Frau Reize-Wildemann, Herr Carl, Mit dem neuen "XY…gelöst" kehrt "XY" wieder auf den Freitag zurück. Ein bisschen wie Heimkommen?
Ina-Maria Reize-Wildemann: Ein klein wenig ist das so. Um ehrlich zu sein: Ich bin auch lange an diesem Freitagabend gehangen. Aber: Mit unserem Flagschiff "Aktenzeichen XY ungelöst" bleiben wir weiter auf dem Mittwoch. Das hat sich mehr als bewährt.
Der neue Ableger ist eine echt klassische True-Crime-Sendung. Wie erklären Sie sich den weltweiten Boom dieses Genres?
Reize-Wildemann: Der Boom betrifft nicht nur True-Crime und Cold Case, sondern den Krimi ganz generell. Die Menschen interessieren sich offenbar sehr dafür und ich finde das großartig. Es hat vermutlich mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen zu tun und mit dem Wunsch nach Orientierung in schwerer Zeit. Man erlebt, wie Unrecht geschieht, aber eben auch, wie jemand sich darum kümmert und verspricht, dran zu bleiben und so die Balance zwischen Unrecht und Recht wieder herzustellen.
René Carl: Die Faszination an spannenden Geschichten ist so alt wie die Menschheit. Bei Crime, speziell bei True Crime, sind diese Elemente sehr stark vertreten. Es geht auch um die Identifiktion mit den Ermittlern, die letztlich versuchen, für Recht zu sorgen. Letztlich ist es aber wohl auch die stete Hoffnung auf ein Happy End, die das Genre so erfolgreich macht. Auch bei der Produktion von "XY gelöst" hat uns immer die Frage begleitet, warum wir das zeigen. Natürlich geht es darum, Verbrechen zu lösen – gepaart mit der generellen Firmenphilosophie der Securitel, relevant zu erzählen und auf jegliche Sensation zu verzichten.
Was unterscheidet guten und schlechten True Crime?
Carl: Da müssen wir uns die Machart anschauen. Wie steht es um den Production Value? Das fängt bei der Besetzung an und geht bis hin zum Storytelling. Und dann geht es um den Umgang mit den Protagonisten. Befindet man sich auf Augenhöhe – sowohl mit den Ermittlern als auch und vor allem mit den Betroffenen? Oder führt man die Protagonisten eventuell sogar vor? Es sind letztlich immer Schicksale, die hinter den Fällen stehen. Das muss man wissen und berücksichtigen.
Reize-Wildemann: Bei "Aktenzeichen" darf nie vergessen werden, dass wir eine Aufgabe haben – das ist der Kernunterschied. Wir stellen Know-How, Können und Publikum den Ermittlungsbehörden zur Aufklärung zur Verfügung. Das ist eine große Aufgabe, die uns über all die Jahre getragen hat. Wir machen nichts zur Belustigung und weil wir gut Krimis erzählen können, sondern wir verfolgen einen bestimmten Zweck, nämlich die Aufklärung von Verbrechen zu unterstützen. Das macht die Besonderheit aus – und gilt mehr oder weniger für alle Formate, die wir inzwischen herstellen.
Einst waren wir das Vorbild für alle True-Crime-Formate, auch die amerikanischen.Ina-Maria Reize-Wildemann
Haben Sie vor der Produktion von "XY gelöst" in die USA geschaut? Vorbilder entdeckt?
Reize-Wildemann: Einst waren wir das Vorbild für alle True-Crime-Formate, auch die amerikanischen. Amerika hat "Aktenzeichen XY..ungelöst" von uns übernommen – mit Erfolg. Danach hat sich das vervielfältigt und verselbständigt. Wir hatten von Anfang an unsere ganz eigene Art Crime zu erzählen.
Es gibt also in keinem Bereich direkte oder indirekte Vorbilder für "XY gelöst"?
Reize-Wildemann: Nein, wir sind derart unique, dass wir keine Vorbilder haben können. Aber wir können uns weiterentwickeln und lernen, immer besser zu werden. Diese Bemühungen dürfen freilich nie aufhören, egal wie erfolgreich man ist.
Carl: Ich bin großer Verfechter von Markenführung – und die Marke "Aktenzeichen XY" steht klar für sich. Bei dem Spin-Off am Freitag geht es darum, wie man neue Themen besetzen kann, ohne die Marke an sich zu verwässern. Natürlich beobachten wir deshalb auch den internationalen Markt, etwa im Bereich Produktionstechniken oder Themensetzung. Nicht nur in Amerika, auch in Europa oder Asien entwickelt sich Fernsehen in diesen Punkten weiter. Lizenzformate, die mit Voice-Overn laufen, passen zu den Sendern, auf denen sie zu sehen sind. Diese bedienen aber auch eine andere Zielgruppe als wir. Wir versuchen hohe Qualität für ein "Mainstream-Publikum" abzuliefern.
In "XY gelöst" haben Sie mehr Zeit für die entsprechenden Fälle – knapp 45 Minuten. Wie nutzen Sie die?
Carl: Das war einer der Hauptgründe für das Format. Die Erkenntnis, dass viele Fälle eigentlich mehr Zeit verdient hätten, unter anderem ihrer Komplexität wegen, gab es schon länger. Wir können so die Arbeit der Ermittler noch mehr würdigen. Jetzt können wir Fälle aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und mit neuen Facetten versehen.
Vier Folgen sind entstanden. Wie haben Sie die Fälle ausgewählt?
Reize-Wildemann: Es sind Fälle, die wir in "XY" schon bezeigt haben und daher die Hintergründe gut kennen. Es sind Fälle, die gut zueinander passen und die sich ergänzen. In diesem Format kommen ja auch Ermittler, Staatsanwälte und Experten, zu Wort die bereit sein müssen, nochmals über die Fälle mit uns zu sprechen. Letztlich haben wir aber viele, viele Fälle, die wir nochmals erzählen können und es auch gern erzählen möchten. Wichtig ist: Der Ermittlungsprozess muss spannend geween sein. Fälle, die mit einem Hinweis gelöst waren, sind eher nicht so spannend zu erzählen.
Sie erzählen direkt zum Auftakt den Fall einer zunächst vermissten und dann tot aufgefundenen Achtjährigen – auf einem Sendeplatz, den das ZDF-Publikum seit Jahren mit Crime verbindet. Aber eben mit Serienformaten wie "SOKO Leipzig", die allein über ihre Figuren auch Wärme mitbringen. Wie haben Sie sichergestellt, dass "XY ungelöst" nicht zu kühl wurde?
Reize-Wildemann: Wir sprechen von gelösten Fällen, also haben wir zumindest ein "Happy End". Diese vier sehr spannend erzählten Fälle werden sich am Freitagabend gut einfügen.
Carl: Wir bleiben im Genre, wenn wir im Audience Flow auch nicht Fiction auf Fiction haben. Wir gehen aber mit einer sehr starken Marke auf diesen Platz und beginnen jede Folge mit Reenactment. Damit zeigen wir den Zuschauerinnen und Zuschauern direkt auch die Qualität der Umsetzung. Jeder kann also erwarten, dass das starke Storytelling, das am Mittwoch gut funktioniert, auch im Spin-Off gewährleistet ist.
Rudi Cerne hat seinen Vertrag der Hauptsendung kürzlich um vier weitere Jahre verlängert. "XY gelöst" moderiert nun Sven Voss. Haben Sie somit schon einen Nachfolger für Rudi Cerne gefunden?
Reize-Wildemann: Sven Voss würde sich da sicher gut einfügen. Über die Nachfolge von Rudi Cerne müssen wir uns aber jetzt noch keine Gedanken machen. Ich freue mich, dass Rudi Cerne uns erst einmal erhalten bleibt. Rudi Cerne bringt seine ganz eigene Weise in unsere Sendung. Er hat nie versucht, Eduard Zimmermann zu kopieren und wird grandios angenommen. Auch von den Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei, die seine emphatische und zuverlässige Art mit großer Dankbarkeit annehmen.
Neues Studio für "Aktenzeichen XY"
Bleiben wir in der Zukunft: Welche Pläne haben Sie mit der Marke "XY"?
Reize-Wildemann: Wir sind mit dem, was wir machen, vollauf beschäftigt. Wir haben zwölf Hauptsendungen und obendrauf zwei oder drei Specials. Das ist gut so. Inklusive einiger Nebenbeschäftigungen, Podcasts etwa, haben wir genug zu tun. Und wir sind natürlich immer bemüht uns noch weiter zu verbessern in dem was wir machen. Zudem bringt 2022 noch ein Highlight mit sich. Im November bekommen wir ein komplett neues Studio.
Carl: Die Bereitschaft der Verantwortlichen von "XY" ist groß, gemeinsam mit dem ZDF an der Marke beständig zu arbeiten. "XY" wird seit 55 Jahren kontinuierlich modernisiert; sei es das kommende neue Studio inklusiver neuer Verpackung, aber auch in Sachen Themenauswahl. Das Spin-Off ist ein Schritt, der Podcast ein weiterer. Auch hier bespielt Rudi Cerne die neue Plattform wirklich sehr gut. Ich kann mir vorstellen, mit dem ZDF perspektivisch noch andere digitale Flächen zu bespielen – etwa Mediathek-only-Themen. Das muss man aber Stück für Stück aufbauen, denn man darf sich auch nicht kannibalisieren.
Ich kann mir vorstellen, mit dem ZDF perspektivisch noch andere digitale Flächen zu bespielen – etwa Mediathek-only-Themen.Rene Carl
Welche Anforderungen hatten Sie an das neue Studio?
Reize-Wildemann: Für unsere Ermittlungsunterstützung tun uns bessere bildgebende Möglichkeiten sehr gut. Wir bekommen nun große LED-Wände, die wir bespielen können. So können wir auch sehr viel besser die Polizeiarbeit unterstützen.
Den großen Erfolg von "XY" muss man gar nicht immer wieder erwähnen. Aber wundert es Sie, dass es keinem Privatsender trotz ein paar weniger Versuche gelang, diesen Erfolg langfristig zu kopieren?
Reize-Wildemann: Wundert mich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Die Inhalte einer Fahndungssendung sind schwer mit den Interessen der Werbewirtschaft vereinbar. Wer schaltet Werbung nach echtem Mord und Totschlag? Das ist schwierig. Zum anderen haben wir eine lange gewachsene und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Polizei. Das lässt sich nicht von heute auf morgen kopieren.
Also: Kein Privatsender Deutschlands muss sich melden und bei Ihnen anklopfen?
Reize-Wildemann: Wir könnten bestimmt hilfreiche Tipps für eine erfolgsversprechende Umsetzung geben. Aber an Konkurrenz sind wir natürlich nicht interessiert.
Wie viele Ideen haben Sie für eine zweite "XY gelöst"-Staffel?
Carl: Viele, aber noch keinen Produktionsauftrag.
Danke für das Gespräch.