Herr Rosemann, ein Jahr nachdem Sie zusätzlich zu ProSieben auch die Führung von Sat.1 übernommen haben, frage ich mich: Ist der Job vergnügungssteuerpflichtig?
(lacht) Grundsätzlich ist mein Job sicher näher an der Vergnügungssteuer als viele andere Berufe. Mit Kreativität und guter Laune an Unterhaltungsprogrammen zu arbeiten und so seinen Tag verbringen zu können, ist ein Privileg. Nur die Zahlen am Morgen machen manchmal nicht so viel Spaß wie erhofft. Aber das gehört dazu. Mit der Verantwortung für gleich zwei Sender und damit für doppelt so viel Programm ist die Wahrscheinlichkeit größer geworden, dass morgens irgendetwas die Laune trübt. Genauso hat sich aber die Wahrscheinlichkeit verdoppelt, dass es etwas zu feiern gibt.
Ein „Club der guten Laune“ ist Sat.1 aber mit Blick die Zahlen des Formats nicht, oder?
Weder dieses Format noch zu viele andere Slots machen uns gerade gute Laune. Wir waren natürlich enttäuscht am Morgen nach der ersten Sendung, weil ich davon überzeugt bin, dass wir einen sehr prominenten Cast und ein sauber produziertes Reality-Vergnügen angeboten haben. Also: Es ist kein Zurücklehnen angesagt. Unsere Mission ist komplex und noch lange nicht erfüllt, deswegen haben wir uns ja bis 2024 gegeben, den Sender erfolgreich neu aufzustellen. Wir fliegen hier Langstrecke. Eine nicht enden wollende Pandemie und Krieg in Europa erleichtern unsere Planungen natürlich auch nicht gerade.
Sie wurden von „Kampf der Realitystars“ bei RTLzwei geschlagen. Ist das auch Ausdruck einer neuen Fernsehwelt, in der die lange in Stein gemeißelte Hackordnung im deutschen Free-TV völlig aufgebrochen ist und es keine Konstanz mehr gibt?
Letzteres glaube ich auf jeden Fall. Abgesehen von den Öffentlich-Rechtlichen kann sich kein Sender mehr auf das verlassen, was früher gerne „Grundrauschen“ genannt wurde. Diese Denkweise ist von gestern. Es gibt nicht mehr das Publikum, das ohne ein klares Versprechen einschaltet, weil etwas Neues auf einem Sender läuft. Somit kommt auch eine Sendung, die nur okay ist, nicht mehr ins Ziel. Wir müssen immer einen besonderen Reizpunkt setzen. Auch aufgrund der Streamingdienste ist der Markt ein ganz anderer geworden.
Wie würden Sie das beschreiben?
Fernsehen bzw. der Konsum von Bewegtbild ist selektiver geworden. Streamingdienste haben da einen Vorteil: Sie können jedes neue Projekt zum Leuchtturm erklären und es auch so feiern, weil sie sich nicht in die Karten schauen lassen. Lineares Fernsehen hat neben der Kür eben auch Pflichtprogramm und lässt sich in die Karten schauen - wobei ein großes Thema für die ganze Branche sicher die vollumfängliche Ausweisung der Nutzung über alle Distributionswege und Konsumsituationen hinweg sehr sehr wichtig wäre. Wenn Fernsehsender bewertet werden, gucken alle auf den Tagesmarktanteil, der sich zu 33 Prozent aus der Zeit zwischen 23 Uhr abends und 13 Uhr mittags zusammensetzt. Die Performance zu diesen Randzeiten entscheidet gewichtig über die Gesamtbeurteilung, ob mein Sender gut da steht oder nicht. Das ist skurril, da in dieser Zeit - insbesondere in der Nacht, wenig Programm gesendet wird, das einen Sender prägt. Natürlich gibt es am Morgen Ausnahmen - wie das sehr erfolgreiche "Sat.1-Frühstücksfernsehen". Kurz gesagt: Da die Primetime immer wichtiger wird, schauen wir genauer auf diese Zahlen. Und wollen genau dort mit beiden Sendern wachsen.
"Eine Sendung, die nur okay ist, kommt nicht mehr ins Ziel."
Richten wir den Blick aufs Programm: Sie haben im vergangenen Jahr einige Namen für Sat.1 verpflichtet. Birgit Schrowange, Ralf Schmitz und Jörg Pilawa. Was haben Sie mit diesen großen Namen denn noch vor?
Es wird bald schon mehr von jedem einzelnen zu sehen sein und damit mehr von dem neuen Sat.1, das wir uns vorstellen. Noch im Sommer startet mit „Zurück in die Schule“ (AT) ein neues Format mit Jörg Pilawa, das wir aus Italien adaptieren. Und diesmal ist es kein Quiz mit Jörg Pilawa. Wir schicken Deutschland auf anarchische Art und Weise zurück in die Schule, wollen aber nicht auf furchtbar schlaue Kinder gucken, sondern machen Kinder zu Lehrern und Prominente zu Schülern. Mit Birgit Schrowange können wir aufgrund von Corona erst später starten. Aber jetzt dreht sie im Grunde täglich für uns und wird bald mit den zwei schon angekündigten Formaten „Birgits starke Frauen“ in der Primetime und „Wir werden mehr“ am Sonntagvorabend on air sein. Und dann präsentiert sie vier Wochen lang im Sommer in der Primetime „Unser Mallorca“ - eine liebevolle Ode an das Lieblingsbundesland der Deutschen. Birgit verbringt mehrere Monate im Jahr dort und macht eine persönliche Reise-Reportage mit viel Atmosphäre, schönen Bildern, tollen Tipps und bemerkenswerten Geschichten von der Insel. Und Ralf Schmitz macht eine neue Staffel unserer Show „Paar Love“ sowie „Halbpension mit Ralf Schmitz“. 2023 kommt eine neue Primetime-Datingshow mit ihm zu Sat.1.
Das ist noch etwas hin. Was tut sich darüber hinaus denn in näherer Zukunft bei Sat.1?
In Sat.1 wird bald spürbar mehr los sein. Der Sender wird bunter und größer auftreten. Das braucht seine Zeit bei der Vorbereitung - aber jetzt ist es bald soweit. Sehr zeitnah steht dafür die Musik-Show „All Together Now“, die ab Ende Mai den Auftakt bildet zu einer ganzen Reihe neuer Shows. Shows sind für Sat.1 ein sehr gutes Genre, weil sie die ganze Familie ansprechen können. Wie eben das große Mitsing-Spektakel mit Gastgeberin Melissa Khalaj. Ab Ende Juli haben wir mit „Doppelt kocht besser“ am Vorabend um 19 Uhr eine neue Kochshow im Angebot. Wobei Kochshow nicht ganz den Kern trifft. Das Prinzip ist aber immer: Jemand, der oder die nicht kochen kann, wird von seiner besser kochenden Hälfte übers Ohr angeleitet - und das geht oft herrlich schief. „Doppelt kocht besser“ ist die erste Kochshow für Leute, die nicht kochen können und macht richtig Spaß. Star-Koch Alexander Kumptner, den unsere Zuschauer:innen unter anderem von „The Taste“ kennen, moderiert die Show.
Wie siehts denn mit den beiden Ex-Vorabendformaten „Buchstaben Battle“ und „Let the music play“ aus? „Buchstaben Battle“ schlägt sich am Vormittag gerade ganz okay…
Das stimmt. Aber die Produktion lohnt sich wirtschaftlich nicht für einen Sendeplatz am Vormittag. Für die Uhrzeit war „Buchstaben Battle“ nicht gemacht und ist nicht machbar. Ähnlich ist es bei „Let the music play“ in der Late. Die Show läuft dort nicht schlecht, aber lohnt sich wirtschaftlich dort nicht.
Das lange so dominante Genre der Castingshow wurde bei RTL mit „Supertalent“ und „DSDS“ bedient, bei Ihnen mit „“The Voice of Germany“ und „Germany’s Next Topmodel“. Was haben Sie besser gemacht als die Konkurrenz?
Wenn man überhaupt eine Parallele zwischen „GNTM“ und den RTL-Shows ziehen kann, dann wäre meine Antwort: Heidi Klum ist noch da. Und Dieter Bohlen nicht mehr. Ich bin sehr glücklich, dass wir mit Heidi Klum erst kürzlich auf lange Sicht den Vertrag verlängert haben. Starke Persönlichkeiten prägen Formate. Ob „GNTM“ ohne Heidi Klum funktionieren würde, ist gottseidank eine Frage, die wir uns absehbar nicht stellen müssen. Dass man über die Gesichter hinaus kontinuierlich an Formaten arbeiten muss, ist eine Binsenweisheit. Mal gelingt das, mal nicht. Wichtig ist meiner Meinung nach, dass man Veränderungen initiiert, wenn man noch richtig erfolgreich ist. Wenn ein Programm schon Abnutzungserscheinungen zeigt, ist es meistens zu spät.
Welche Erkenntnis ziehen Sie dann aus der etwas schlechter gelaufenen letzten Staffel von „The Masked Singer“? War „The Masked Dancer“ davor einfach zu viel?
Für „The Masked Dancer“ hatte wir einen einfachen Grund: Es gab die Gefahr, dass jemand anderes die Show macht und das wollten wir verhindern. Das war also eine sehr binäre Entscheidung: Wenn ich das Programm nicht irgendwo anders sehen will, muss ich es selbst machen. Es gab nicht die Option, es liegen zu lassen. Mit den Reichweiten und Marktanteilen von „The Masked Singer“ bin ich weiterhin sehr sehr glücklich, zumal es in einer Zeit lief, in der die Welt mit sehr viel ernsteren Themen beschäftigt war. Es wäre unanständig, über das immer noch hohe Niveau zu jammern, nur weil es etwas unter den vorherigen Staffeln lag. Jetzt machen wir aber eine sehr lange Pause.
Nochmal zurück zu „The Voice of Germany“: Da sind die Wechsel der Coaches offenbar möglich, weil Sie nie einen Dieter Bohlen hatten?
Bei „The Voice of Germany“ setzen wir nie auf eine einzelne Person, die über allen anderen steht. Wir freuen uns auch in diesem Jahr über eine sehr große Bandbreite. Die Zuschauer:innen treffen auf vertraute Namen und einen Neuzugang bei „The Voice of Germany“. Zurück kehren Rea Garvey und Stefanie Kloß. Weiter mit dabei ist „Mr. The Voice“ Mark Forster. Und ich bin sehr dankbar, dass uns Peter Maffay als Coach beehren wird. Es gibt noch ein Comeback bei „The Voice“ - und zwar die Ausstrahlung in Sat.1 am Freitagabend. Das passiert im Rahmen einer Neupositionierung unseres Wochenendes.
Und warum?
Der simpelste Grund: Wir möchten, dass Familien „The Voice“ gemeinsam bis zum Ende schauen können und nicht vorher abbrechen müssen, weil sie montags früh raus müssen. Kurzum: Wir wollen die Menschen nicht zu spät ins Bett schicken am Sonntag. Bei Sat.1 wird so der Freitag neben dem Mittwoch als Entertainment-Tag für die Familie gestärkt. Auf ProSieben bleiben wir zum Start ins Wochenende bei den eher männlicheren Filmen. Samstags bleibt unverändert Show-Tag auf ProSieben. Sat.1 bietet weiterhin alternativ Familienfilme an. Die größte Veränderung wird es am Sonntag geben, nicht nur in Sat.1. Wir trennen uns auf ProSieben vom Blockbuster am Sonntagabend.
Kann ProSieben auf Hollywood verzichten?
ProSieben verzichtet nicht auf Hollywood. US-Lizenz wird immer einen wichtigen Anteil in unseren Grids haben. Aber an einem weiteren Primetime-Abend der Woche müssen und wollen wir auf Spielfilme verzichten. Die Anzahl großer Kinotitel aus Hollywood wird immer weniger, durch die Pandemie sind zudem viele Projekte liegen geblieben. Da wir Filme meist etwa zwei bis drei Jahre nach Kinostart fürs Free-TV bekommen, können wir aufgrund der Pandemie schon absehen: Es wird in der nächsten Zeit keine für uns befriedigende Versorgung mit neuen Blockbustern geben. Wir stärken die verbleibenden Slots, wenn wir 52 Sonntage im Jahr bei ProSieben künftig mit Eigenproduktionen statt US-Filmen bespielen. Zudem stellen wir Sat.1 und ProSieben - wie auch schon unter der Woche - komplementär auf.
Und was genau kommt am Sonntagabend?
Wir wollen mit neuen Programmen das Wochenendgefühl etwas verlängern. Es geht um Formate, die gerne ein Fenster zu Welt sind und mit Spaß und Spiel den Wunsch nach Abenteuer und Eskapismus bedienen. Ein großes Erlebnis mit reisenden Prominenten, die ich gemütlich von zu Hause miterleben kann. Wir werden erste Programme im Juni bei den Screenforce Days vorstellen. Aber so viel kann ich sagen: Es sind keine Studioshows, sondern wir sind on location und gerne auch außerhalb Deutschlands. Eine Disziplin, die wir mit „Duell um die Welt“ ja auch schon gut beherrschen.
Aber sie kommen jetzt nach 20 Jahren nicht auf die Idee „The Amazing Race“ nach Deutschland zu holen, oder?
(Lacht) Nein, das konkrete Format nicht. Aber eine verwandte Idee war schon sehr attraktiv für uns. Wir legen bei ProSieben auch mit neuen Shows am Samstagabend nach. Dazu dann im Juni mehr.
Okay, dann eine Nachfrage noch zu Heidi Klum: 2020 hatten Sie kurz vor der Pandemie noch eine zweite Staffel von „Queen of Drags“ angekündigt. Ist das noch geplant?
Aktuell arbeiten wir nicht daran. Wir hatten etwas entwickelt, was sich inzwischen überholt hat. Aber „Queen of Drags“ in einer frischen Form wieder auf ProSieben zu haben, bleibt reizvoll.
"Comedy ist kein Selbstzweck."
Bastian Pastewka und Anke Engelke lieferten beide wunderbare Interpretationen von „Wer stiehlt mir die Show?“ bei ProSieben. Muss man da nicht einfach mal tief in die Tasche greifen, damit die mithelfen, Sat.1 wieder zu früherer Stärke zu führen?
Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie viele Menschen mich das gefragt haben. Aber dafür kennen wir Anke und Bastian zu gut. Es ist keine Frage des Geldes. Es wäre für beide wohl eher eine Beleidigung, wenn man sie darauf reduziert, dass es um Geld gehen würde. Bastian Pastewka und Anke Engelke sind Überzeugungstäter. Sagen wir so: Wir wissen, wie man sich gegenseitig erreichen kann. Aber ich würde die beiden nicht anrufen ohne eine maßgeschneiderte Idee. Besonders für Sat.1 sind das zwei Lichtgestalten der Sendergeschichte, die so hell strahlen - eben weil sie selten sind.
Aber ausgehend von den beiden eine Nachfrage: Welche Rolle spielt denn Comedy beim „neuen“ Sat.1 oder auch ProSieben?
Comedy ist kein Selbstzweck. Man kann und muss Comedy machen, wenn man die Gesichter und Marken bzw. Formate hat. Im Moment ist es so, dass wir bei Sat.1 keine echte Comedy-Marke on air haben. Das braucht wie deutsche Fiction eine gründliche Vorbereitung, ein einzelnes Format macht noch keinen Fun Freitag. Da wir bei Sat.1 so viele Töpfe auf dem Herd haben, in denen gerade gekocht wird, hat Comedy derzeit keine Priorität. Bei ProSieben freue ich mich, dass wir mit dem erfolgreichen Comeback von „TV total“ und „Late Night Berlin“ zwei wöchentliche Formate etabliert haben, die das Genre gut repräsentieren.
Wo sie die deutsche Fiction selber angesprochen haben: RTL produziert derzeit so viel wie selten zuvor. Bei Sat.1 und ProSieben gehen sie den umgekehrten Weg - und fokussieren sich auf andere Genres?
Es wäre fatal, wenn man in einem Genre mit so langem Vorlauf irgendwas in Auftrag gibt, das dann in zwei Jahren vielleicht gar nicht zur entwickelten Strategie passt. Immer mal wieder eine einzelne Serie oder mal einen Film einzustreuen - das ist keine Strategie. Wir müssen davon überzeugt sein, dass wir mit unterschiedlichen Stoffen eine Fiction-Strecke im Programm bauen können. Davon sind wir im Moment ein Stück entfernt. Vielleicht gibt es auch durch den Wettbewerb der Streamingdienste einfach Formen und Genres, die sich fürs Free-TV nicht mehr lohnen. Aber das ist kein abschließender Gedanke dazu.
Letzte Frage: Sind sie zuversichtlich, dass „ZOL“ noch die Rückkehr der weiteren Informationsprogramme aus Berlin nach München zum Jahreswechsel miterleben wird?
Ja klar. Ich stehe total hinter „Zervakis & Opdenhövel. live.“ Ich sehe dort eine Chance, die wir bislang nicht in Gänze realisiert haben. Gemeinsam werden wir davon profitieren, wenn wir unsere eigene News-Redaktion in Unterföhring haben und mit viel mehr Kolleginnen und Kollegen aus Unterföhring heraus das Informations- und Infotainment-Angebot koordinieren. Auch der 30-jährige Erfolg von „Stern TV“ wurde nicht in den ersten Monaten begründet. Ein Learning der vergangenen Wochen war beispielsweise: Monothematische Sendungen sind nicht hilfreich, wenn man ein Format etablieren will. Ganz klar ist: Ich will „ZOL“, weil ich diese Farbe im Programm haben will. Zudem haben wir die beiden perfekten Gesichter für „ZOL“.
Herr Rosemann, vielen Dank für das Gespräch.