Muss man Sadist sein, um eine Serie wie „Kleo“ schreiben zu können?
Bob: (lacht) Interessante Frage. Wen quälen wir denn?
Das Ableben so mancher Figur in „Kleo“ wird regelrecht zelebriert…
Hanno: Also zur Grundkonzeption der Serie gehört eine Comic-hafte Überhöhung. Und dafür wäre es zu einfach gewesen, wenn sie einfach die Knarre zieht und rumballert. Die Überhöhung verschafft uns auch Freiheiten, weil es nicht um absoluten Realismus geht. Wobei ich anmerken möchte, dass sich die ein oder andere Tötungsart - so absurd sie auch wirken mag - tatsächlich an realen Vorbildern orientiert.
Bob: …aus dem Handbuch der Arbeitsgruppe des Ministers für Sonderfragen. Das gab es tatsächlich.
Sie nennen es Comic-hafte Überhöhung, man könnte auch sagen: Larger than life. Ist das der Netflix-Effekt, der das Projekt abhebt? Denn grundsätzlich wurde die Wendezeit schon oft erzählt…
Richard: Das war von Anfang an das Ziel. Wir sagen gerne: „Kleo“ ist die Verfilmung eines Comics, den es nie gab. Es ist wie eine Geschichte, die über stille Post zehn Mal weitererzählt wurde und mit jedem Mal wurde alles ein bisschen verrückter und ausgeschmückter. Und am Ende war es eben plötzlich die ganz große Explosion, die ihn in alle Stücke zerriss.
„Kleo“ ist definitiv kein ARD/ZDF-Wendedrama.
Richard: (lacht) Wir kennen alle die existierenden Produktionen, die sich mit dieser Zeit beschäftigt haben. Deutsche Wende-Serien haben oft eine sehr bedeutsame Dramatik, was angesichts der historischen Bedeutung ja seine Berechtigung hat. Aber wir wollten das mal anders erzählen. Es ging nicht darum einen Wikipedia-Artikel zu verfilmen. Wir wollten alles eine Stufe höher drehen, alles etwas größer machen. Da hatten wir Netflix noch nicht an Bord, aber wussten: Dafür gibt es nicht viele Abnehmer in Deutschland.
Hanno: Wir wollten halt nicht noch ein Nach-Wende-Berlin erzählen, so wie es wirklich war. Sondern ein Nach-Wende-Berlin wie es sich damals in dem Moment angefühlt hat - und das war völlig irre. In der Zeit bevor dann klar war, dass Deutschland wieder eins wird. Man wusste morgens nicht, was am Abend gelten würde und die Lagerhalle von gestern ist heute ein Club und morgen schon wieder nicht mehr. Alles wurde ausprobiert, weil niemand wusste, was kommen würde.
Bob: Ich habe damals an der Bornholmer Straße gelebt und erinnere mich an wilde Geschichten aus diesen Monaten zwischen dem Mauerfall und der Wiedervereinigung, in der alles möglich schien. Da waren plötzlich Bars in Erdgeschoss-Wohnungen, überall entstand das was man heute „PopUp-Location“ nennen würde. Man philosophierte mit fremden Menschen darüber, wie das hier wohl alles weitergehen würde. Dieses Feeling wollten wir transportieren. Nicht mit dem Wissen, wie es ausgehen wird, sondern aus diesem Schwebezustand der Dinge heraus. Ich frage mich manchmal, ob man im Ausland bis heute wirklich verstanden hat, wie besonders diese Zeit war. Was international natürlich immer funktioniert ist Berlin und sicher auch die Entstehung der Jugendkultur Techno.
Und was hat zur Story von „Kleo“ inspiriert? Wie kam es zu der Geschichte, die sie vor dem Hintergrund erzählen?
Bob: Wir drei waren eingeladen zu einem Essen in München und einer derer die uns eingeladen haben, meinte dann während wie bei Thai Food zusammensaßen: „Ich schenke Euch eine Idee: Was wäre, wenn man den Graf von Montechristo in der Endzeit der DDR erzählen würde?“ Und dann haben wir darauf tatsächlich mal rumgedacht und in einem ersten Schritt aus dem Graf eine Gräfin gemacht.
Hanno: …und dann hat sich ziemlich schnell alles zusammengefügt. Dieser Sound der Serie, also das Grundgefühl und dazu die Inspiration für die Story. Und deswegen ging es dann auch sehr schnell in die konkrete Entwicklung der Serie.
Bob: Natürlich haben wir dann auch noch recherchiert und stützen uns auf viele Elemente, die es tatsächlich gegeben hat, Mielkes roter Koffer, die schon angesprochene Arbeitsgruppe des Ministers für Sonderfragen etc. Am Ende wurde aus den Fakten, der Story und dieser besonderen Stimmung „Kleo“.
Jella Haase spielt Kleo wirklich unwiderstehlich gut. Man drückt ihr unweigerlich die Daumen. Darf man sich als Publikum in eine Killerin verlieben?
Richard: Eine sehr berechtigte Frage. Wir reden hier von einer kaltblütigen Killerin. Uns dreien war sehr schnell klar, dass wir nur Jella für diese Rolle wollen, weil sie etwas absolut liebenswertes mitbringt, was uns als Publikum viel verzeihen lässt obwohl sie mit einer gewissen Freude und Regelmäßigkeit Menschen umbringt, die ihr im Weg stehen. Jella hatte, glaube ich, einen etwas längeren Weg zu der Erkenntnis, warum das so ein perfect match ist. Aber von dem Moment an, an dem sie Jella verkörpert hat, hat sie die Rolle mit ihrer Interpretation nochmal sehr bereichert.
Hanno: Deswegen darf man sich gerne in sie verlieben.
Bob: Dass wir uns in sie verlieben können, liegt zum Teil am Buch, wo wir natürlich - wie Jella auch - auf eine Ambivalenz von Kleo wert gelegt haben. Was Jella aus Kleo gemacht hat, liegt aber auch daran wie fantastisch sie mit der Regie, also Viviane Andereggen und Jano Ben Chaabane, zusammengearbeitet hat und uns als Publikum verführt.
…und den westdeutschen Polizisten Sven. Die Begegnungen der beiden erinnern mich an „Killing Eve“. Gut und böse wird für Momente relativ…
Richard: Das ist ein schönes Kompliment. Wir haben in der Serie immer wieder Momente in denen Konflikte auftauchen, deren Lösungsmöglichkeiten uneindeutig sind. Weil man sich schwer tut, einer Seite eindeutig recht zu geben. Gerade wenn Kleo und Sven aufeinander treffen, ist das besonders wichtig.
Hanno: Das Beispiel liegt auf der Hand, weil wir von Anziehung und Abstoßung zweier Pole erzählen. Wir kennen natürlich „Killing Eve“ aber sind nicht der Versuchung erlegen, ganzen Mustern zu folgen. In andere Rollen zu schlüpfen um die Taten zu begehen, hat auch „Killing Eve“ nicht erfunden. Es gibt z.B. bei „The Heat“ übrigens auch eine ähnliche Konstellation von Jäger und Gejagtem, nur würde man es nicht heranziehen als Vergleich, weil es da zwei Männer sind.
Bob: Die Lust auf Verkleidungen hatten wir ja schon damals bei „Koslowski und Haferkamp“ am ARD-Vorabend. Kleo kann so noch viel mehr Seiten zeigen. Stichwort Verkleiden: Mein Highlight bei der Recherche war übrigens ein Tarnungshandbuch der Stasi mit dem Foto zu „Der Tourist“. Wenn du diesen Typen auf der Straße sehen würdest, wäre eins sofort klar. Dass das kein Tourist ist (lacht). Ich lege jedem ans Herz, mal das Stasi-Museum zu besuchen.
Die Serie hat eine sehr kompromisslose Visualität, nicht nur in den Mordszenen. Wie viel Einfluss auf die Optik haben Sie als Autoren genommen?
Richard: Wir wollten nicht grau-beige werden und hatten recht früh bei uns im Writers Room eine Art Farbpalette, u.a. mit Stills aus Filmen und Werken die uns inspiriert haben. Dann haben wir mit Isabel von Forster eine fantastische Szenenbildnerin gefunden, die unsere Vision sofort verstanden und weitergetragen hat mit ihrer Expertise. Das ging dann Hand in Hand.
Hilft es da, nicht nur Autor sondern Showrunner zu sein?
Hanno: Das hilft natürlich. Netflix gehört auch zu den Partnern, die das extrem fördern. Ich würde es so sagen: Man fühlt sich von Netflix eingeladen, die ursprüngliche Vision für die Serie, mit der alles begann, nicht nur auszuformulieren sondern auch bei der Umsetzung zu begleiten. Dieses Vertrauen, diese Verantwortung haben wir so noch nicht erlebt.
Letzte Frage: Gönnt man sich einen Schnaps bei so herrlich vorgetragenen Sätzen wie „Binz wird das LA des Ostens“?
Bob: Das ist auf dem Mist von Hanno gewachsen, der bei uns für die Kalauer zuständig ist.
Hanno: Ja, na klar gönnt man sich da nen Schnaps (lacht)
Herzlichen Dank an die Runde für das Gespräch.