Sie wollen offenbar nicht länger warten bis klar ist, was der Joyn-Gesellschafter Discovery macht, der nach der Fusion mit WarnerMedia international auf den eigenen Streamingdienst HBO Max setzt: Seven.One Entertainment stellt in den kommenden Wochen zahlreiche Apps ein, um sich im Netz allein auf die Marke Joyn zu fokussieren, die bislang noch in einem Joint Venture mit Discovery betrieben wird. Im DWDL.de-Interview sprechen Henrik Pabst, Chief Content Officer und Nicole Agudo Berbel, Chief Distribution Officer der Seven.One Entertainment Group über die neue Digitalstrategie und die Chancen von werbefinanziertem VoD.
Frau Agudo Berbel, Herr Pabst, Seven.One Entertainment will also seine Digitalstrategie schärfen. Das klingt erstmal blumig. Was ist damit konkret gemeint?
Henrik Pabst: Wir haben alle digitalen Plattformen, auf denen wir Content ausspielen, genauer bewertet. Der Ausbau der digitalen Reichweite ist für uns entscheidend. Und wichtig: Unsere Reichweite muss dabei in erster Linie vermarktbar sein. Wir erleben eine Sättigung im Bereich der SVoD-Angebote und die berühmte Frage, wie viel SVoD-Services wohl jeder abonnieren wird, kennt jeder. Wir sehen als Folge dessen eine sehr große Nachfrage nach frei verfügbarem Content – und werbefinanziertes Fernsehen können wir! Mit Joyn sind wir gut aufgestellt, unsere Streamingplattform hat SVoD und AVoD im Angebot. Und Joyn wird mehr denn je das zentrale Element unserer Streamingstrategie. Je klarer die Frage zu beantworten ist, wo ich Content finde, desto höher ist auch die Nutzung.
Nicole Agudo Berbel: Deswegen schärfen wir unsere Digitalstrategie und fokussieren unser Digitalangebot: Wir werden unsere Sender-Apps aus den App-Stores nehmen, das wird dort auch ab dem kommenden Montag kommuniziert. Im Laufe des Frühjahrs wollen wir alle mobilen Apps und die Apps für Smart-TVs und Streaming-Devices sukzessive vom Markt nehmen und durch Joyn ersetzen. Damit legen wir den Fokus klar auf Joyn als One-Stop-Destination. Eine Marke, eine Adresse für all unsere Inhalte. Das werden wir natürlich auch on Air entsprechend begleiten. Parallel dazu werden unsere Sender-Websites auf eine neue einheitliche Technik-Basis gestellt und inhaltlich angepasst.
Wenn Joyn Ihre Sendermarken im Netz ersetzen soll, müssen wir über den pinken Elefanten im Raum sprechen: Sie setzen digital alles auf eine Marke, die Ihnen noch gar nicht mehrheitlich gehört. Joyn ist ein Joint-Venture mit Discovery, was schon länger nicht mehr als Liebesheirat gilt - auch weil Discovery mit WarnerMedia ja einen neuen Partner gefunden hat.
Henrik Pabst: Joyn ist eine etablierte Marke und für uns gibt es keinen Grund, nicht auf sie zu setzen. Wir haben schon mehrfach öffentlich gesagt: Was die Kolleginnen und Kollegen von Discovery nach dem Warner-Merger machen, können wir nicht beeinflussen. Aber klar ist auch: Wir handeln bei Entscheidungen, die unser jeweiliges Unternehmen betreffen, selbstverständlich eigenständig. Wir als Seven.One Entertainment sagen jetzt noch deutlicher: Für uns ist Joyn die zentrale Streamingplattform und damit unsere Heimat für lineare Streams, für On-Demand- Nutzung, für Previews, für Originals und Lizenzware. Wir werden in diesem Jahr beispielsweise die Zahl der Previews bei Joyn massiv erhöhen und bis zu hundert Prime-Time-Programme vorab auf Joyn spielen.
"Wir alle können uns Stillstand in diesen dynamischen Zeiten nicht leisten."
Henrik Pabst
Den Aspekt verstehe ich. Sollte man aber mit Discovery über eine komplette Übernahme verhandeln, erscheint es mir als kostspielige Strategie vorher zu erklären, dass Joyn definitiv zentraler Bestandteil Ihrer Strategie ist. Das treibt doch den Preis...
Henrik Pabst: Ich versichere Ihnen: Wir sind in einer guten Partnerschaft. Ein Joint Venture geht man nicht ein, ohne sich gut vorzubereiten. Wir alle können uns Stillstand in diesen dynamischen Zeiten nicht leisten. Denn wir erleben jetzt die fortschreitende Neuverteilung von Zeitbudgets, ein Abschmelzen der linearen Nutzung und einen Kampf um die Nutzung auf smarten Devices. Deshalb müssen wir uns zukunftsfähig aufstellen, unsere Zuschauerinnen und Zuschauern dort abholen, wo sie sich aufhalten – unabhängig von möglichen weiteren strategischen Entscheidungen.
Joyn ist ein Hybrid aus AVoD und SVoD. Wenn es um vermarktbare Reichweite geht, spielt AVoD für Seven.One Entertainment strategisch eine größere Rolle?
Henrik Pabst: Wir haben ein sehr großes AVoD-Angebot, aber halten niemanden davon ab, in den komfortableren und noch umfangreicheren SVoD-Bereich zu wechseln. Klar ist: AVoD ist für uns ein Unterscheidungsmerkmal, weil wir mit Seven.One Media einen starken Vermarkter haben, der mit der Fokussierung auf Joyn eine einfacher zu vermarktbare Gesamtreichweite aus linearer Ausstrahlung und On-Demand-Nutzung bekommt. Und wenn wir in die USA schauen, dann sehen wir: Kuratierte Inhalte im AVoD-Bereich boomen! Sie sind das neue Kabelfernsehen. Anders gesagt: Im Streaming war die Perspektive für Marktteilnehmer, die sich mit Werbevermarktung seit Jahrzehnten auskennen, nie besser als heute. Wir werden diese Entwicklung auch bei uns erleben, aber wie immer etwas verzögert.
Nicole Agudo Berbel: Einen kleinen und feinen Premium-SVoD-Bereich wird es natürlich weiterhin geben. Denn das Subscriptions-Modell ist mittlerweile gelernt, es gibt schließlich eine Menge Abonnent:innen und wir werden neben der HD-Qualität und dem Zugang zu unseren Pay-TV- Inhalten auch weiter in Originals investieren. Aber unser Fokus liegt ganz klar auf AVoD.
"Die Abschaltung der Sender-Apps reduziert Komplexität"
Nicol Agudo Berbel
Sie sprechen eine „einfacher zu vermarktbare Gesamtreichweite“ an.
Nicole Agudo Berbel: Die Vermarktung von Joyn läuft schon sehr erfolgreich, aber wir wollen das stärken und auch unseren Werbekunden künftig ein einfach zu buchendes Angebot machen, bestehend aus dem linearen TV-Programm und der On-Demand-Nutzung bei Joyn. Die Abschaltung der Sender-Apps reduziert Komplexität, die nicht ähnlich gut vermarktbar war und Aufmerksamkeit fragmentiert hat. Daher gilt für die Werbekunden das Gleiche wie für unsere User: Joyn ist unser zentrales Element im Digital-Bereich.
Wie sieht es eigentlich bei Ihren Distributionspartnern aus? Telekom oder Roku beispielsweise. Dort sind bislang Ihre Sendermarken direkt vertreten. Lassen die sich durch Joyn ersetzen?
Nicole Agudo Berbel: Das ist tatsächlich ein Sonderfall. Bei den Distributionspartnern bleiben unsere starken Sendermarken natürlich unsere Leuchttürme. Für die non-lineare Distribution wäre dann entweder Joyn als Aggregator denkbar oder auch ein angepasstes Angebot, das dann ausschließlich Inhalte der Seven.One Entertainment Group gebündelt zur Verfügung stellt. Dafür stellen wir zurzeit auch technologisch die Weichen.
Wo sie diese Herausforderung ansprechen: Soll Joyn denn aus Sicht von Seven.One Entertainment perspektivisch ein Aggregator bleiben oder sich auf eigene Inhalte fokussieren?
Henrik Pabst: Ein Aggregator bietet natürlich viele Vorteile, vor allem für die Nutzer:innen. Wie sich unser Angebot in Zukunft entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab, die wir nicht alle direkt beeinflussen können.
Letzte Frage: Die Sender-Apps waren bislang nicht von großer Relevanz, allerdings hat die erfolgreichste ProSieben-Show - „The Masked Singer“ - die App zur Interaktion mit dem Publikum genutzt, was zentraler Bestandteil der Sendung ist. Wie soll das denn künftig gelöst werden?
Nicole Agudo Berbel: Keine Sorge, die ProSieben-App wird auch während der nächsten Staffel von „The Masked Singer“ im Frühjahr noch aktiv sein. Dort sind die Fans sehr in unsere Sendungen involviert und können interaktiv an der Show teilnehmen. Wir arbeiten bereits an zukünftigen Angeboten für diese interaktiven Elemente.
Frau Agudo Berbel, Herr Pabst, herzlichen Dank für das Gespräch.