Frau Agudo Berbel, Herr Prahl, der TV-Werbemarkt steht vor größeren Herausforderungen denn je. Lassen sich diese überhaupt alleine lösen?
Nicole Agudo Berbel: Der Werbemarkt ist ein umkämpftes Territorium, auf dem zunächst einmal jedes Haus für sich agieren muss. Aber natürlich spüren wir Herausforderungen und dass die technologische Konkurrenz – gerade auf dem SmartTV – virulenter wird. Das ist der Grund, warum es genau dort sinnvoll ist, zusammenzuarbeiten. ProSiebenSat.1 und RTL Deutschland haben ja bereits bei dem Addressable TV Joint-Venture d-force unter Beweis gestellt, dass beide Unternehmen bei Zukunftsthemen, die für den Markt und für die Werbekunden sehr wichtig sind, hervorragend zusammenarbeiten können. Bei unserem neuen Joint-Venture mit klarem Technologie-Fokus ergibt sich nun eine weitere Gelegenheit.
Andre Prahl: Der Werbemarkt befindet sich in einer Transformation, weil die Themen Adressierbarkeit, personalisierte Werbung und Targeting in Summe über das Internet den Markt erobert haben und das Fernsehgeschäft diese Features für den Kunden nutzen möchte und auch nutzen muss, um auf lange Sicht im Wettbewerb der Werbetreibenden erfolgreich bleiben zu können. Um die Broadcast-Reichweite zumindest in Teilen in eine adressierbare Reichweite umwandeln zu können, brauchen wir neue technologische Werkzeuge. Das ist im Verbund mit Partnern deutlich erfolgversprechender, als wenn jeder seinen eigenen Weg sucht.
Worum geht es?
Agudo Berbel: Das Joint-Venture heißt Addressable TV Initiative und wird seinen Sitz in Frankfurt am Main haben. Andre und ich teilen uns die Geschäftsführung und werden in Kürze das operative Team vorstellen. Gemeinsam haben wir das Ziel, existierende Technologien für Addressable TV auf Basis offener Standards wie HbbTV im europäischen Markt zu etablieren.
Wenn zwei Unternehmen dieser Größe gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen, dann müssen auch die Wettbewerbsbehörden ein Auge darauf werfen.
Agudo Berbel: Die ersten Gespräche haben vor etwa eineinhalb Jahren begonnen. Als wir uns darüber verständigt haben, wie das Joint-Venture aufgebaut sein soll, haben wir den Kartellbehörden unser Ziel in intensiven Gesprächen erklärt. Auch weil das Joint-Venture einen länderübergreifenden, europäischen Fokus hat, hat die EU-Kommission es geprüft und uns erfreulicherweise für unser Vorhaben grünes Licht gegeben.
Prahl: Es sind zwar zwei deutsche Unternehmen, die das Projekt vorantreiben, aber der europäische Fokus ist entscheidend, schließlich sind die Themen für alle Broadcaster europaweit interessant. Wir wollen so etwas wie eine Initialzündung geben und perspektivisch weitere Partner gewinnen.
Worauf zielt die Zusammenarbeit ab?
Agudo Berbel: Wir sehen uns in einer Vermittlerrolle, die idealerweise dazu führt, dass Targeting-Standards von HbbTV idealerweise in den Endgeräten verbaut werden. Hierzu werden wir als Broadcaster den Dialog mit den Endgeräteherstellern suchen. Das Ziel: Beiden Seiten neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, um TV digitaler zu machen. Es wird verschiedene Modelle geben, wie Broadcaster sich an dem Joint-Venture beteiligen können. Einerseits können sie als Shareholder beitreten, andererseits aber auch als Lizenznehmer dabei sein, um die Technologie nutzen zu können. Endgerätehersteller unterstützen wir, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, ihre Technik auf Kompatibilität zu prüfen.
Was ist das Besondere an HbbTV?
Prahl: HbbTV, also Hybrid broadcast broadband TV, ist ein offener Standard, der interaktive Applikationen auf dafür geeigneten Empfangsgeräten ermöglicht. Das dahinterstehende, offene Konsortium hat die hybride Verbindung zwischen Broadcast- und Broadband-Welt hergestellt. Das ist für vielfältige Zwecke nutzbar, für Mediatheken oder interaktive Zwecke etwa. Aber darüber ist auch Werbeaustausch technologisch möglich. Der ist allerdings in seiner technischen Form noch nicht am Ende des Entwicklungszyklus angekommen. Man kann deutlich flexiblere, auch technisch bessere Modelle entwickeln, wenn man sich an eine neue Version dieses Standards hält – und die nennt sich HbbTV TA, wobei das "TA" für Targeted Advertising steht.
Was hat es damit auf sich?
Prahl: Das ist ein neuer Substandard der HbbTV-Organisation, die sich explizit darum gekümmert hat, einen unterbrechungsfreien Werbeaustausch im linearen Fernsehen zu ermöglichen. Insbesondere für Broadcaster ist das eine sehr flexible Möglichkeit, einzelne Spots innerhalb von Werbeinseln, aber auch gesamte Werbeinseln auszutauschen. Diesen Standard wollen wir verwenden. Auf der anderen Seite steht die Technologie ADB2 - eine andere Form der Signalisierung, die es uns erlaubt, völlig technologieagnostisch, egal ob über Broadband- oder Broadcast-Netze, zu agieren.
Agudo Berbel: Heute müssen wir jede Technologie separat signalisieren – und sie unterscheiden sich erheblich voneinander. Entsprechend enorm ist der Aufwand. Das wollen wir vereinheitlichen.
Von welchem Zeitraum sprechen wir da?
Agudo Berbel: Wir legen in Kürze operativ los und die Ambition ist groß. Zügigkeit ist relevant, weil der Werbemarkt vor enormen Herausforderungen und Transformationen steht. Weil es jedoch ein europäisches Projekt ist, wird es etwas Zeit brauchen, bis wir eine substanzielle Anzahl an Broadcastern und Endgeräteherstellern an Bord haben. Es gibt schließlich nicht nur große Häuser wie unsere, sondern auch kleine und kleinste Anbieter, die nicht so breit aufgestellt sind wie wir. Schon in den ersten zwölf Monaten wollen wir signifikante Fortschritte erzielen, um den Weg zu bereiten, dass möglichst viele Geräte in den Markt kommen, die diesen Targeting-Standard unterstützen.
Prahl: Man kann das ein bisschen mit der Einführung von DVB vor 25 Jahren vergleichen. Damals musste man sich auch auf eine gleichförmige Übertragungstechnik einigen, damit jedem einzelnen großen und kleinen Broadcaster der Zugang zu jedem Fernseher möglich war und sich nicht alle in verschiedenen technischen Interpretationen, wie digitales Fernsehen laufen kann, verhakten. Erst mit Hilfe solcher Standards ist der Erfolg der Digitalisierung des Fernsehens überhaupt möglich geworden. Jetzt sind wir allerdings nicht mehr im reinen Broadcast, sondern in einer adressierbaren Form der Fernsehübertragung unterwegs. Im Prinzip gehen wir also den Schritt weiter und versuchen, eine für jedermann nutzbare Form der Implementierung und der Interpretation von digitalen adressierbaren Standards zu leisten, sodass die Lösung, die man im Broadcast gefunden hat, eins zu eins in der adressierbaren Welt weitergeht.
Agudo Berbel: Der technologische Standard ist einsatzbereit, aber die wesentliche Aufgabe, die vor uns liegt, sind die Gespräche mit Broadcastern und Geräteherstellern.
Frau Agudo Berbel, Herr Prahl, vielen Dank für das Gespräch.