Frau Strobl, Mitte Oktober wurde Ihren Plänen für eine ARD-Programmreform zugestimmt. Wo stehen Sie jetzt, sechs Wochen später?

Wir stecken mitten in der Arbeit. Es war wichtig, all das zu beschließen, um das Profil des Ersten zu schärfen und gleichzeitig den digitalen Wandel hinzubekommen, vor allem durch ein eigenständiges Angebot der Mediathek. Es gibt keinen einheitlichen Startzeitpunkt für die Programmreform, aber erste Änderungen werden schon im Januar sichtbar, wenn wir den "Bericht aus Berlin", den "Weltspiegel" und die "Sportschau" am Sonntag neu sortieren. 

Inwiefern ist das alles noch "eins", um in der ARD-Sprache zu bleiben, wenn die Mediathek immer eigenständiger wird?

Unsere Programmplaner des Ersten und der Mediathek arbeiten seit Oktober Hand in Hand. Es gibt also inzwischen ein abgestimmtes Programmangebot für beide Ausspielwege. Klar ist aber auch, dass wir für unsere Mediathek eigenständiges Angebot brauchen, weil wir nicht nur diejenigen ansprechen wollen, die unser Programm im Ersten ohnehin schauen. Zur Wahrheit gehört nämlich, dass wir viele Zuschauerinnen und Zuschauer unter 50 gar nicht mehr erreichen. Diesen Menschen wollen wir ein Angebot machen, das wir fürs klassische Fernsehen so nicht beauftragt hätten. "All you need" ist ein großer Erfolg, und für 2022 planen wir für die Mediathek gleich 25 neue fiktionale Serien; alle zwei Wochen finden Sie dann eine neue Serie. Das ist ein kräftiger Aufschlag. Das Gefühl vom Lagerfeuer im Ersten wird also ergänzt um ein sehr zielgruppenspezifisches Angebot zum Beispiel für Serienfans.

Woran bemessen Sie künftig denn den Erfolg?

Erfolg bemisst sich immer unterschiedlich, aber zum Beispiel in unseren neuen ARD-Leitlinien, die wir gerade im November mit unseren Gremien verabschiedet haben, ist das Ziel festgehalten, die Gesamtsehdauer in der Mediathek um 50 Prozent zu steigern. Das ist eine hohe Selbstverpflichtung, an der wir uns nächstes Jahr im Herbst messen lassen müssen. Dafür müssen wir künftig ganz anders arbeiten, beispielsweise im Trailer-Management, um gezielter auch auf dieses Angebot in der Mediathek hinzuweisen. Wir haben bereits spannende Themen und Geschichten, die wir aber zum Beispiel im Bereich der Dokumentation für die Mediathek anders erzählen müssen. Und dann wird es natürlich auch darum gehen, Dokumentationen oder fiktionale Serien noch besser ins Schaufenster zu stellen, dazu können wir unsere ganze ARD-Flotte noch besser nutzen. Schaffen wir das, haben wir eine große Chance für die ganze Bevölkerung mit attraktiven Inhalten relevant zu sein. Niemand sollte uns unterschätzen: ARD und ZDF sind mit ihren Mediatheken in einer Liga mit Amazon Prime.

Tatsächlich ist das Budget für manche Folge einer Netflix-Serie allerdings höher als ihre komplette Programmreserve, die auf einen hohen einstelligen Millionenbetrag steigen soll. Was erhoffen Sie sich eigentlich von diesem Geld?

Die Programmreserve ist als Anreiz zu sehen, den geplanten digitalen Umbau auf den Weg und in die richtige Richtung zu bringen – etwa, wenn Magazin-Redaktionen künftig auch Dokumentationen machen sollen oder mehr Serien für die Mediathek entstehen sollen. Es ist ja nicht so, dass sich die Redaktionsbudgets verdoppeln, ganz im Gegenteil, wir müssen den digitalen Umbau mit den gleichen Budgets stemmen, die bisher ausschließlich fürs klassische Fernsehen vorhanden waren, weil wir nicht länger nur linear denken.

 

"Wir sind genau da rausgekommen, wo wir hinwollten."

 

Dennoch konnte in den vergangenen Monaten beobachtet werden, wie viel über Sendeplätze gesprochen wird – sowohl innerhalb als auch außerhalb der ARD. 

Es ist interessant, dass die Bedeutung von Programm oft immer noch an Sendeplätzen festgemacht wird. Ich halte diese Betrachtung allerdings nicht mehr für zeitgemäß. Wenn man sieht, was heutzutage viral geht, dann kann dies nicht die einzige Währung sein. Für mich ist die Relevanz in Summe interessant – die kann durch gute Platzierung in der Mediathek genauso entstehen wie durch einen Sendeplatz in der Primetime. Solche Veränderungen in der Betrachtung gelingen aber letztlich nur, wenn sie bei allen Redakteurinnen und Redakteuren auch ankommen. Manchmal gibt es bislang noch das Gefühl, dass die Mediathek noch nicht die ganz große Bedeutung hat – vielleicht auch, weil wir sie in der Vergangenheit gar nicht so gezielt im Fokus hatten und die Bewerbung noch sehr auf das klassische Fernsehen konzentriert war. Aber das ändern wir gerade und ich bin überzeugt, dass sich die Debatte Stück für Stück erübrigen wird. 

Wie haben Sie die Debatte empfunden? 

Die Diskussion war total positiv. Ich mag's ja, wenn's ein bisschen aufgeregt ist. (lacht) Das zeigt, dass man wirklich etwas verändert – und letztlich sind wir genau da rausgekommen, wo wir hinwollten. Dieser Prozess war notwendig und ist ja auch mit einer erstaunlich großen Geschwindigkeit zu Ende gegangen. Von daher bin ich sehr zufrieden, weil ich die ARD sehr reformfreudig erlebt habe. Wenn auch mit entsprechender Begleitmusik. (lacht)

Vor allem haben Sie es geschafft, als Erfolg zu verkaufen, wofür Ihr Vorgänger Volker Herres noch heftig kritisiert wurde: Sonntags läuft der "Weltspiegel" früher und die "Sportschau" rückt an die "Tagesschau" heran. Warum war jetzt möglich, was vor wenigen Jahren noch lautstark kritisiert wurde?

Der Sport schafft es, Menschen milieu- und altersübergreifend vor dem Fernseher zu versammeln. Daher ermöglicht es uns die "Sportschau", Zuschauerinnen und Zuschauer über den Sport zum Beispiel auch zur "Tagesschau" zu bringen, die unsere Nachrichten sonst womöglich nicht sehen würden. Gleichzeitig ist durch die Verbindung und Verlängerung von "Bericht aus Berlin" und "Weltspiegel" eine echte Win-Win-Situation entstanden. Wir alle haben doch gerade in den letzten Monaten gemerkt, dass bei vielen Themen der Blick aus dem Inland und aus der Welt gleichermaßen eine Rolle spielt. Darüber hinaus ist es gelungen, die Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, die Themen aus der Welt nicht nur im "Weltspiegel" stattfinden zu lassen, sondern auch montags nach den "Tagesthemen" mit längeren, vertiefenden Stücken, die wiederum der Mediathek zugutekommen. Das ist ein Gesamtpaket, hinter dem alle in der ARD stehen können.

Sportschau © WDR/Herby Sachs Ab Januar rückt die "Sportschau" sonntags an die "Tagesschau" heran. Im Gegenzug verliert der "Weltspiegel" seinen angestammten Sendeplatz.

Warum sind Ihnen dokumentarische Stoffe so wichtig?

Wir sehen ja bei der Betrachtung des internationalen On-Demands-Angebot, dass zum Beispiel Magazin-Sendungen keine große Rolle spielen – im Gegensatz zu längeren, vertiefenden Dokumentationen, an denen gerade auch jüngere Menschen ein großes Interesse haben, wenn die Machart denn zeitgemäß ist. Das ist eine Entwicklung, die wir auch in Deutschland spüren. Und für uns alle ist es doch eine faszinierende Möglichkeit, ein Thema über 30 oder 45 Minuten zu erzählen. 

Verändern wollen Sie auch den Freitagabend im Ersten – wahlweise mit Comedy und Reportagen um 21:45 Uhr. Wie konkret sind da inzwischen die Pläne?

Ich glaube schon, dass bei uns freitags noch mehr gelacht werden kann – ohne das ZDF nachzuahmen. Wir besitzen im Comedy-Bereich ja eine hohe Kompetenz auch in den Dritten Programmen, die wir noch stärker ausspielen wollen – so wie wir es an anderer Stelle mit Carolin Kebekus, der neuen Personalityshow mit Tahnee oder neuen Comedyserien wie "How to Dad" und "Marzahn mon Amour" künftig auch an anderer Stelle tun wollen. Alles Formate, die wir vor drei Jahren sicher noch nicht gemacht hätten. Und jetzt gilt es, ein passendes Angebot für den Freitag zu finden; daran arbeitet der Unterhaltungskoordinator Frank Beckmann mit seinen Kolleginnen und Kollegen derzeit. Gleichzeitig überlegen wir, auf diesem Sendeplatz auch eher emotional erzählte Reportagen an den Start zu bringen. Wir hatten in diesem Jahr bereits "Charité intensiv" – eine großartige Reihe, die ich mir auch im Ersten hätte vorstellen können. Ich hoffe sehr, dass wir bis Mitte des Jahres erste Ergebnisse sehen können.

 

Alles, was uns in eine Nische drängt, schadet dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

 

Lassen Sie uns über das Tagesprogramm sprechen. Ihre täglichen Telenovelas "Rote Rosen" und "Sturm der Liebe" stehen auf der Kippe. Dabei sind diese Formate doch auch in der Mediathek gefragt. Wie passt das zusammen?

Sowohl "Rote Rosen" als auch "Sturm der Liebe" haben eine große Fanbasis, die sich auch in der starken Online-Nutzung niederschlägt. Allerdings erreichen wir mit beiden Serien in der Mediathek mutmaßlich keine neuen Zielgruppen. Wir müssen angesichts unserer begrenzten Ressourcen überlegen, ob wir uns am Nachmittag noch ein fiktionales Angebot leisten können. Dennoch haben wir beide Telenovelas jetzt nochmals um ein Jahr bis Ende 2023 verlängert – mit einem großen Kraftakt, der nur möglich ist, weil sich auch die beiden Produktionsgesellschaften kräftig ins Zeug legen. Doch wir müssen auch den Blick nach vorne richten.

Was meinen Sie konkret?

Wir werden schon ab Februar ein neues Format auf dem 16-Uhr-Sendeplatz ausprobieren, das "Familien-Kochduell" mit Moderator Steffen Henssler sowie Zora Klipp und Ali Güngörmüş als Expertenjury. Das ist übrigens nicht die x-te neue Kochshow.

Sondern?

Es geht um ein echtes Duell, das sich stärker als alle anderen Kochshows an der realen Lebenswirklichkeit orientiert. Zwei Familien haben 100 Euro Etat und kochen die Woche über gegeneinander, jeweils eine Vorspeise und Hauptspeise. Wir wollen dabei nicht nur das Spielerische in den Mittelpunkt stellen, sondern auch echten Service bieten und dem Publikum zeigen, dass Ernährung gar nicht so teuer sein muss. Beim Casting haben wir uns vorgenommen, auf Diversität zu achten und uns auf das generationsübergreifende Kochen zu fokussieren. Wir erleben ja gerade auch in Corona-Zeiten, wie viel wieder in den Familien zusammen gekocht wird.

Generell diskutiert die Politik mit Blick auf den Medienstaatsvertrtag gerade darüber, ob und in welche Form Unterhaltung eigentlich zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehören sollen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass vieles von dem, was Sie heute zeigen, in Zukunft nicht mehr erlaubt sein wird?

Alles, was uns in eine Nische drängt, schadet dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich habe deshalb die Hoffnung, dass wir in der Phase der Anhörung und des Diskurses mit den politisch Verantwortlichen noch einmal ganz klar herausstellen können, dass unser Auftrag nicht verengt werden sollte. Es ist von großer Bedeutung, dass die Unterhaltung ein wichtiger Bestandteil unseres Auftrags bleibt, weil es uns die Möglichkeit gibt, alle Menschen zu erreichen. Die Zuführung zur Information gelingt wunderbar über die Unterhaltung. Das können Sie sehr gut an den "ARD extra"-Ausgaben zum Beispiel zu Corona erkennen, die immer dann besonders erfolgreich laufen, wenn sie vor unterhaltenden Formaten platziert sind. Dazu kommt, dass sich unsere Form der Unterhaltung auch klar unterscheidet und wir in unseren Sendungen niemals Menschen niedermachen oder gar vorführen würden. 

Allerdings drängt sich gerade der Eindruck auf, dass sich die Privaten inzwischen in vielen Bereichen an den öffentlich-rechtlichen orientieren. Wie nehmen Sie das wahr?

Ich kann die Strategie der Privaten, seriöser und älter zu werden, durchaus nachvollziehen, denn sie spüren den internationalen Druck besonders stark. Was unsere Informationsangebote angeht, mache ich mir aber keine Sorgen, weil sich die Zuschauerinnen und Zuschauer am Ende für das Original entscheiden. Außerdem bringt uns die Konkurrenz dazu, noch einmal stärker darauf zu achten, was wir noch besser machen können.

Frau Strobl, vielen Dank für das Gespräch.