Frau Leithäuser, Frau Marx, der bekannte Slogan der Radiozentrale lautet "Radio. Geht ins Ohr. Bleibt im Kopf". Auf der anderen Seite gilt das Radio oft als Nebenbeimedium. Bleibt das denn wirklich im Kopf?
Grit Leithäuser: Das Radio war schon immer beides – und genau darin liegt doch der Vorteil des Mediums. Unser Slogan zielt auf das ab, was Werbekunden vom Radio zu erwarten haben. Das häufige Hören führt letztlich dazu, dass die Menschen ihre Botschaften behalten.
Katja Marx: Der Slogan macht deutlich, dass Radio eben nicht nur etwas für den Bauch ist, sondern auch für den Kopf. Das Radio ist das emotionalste Medium überhaupt. Aber wenn wir auf die Inforadios schauen, dann zeigt sich, wie hoch die Glaubwürdigkeit ist und wie sehr es uns mit Radio gelingt, im Informationsbereich Maßstäbe zu setzen. Gleichzeitig ist Radio auch der Master of Convenience, also etwas für die Sympathisch-Faulen: Ich schalte morgens einfach ein und kann mir sicher sein, dass jemand schon früher wach war, um die Playlist zu machen, die News zu checken und mich mit dem Wichtigsten für den Tag versorgt.
Wie kann das Radio seinen Stellenwert auch in den kommenden Jahren behalten – trotz stärkerer Konkurrenz im Audio-Bereich?
Leithäuser: 53,5 Millionen Menschen sind es laut der letzten MA-Erhebung, die täglich Radio hören. Im Schnitt über vier Stunden pro Tag. Diesen Stellenwert muss ein anderes Medium sich erst noch erarbeiten.
Marx: Die Frage, ob es das Radio in fünf oder zehn Jahren noch gibt, hat sich aus meiner Sicht komplett erledigt. Ich bin mir sicher, dass das Radio so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden wird, weil der Usecase ein besonderer ist – und der überlebt sich nicht. Lange Zeit haben wir gedacht, dass non-lineare Audioformate das lineare Radio ablösen werden. Heute sehen wir: Die Stärken beider Formate sind so groß, dass sie gar keine Konkurrenten im Audio-Markt sind, sondern Kollegen.
Der Podcast-Markt ist inzwischen auch riesig, auch die ARD kündigt wöchentlich mehrere neue Projekte an. Wo müssen Sie eigentlich im Gegenzug sparen und etwas weglassen, um sich die Vielzahl an Angeboten leisten zu können?
Marx: Wir haben gelernt: Es funktioniert gut, Podcastformate auch im linearen Radioprogramm zu senden. Bei NDR Info haben wir vor zwei Jahren alle langen Sendungsformate auf "Podcast first" umgestellt und damit auch den Regeln unterworfen, die für Podcasts gelten. Wir haben begonnen mit Hosts zu arbeiten und die Ansprache verändert, sind dialogischer geworden oder haben das Publikum geduzt. Dadurch hat sich die Nutzung komplett verändert. Die Angebote wurden bis zu 40 Prozent häufiger abgerufen als vorher – und dabei haben wir den Effekt des Coronavirus Update-Podcasts sogar herausgerechnet, um realistische Zahlen zu haben. Das zeigt, dass wir gut mit unserer Strategie fahren, diese intensiven und langen Formate im linearen Programm zu senden. Das ist umgekehrt als früher. Da hat man gedacht, man habe einen Podcast geschaffen, nur weil es eine Download-Funktion einer Sendung gibt. Aber so einfach ist es nicht.
Man hatte lange den Eindruck, dass lange Wortbeiträge im Radio nicht unbedingt erwünscht sind.
Marx: Das Prinzip der kurzen Wortbeiträge ist Quatsch. Ein Beitrag ist so lange gut wie er gut ist. Er kann sehr schnell zu Ende sein und trotzdem seine Berechtigung haben, er kann aber auch sehr lang sein. Nicht das Format schlägt den Inhalt, sondern der Inhalt gibt das Format vor.
Gilt das etwa auch für die Unterhaltungsprogramme?
Marx: Ja, ganz klar. Die Inhalte, die dort laufen, müssen zum Markenprofil des Programms passen. Aber eine Länge vorzugeben, macht wenig Sinn. Wenn der Bundeskanzler zurücktritt, dann wäre auch NDR 2 schlecht beraten, das in unter 20 Sekunden stattfinden zu lassen.
Leithäuser: Es kommt immer auf die Zielgruppen an. Außerdem gibt es ja verschiedene Herangehensweisen. Ein langes Gespräch lässt sich beispielsweise auch durch Musik unterbrechen, um es dem Fluss des Programms anzupassen. Aber wir stellen fest, dass die Menschen zunehmend tiefergehende Wortbeiträge haben möchte. Das ist auch ein Spiegel der Zeit. Vor einigen Jahren war das gefühlte Anforderungsprofil an Beiträge sicher noch ein anderes als heute.
Besonders gute Leistungen werden nun wieder beim Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Wo stehen Sie im 13. Jahr?
Marx: Das Wichtigste ist für mich, dass diese Veranstaltung die Menschen sichtbar macht, die ansonsten im Radio keiner sieht. Sie holen wir ins Rampenlicht und feiern sie. Es geht also nicht nur um die Inhalte, sondern auch um diejenigen, die sie machen.
Ist es vor dem Hintergrund der Sichtbarkeit wichtig, dass der Radiopreis auch im Fernsehen übertragen wird?
Marx: Beim ersten Radiopreis vor 13 Jahren hat die Ausstrahlung im Fernsehen sicher noch eine andere Rolle gespielt als jetzt. Inzwischen hat auch ein Stream im Internet eine große Bedeutung. Tatsächlich merken wir, wie stark die gesamte Radiobranche den Stream nutzt. Die Macherinnen und Macher, die wir auf die Bühne holen, stehen letztlich nicht nur für sich, sondern für die komplette Vielfalt – inhaltlich und thematisch – des gesamten Mediums Radio, ergänzt um Podcasts.
Wird es Veränderungen zu den Vorjahren geben?
Marx: In den vergangenen beiden Jahren waren nur die Nominierten, Laudatoren und Künstler vor Ort. Ich bin froh, dass wir diesmal wieder eine große Veranstaltung haben werden. Da freuen sich alle drauf, weil die Atmosphäre eine andere ist.
Leithäuser: Wir ändern nicht von einem aufs andere Jahr alle Kategorien, aber passen sie regelmäßig an, weil sich Formate oder Schwerpunkte verändern. Dem tragen wir Rechnung, in diesem Jahr durch einen veränderten Stellenwert der Podcasts. Im vergangenen Jahr haben wir noch den "besten Podcast" gekürt, diesmal können Podcasts hingegen in gleich vier thematischen Kategorien eingereicht und ausgezeichnet werden.
Marx: Die Öffnung der vier Kategorien für Podcasts hat dazu geführt, dass wir deutlich mehr Einreichungen dieses nonlinearen Formats bekommen haben, darunter gleich 27 für die Kategorie "Bestes Informationsformat". Das zeigt, wie der Usecase von Podcasts funktioniert: Vertiefung, Einordnung, Erklärung. Es ist im Gesamtmedienmarkt wichtig, dass wir genau solche journalistischen Formate haben, die in der Transformation des Mediensystems neue Wege gehen.
Das bedeutet allerdings, dass die Jury noch mehr zu tun hat, oder?
Leithäuser: Das stimmt, allerdings hilft es uns, dass Grimme die Jury-Arbeit zweistufig aufgestellt hat. Neben der klassischen Jury, die die Preise vergibt, gibt es nun schon im zweiten Jahr eine Nominierungskommission, die eine Vorauswahl trifft. Das ist kein schneller Prozess, aber die Damen und Herren tun das mit viel Herzblut. Da geht es durchaus ans Eingemachte.
Marx: Ich bin glücklich darüber, dass wir so ein gutes und belastbares Verfahren gefunden haben. Wenn man sich überlegt, dass drei von vier Menschen in Deutschland Radio hören, dann haben es die Macherinnen und Macher verdient, dass man sich so intensiv mit ihren Sendungen und Programmen beschäftigt.
Lassen Sie uns abschließend noch den Blick auf das Medium als Ganzes blicken. Die Radiobranche hat unter Corona gelitten und die nächste Krise ist schon da. Wie bewerten Sie die Situation unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten?
Leithäuser: Durch Corona hat das Radio, wie alle anderen Mediengattungen auch, wirtschaftlich stark gelitten. Das gilt übrigens nicht für die Nutzung, ganz im Gegenteil. Wir sind trotz anfänglicher Befürchtungen besser ins Laufen gekommen als man das erwarten konnte. Die jetzige Situation ist nun erneut eine sehr schwierige, weil der Werbemarkt gegenüber dem Vorjahr schrumpft. Da spielen beispielsweise Lieferkettenschwierigkeiten und die Inflation eine Rolle. Und wenn die Kaufkraft sinkt, werden auch Kommunikationsbudgets angefasst. Ich hoffe sehr, dass Mittel und Wege gefunden werden können, damit die Situation relativ schnell in den Griff bekommen werden kann. Wir wissen, dass die Vermarktung im nächsten Jahr ein harter Kampf sein wird.
Frau Marx, Frau Leithäuser, vielen Dank für das Gespräch.