Frau Kasten, Herr Costa-Zahn, am 26. Oktober startet ARD Kultur. Die banalste aller Fragen: Was ist ARD Kultur?

Bettina Kasten: Wir sind das neue innovative, digitale Kultur-Angebot der ARD – unter Federführung des Mitteldeutschen Rundfunks angesiedelt in Weimar, einer der schönsten Kulturregionen Deutschlands. Von hier aus werden wir uns als Gemeinschaftsangebot bundesweit tummeln, um den kulturellen Reichtum von der Ostsee bis zum Breisgau, vom Ruhrpott bis in die Lausitz sichtbarer zu machen,

Kristian Costa-Zahn: ARD-Kultur wird facettenreich sein: Wir sind einmal ein verbindlicher Navigationspunkt im Netz unter ardkultur.de. In diesem Portal werden wir für die Menschen bestehende Kultur-Inhalte aus den ARD-Häusern bündeln. Zudem sind wir auch eigenes Content-Label mit eigenen Produktionen für Mediathek und Audiothek der ARD. In Kürze werden wir bereits zehn eigene Formate anbieten können. Wir wollen gewissermaßen ein digitaler Kultur-Booster der ARD sein, auch als neuer Kreativpartner für die Kulturbranche.

Kann man sich ARD Kultur als Netzwerk vorstellen, ähnlich wie Funk?

Kristian Costa-Zahn: Im Unterschied zu Funk nutzen wir bei der Distribution aber nicht vorrangig Social Networks sondern die bestehenden Plattformen der ARD, also Mediathek und Audiothek. Es ist also nicht ganz falsch, wenn man sich ARD Kultur als dezentrales digitales Netzwerk vorstellt, das für eine bestimmte Zielgruppe Inhalte bereitstellt und dabei einerseits auf die Power aus dem Produzenten- sowie Creator-Markt setzt…

Bettina Kasten: …und wir arbeiten auch intensiv mit Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten ARD-Familie zusammen, um bestehende Kulturinhalte zu kuratieren und gemeinsam ganz neue zu produzieren. Dazu hatten wir auch einen großen Workshop in Weimar. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die existierende Programmvielfalt in diesem Bereich für die Menschen sichtbarer und auffindbarer wird, weil wir da noch viel Potential sehen. Wir können also kuratieren und Inhalte neu zusammenstellen. Als ARD-Label mit dem Anspruch, überall in Deutschland wahrgenommen zu werden, wollen wir bundesweit zugänglich machen, was vielleicht bisher über ein eher regionales Sendegebiet hinaus noch nicht bekannt, aber relevant und spannend ist. 

Kristian Costa-Zahn: Wir justieren sozusagen die Navigation für das bestehende Kultur-Ökosystem ARD neu aus – und bereichern es mit eigenen neuen Formaten. 

Von welcher Größenordnung sprechen wir da?

Kristian Costa-Zahn: Wir nehmen uns pro Jahr etwa 25 Projekte vor, an denen wir beteiligt sind. Teilweise sind das Projekte, die komplett finanziert und inhaltlich ausschließlich von ARD Kultur verantwortet werden. Mehrheitlich werden es allerdings Koproduktionen mit den ARD-Häusern sein. In diesem Jahr sind das zum Beispiel schon sechs Audio-Projekte, die anderen sind Videoformate.

Was bedeutet es für ein dezentrales Netzwerk, in Weimar "zuhause zu sein"?

Bettina Kasten: Wie schon erwähnt, der MDR ist federführend bei der neuen Gemeinschaftseinrichtung, wir sind Mitteldeutschland verankert. Weimar ist als Kulturstadt eine inspirierende Heimat für ARD Kultur. Ich würde das jetzt nicht überhöhen wollen und sagen, dass Goethe und Schiller einen Einfluss auf uns haben, aber wir passen als ARD Kultur einfach sehr gut nach Weimar.

Kristian Costa-Zahn: Und wir nutzen den Standort natürlich auch zum Vorteil unserer Nutzerinnen und Nutzer, in dem wir den Austausch mit den Institutionen vor Ort suchen, etwa der Klassik Stiftung Weimar, dem Nationaltheater oder der Bauhaus Universität. Und trotzdem bauen wir ja wie schon gesagt ein national ausgerichtetes Programmangebot auf, das sich nicht als Kulturprogramm aus Weimarer Blickwinkel versteht. Wir werden uns bundesweit vernetzen.

Was verstehen Sie unter Kultur?

Kristian Costa-Zahn: Gute Frage, weil es uns wichtig ist, den Schirm unter dem wir alles versammeln, klar zu definieren. Wir sprechen ARD-intern und im Dialog mit den Kreativen immer von einer Konzentration auf die kreativ schöpferischen Disziplinen - von Street Art bis Oper, von Subkultur über Popkultur bis Hochkultur. Das kann Architektur, Comic, Mode, Tanz, Theater, HipHop, Techno etc. sein. Uns wurden zunächst auch Inhalte angeboten zu Themen wie Fußball oder Raumfahrt, aber das würde erstmal nicht zu ARD Kultur passen. Genauso wie rein gesellschaftliche Themen, denen man sich in der Zukunft irgendwann vielleicht auch einmal öffnen könnte. Aber anfangs wollen wir mit einem fokussierten Angebot ein klares Bild prägen von ARD Kultur.

Frau Kasten, wie sehr legt man sich mit diesem weitgefassten Kultur-Begriff an mit Menschen, die den Verfall der abendländischen klassischen Hochkultur bemängeln? Sie kennen das auch aus Ihrer Zeit bei ZDF, 3sat und ARTE vor einigen Jahren. Ist der versnobte Blick auf Kultur inzwischen weg?

Bettina Kasten: Ich habe jahrelang Programme gemacht, die sehr viel von sehr wenigen Menschen geguckt wurden und ich sage Ihnen: Auch mit 24 Stunden Faust machen Sie sich innerhalb des Senders nicht nur Freunde. Ich stand und stehe dahinter. Aber es hat sich was geändert und das nicht nur, weil mit der Zeit eine jüngere Generation auf einzelnen Positionen arbeitet, sondern weil die neuen Ausspielwege uns alle an neue Medienformen gewöhnt haben: Podcasts oder Streamingserien, um Beispiele zu nennen. Deswegen hatten wir eigentlich wenige Diskussionen über unseren definierten Kulturbegriff, sondern viel mehr eine große Freude auf Experimente. Wir begreifen uns dabei auch als Netzwerk und merken schon, wie spannend es ist, mit Institutionen und Kreativen in unterschiedlichsten Konstellationen zusammenzuarbeiten und sie miteinander zu verbinden. Exemplarisch sehen wir unseren ARD Kultur Creators Wettbewerb, den wir dieses Jahr hatten: Daraus werden die ersten vier Projekte zum Start von ARD Kultur am 26. Oktober zu sehen und zu hören sein. Mehr als 600 Einreichungen hatten wir beim Creators-Wettbewerb.

Welche Zielgruppe haben Sie im Blick mit ARD Kultur?

Kristian Costa-Zahn: Bei unserem Portal www.ardkultur.de werden wir einen breiten Zielgruppenfokus von 14 bis open End haben und nach unterschiedlichen Kulturinteressen kuratieren. Wir bewegen uns im Rahmen der Gesamtstrategie der ARD und haben bei der Beauftragung unserer Produktionen und der Entscheidung, was wir machen, im Kern die 30- bis 50-Jährigen vor Augen. Wir haben dann noch etwas präziser gewisse Sinus-Milieus definiert. Das ist die Flanke, die unserer Meinung nach unterrepräsentiert ist im Angebot der ARD, was auch meine eigene Erfahrung ist als Teil dieser Zielgruppe. Es gibt ein starkes Angebot für das eher ältere Publikum mit einem klassischer definierten Kulturbegriff, und durch Funk und weitere „Junge Angebote“ eine Fläche für Jugendkultur, aber dazwischen gibt es bisher einige Portfolio-Lücken. Die 30-50-Jährigen haben als Beitragszahler jedoch auch einen Anspruch auf Inhalte, mit denen sie sich identifizieren - beispielsweise auch gerne was zu Techno, StreetArt, Fashion oder HipHop. Das sind für meine Generation ja keine Nischen, sondern ebenfalls Mainstream und der ist aktuell im Angebot der ARD noch weniger stark vertreten oder nur sehr versteckt. Da gehen wir ran, immer mit dem Anspruch der Innovation und des Experimentellen, was Erzählformen oder Perspektiven angeht.

Dann lassen Sie uns über die ersten zehn Produktionen sprechen, die sie jetzt angekündigt haben. Wie spiegelt sich dort der formulierte Anspruch?

Kristian Costa-Zahn: Dazu gehört zum Beispiel mit „Beyond Fashion“ ein Modemagazin. Das ist ein gutes Beispiel für ein Thema, das sonst eher liegen gelassen wurde. Wir packen es an, zusammen mit der Gastgeberin Avi Jakobs, die sich dem Thema u.a. mit Blick auf Gender-Identität, Rassismus und Nachhaltigkeit nähert. Wir haben hier wie bei vielen anderen Formaten, mit denen wir starten, jetzt Pilotstaffeln produziert bzw. produzieren lassen mit drei bis sechs Folgen. Damit gewinnen wir bessere Erkenntnisse, ob das Themen und Formen sind, die ankommen und dann möglicherweise fortgesetzt werden oder wo wir lieber wieder Budget für neue Ideen einsetzen. 

Bettina Kasten: Bei „Szene Report“ ist es die Form, mit der wir überraschen. Erzählt wird in jeder Folge eine Subkultur der vergangenen Jahrzehnte in Form eines ARD-Reports und das als Mockumentary. Es geht u.a. um Emos oder LAN-Partys. Protagonisten der ersten Folgen, die uns jeweils durch eine Subkultur führen, sind El Hotzo, Aligatoah und Rocko Schamoni. Das transportiert diese Subkulturen auf ganz andere Art und Weise über das spielerische Stilmittel der Mockumentary. In „Pixelparty“ diskutieren und erklären Laura Kampf und Nilz Bokelberg Digitale Kultur - mal als Mensch, mal als Avatar. Es geht u.a. um Augmented Reality, Künstliche Intelligenzen oder NFTs.

Kristian Costa-Zahn: In „Call me DJ!“ Erzählen wir die Geschichte von bekannten weiblichen DJs, die es in der elektronischen Musik - wie viele andere Musikerinnen - schwieriger haben als ihre männlichen Kollegen. Es geht natürlich um Feminismus und Equality, aber es steht nicht drauf sondern steckt einfach drin in der spannenden Begleitung der Künstlerinnen. Und gerade erst vorletzte Woche haben wir in der Hamburger Kunsthalle „Letzte Beute“ produziert, ein Rollenspiel mit Anleihen aus Impro-Theater und Literatur mit Daniel Donskoy, Nina Kronjäger, Rauand Taleb, Ivo Kortlang, Cristina Do Rego, Katjana Gerz und Frederic Böhle. Es geht um einen Kunstraub, aber dann läuft alles anders als gedacht. Und in der zweiten Welle, die noch bis Jahresende startet, folgen ein Literaturformat, ein StreetArt-Projekt, ein Projekt über Kultur und Aktivismus, eins über Queer Culture und ein Tattoo-Format.

Jetzt startet ARD Kultur in einer Zeit, in der extrem viel über die Öffentlich-Rechtlichen diskutiert wird - und im besonderen über die ARD…

Bettina Kasten: Wir freuen uns auf den Start unserer Inhalte. Und wir beide sind keine langjährigen ARD-Gewächse, sondern sind von außen neu an Bord gekommen, weil wir es wichtig finden, die kulturelle Vielfalt der ARD-Angebote aus einem anderen Blick sichtbar zu machen und auch neue Akzente zu setzen. Wenn wir mit ARD Kultur mithelfen können, den Wert der Öffentlich-Rechtlichen für die Gesellschaft besser herauszustellen und noch zu stärken, dann freut uns das sehr. 

Frau Kasten, Herr Costa-Zahn, herzlichen Dank für das Gespräch.