Herr Giesel, glauben Sie eigentlich noch an das Gute in Menschen? Sie beschäftigen sich ja immer nur mit Abzockern, Betrügern und anderen, schlechten Personen.

Peter Giesel: Das Gute in den Menschen treibt uns in unserer Arbeit an. Eben weil wir wissen, dass es mit der Moral noch nicht vorbei ist. Uns begegnet bei Dreharbeiten überall der gleiche Geist. Am Ende steht immer die Moral und alle müssen sich selbst im Spiegel anschauen können. Das wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer, aber oft auch die Menschen, denen wir bei Kabel Eins auf der Spur sind. Alle Betrüger, denen wir auf der Spur sind, wissen, dass wir die Guten sind. Das sagen sie uns auch oft hinter vorgehaltener Hand.

Den Eindruck, dass die Täter Einsicht haben, macht "Achtung Abzocke" aber nicht immer. Da sind Sie und Ihr Team ja durchaus oft in bedrohlichen Situationen.

Wir werden nicht überall mit offenen Armen empfangen (lacht). Hinter den Kulissen sehen wir uns ständig von Anwälten konfrontiert, die versuchen, die Ausstrahlung zu verhindern. Bis zum heutigen Tage musste noch niemand aus unserer Produktionsfirma eine Gegendarstellung bringen. Wir legen Wert darauf, dass das, was wir da machen, sauber recherchiert ist. Es klingt vielleicht abgedroschen, aber uns treibt immer eine Lösung an. Wir machen die Sendung für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Wenn nicht wir, wer denn sonst? Wir sind getrieben von Fällen, die uns die Menschen vor den Fernsehgeräten schicken, die suchen wir gar nicht selbst. Bei uns ist alles echt, da muss nichts konstruiert werden.

Viele Formate müssen sich Fake-Vorwürfe gefallen lassen. Und es ist ja nicht so, als sei im Fernsehen nie nachgeholfen worden. 

Das Wichtigste, was wir wollen, ist in jeder Sendung zu einem guten Ende zu kommen. Das ist eine sehr klassische Erzählweise in Zeiten des modernen Storytellings. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben noch nie ein Storytelling-Seminar besucht und darauf bin ich stolz. Natürlich muss es spannend erzählt sein, aber es ist alles echt. Wir haben die Möglichkeit, jede Folge in Ruhe zu erzählen. Das ist vor allem Kabel Eins zu verdanken, wo Senderchef Marc Rasmus erkannt hat, dass man nicht alles in 20 Minuten abhaken muss. In der ersten Ausgabe der neuen Staffel erzählen wir einen Fall 60 Minuten lang, das ist vergleichsweise viel.

 

"Es ist übrigens nicht so leicht, eine Redaktion mit guten TV-Journalisten zu bestücken. Der Fachkräftemangel trifft die gesamte Branche."

 

Wie stehen Sie zu den Fake-Vorwürfen, die es immer wieder gegen bestimmte Sendungen im Fernsehen gibt?

Es geht schon beim Wort "Cast" los, das ist bei uns verboten. Bei uns gibt es nur Betroffene, deren Geschichten wir erzählen. Und wir halten uns an ein paar Regeln, auch im visuellen Erzählen. Auch uns wird immer mal wieder vorgeworfen, nicht echt zu sein. Gerade wenn es um Drehs im Ausland geht. Aber natürlich engagieren wir keine Schauspielerinnen und Schauspieler. Ich habe mir auf Marktplätzen und in Hotellobbys schon die Beine in den Bauch gestanden, bis etwas passiert ist. Da müssen wir teilweise geduldig warten, natürlich wirkt es im Zusammenschnitt sehr dicht. Aber jedes Frame ist echt. Kein Schritt in unserer Recherche ist nicht dokumentiert, da versuchen wir transparent zu sein. Meine Kolleginnen und Kollegen arbeiten investigativ und gründlich – können über jeden Schritt ihrer Recherche sprechen, wir sind keine Blackbox.

Sie werden wegen Ihrer Arbeit immer wieder angezeigt. Wie geht das nach der Ausstrahlung der Folgen weiter? Wie viel Zeit fressen solche Verfahren?

Wir arbeiten mit Endemol Shine zusammen, die eine hervorragende Legal-Abteilung haben. Die Kollegen haben wahnsinnig viel Erfahrung und unterstützen uns tatkräftig. Ich weiß nicht genau, wie viele Anzeigen aktuell gegen mich persönlich laufen. Bis jetzt hat aber noch keine einzige zu einem Verfahren geführt. Und dennoch flattern bei mir im Büro jede Woche Schreiben von Rechtsanwälten rein. Immer wieder behaupten Leute, wir würden ihren Ruf schädigen - was wir nicht tun. Wir halten uns an die Grenzen des Persönlichkeitsrechts und natürlich an die journalistische Sorgfaltspflicht. Es kommt manchmal auch vor, dass Menschen ohne Anzeige versuchen wollen, unsere Recherchen zu beenden. Da erhalten wir dann dicke Anwaltsschreiben, dagegen konnten wir uns bislang immer wehren. Das geht nur, wenn man sauber arbeitet. Darum geht es. Keine Halbwahrheiten, alles doppelt und dreifach überprüft. Nur so machen wir uns unangreifbar.

Wie wichtig ist es für Sie, bei der Produktion alle Zügel in der Hand zu haben? Endemol Shine unterstützt im Bereich Legal und hält die Lizenzrechte am Format, aber mit Ihrer Produktionsfirma Uptown Media verantworten Sie inhaltlich alles selbst.

Die inhaltliche Hoheit ist für mich ausgesprochen wichtig. Aus meiner 27-jährigen Vergangenheit im Fernsehen kenne ich das auch anders, da bin ich Kabel Eins sehr dankbar. Wir haben insgesamt eine gute Konstellation gefunden. Auch Endemol Shine ist für uns ein starker Partner. Wir können uns wunderbar von der Idee bis zum Sendeband austoben. Gemeinsam arbeiten wir auch an neuen Ideen, so wie wir das auch in der Vergangenheit getan haben. Als wir damals vor acht Jahren erstmals auf Mallorca waren, hätten wir uns nie vorstellen können, dass daraus eine ganze Reihe wird. Neben den Urlaubs-Ausgaben von "Achtung Abzocke" machen wir mittlerweile ja auch Inlands-Ausgaben und ein Format, in dem ich den Urlaub von Betroffenen rette. Das ist aber alles sicherlich auch auf die guten Quoten zurückzuführen. Hätten wir die nicht, sähe es vielleicht ganz anders aus.

 

"Wenn sich bei Heidi Klum die Models im Sekundentakt umstylen lassen, muss ich doch ruhig erzählen."

 

Kabel Eins bezeichnet Sie als den "Quotenkönig" des Senders. Wie viel Druck macht das, abzuliefern?

Der Sender lässt mich mit diesem Druck gut umgehen. Ich weiß, dass von mir und uns viel erwartet wird, die Zahlen müssen stimmen. Wir haben ein gewisses Stammpublikum, das uns die Treue hält. Wir liefen im Sommer 2019 gegen die erste Staffel "The Masked Singer" und haben trotzdem noch bis zu 6,5 Prozent Marktanteil geholt. Letztes Jahr waren wir dann auf unserem bisherigen Höhepunkt, mit 9,4 Prozent für eine Folge und einem sensationellen Staffelschnitt von 7,9 Prozent. Da sind wir auch ohne Krone stolz.

Sie hatten eben schon die Erzählweise in "Achtung Abzocke" erwähnt und dass es in der ersten neuen Folge nur zwei Fälle gibt. Das ist ein Kontrast zu anderen Programmen, wo oft mehr Geschichten erzählt werden.

Und trotzdem gehen uns die Leute nicht verloren. Ich glaube, das Publikum schätzt unsere längeren Erzählstücke und die etwas entschleunigte Erzählweise. Wenn sich bei Heidi Klum die Models im Sekundentakt umstylen lassen, muss ich doch ruhig erzählen (lacht).

Ist das "Achtung Abzocke"-Franchise ein Vollzeitjob, oder haben Sie auch noch Kapazitäten für weitere Projekte? Also: Kommt da noch mehr von Ihnen und Uptown Media?

Wir arbeiten sehr gut mit Kabel Eins zusammen und entwickeln derzeit neue Ideen, da sind wir schon recht weit und ich kann mir vorstellen, dass das ein oder andere davon noch in diesem Jahr zu sehen sein wird. Seien Sie sich also sicher: Da kommt noch mehr.

 

"Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben noch nie ein Storytelling-Seminar besucht und darauf bin ich stolz."

 

Sie produzieren im Fernsehen vor allem für Kabel Eins. Warum ist das so und bleibt das auf absehbare Zeit so?

Für mich ist erstmal wichtig, ein Team zusammenzustellen, das ein Format wie "Achtung Abzocke" mit 14 bis 17 Erstausstrahlungen im Jahr produzieren kann. Es ist übrigens nicht so leicht, eine Redaktion mit guten TV-Journalisten zu bestücken. Der Fachkräftemangel trifft die gesamte Branche. Als Produktionsfirma sind wir aber auch über Kabel Eins hinaus tätig. Wir produzieren Reportagen für Sat.1 und Einspieler für "Zervakis & Opdenhövel. Live." und andere Sendungen. Und wie gesagt: An neuen Ideen feilen wir aktuell. Ich würde es so zusammenfassen: Wir arbeiten daran, groß zu werden, wollen es aber nicht überstürzen. Wichtig ist immer, dass die Qualität stimmt.

Und gibt es einen Ort, wo Sie mal gerne drehen würden?

Wir wollen schon lange nach Marokko, ein wunderschönes Land. Bisher aber konnten die Behörden sich noch nicht dazu durchringen, uns Journalisten-Visa zu erteilen.

Sie sind 2013 ja schon einmal nur mit einem Touristenvisum gereist, damals nach Katar, um für eine Sky-Doku über die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 zu berichten. Damals sind Sie verhaftet und wie ein Schwerverbrecher behandelt worden.

Da haben wir uns ein wenig verschätzt, wie heiß das Thema war. Wir hatten mit Amnesty International und Gewerkschaften vor Ort gesprochen, dabei sind wir mit einem Touristenvisum eingereist. Das würde ich heute nicht mehr machen. Das war damals riskant und fahrlässig. Es war aber auch die einzige Möglichkeit, um die Geschichte zu machen. Die nervöse Reaktion aus Katar hat ja letztendlich gezeigt, dass an dem, was wir berichtet haben, etwas dran ist. Ich würde tatsächlich gerne nochmal nach Katar reisen, um einen Nachdreh zu machen. Dieses Mal würde ich aber auf offiziellem Wege einreisen.

Herr Giesel, vielen Dank für das Gespräch!

Kabel Eins zeigt die neue Staffel von "Achtung Abzocke – Betrügern auf der Spur" ab dem 17. Februar immer donnerstags ab 20:15 Uhr.