Herr Plasberg, auf welche Floskel können Sie ab kommender Woche gut verzichten?

Das ist die Formulierung „Lassen Sie mich zunächst mal sagen…“, die ich auch diese Woche wieder in der Sendung gehört habe und jedes Mal ist mein Reflex: Nein! Lassen Sie uns doch zunächst einmal die Frage beantworten. Das ist eine von vielen.

Es ließe sich vermutlich ein Buch füllen mit den Erkenntnissen, die man in 22 Jahren Polittalk gesammelt hat…

Da empfehle ich lieber ein Buch: Das Erstlingswerk von Alexander Gorkow, der viele schöne Bücher geschrieben hat, heißt „Kalbs Schweigen“. Das handelt von einem Talkshow-Moderator, der in eine Lebenskrise gerät und sich dann in einer Sendung schwört: Wenn der Gast X jetzt mit großer Geste das absolut Erwartbare sagt, dreh ich durch. Und dann sagt der Gast das - und der Moderator schweigt für den Rest der Sendung. Erschreckenderweise läuft die Sendung auch ohne ihn sehr gut. „Es ist fünf vor Kalb“ wurde bei uns in der Redaktion zum geflügelten Wort.

Ist es eine Qualität, wenn sich ein Gespräch ganz ohne Moderation weiterentwickelt?

Absolut. Das ist eine Gratwanderung, die ich über die Jahre lernen musste. Der Ehrgeiz ist anfangs natürlich, Wachheit zu demonstrieren und sofort reinzugrätschen, wenn man das Gefühl bekommt, da schweift jemand ab. Aber man lernt, dass man aus der Sicht des Publikums intervenieren muss und das Publikum hat eine deutlich längere Lunte als ich als Moderator. Und Herr Gott, es ist eine Talkshow, die am Montagabend zur Hauptsendezeit gegen Jauch bei RTL und ZDF-Krimis läuft. Da darf es auch mal unterhaltsam werden und abschweifen. Das ist mir mit zunehmendem Alter leichter gefallen. Wenn dann jemand schreibt „Wo war der Plasberg eigentlich?“, dann nehme ich das nicht als Kritik sondern erstmal als Kompliment. Es gibt Schlimmeres als lebhafte Diskussionen, letztlich die DNA von „Hart aber fair“.

Was wäre schlimmer?

Zur Mode geworden ist es seit der Pandemie, sich einfach zuschalten zu lassen für ein Einzelgespräch, ohne an der Runde teilzunehmen. Das führt zu der grotesken Situation, dass sich ein Minister aus dem Berliner Hauptstadtstudio zu uns ins Studio nach Berlin-Adlershof schalten lässt - und auch wieder weg ist, wenn er das gesagt hat, was er sagen wollte. Das ist fast zu einer Frage der Reputation geworden, einem Beweis der eigenen Bedeutung, ob man so hoch pokern kann. Aber so kommen wir nicht alle zusammen miteinander ins Gespräch. Das geht vor Ort am Besten. Damit entzieht sich Politik der nötigen Diskussion. Und das ist gerade jetzt gefährlich.

Was meinen Sie?

Wir leben in einer gesellschaftlichen Situation, die bisweilen schon amerikanische Züge trägt, weil Diskussionen immer unversöhnlicher und dabei moralisch aufgeladen geführt werden. Gerade deswegen braucht es ein Diskurs-Format wie „Hart aber fair“, denn das ist ja das Wesen unseres Talks: Das Miteinander-Sprechen über alle Gräben hinweg. Und das wird immer schwieriger, eben auch weil Politiker lieber zu Einzelinterviews gehen, auch wenn sie da nur die Hälfte der Zuschauer haben. Das bringt ja durchaus Erkenntnisse, aber es geht da eben auch ums Renommee im politisch-journalistisch Milieu.

 

Zur Person

  • Im Januar 2001 moderierte der 1957 in Remscheid geborene Frank Plasberg erstmals "Hart aber fair", damals noch im WDR Fernsehen. Seit 2005 produziert er die Sendung zusammen mit Jürgen Schulte und der gegründeten Produktionsfirma Ansager & Schnipselmann selbst. Von 1987 bis 2002 führte Plasberg gemeinsam mit Christine Westermann durch die WDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Stunde". Seine erste Station bei den Öffentlich-Rechtlichen war allerdings schon 1980 ein Job beim Radiosender SWF3.

 

Ist Bestätigung für die eigenen Anhänger wichtiger geworden als das Überzeugen anderer?

Da kann ich nicht widersprechen. Diesen Eindruck habe ich auch. Aber es gibt Ausnahmen wie den gleichermaßen verehrten wie verspotteten Karl Lauterbach, der sich immer wieder in die Manege begibt, um inhaltlich zu überzeugen. Oder auch Hubertus Heil, der bei uns auf eine Krankenhausbetten-Reinigerin trifft, die zwölf Euro die Stunde verdient, und zuhört – statt sich zu reproduzieren. Das ist eine 75-minütige Begegnung, die unberechenbarer ist als der Schlagabtausch zweier Profis im 1:1-Gespräch. Für solche Begegnungen bin ich dankbar und das ist, by the way, das Verdienst dieser herausragenden Redaktion, die ich über all die Jahre genießen durfte. Das ist nicht mehr selbstverständlich.

Was ist nicht mehr selbstverständlich?

Eine Runde zusammen zu stellen, die wirklich miteinander redet. Das ist inzwischen eine Qualität an sich. Und dazu kommt, dass man für die Reinigungskraft, die man in die Diskussionsrunde holt, dann auch Verantwortung übernehmen muss. Viele Politiker werden nächste Woche schon vergessen haben, was wir letzte Woche diskutiert haben, aber die Frau lebt mit ihrem großen TV-Auftritt noch lange. Was hat man uns am Anfang den Slogan „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“ übel genommen, weil sich fast alle in der Berliner Politik doch als Mann oder Frau des Volkes sehen. 

In 22 Jahren „Hart aber fair“ trifft man zahlreiche Akteure der Politik nicht nur einmal. Jetzt wird über die Frage, wie nah der Hauptstadtjournalismus der Politik sein sollte, viel philosophiert. Wie sehen Sie das?

Ich will mich nicht über den Hauptstadtjournalismus erheben, aber ich wohne nicht in der Hauptstadt. Und der Lebensmittelpunkt bestimmt unterbewusst schon oft Standpunkte. Ich wohne in Köln, unsere Redaktion sitzt in Düsseldorf und unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wohnen irgendwo zwischen Bonn und Dortmund. So ergab sich von selbst, kein Hauptstadtjournalist zu sein und so fühle mich auch nach all den Jahren in Berlin noch als Tourist. 

Frank Plasberg, lediglich Zaungast der Politik?

Ich könnte Ihnen jetzt auch nicht den Lieblingsitaliener von Frau X oder das Lieblingscafe von Herrn Y nennen. In Berlin bin ich nur Voyeur.

 

"Wir sind der Straßenköter unter den Talkshows"

 

Das klingt jetzt aber nach Tiefstapelei.

Natürlich fingen irgendwann auch die persönlichen Einladungen aus der Politik an, zu diesem und jenem Abendessen. Meine Frau und ich haben das nie gemacht. Da hilft es natürlich auch, dass ich dafür extra nach Berlin fahren müsste. Abstand hilft dabei, unbefangener mit Gästen reden zu können. Wir sind der Straßenköter unter den Talkshows, der sich aus dem Rheinland und dem WDR-Fernsehen nach Berlin und ins Erste gedrängelt hat.

Haben Sie Frieden damit geschlossen, dass es nie der Sonntagabend nach dem „Tatort“ wurde?

(lacht) Es gab nie die ernsthafte Option. Der Sendeplatz am Sonntagabend gehört dem NDR und wenn man die ARD ein bisschen kennt, dann brauchte ich mir nie ausmalen, mit der WDR-Produktion „Hart aber fair“ dort hinzukommen. Fritz Pleitgen, den ich vor wenigen Monaten nochmal für ein Interview besucht habe, hat uns damals ins Erste geholt. Zunächst am Mittwoch, sehr erfolgreich. Dann mussten wir für die große „Tagesthemen“-Rochade einen neuen Sendeplatz suchen.

Und es wurde Montag, 21 Uhr. Ein dankbarer Sendeplatz?

Die damalige WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff fragte mich damals: Wollen Sie am Mittwochabend um 22.45 Uhr nach den „Tagesthemen“ oder am Montag um 21 Uhr? Die Nische nach den Nachrichten oder großes Publikum, aber schwieriges Umfeld? Da habe ich nicht lange überlegt. Dann lieber die große Bühne. Wir beißen uns da schon durch, dachte ich mir. Lieber erkämpfe ich mir nach einem schwachen Vorlauf Publikum als im Windschatten eines erfolgreichen Vorlaufs zu segeln. Da flucht man zwar manchmal, aber meine sehr kluge Frau hat mich vor vielen Jahren – als ich mal wieder gefrustet war aufgrund einer nachträglich nichtigen Kleinigkeit – ermahnt: Wenn Du nicht zu schätzen weißt, was du hast, dann ist Dir nicht helfen. Was Sie meinte: Damals bei der „Aktuellen Stunde“ und bei „Hart aber fair“ habe ich mit Menschen gearbeitet, die ich mir selbst ausgesucht habe, weil sie die Besten sind. Wer das nicht zu wertschätzen weiß, dem ist nicht zu helfen.“ Das habe ich mir gemerkt und es hat mich in den der Zeit danach in einigen „Fünf vor Kalb“-Momenten bewahrt, hinzuschmeissen. 

Frank Plasberg Anne Gesthuysen © imago / Panama Pictures Frank Plasberg mit seiner Frau Anne Gesthuysen

Und jetzt doch der selbstgewählte Abschied von „Hart aber fair“. Wird der Entzug klappen?

Um mich herum wurde in den vergangenen Tagen schon viel geschnieft, auch meine Fahrerin in Berlin wurde sehr sentimental. Ich bin gerade heiter und dankbar. Aber reden wir lieber in einem Jahr nochmal, dann kann ich Ihnen das besser beantworten. Ich glaube: Das Fernsehen werde ich nicht vermissen, die Zusammenarbeit mit meiner fantastischen Truppe schon.

Gehen Sie in den TV-Ruhestand?

Ich hab vor zehn Jahren aufgehört Politiker zu fragen, ob sie ausschließen würden dann und dann noch aktiv zu sein. Sag niemals nie. Aber wissen Sie: An dem Tag, an dem Putin diese Fantasie-Republiken anerkannt hat, saßen wir schon mit allen Gästen vor Ort und hatten eine ganz andere Sendung geplant. Als jemand der aus der Aktualität kommt, hab ich dann aber 90 Minuten vor Beginn der Sendung gesagt: Wir können jetzt nicht einfach unser Thema durchziehen, wir müssen alles umschmeißen. Also haben wir bis auf einen alle Gäste nach Hause geschickt - und da war es kurz vor halb acht. Was dann lief war eine Sendung, die quasi erst während der Sendung entstand – und es hat funktioniert. So, jetzt frage ich mich: Was soll die nächste Herausforderung sein? Das auch noch 60 Minuten vor Beginn der Live-Sendung zu schaffen? Das kann es nicht sein. Nein, die größte Herausforderung, der ich mich stellen kann: Mich nach all den Jahren selber abzuschalten. Und ich schaue mir an, was das mit mir macht. Aber nach 40 Jahren Arbeiten mit der Aktualität ist das jetzt die ultimative Herausforderung für mich. Nur meine Neugier, die will ich behalten.

Louis Klamroth übernimmt Ihre Sendung. Wie kam es dazu?

Auftraggeber der Produktion ist der WDR und über die Beauftragung entscheidet beim WDR Jörg Schönenborn. Er war der erste, der von meinem Wunsch erfahren hat, ein Jahr früher als vorgesehen aus der Moderation auszusteigen, und nachdem er bereit war, den Wunsch zu erfüllen, haben wir uns gemeinsam hingesetzt und eine Shortlist erstellt. Mir lag ja was daran, eine vielversprechende Nachfolge zu finden, es geht ja darum, das Format zu erhalten und die Arbeitsplätze, die an der Sendung hängen und…

...auch weiter als Produzent wirtschaftlich erfolgreich zu sein…

Klar, auch das. Aber bevor Sie nachfragen, Herr Lückerath, ich werde einen Teufel tun ihnen die anderen Namen auf der Shortlist zu nennen (lacht). 

Gut. Also Louis Klamroth…

…kam aus anderen Gründen in dieser Zeit mal bei uns in der Firma vorbei. Wir gingen was essen, unterhielten uns und nach dem Hauptgericht habe ich gescherzt: „Ich glaub, ich besorg mir sicherheitshalber einen Vorkoster – Sie wollen doch meinen Job haben.“ Und er, der so schlagfertig ist, ließ das einfach mal ohne Dementi im Raum stehen. Wir haben uns dann noch ein bisschen länger miteinander ausgetauscht und zwei Tage später habe ich direkt gefragt, ob er antritt, und er hat direkt zugesagt. Dann musste das nur noch dem WDR gefallen, mit Klamroth jemanden zu nehmen, der halb so alt ist wie ich. Wir überspringen einfach mal eine Generation und sind die Jüngsten mit „Hart aber fair“ und dem Quotenmann unter den Polit-Talkerinnen. der WDR hat hier Mut bewiesen, das muss man festhalten. Natürlich muss er einen eigenen Stil finden, denn mit dem Image des manchmal arroganten Oberlehrers konnte ich gut leben. Ihm würde das vermutlich weniger gut stehen.

Klamroth Plasberg © WDR / Julia Feldhagen Jahrgang 1989 übernimmt von Jahrgang 1957

Wie anders wird das „Hart aber fair“ von Louis Klamroth? Frage ich jetzt den Produzenten der Sendung…

Das werden wir am 09. Januar und dann weiter im Laufe des Jahres sehen. Louis wird anders fragen und anders moderieren als ich – da werde ich ihm natürlich keine Tipps geben. Das hätte ich mir in seinem Alter auch verbeten. Ich bin sehr optimistisch, dass er die nicht nötig hat. Wichtiger sind die Erfahrungen, die er mit dem Team und seinen eigenen Sendungen sammelt. Die Kernelemente von „Hart aber fair“ werden Bestand haben – wir haben ja ein seit vielen Jahren erfolgreiches Format und basteln nicht an einer Format-Neuentwicklung. Auch wenn es ein ganz anderes Genre ist – aber vielleicht versteht man die Operation, die wir vornehmen am besten, wenn man sich noch mal an meinen Radiokollegen aus SWF 3-Zeiten, an Claus Kleber erinnert. Er hat das „heute journal“ über so viele Jahre geprägt. Christian Sievers macht es heute anders als Claus – aber es bleibt das „heute journal“. Das war für Sievers eine Mammutaufgabe – selbst die Sendung prägen, ohne gute Dinge zu schleifen. Hat er geschafft. Und Louis wird das erst Recht schaffen.  

Lassen Sie uns inhaltlich sprechen: Klimakrise, Pandemie, Krieg… das verändert auch die Themenauswahl, weil manche Einzelthemen dagegen nichtig erscheinen, aber es ja nicht unbedingt sind. Hat sich die Themensetzung verändert?

Handwerklich ist das eine ganz bescheidene Situation, weil es einerseits die Leute gibt, die sagen: Ich kann Pandemie, Klima oder Krieg nicht mehr hören – ich habe alltäglichere Probleme. Und behandeln sie diese, wird ihnen vorgehalten, dass Pandemie, Klima oder Krieg doch viel relevanter seien. Generell gilt: Früher wurden sie für das gewählte Thema kritisiert, heute eher für die Themen, die sie deshalb nicht machen. Stellen Sie sich vor, wir würden mit dem Bundesgesundheitsminister eine Sendung über Drogen machen – der Vorwurf wäre, wir hätten noch immer eine Pandemie und den Pflegenotstand, was viel drängender sei. Ich habe jetzt 44 Corona-Sendungen gemacht und kann ihnen sagen: Dieses Thema zu moderieren, werde ich sicher nicht vermissen. Und insbesondere nicht die Sendungen unter Corona-Bedingungen mit einer Deko nach Hygienestandards, in der wir alle so weit auseinander standen, dass ich das Gefühl hatte, man hätte mich meines Handwerkszeugs beraubt. Physische Präsenz oder das Zugehen auf Leute war nicht mehr einsetzbar, was sonst ein Mittel der Moderation war. Da gingen auch einige Sendungen in die Grütze.

 

"Ich habe uns immer als gesellschaftliches Abbild betrachtet und nicht als pädagogisches Vorbild"

 

Heute gibt es eine Vielzahl von Polittalks. Als sie anfingen, gab es eigentlich sonst nur „Sabine Christiansen“…

…an dieser Stelle möchte ich mich nochmal herzlich bei Sabine Christiansen bedanken. Das Publikum aber auch Ihre Profession des Medienjournalismus brauchte ja eine Kante, an der man sich abstoßen kann. Und wir wurden mit „Hart aber fair“ in einer Programmlücke des WDR Fernsehens auf diese Art sehr schnell als kompletter Gegenentwurf zum gepflegten Salon in der blauen Berliner Kugel wahrgenommen. Christiansen hatte mit großem Publikumserfolg ihre  Berechtigung, aber gab uns eben die Möglichkeit zu definieren, was uns davon total abheben soll.

Bei der Vielzahl der Formate heutzutage sitzen doch die Gäste und nicht die Redaktionen am längeren Hebel. Wem eine Sendung nicht gefällt, der oder die geht zur anderen…

Und dann gibt es inzwischen auch oft Situationen, in denen die Politik lieber selbst direkt veröffentlicht und gar nicht mehr den Weg über die Medien mit diesem störenden kritischen Journalismus gehen. Mit Twitter, Instagram, Facebook und Live-Streams kann sich die Politik ohne Rechtfertigung oder Nachfrage produzieren. Das macht es schwieriger und schwächt die Position von Journalisten, aber umso wichtiger ist es, diesen Job zu machen. Gut ist, dass die Bandbreite der Gäste größer geworden ist, weil man eben auch Alternativen braucht. Leider ist es immer noch so: Machst du ein soziales Thema wie Altenpflege, sitzt man mit vier Frauen und einem Quotenmann dort, bei einem Wirtschafts-Thema sind es vier Männer und eine Quotenfrau. Zumindest wenn du dich nicht anstrengst. Wir wissen alle, dass das heute nicht mehr so geht. Dennoch habe ich uns immer als gesellschaftliches Abbild betrachtet und nicht als pädagogisches Vorbild. Wir können die Welt nicht schöner aussehen lassen als sie ist, auch weil es unmöglich ist, zu jedem Fachthema eine Gästezusammensetzung entsprechend der Bevölkerungsanteile zu besetzen.

Mein früherer DWDL-Gesellschafter Michael Spreng, auch hin und wieder bei Ihnen zu Gast, erzählte aus seiner Zeit als Berater von Edmund Stoiber: Spannender an den Polittalks sei meist das Gefeilsche hinter den Kulissen gewesen. Würden Sie dem zustimmen?

Spannender vielleicht nicht. Aber anstrengender. Bei souveränen Politikerinnen und Politiker nicht, aber es sind oft die, bei denen man schon den Verdacht hat, dass sie ein zu problematisches Ego haben, die dann mit dem magischen Wort der „Augenhöhe“ anfangen. Kann einem Parteivorsitzenden ein Generalsekretär oder ein Landesminister gegenüber gesetzt werden? Manchmal sind es auch nur übereifrige Referenten, die sich dann echauffieren. Da sammelt man natürlich so seine Erfahrungen und weiß mit der Zeit, wer mit wem und wer nicht mit wem reden will. 

„Hart aber fair“ wurde häufiger dafür kritisiert, dass u.a. auch AfD-Köpfe und andere zweifelhafte Personen bei Ihnen zu Wort kommen…

Ja, aber bei Shitstorms habe ich schnell gemerkt, dass das Stürme in einem sehr engen Wasserglas sind. Ja, wir mussten uns auch als Nazi-Talk beschimpfen lassen. Nur nebenbei: Wir haben zu jeder Zeit eher weniger AfD-Vertreter eingeladen als andere Talks. Ich finde es bedenklich wie man selbst einsortiert wird, wenn man einfach nur eine journalistische Vielfalt in einem Diskussionsformat anbieten will und darauf setzt, dass die Zuschauer mündig selbst urteilen, wenn in der Sendung dann Politiker mit Argumenten gegeneinander antreten. Vielfalt ist meiner Meinung nach übrigens keine Frage von links und rechts, sondern eher von Stadt und Land. Diversität wird derzeit definiert von Minderheiten, die alle ihre Schmerzgrenzen selbst definieren. Aber Diversität ist nicht nur das. 

 

"Hohe Politik ist ein fernes Luxusproblem, wenn der Alltag eine Herausforderung ist"

 

Sondern?

Ich bin fest davon überzeugt, dass eins in diesem Land so divers ist wie nie zuvor: Der Grad von Bildung und Einkommen. Und da reden wir von breiten Bevölkerungsschichten, die sehr heterogen sind und sich nicht hörbar organisieren. Aber sie sind da und fühlen sich auch oft nicht repräsentiert, weil hohe Politik ein fernes Luxusproblem ist, wenn der Alltag eine Herausforderung ist. Und das Lastenrad ist fürs gesamtdeutsche Publikum irrelevant im Vergleich zur Pendlerpauschale. Deswegen ist es die Aufgabe von Redaktionen, die nun einmal von ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten besetzt sind, die in der Regel in Großstädten oder städtischen Umgebungen leben und gut verdienen, andere Perspektiven zu beachten und zu verstehen. Das ist genauso wichtig, wie Betroffene durch Repräsentanz selbst zu Wort kommen zu lassen.

Manchmal waren es auch die Themen, die provozierten. Aber Sie bereuen nichts?

Der Titel, für den wir in 22 Jahren „Hart aber fair“ am meisten kritisiert worden sind, war  „Flüchtlinge und Kriminalität - die Diskussion“. Da war nichts Wertendes drin, aber wir haben dafür richtig einen in die Fresse bekommen. Da wollen dann Menschen das Thema gar nicht behandelt sehen, dabei beruhte das auf Statistiken, über die man nun mal diskutieren muss. Um dann im nächsten Schritt zu fragen: Was sind die Gründe? Ich finde es schlimmer, Themen unter den Tisch zu kehren. Man muss sie auf den Tisch legen, um zu klären, was dran ist. Denn aus unbeantworteten Fragen erwachsen erst recht Vorurteile und falsche Schlüsse. Und das ist dann der Nährboden für Populisten. Denen muss man mit einer ordentlichen journalistischen Aufbereitung in die Parade fahren. Es gibt andere Überschriften, die ich heute auf gar keinen Fall mehr so machen würde, weil sie klingen als wären sie ein schlechter Gag von Harald Schmidt.

Welche denn?

2004 als Polen in die EU aufgenommen wurde, hatten wir eine Sendung „Polen da, Auto weg?  - ohne Vorurteile ins neue Europa“. Das war eine andere Zeit und ein anderer Humor damals. Einen Titel, den ich beim Blick zurück übrigens toll fand und bei dem ich mich frage, warum wir den nur einmal genutzt haben: „Die SPD am Abgrund – was bringt der Schritt nach vorne?“

Gibt es einen Gast, den sie nie bekommen haben aber gerne gehabt hätten?

Nein, ich habe mich eher auf die Abschiedsbesuche einiger gut bekannten Gäste gefreut. Es bot sich für mich nochmal an, Karl Lauterbach zu Gast zu haben, weil er zu meinen persönlichen Helden gehört. Und er ist ein gutes Beispiel dafür, warum ich sage.  Es ist vielleicht auch nochmal ein Grund aufzuhören, weil ich eine Beißhemmung entwickelt habe, und die hat nichts mit Altersmilde zu tun. Es ist eher der Umgang, den wir inzwischen als Gesellschaft miteinander pflegen und welche Kollateralschäden ein Job wie der von Karl Lauterbach mit sich bringt, erstmal an seinen Personenschützern vorbei gucken muss, wenn er in der Öffentlichkeit andere Menschen trifft. Wenn man dann noch bedenkt, was der Mann verdienen könnte, wenn er in die freie Wirtschaft gehen würde und er trotzdem das Ministeramt als seine Pflicht sieht und wahrnimmt. Und jetzt mal angenommen, er würde einen fehlerfreien Job machen und hätte die besten Popularitätswerte – wenn dann ein Skandal im Kabinett oder Kanzleramt ihn bei der nächsten Wahl den Job kosten würde, dann ist er schuldlos raus aus einem Job. Da entwickelt man einen Respekt vor solchen Menschen und hat in der Sendung dann auch keine Lust mehr, die billigen Elfer rein zu kloppen, so jemandem in die Parade zu fahren, nur weil man weiß, dass da jetzt der Applaus abzuholen ist.

Letzte Frage. Als jemand der mehr als 40 Jahre für die Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet hat: Sehen Sie Reformbedarf?

Ich bin optimistisch, dass der Schuss gehört wurde, den der Skandal Schlesinger ausgelöst hat und dass das System durchaus in der Lage und inzwischen auch willens ist, nicht den Weg der BBC zu gehen, bei der es die Politik geschafft hat, die ehrbare BBC zu beschädigen. Da wäre es ratsam, vorher selber aktiv zu werden und die Reformdebatte selbst anzuführen.

Herr Plasberg, herzlichen Dank für das Gespräch.

Die letzte "Hart aber fair"-Sendung von Frank Plasberg läuft am Montag, den 14. November ab 21 Uhr im Ersten.