Zum zehnjährigen Jubiläum der btf: Würden Sie alles nochmal so machen? Oder haben Sie einen klugen Ratschlag an Ihr jüngeres Ich?

Matthias Murmann: Eigentlich schon. Alles richtig gemacht. (lacht)

Philipp Käßbohrer: Die Antwort ist tagesformabhängig. Wir haben schon ein paar Dinge durchgemacht, die müssen andere gar nicht durchmachen oder erst viel später. Aber grundsätzlich hatten wir das große Glück, in Zeiten des Umbruchs die Neuen zu sein: Die Öffentlich-Rechtlichen wollten jünger werden, die Streamingdienste kamen. Da gingen viele Türen auf. Ich würde meinem jüngeren Ich also lieber aus dem Weg gehen, wie Marty McFly. Es ist besser, wenn man nicht so genau weiß was auf einen zukommt. 

Zum 10. Geburtstag ist man kein Newcomer mehr. Sind Sie Establishment?

Philipp Käßbohrer: (lacht) Ach, inzwischen passt bildundtonfabrik immerhin ganz gut. Das war nicht immer so. Früher waren wir mit der handvoll Leute allenfalls eine bildundtonmanufaktur.

Matthias Murmann: Dass wir inzwischen etabliert sind, ist ja erstmal nichts schlechtes. Dennoch haben wir kontinuierlich daran gearbeitet, den Vibe von früher zu erhalten. Die große Wertschätzung von Artists vor und hinter der Kamera, die Offenheit für neue, junge Talente oder die Durchlässigkeit für Ideen, frei von Hierarchien sind unverändert Teil unserer Unternehmenskultur.

Das Unternehmen ist gewachsen, aber sie sind immer noch oft selbst kreativ involviert. Wie bekommt man das hin, etwa mit Idee und Drehbuch zu „King of Stonks“?

Matthias Murmann: Gute Frage…

Philipp Käßbohrer: …bei der ich wieder merke, wie schwer es ist, den Eindruck aus der Welt zu schaffen, dass wir hier alles allein machen würden.

Nun, Firmen die sogar kleiner sind als ihre, benennen im Wochentakt neue Head of Departments. Bei der btf fallen hingegen oft die Namen Murmann und Käßbohrer…

Matthias Murmann: Wir wollten eigentlich immer, dass die Marke btf und ihre Inhalte für sich stehen, merken aber, dass sich die Menschen Gesichter wünschen, und dann schreiben sie eben oft über diejenigen, die im Impressum stehen. Aber wir sind keine Firma mit zwei verrückten Sonnenkönigen an der Spitze, die “Daumen hoch, Daumen runter” spielen. Wir haben inzwischen eine Producer:innen Riege aufgebaut, die Projekte ganz eigenständig betreuen. In Zukunft werden wir mehr für diese Strukturen trommeln müssen, um anders wahrgenommen zu werden.

Philipp Käßbohrer: Durch diesen Spielplatz aus Studios, Werkstätten und Postproduktion, den wir uns hier gebaut haben und das sehr beständige, eingespielte Team, hat sich das Tagesgeschäft in den vergangenen Jahren gar nicht so arg verändert. Von den Menschen, die am Anfang mit dabei waren, sind die allermeisten noch dabei. Sie prägen insbesondere die Visualität unserer Produktionen, aber natürlich auch die Inhalte. Außerdem pflegen wir ein langjähriges Verhältnis zu zahlreichen Freischaffenden und Dienstleistungsfirmen.

Murmann Käßbohrer © btf / Nils Reuter Jonglieren weiter unabhängig im Markt: Käßbohrer und Murmann

Wenn man sich einen Kreis von Leuten geschaffen hat, mit denen man immer wieder gerne zusammenarbeitet… wie bleibt man da offen für Neue?

Philipp Käßbohrer: Der Einstieg in die Fiction, der Aufbau der Doku-Abteilung und die Games-Entwicklung in Berlin und Köln wären gar nicht möglich gewesen, wenn wir nicht offen gewesen wären für Köpfe, die in ihren Disziplinen viel klüger sind als wir. Generell sind wir viel offener geworden, auch mit etablierten Namen oder in interessanten Koproduktions-Partnerschaften zusammenzuarbeiten. Das war früher nicht so einfach. Um frisch zu bleiben, fördern wir aber auch interdisziplinäres Arbeiten. So gibt es beispielsweise einen großen Austausch zwischen der Games-Abteilung und anderen Bereichen der btf mit Erfahrungen in Storytelling und Visualität. Das gilt auch für Kreative vom freien Markt. Fabienne Hurst, die als Journalistin „Docupy“ für uns gemacht hat, hat jetzt zwei Bücher von „King of Stonks“ geschrieben. Aktuell führt sie Regie bei einem langen Dokumentarfilm. So versuchen wir eine Produktionsfirma zu bleiben, die für Originalität steht und nicht nur das reproduziert, was es schon gab.

Was zu so vielen Auszeichnungen führte wie für kaum eine andere Produktionsfirma dieser Größenordnung. Was bedeutet Ihnen das?

Philipp Käßbohrer: Die Arbeit am Tag nach dem Grimme-Preis ist die gleiche wie am Tag davor. Die wird nicht einfacher, wenn ein Preis im Regal steht.

Matthias Murmann: Natürlich sind wir sehr dankbar für die Anerkennung, aber kein Preis ist eine Garantie für das Gelingen des nächsten Projekts.

Das ist mir jetzt zu viel Understatement. Sowas hilft doch, einen US-Streamer wie Netflix auf sich aufmerksam zu machen... 

Matthias Murmann: (lacht) Okay, stimmt. Als wir anfangs bei Netflix direkt mit Amerika gesprochen haben, wollten sie erstmal eine Stippvisite in Ehrenfeld machen, um zu schauen, ob es uns auch wirklich gibt. Da hab ich mir extra ein Hemd angezogen. Aber vermutlich hat da die Legacy dann mehr geholfen als mein Hemd. Trotzdem blieb eine gewisse Skepsis, bis wir denen die erste Staffel von „How to Sell Drugs“ geliefert haben. Ab dann waren die Türen auf.

Philipp Käßbohrer: Womit wir mehr punkten konnten, war unsere Verlässlichkeit. Wir kannten das wochenaktuelle Produzieren im Rahmen einer Auftragsproduktion von unseren Shows und wussten, dass Deadline Deadline ist. Ich glaube, in diesen Punkten hatten wir der ein oder anderen Fiction-Produktionsfirma in Deutschland etwas voraus.

Mit „King of Stonks“ und jetzt „Buba“ sind zwei neue Produktionen gerade bei Netflix gestartet. Zufrieden mit dem Feedback? Und woran machen sie das fest?

Philipp Käßbohrer: Der erste wichtige Indikator bei der Vielzahl an verfügbaren Inhalten ist natürlich, wenn überhaupt auffällt, was man macht - was sowohl für „King of Stonks“ als auch „Buba“ gilt. Wenn darüber geschrieben und gesprochen wird, ist das schön.

Matthias Murmann: Eine Grußkarte mit Glückwünschen von Reed Hastings haben wir schon bekommen, aber etwa nach einem Monat geht’s dann meistens in den Austausch mit Netflix über die Performance. Wobei es auch interessant ist, wie sich die Definition von Erfolg im Vergleich zu den Zeiten der ersten „How to Sell Drugs“-Staffel geändert hat. Vor vier Jahren wurde mehr experimentiert, inzwischen gibt es etliche “Learnings” und auch bei Netflix hat man gemerkt, dass die Deutschen ihre Krimis lieben.

 

"Man bricht besser was mit einem Streamer ab, als mit einem öffentlich rechtlichen Sender."

Matthias Murmann

Vielleicht auch deshalb wurde Ihr Projekt „Pauline“ kurz vor Drehstart abgebrochen von Netflix. Wie sehr traf das die btf?

Matthias Murmann: Die Anzahl der Krisen härtet ab. Natürlich fühlte sich das an wie ein Rechner, der gerade auf maximaler Leistung arbeitet und dann drückt jemand den Reset-Button. Aber in solchen Situationen helfen faire Verträge, die man vorher ausgehandelt hat. Ich sag mal so: Man bricht besser was mit einem Streamer ab, als mit einem öffentlich rechtlichen Sender. Es gab mit Netflix ein respektvolles Miteinander bei der Klärung, wie man die Kuh vom Eis kriegt, ohne dass der Laden hops geht. Sowas interessiert andere Partner:innen weniger. Aber kreativ hing uns das natürlich noch etwas länger in den Knochen. Wenn man so tief drin war in einem so tollen Projekt und dann auf einmal loslassen muss. Aber es wird schon längst heftig entwickelt an weiteren Themen. 

Dann geben Sie doch mal einen Ausblick…

Philipp Käßbohrer: Zu mehreren fiktionalen Projekten, die wir im ersten Halbjahr 2023 drehen, dürfen wir inhaltlich leider noch nichts sagen. Die nächste Studio-Produktion ist jetzt erst einmal die neue Staffel „Maithink X- Die Show“, dann kommt „Die Carolin Kebekus Show“ wieder. In Berlin und Köln entstehen zwei neue Games, darunter das First Person Adventure „Das Apartment“ vom “Trüberbrook”- Team rund um Florian Köhne. Unsere Doku-Abteilung, gerade frisch rund um Teresa Messerschmidt und Stephan Arapovic aufgestellt, arbeitet an Stoffen für die ARD, das ZDF und an zwei neuen Projekten für Netflix. Und wo wir bei Netflix sind: Wir starten kommende Woche mit der Entwicklung der vierten Staffel von „How to Sell Drugs Online (Fast) “.

Ach, „Moritz, ich hol dich da raus!“ war also doch nicht das Ende?

Matthias Murmann: Wir haben es geliebt, das Ende!

Philipp Käßbohrer: Aber die Geschichte von „How to Sell Drugs Online (Fast)“ hat uns ja nie richtig losgelassen. Erst gab es die „Shiny Flakes“-Dokumentation und gerade ist „Buba“ veröffentlicht worden, wo es auch nochmal in diese Welt zurück geht. Spätestens bei der Arbeit daran haben wir gemerkt: Nee, das war es noch nicht. Deswegen hängen wir jetzt noch eine vierte Staffel dran.

Matthias Murmann: Die Figuren sind nun raus aus dem Schulalter. Das ist erzählerisch eine spannende Herausforderung: Was machen die wohl mit ihrem Leben? “How to Sell Drugs” war nie eine Drogen-Serie, sondern immer eine Coming-of-Age-Geschichte. Und wie wir alle wissen, fängt das Erwachsenwerden nach dem Schulabschluss erst richtig an.

Da bietet sich jetzt die Nachfrage an: Ist „King of Stonks“ wirklich auserzählt?

Philipp Käßbohrer: Auch diese Serie hat, wie ich finde, ein sehr schönes, wenn auch offenes Ende. Erstmal haben wir aber genug zu tun.

Weil Sie gerade „Maithink X“ ansprachen: Wie viele Freunde macht man sich in der Branche mit einer kritischen Sendung zum Thema Einschaltquotenmessung?

Philipp Käßbohrer: Gegenfrage: Wie viele Freunde macht man sich denn in der Branche, wenn man täglich die Daten einer neuen Art von Reichweitenmessung veröffentlicht?

Touché. Aber ich stell hier die Fragen...

Philipp Käßbohrer: Das war auf jeden Fall die sensibelste Sendung der Staffel. Aber das ZDF und uns verbindet ja gottseidank - bis auf wenige Tage in den letzten zehn Jahren - eine sehr verlässliche Zusammenarbeit, in der wir schon viele knifflige Themen gemeistert haben. Von dort gab es also keine Probleme. Trotzdem waren wir erstaunt, wie hoch das Thema in der Branche hängt. Wir haben in der Sendung beispielsweise explizit dazu aufgerufen, sich auf gar keinen Fall bei uns zu melden, wenn man so eine GfK-Box zuhause hat. Den Witz fanden nicht alle lustig.

 

"Ich freue mich sehr, wieder mehr Zirkus zu machen."

Philipp Käßbohrer

Seit dem „LOL“-Erfolg von Prime Video wird Comedy auch wieder neu gedacht: Nicht immer muss es Impact Comedy sein wie bei Carolin Kebekus oder „Kroymann“. Ist das auch was für die btf?

Philipp Käßbohrer: Ich finds super, dass man inzwischen richtig ambitioniert Unsinn machen darf. Früher gab es für Quatsch kein Geld, wenn da nicht noch ne Ebene drin war oder es gesellschaftlich relevant wurde. Bei „King of Stonks“ - okay da bewegen wir uns thematisch in der Nähe gewisser relevanter Skandale - sind wir ja auch ganz schön drüber. Da hatten wir zwischendurch Muffensausen, ob wir übers Ziel hinaus schießen. Aber dann hat sich Matthias Brandt mit so einer Spiellust seine falschen Zähne reingesteckt, dass wir wussten: Das wird funktionieren. Ich freue mich sehr, wieder mehr Zirkus zu machen. Auch zusammen mit Carolin Kebekus haben wir große Lust auf mehr Eskapismus. Es müssen nicht immer die vermeintlich großen Themen sein, wir können auch einfach mal Spaß haben.

Weil es jetzt schon mal anklang, kommen wir nicht um den Elefanten im Raum drum herum: Zur Geschichte der btf gehörte auch Jan Böhmermann. Ist die Trennung inzwischen beidseitig verkraftet oder droht ein Bandenkrieg in Ehrenfeld?

Philipp Käßbohrer: Ehrenfeld ist safe.

Matthias Murmann: Wie es draußen in Bickendorf aussieht, wissen wir nicht. (lacht)

Nochmal zurück zum Unternehmen: Welche Rolle spielt der Standort Köln für die Entwicklung der btf?

Philipp Käßbohrer: Als gegen Ende unseres Studiums in Köln immer mehr Kommiliton:innen nach Berlin gezogen sind, standen wir vor der Frage: Wollen wir irgendwelche Medienschaffende in Berlin sein - oder die coolsten Medienschaffenden in Köln. Also haben wir uns dafür entschieden. Die btf wäre nirgendwo anders so gewachsen wie hier in Köln, wo man glücklicherweise viel Zeit zum Arbeiten hat, weil nicht ständig irgendwelche Vernissagen sind.

Matthias Murmann: Ehrenfeld brummt, ist jung und divers. Das ist ein attraktives Umfeld für unsere Kolleg:innen, ein echtes kölsches Veedel und die btf ist Teil des Kulturbetriebs geworden. Das schafft eine ganz besondere Identifikation.

Bleibt angesichts einiger Übernahmen in jüngster Zeit noch die Frage: Wie lange kann die btf unabhängig bleiben?

Matthias Murmann: Zu einem runden Jubiläum blickt man natürlich auch zurück und erinnert sich an die Höhen und Tiefen, an denen man einen Verkauf vielleicht auch mal anders bewertet hätte. Wir können heute aber festhalten, dass sich bei uns alles gut stabilisiert hat, dank toller Menschen, die an den richtigen Positionen tolle Arbeit machen. Gerade auch im Headoffice, wo man es ja nicht immer nur mit Lorbeeren zu tun hat. Darauf sind wir als Gesellschafter genauso stolz wie auf unsere Kooperationen und die gute Auftragslage. Deswegen ist das Thema Verkauf für uns gerade kein akutes. Wir lieben es, unabhängig zu sein und bleiben erstmal dabei.

Herr Murmann, Herr Käßbohrer, herzlichen Dank für das Gespräch.