Frau Quentell, im vergangenen Jahr hat Sony seine deutschen TV-Produktionsaktivitäten verkauft. Sie firmieren jetzt in der Banijay-Familie unter Noisy Pictures. Wie kam es dazu?
Eine legitime Frage. Sony Entertainment hatte vor einiger Zeit schon eine stärkere Fokussierung auf englischsprachige fiktionale Programme eingeleitet, was angesichts globaler Erfolge von Formaten wie „Sex Education“ und „The Crown“ wenig überraschend ist. Dagegen ist das non-fiktionale Geschäft oft sehr lokal ohne große Synergien für den Konzern. Das französische Produktionsgeschäft wurde verkauft, das italienische Geschäft beendet und auch aus dem schwedischen Produktionsgeschäft hat man sich zurückgezogen. Großbritannien ist eine Ausnahme, weil dort englischsprachige Fiktion möglich ist, aber im Bereich Unscripted wurde auch dort Einiges aufgelöst. So kam ein Prozess in Gang, bei dem man irgendwann merkt, dass wir trotz guter Performance bald Last Man Standing seien werden. Also sucht man das Gespräch, macht Vorschläge und geht Optionen durch. So ein Prozess zieht sich dann natürlich auch etwas.
Wie viel Energie hat die Suche nach einer Lösung?
Das war eine persönlich sehr anstrengende Zeit, insbesondere wenn die Gespräche mit möglichen Partnern beginnen und parallel das Geschäft weiter geht. Auf langlaufende, etablierte Produktionen hat das weniger Auswirkungen, aber Akquise und neue Produktionen sind etwas gebremst, wenn man nicht weiß wo man landet und was dafür strategisch Sinn macht. Da will man den Gesprächen nicht vorgreifen. Gleichzeitig arbeitet man auch mit Talents, die natürlich wissen wollen, woran sie in drei oder sechs Monaten sind. Da gilt es viel auszuhalten bis dann der Deal durch ist.
Jetzt gehören Sie zu Banijay, aus Sony Pictures wurde Noisy Pictures. Shows, um ein Beispiel zu nehmen, produzieren in der Banijay-Gruppe auch Brainpool, Endemol Shine, Banijay Productions und jetzt Sie. Ein sehr kompetitives Umfeld, diese neue Familie…
(lacht) Das ist sicher nicht ganz falsch. Wir sind die spät dazugestoßene erwachsene Adoptivtochter, die in Fiktion, Show und Factual schon Erfahrungen in gleich mehreren Genres mitbringt, die andere Familienmitglieder natürlich auch beherrschen.
Und was bringt Noisy dann mit in die Familie?
Noisy heißen wir ja nicht zufällig. In uns steckt noch viel Sony-DNA, wie der geneigte Wortakrobat beim Betrachten unseres Firmennamens und Logo auch bemerken kann. Banijay steht für eine Multi-Label-Strategie zu der interner Wettbewerb gehört, bei dem ein weiterer Blickwinkel den Output nur verbessern kann. Konkurrenz belebt das Geschäft, auch innerhalb von Banijay. Möge der Bessere gewinnen. Gleichzeitig kann man sich gegenseitig unterstützen, wenn wir z.B. personelle Spitzen ausgleichen müssen oder technische Unterstützung brauchen bzw. geben können. Erfahrungsaustausch und gemeinsame Projekte z.B. beim Thema Fortbildung sind auch ein Vorteil der Banijay-Familie.
Das erfolgreichste Format aus Ihrem Haus ist „Die Höhle der Löwen“ für Vox. Gab es da eigentlich nie Begehrlichkeiten, den Erfolg zu RTL rüberzuholen?
Die gab es tatsächlich nie und darüber bin ich auch sehr froh, weil ich die Kombination der Sendermarke Vox und „Die Höhle der Löwen“ für ideal halte. Selbst wenn RTL der größere Sender ist, zeigen die Erfolge bei Vox ja: Das Programm wird gefunden. Deswegen würden wir bei RTL nicht automatisch besser laufen. Wir hatten ein wunderbares Weihnachtsspecial und jetzt kommt bald eine neue Frühjahrs-Staffel mit zwei neuen Löwen, zu denen ich Ihnen jetzt aber noch nichts verraten kann. Wir sind natürlich auch weiter dabei zu schauen, was man mit welchen Löwen noch machen kann.
Welche Projekte gibt es über die „Höhle der Löwen“ hinaus?
Wir haben für das ZDF die zweite Staffel „Waschen, Schneiden, Leben“ produziert, für ProSieben die beiden Jubiläumsshows zum „Quatsch Comedy Club“ und sind im Bereich Gameshows, u.a. mit dem Sony-Katalog, den wir weiterhin in Deutschland verwerten können, sehr gut aufgestellt. Da haben wir schon vergangenen September die neue Version vom „Glücksrad“ mit meinem Traummoderationspaar Thomas Hermanns und Sonya Kraus für RTLzwei aufgezeichnet.
Die Wahl des Moderationsduo sorgte bei einigen mit denen ich gesprochen habe, für sehr starke Reaktionen - positiv wie negativ.
Beide sind sehr erfahren und beliebt, darüber hinaus mit einer gehörigen Portion Humor und mit spürbar viel Liebe zur Sendung dabei. Und alle, die sich vorher schon ein Bild machen ohne etwas gesehen zu haben, sollen doch gerne mal einschalten bei RTLzwei. Wenn das Duo so polarisiert, dann zeigt es mir nur: Die Sendung ist den Menschen nicht egal. Wenn über deine Sendung spekuliert wird, obwohl noch niemand etwas gesehen hat, ist das heute schon mal ein Vorteil. Also sollen bitte alle reinschauen und sich eine Meinung bilden. Das „Glücksrad“ ist wieder da - und wir haben noch mehr Kult produziert.
"Wir haben in den letzten Jahren so viel nackte Haut an schönen Stränden gesehen. Da sind Studio-Shows eine willkommene Abwechslung."
Sie sprechen von den drei Formaten, die Sie für Sat.1 produzieren?
Wir haben für die Primetime drei wunderbare Folgen „Pyramide“ mit Jörg Pilawa aufgezeichnet, wo wir der Spielidee sehr treu geblieben sind und Promi- gegen Normalo-Paare antreten. Dann haben wir drei Folgen „Jeopardy“ mit Ruth Moschner produziert, bei der man sofort wieder merkt warum dieses Spielsystem das Format zu einer weltweit bekannten Marke gemacht hat. Das haben übrigens alle unsere Gameshows gemeinsam: Man fühlt sich sehr schnell wieder wohl in diesen weltweit erprobten TV-Ideen. Wir haben in den letzten Jahren so viel nackte Haut an schönen Stränden gesehen. Da sind Studio-Shows eine willkommene Abwechslung.
Haben Sie die Hoffnung, dass wir das ein oder andere Format abseits von Primetime-Revivals auch wieder in klassischer Daytime-Form sehen werden? Bislang hat der Retro-Trend nur bei „TV Total“ anhaltend getragen…
Es gibt einen guten Grund, warum die genannten Formate eigentlich überall für eine tägliche Ausstrahlung in der Daytime produziert werden. Wir kommen jetzt mit längeren Primetime-Versionen, um auch manche Zuschauerinnen und Zuschauer erstmal mit dem Spielprinzip wieder vertraut zu machen.
Wenn man mit der TikTok-Generation spricht, empfinden die klassisches Fernsehen oft als viel zu langsam. Hilft es da, schnelle Vorabendshows für die Primetime auf vierfache Länge zu strecken?
Natürlich würde ich mir wünschen, dass es den Mut gibt, mit einem oder gerne auch allen dieser Formaten in die AccessPrime zu gehen. Das wäre sinnhaft, weil sie dort als schnelles Vergnügen zum weltweiten Erfolg wurden. Auch das ebenfalls von Jörg Pilawa moderierte „Dating Game - Wer soll dein Herzblatt sein?“ kommt ja aus dem Vorabend. Und das kann meiner Meinung nach auch klappen, wenn man ein bisschen Strecke bekommt, um eben dann neue ‚alte‘ Sehgewohnheiten – gerade in der daily – zu schaffen.
Für Magenta TV produzieren Sie gerade „More than talking“ mit Verona Pooth. Wie ist das denn zustande gekommen?
Manchmal treffen zwei Menschen aufeinander, verstehen sich gut und fragen sich: Warum haben wir eigentlich noch nix miteinander gemacht? Und so war es hier mit Magenta TV. Wir hatten vor einiger Zeit mal auf eigene Kappe eine Idee von und mit Verona pilotiert, weil wir schon länger mit ihr in Kontakt stehen. Irgendwie hatte ich in einem Gespräch das Gefühl, Verona und der Talk könnten einfach gut zu Magenta TV passen - zwei Wochen später waren wir dann direkt in konkreten gemeinsamen Gesprächen und jetzt sind bereits 2 Folgen auf der Plattform! Ich freue mich sehr, dass wir mit Verona die Männer-Riege von Kerner, Raue und Maffay dort aufmischen können.
Neben Shows und Factual Entertainment gab es bei Sony Pictures auch fiktionale Projekte. Welche Rolle spielt das Genre für Noisy Pictures?
Da sind wir im Moment wieder sehr zuversichtlich und haben die Entwicklung für eine große internationale Koproduktion angestoßen, bei der auch ein deutscher Sender-Partner an Bord ist. Wir fokussieren uns davon abgesehen eher auf die Kernkompetenz Sitcom und Mockumentary, also kürzer und lustiger. Das ist auch eine Antwort auf die weltpolitische, gesellschaftliche Lage. Das verlangt nach Eskapismus. Deswegen halte ich übrigens auch den „Quatsch Comedy Club“ weiterhin für spannend. Thomas Hermanns hat da einst Pionierarbeit geleistet und die wichtigste Marke für Comedy im deutschen TV geschaffen. Jetzt ist die nächste Generation dran.
Ob das „Nightwash“-Team bei Brainpool das genauso sieht?
(lacht) Also „Nightwash“ hat dank Knacki Deuser und dann auch als Schmiede für Brainpool wahnsinnig viel erreicht. Die beiden Marken waren meiner Ansicht nach unterschiedlich positioniert. Und im Sinne des Wettbewerbs sehe ich eine Zukunft für den „Quatsch Comedy Club“. Mit Knacki Deuser entwickeln wir aber im Übrigen gerade auch was, um mal aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Zurück zu Sitcom/Comedy: Wer fragt solche Halbstünder nach? Die Privatsender tun sich beim Bauen von LineUps ja zuletzt schon schwer, da sind halbstündige Serien besonders schwierig.
Das sind derzeit insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender und die Streamingdienste, wo wir ja gerade nochmal neue Bewegung im Markt sehen mit neuen möglichen Partnern genauso wie mit Anbietern, die neu in Eigenproduktionen in Deutschland einsteigen. Da haben wir momentan einige Projekte sozusagen in Umlauf gebracht und schauen dann mal, welche davon über die Ziellinie kommen. Ich bin da in der Fiktion wieder deutlich positiver gestimmt. Und das hauptsächlich, aber eben auch nicht nur in der Comedy. Wir haben auch einige interessante Rechte gesichert, u.a. an der Geschichte des jüngst verstorbenen Ronald Miehling, alias Blacky, dem größten Drogendealer des Landes. Und auch die Filmrechte am Leben von Heino haben wir. Da steckt viel Rock’n’Roll drin.
Frau Quentell, herzlichen Dank für das Gespräch.