieg – Ukraine 2022“ beispielsweise, zu sehen am 24. Februar im Ersten und natürlich auch in der ARD Mediathek.

Strobl: Verlorene Jahre waren das nicht wirklich. Wir erleben aber gerade, wie sich das Seh- und Nutzungsverhalten deutlich verändert. Damit entfallen auch formale Begrenzungen, die im klassischen Fernsehen lange galten und damit tun sich etwa bei der Tiefe und Einordnung eines Themas ganz neue Möglichkeiten auf. Mit dokumentarischen Langstrecken können wir auf eine ganz andere Weise ein Thema nahebringen, das Publikum mitnehmen auf eine Reise. Ein Beispiel: Wir haben in den letzten zwölf Monaten täglich über den Krieg in der Ukraine berichtet, immer nah dran und tagesaktuell. Doch um einen solchen Konflikt, das Ausmaß und die Auswirkungen des Leids, das ein solcher Krieg mit sich bringt, wirklich verstehen und spüren zu können, braucht es eben Dokumentationen, die all das mit großer Nähe erzählen - ob direkt aus der Perspektive der Ukrainerinnen und Ukrainer wie in „Krieg im Leben“ oder eben mit dem Blick der Ostdeutschen auf diesen Krieg, wie in Jessy Wellmers Dokumentation „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“.

Katja Wildermuth © BR/Markus Konvalin BR-Intendantin Katja Wildermuth
Wie genau muss ich mir die Arbeit der Koordination Dokumentationen vorstellen?

Wildermuth: Die KoDok, wie wir kurz dafür sagen, hat ihre Arbeit vor inzwischen fast einem Jahr aufgenommen. Das Potenzial der ARD im Doku-Bereich ist seit jeher riesig – sowohl was Quantität als auch Vielfalt der Themen betrifft. Unsere Aufgabe ist es, zu schauen, dass wir die Power der ARD effektiver und effizienter auf die Straße bringen. Das bedeutet eine kluge Kuratierung und Bündelung vom frühesten Planungsstadium an. Also zu schauen, welche Projekte gibt es innerhalb der ARD schon, wo kann man verschiedene Ansätze zum selben Thema zusammenspannen, wo eine Koproduktion starten. Vielleicht sind es am Ende weniger Produktionen im Jahr, die aber dafür umso heller strahlen können. Denn die Mediathek ist eine Schatzkiste, für die es auch echte Juwelen braucht. Ich glaube da müssen wir gezielter Akzente setzen, gezielter auswählen und dann besser orchestrieren.

Strobl: Wir sind in der ARD ja durchaus Weltmeister im Einrichten von Arbeitsgruppen, aber die Koordination Dokumentation in der ARD war ein wichtiges Signal nach innen und an die Branche: Wir wollen anders arbeiten. Statt Masse in der Information wollen wir explizit im Dokumentarischen gezielt Ausrufezeichen setzen. Das kam bei Redakteurinnen und Redakteuren, bei Filmemacherinnen und Kreativen gut an. Deswegen habe ich mich auch über manche Debatte gewundert, die geführt wurde als wir angestoßen haben, vermehrt auf größere Dokuprojekte für eine Streaming-Zielgruppe zu setzen und aus dem linearen Denken der Magazin-Gefäße auszubrechen. Wir hatten im vergangenen Jahr schon 18 Produktionen und insgesamt 13 Stunden Dokumentation mehr, die wir erfolgreich in der Hauptsendezeit des Ersten platzieren konnten. Das ist ein unglaublicher Fortschritt für uns und ich freue mich sehr darauf, das weiter stärken zu können.

Wildermuth: Joint Forces ist das Stichwort – auch das ist eine Kernaufgabe der KoDok. Wenn wir beispielsweise eine kraftvolle Primetime-Doku und „Hart aber fair“ am Montagabend aufeinander abstimmen wollen, womöglich ergänzt durch ein weiteres dokumentarisches Stück nach dem Talk, dann muss das jemand in die Hand nehmen. Das ist im vergangenen Jahr schon mehrfach eindrucksvoll geglückt. Wir haben außerdem neue Doku-Label geschaffen wie z.B. ARD Wissen, ARD History und ARD Story – oder die ARD CrimeTime in der Mediathek. Das sind klare inhaltliche Marken, bei denen die Leute genau wissen, was sie bekommen und wer der Absender ist – auch das ist ein wichtiges Resultat nach einem Jahr KoDok.

Bringt die Mediathek die ARD möglicherweise so eng zusammen wie nie, weil alle Angebote nebeneinander sichtbar werden – und damit auch Doppelungen und Chancen zur Verbesserung?

Wildermuth: Der Prozess beginnt nicht erst mit der Mediathek, er begann schon mit der Digitalisierung vor vielen Jahren, weil die Inhalte der einzelnen Landesrundfunkanstalten dadurch längst nicht mehr an den Grenzen von Bundesländern oder Sendegebieten Halt machen. Die Mediathek hat das noch einmal verdeutlicht, weil man dort die Fülle der Angebote quasi nebeneinander erlebt, die uns als ARD zusammen zum führenden Anbieter von Qualitätsinhalten in Deutschland macht. Das braucht natürlich eine aufwendigere Orchestrierung als zu Zeiten, in denen jeder sein Drittes Programm hatte und nichts darüber hinaus. Deshalb ist Klasse heute umso wichtiger als Masse.

 

"Eine Aufgabe der KoDok ist es also, sicherzustellen, dass wir dort, wo es nicht um regionale Besonderheiten geht, nicht sechsmal das gleiche Thema aufbereiten."

Christine Strobl, Programmdirektorin Das Erste

 

Wenn ich in der ARD Mediathek suche, sehe ich immer noch eine enorme Vielzahl von Inhalten zu ähnlichen oder gleichen Themen. Braucht es Garten-Tipps zum Frühling aus jeder ARD-Anstalt?

Wildermuth: Als BR-Intendantin würde ich antworten, dass schon Oberbayern und Franken nicht miteinander zu vergleichen sind und dass das globale Thema Klimawandel verschiedene Regionen mit ihrer Flora und Fauna tatsächlich jeweils anders beschäftigt. Energieversorgung, Wetter, Landwirtschaft – das unterscheidet sich schon in einem Bundesland enorm. Da wäre die ARD nicht gut beraten, die Regionalität zu opfern, weil uns genau das ausmacht im Vergleich zu bundesweiten oder kommerziellen Programmen. Aber die andere Wahrheit ist auch: Ja, genau – und damit gebe ich an Christine Strobl.

Strobl: Regionalität ist unser absoluter USP. Darin unterscheiden wir uns von allen anderen nationalen Angeboten genauso wie von internationalen Wettbewerbern. Wenn wir in der ARD ein starkes regionales Format haben, wie die Doku-Serie „Feuer und Flamme“ vom WDR zum Thema Rettungsdienste und Ehrenamt, dann bietet es sich an, diese Marke innerhalb der ARD besser zu nutzen und mit den Besonderheiten vor Ort Staffeln in anderen Gegenden Deutschlands zu produzieren. Damit schaffen wir in der ARD Mediathek eine starke Marke, bei der ich weiß, was ich bekomme, nämlich eindrückliche Geschichten von Feuerwehrmännern und -Frauen aus ganz Deutschland. Und wir sparen uns unnötige Entwicklungsarbeit in verschiedenen Landesrundfunkanstalten. Eine Aufgabe der KoDok ist es also, sicherzustellen, dass wir dort, wo es nicht um regionale Besonderheiten geht, nicht sechsmal das gleiche Thema aufbereiten, sondern Kräfte bündeln und stattdessen ein großes Stück machen. Darum geht es mir und den KoDok-Verantwortlichen: um die besonderen Programme, die herausragenden Werke, um Leuchttürme. 

Gilt das auch über die klassische Dokumentation hinaus für Factual-Formate der ARD? „Die Landfrauenküche“ des BR gibt es unter anderen Titeln so ähnlich auch bei anderen Anstalten. Wäre da eine Marke nicht schlagkräftiger?

Strobl: Genau. Das Format gibt es in mehreren Landesrundfunkanstalten aber mit unterschiedlichen Titeln. Der Bayerische Rundfunk war in Deutschland, glaube ich, der erste Sender, der dieses Format als „Landfrauenküche“ adaptiert hat, mehrere andere ARD-Anstalten haben es dann für ihr Programm unterschiedlich umgesetzt. Die Beliebtheit dieses Formats wird aber kaum sichtbar, weil es Zuschauerinnen und Nutzer der ARD nicht als eine Marke wahrnehmen können.

Wildermuth: Es ist insofern ein gutes Beispiel, weil wir im vergangenen Jahr auch im Bayerischen Rundfunk schon entschieden haben, auf weniger, aber dafür umso stärkere Marken zu setzen, auf die wir unsere Ressourcen entsprechend besser fokussieren können. Deswegen werden wir auch im Bereich journalistische Unterhaltung ein paar andere Formate einstellen und zum Beispiel mehr von der „Landfrauenküche“ machen. Wir müssen lernen, unsere Marken effektiver zu nutzen. Ein weiteres Beispiel im BR sind die „Bergfreundinnen“ – ein Format mit drei jungen Frauen, die gerne in die Berge gehen und sich mit alpinen Themen beschäftigen. Zunächst sind sie als Podcast gestartet, dann haben wir daraus eine Web-Serie und ein Fernsehformat entwickelt. Mittlerweile sind sie eine so bekannte Marke, dass mich ganz viele Menschen drauf ansprechen.

 

"Wenn man das Denken in Sendeplätzen aus dem Kopf bekommt, bleibt viel mehr Freiheit, Themen vor allem inhaltlich anzugehen."

BR-Intendantin Katja Wildermuth

 

Nicht mehr in Sendeplätzen zu denken, erfordert ein Umdenken bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gehen die zuständigen Redaktionen den Wandel mit? 

Strobl: Eine Veränderung, die keine Unruhe auslöst, ist wahrscheinlich keine Veränderung. Natürlich folgen einem bei Änderungen nicht immer alle sofort, aber davor sollten wir bei Entscheidungen keine Angst haben.   Anfangs ist es irritierend, wenn dir jemand sagt, dass wir jetzt alles anders machen als du es zwanzig Jahre gemacht hast. Das verlangt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel ab. Aber viele begreifen es als Chance, auf Veränderungen z. B. im Nutzungsverhalten zu reagieren. Unsere politischen Magazine haben den Ball jedenfalls aufgenommen und im vergangenen Jahr 30-Minuten-Langform ausprobiert, wie „Das Klima und die Reichen“. Ähnlich ist es beim „Weltspiegel“. Da ist der Ehrgeiz geweckt worden. Ich erlebe das sehr positiv.

Wildermuth: Wenn man das Denken in Sendeplätzen aus dem Kopf bekommt, bleibt viel mehr Freiheit, Themen vor allem inhaltlich anzugehen. Programmplätze zu füllen, bedeutet, in Dramaturgie und Länge festgelegt zu sein. Ohne dieses Korsett kann ich mir den Stoff genau anschauen, über den richtigen Zugang nachdenken und mich unbefangen fragen: Wie lange trägt es denn? Es gibt keine Automatismen mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Kreative am besten mit der Chance zu Kreativität überzeugt. Das gilt für Kolleginnen und Kollegen in der ARD, aber auch in der Zusammenarbeit mit externen Produktionsfirmen. Gerade hier in München gibt es da eine starke, spannende Szene, und der BR öffnet sich gerade auch für mehr Auftragsproduktionen. 

Die Mittel waren noch nie endlos und sind es derzeit unter besonderer Beobachtung erst recht nicht. Wenn die ARD also mehr in Dokumentarisches investieren will, bleibt weniger Budget und Fläche für das lineare Genre des Magazins?

Wildermuth: So ist es. Auch im Bayerischen Rundfunk haben wir vergangenen Herbst eine Strategie zur Programmpriorisierung verabschiedet, und einer der vier Leitsätze lautet: „mehr Hintergrund“. Natürlich ist Fokussierung auch immer mit Verzicht verbunden. Wenn ich ein Thema priorisiere und vertiefe, mache ich dafür an anderer Stelle vielleicht etwas nicht mehr. Aber das, was wir machen, ist dann umso stärker und nachhaltiger – weil dokumentarisches Erzählen einen Wert haben kann, der es auch nach Jahren noch sehenswert macht. Natürlich wird es darüber immer Diskussionen geben, aber das ist ja auch richtig und gehört dazu. Die Antwort kann jedenfalls nicht mehr sein, wir machen alles zusätzlich.

Christine Strobl © ARD/Laurence Chaperon ARD-Programmdirektorin Christine Strobl
Besonders gefragt war zuletzt die Doku-Serie. „Kevin Kühnert und die SPD“ hat beim letzten Deutschen Fernsehpreis doppelt abgeräumt. Hype oder bleibt das Genre?

Strobl: Die Doku-Serie ist keineswegs nur ein Hype. Sie bleibt uns nach meiner Einschätzung erhalten. Serien spiegeln grundsätzlich das Verlangen, an Themen und Charakteren länger dran zu bleiben. Im Fiktionalen erleben wir das schon seit einigen Jahren. Die Mediathek und diese Erzählform passen sehr gut zueinander, denn wir haben in der Mediathek keine „Laufkundschaft“, wie im klassischen Fernsehen, und profitieren nicht vom Audience Flow. In der Mediathek ist jede Auswahl für ein Programm eine ganz bewusste, aktive Entscheidung. Die Doku-Serie gibt uns die Chance, ein Thema oder eine Geschichte Stück für Stück zu entfalten und unser Publikum mit in die Erzählung zu nehmen. Gelungene Beispiele sind Formate wie „Kevin Kühnert und die SPD“ oder „Being Jan Ullrich“. Doku-Serien müssen aber auch geprägt sein durch besonderes Erzählen und eine ausgefeilte Dramaturgie. Das passt nicht bei jedem Thema. Seit die Doku-Serie zum Trend erklärt wurde, wird einem jeder Stoff plötzlich ausgedehnt als Serie angeboten. Da muss man dann auch wieder aufpassen.

Wildermuth: Die Doku-Serie ist nicht länger durch starre Formvorgaben beschränkt. Inhaltliche Ausgestaltung und Form sind frei bestimmbar – deshalb lässt sich auch jedes Projekt einzeln bewerten. Die Doku-Serien sind übrigens kein neuer Trend. Wir hatten ja schon mal große Erfolge mit „Schwarzwaldhaus 1902“, „Unsere 50er Jahre“ oder „Unsere 60er Jahre“. Aber damals gab es keine Mediatheken, deshalb konnte das Genre noch nicht die Wucht entwickeln, die es heute haben kann. Weil man nach jeder Folge eine Woche lang auf die nächste warten musste.

Welche Rolle spielt das Korrespondentennetz der ARD, wenn man die Dokumentation stärken will?

Wildermuth: Wenn wir über Juwelen der ARD reden, dann gehört das Korrespondentennetz natürlich dazu. An unseren Standorten in aller Welt gilt im Grunde das Gleiche wie für unsere regionalen Reporterinnen und Reporter bei uns vor der Haustür: Wir sind vor Ort, ganz nah dran an den Menschen und ihren Geschichten – und die Stärke werden wir natürlich auch nutzen.

Strobl: Wir nutzen das Korrespondentennetz, wo immer es passt. So wie am Montag mit „Krieg im Leben“ von Vassili Golod. Die Herausforderung für unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten liegt eher in der Tagesaktualität, die nicht immer Raum lässt, um mit der nötigen Aufmerksamkeit auch noch an längeren Dokumentationen zu arbeiten.

Letzte Frage mit dem Blick nach vorne: Was sind denn die kommenden Highlights der ARD im Bereich Dokumentation?

Strobl: Ein absolutes Highlight ist die vierteilige Naturdoku „Unsere Meere: Die Nordsee. Die Ostsee“, die ab 6. März im Ersten zu sehen ist und schon jetzt in der Mediathek steht. Sie zeigt die Meere vor unserer Haustür in ganz neuem Licht – mit spektakulären Bildern. Außerdem planen wir, unsere Presenter-Reportagen fortzuführen: Ingo Zamperoni wird uns mit auf die Reise zu seiner Familie in Italien nehmen, wir arbeiten an neuen Formaten mit Jessy Wellmer und Eckart von Hirschhausen, und in der Mediathek-Serie „Wir können auch anders“ gehen Anke Engelke, Bjarne Mädel mit weiteren Promis auf die Suche nach konstruktiven Lösungen im Umgang mit der Klimakrise. Für die Mediathek haben wir uns vorgenommen, den Nutzerinnen und Nutzern monatlich zwei besonders herausragende neue Doku-Formate anzubieten, und wir setzen in 2023 einen Schwerpunkt auf regionale Formate. Da ist vieles in der Entwicklung.

Frau Wildermuth, Frau Strobl, herzlichen Dank für das Gespräch.