Herr Baumann, Herr Groos – welche Erinnerungen verbinden Sie mit den Hitler-Tagebüchern?
Tobi Baumann: Obwohl ich als fernsehaffines Kind vieles mitbekommen habe, ist das als Grundschüler vom Dorf damals komplett an mir vorbeigegangen.
Wolfgang Groos: Als 15-Jähriger war das bei mir ähnlich, da hat man ja doch andere Interessen. Mit „Schtonk!“ hat sich das allerdings geändert. Auch und gerade, weil Dietls Film heillos überzeichnet war, kam das Thema erst dadurch so richtig an mich ran.
Baumann: Ging mir genauso. Lustigerweise habe ich „Schtonk!“ vor zehn Jahren noch mal im Kino gesehen und festgestellt, wie aktuell die Komödie und das Thema sind.
Da auch diese Serie jetzt wieder einen eher humoristischen Ansatz hat, fragt man sich: war die Wirklichkeit eigentlich auch so lustig oder eher tragisch?
Baumann: Die Ereignisse wurden 1983, aber auch in Dietls Verfilmung neun Jahre später als eine Art nationaler Provinzposse dargestellt, die zur ulkigen Bonner Republik mit lustigen Figuren wie Kohl oder Blüm passte. Das kann man aus heutiger Sicht so nicht mehr betrachten.
Groos: Nach der ersten Empörung haben viele emotional daran angedockt, dass ein schräger Typ wie Konrad Kujau die halbe Republik verarschen konnte. Das passte zum Zeitgeist, vor dessen Spott damals selbst eine Respektsperson wie der Bundeskanzler nicht mehr sicher war, und setzte sich fort, als Kujau nach seiner dreijährigen Haft durch alle Fernsehshows bis hin zu Thomas Gottschalks „Na Sowas“ gereicht wurde.
Dass sich die Verantwortlichen statt moralischen Fragen nur rechtliche gestellt haben, ist der eigentliche Skandal.
Wolfgang Groos
Dabei war er ein verurteilter Straftäter, der sich mit einer Fälschung zulasten anderer massiv selbstbereichern wollte.
Groos: Und genau darin besteht auch die Fallhöhe humoristischer Herangehensweisen. Bei „Schtonk!“ war das auch wegen der zeitlichen Nähe noch ein Reinigungsprozess. Wir mussten uns aus größerer Distanz abgrenzen. Dass die Serie dabei nicht bierernst wird – dafür hat allein schon die Absurdität der Ereignisse gesorgt. Die lustigsten Stellen waren in der Regel jene, wo ich meiner Frau versichern musste, dass das im Wesentlichen so passiert ist.
Baumann: Die Wahrhaftigkeit der Überzeichnung sorgt zudem dafür, den Fälscher Kujau zunächst als Held darzustellen, der denen da oben eins auswischt – inklusive „Stern“-Redaktion, die ihm in Aussicht einer Riesengeschichte blindlings folgt. Spätestens, als die folkloristische Verklärung Hitlers und der Naziverbrechen jener Tage sämtliche Prinzipien journalistischer Recherche über Bord wirft, wird es allerdings tragisch und sogar gefährlich.
Groos: Dieser Kipp-Punkt erfolgt etwa zur Hälfte der sechs Folgen, wenn fiktive Figuren wie Elisabeth die Frage aufwerfen, welche Konsequenz es denn gehabt hätte, falls die Tagebücher echt wären: hätte man Hitlers Selbstverklärung als menschlicher Diktator, der nichts vom Holocaust wusste, aus Sensationslust veröffentlichen dürfen? Dass sich die Verantwortlichen statt moralischen Fragen nur rechtliche gestellt haben, ist der eigentliche Skandal.
Wobei die fiktive Stern-Journalistin Elisabeth mit ihrem Vater, der seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verheimlicht, gesellschaftspolitisch noch weitere Funktionen haben.
Baumann: Ihre Geschichte steht für die nicht ehrlich vollzogene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und auch dem massiven strukturellen Sexismus der Zeit. Sowohl der Revisionismus der Täter als auch das misogyne Klima in einer Redaktion sind Dinge, die direkt zu diesem Skandal beigetragen haben und die übrigens heute nach wie vor virulent sind.
Groos: Wenn ich die frauenfeindlichen Sprüche von Theo Kalg so höre, wunderbar gespielt von Tristan Seith, schäme ich mich rückwirkend für die damalige Gesellschaft und mein eigenes Geschlecht darin.
Baumann: Man sieht es auch bei unserer Ausstattung: auf fast jedem „Stern“-Cover von damals waren nackte Frauen, selbst wenn das Thema gar nichts mit Weiblichkeit zu tun hatte.
Groos: In dieser Atmosphäre waren Witze vor aller Leute über PMS natürlich kein Problem.
Wobei man sich – Stichwort Authentizität – fragt, ob Männer 1983 vom prämenstrualen Syndrom wussten?
Groos: Das war nicht ganz rauszufinden, aber letztlich ist der Begriff zu stark, um ihn wegzulassen. Wir versuchen natürlich generell so realistisch wie möglich zu sein, machen aber auch keine Dokumentation.
Baumann: Es ging uns gar nicht so sehr um historische Präzision, sondern glaubhafte Vermittlung eines Zeitgeists mit übermächtiger Männerattitüde. Sofern das stimmt, kann man bei ausstatterischen Details auch mal ein Auge zudrücken.
Wie viel Wahrhaftigkeit braucht, wie viel Fantasy verträgt ein so realistischer Stoff?
Groos: Von beiden so viel, dass es sich nie in die Quere kommt.
Baumann: Obwohl ja einiges über Heidemann und Kujau bekannt ist haben wir sie natürlich fiktionalisiert, unter anderem in ihren privaten Konflikten.
Groos: Wobei die Mutmaßungen über Heidemann schon deshalb Hand und Fuß haben, weil er nachweislich die Yacht von Hermann Göring besaß, mit dessen Tochter liiert war und vier, fünfmal verheiratet.
Baumann: Sowohl der Podcast als auch unsere Recherche lassen uns vermuten, dass er jede Distanz zum Nationalsozialismus verloren hatte. Bei Konrad Kujau kann man nicht so genau sagen, warum er die Tagebücher eigentlich so geschrieben hat. Es bleibt unklar, ob ihm einfach nur banales eingefallen ist, oder ob er Hitler vielleicht so gut gefunden hätte.
Weil er wusste, was die Leute hören wollten?
Groos: Das war jedenfalls eines seiner großen Talente. Er hat alles gefälscht, sogar seine Herkunft oder den Dialekt. An Kujau war eigentlich alles Fake, und wie Moritz Bleibtreu das verkörpert, ist unfassbar wahrhaftig.
Baumann: Und auch Lars Eidinger spielt den ungreifbaren Charakter Heidemann ebenso herrlich ambivalent.
Groos: Verglichen damit ist das Wahrhaftige der Ausstattung bloß ungemein wichtiges Handwerk. Darauf muss man seriöses Augenmerk legen, es darf allerdings nicht wichtiger werden als die Story
Baumann: Schon, weil die Zeit für uns so viele Kindheitserinnerungen mit sich bringt, haben wir früh für uns entschieden, nicht durch ein Achtzigerjahre-Museum marschieren zu wollen.
Groos: Um den Look der Achtziger nicht wichtiger als die Geschichte zu nehmen, war es daher toll, zwei Regisseure mit zwei Kameraleuten zu sein, die also vier Blickwinkel aufs selbe Motiv haben.
Zwei gleichberechtige Regisseure, die sich nicht strikt auf Staffeln oder Folgen aufteilen, sind eher die Ausnahme, oder?
Baumann: Das gab es meines Wissens zuvor noch gar nicht. Außer vielleicht bei richtigen Duos wie den Wachowskis oder den Coen Brüdern.
Groos: Aber aus Zeitgründen und da Tobi und ich uns gut kennen und bereits bei „Pastewka“ miteinander gearbeitet hatten, haben wir uns gemeinsam mit der UFA überlegt, gleichzeitig zu drehen – was allerdings nur ging, weil wir zwar feste Folgen verantwortet haben, aber keiner von uns insgesamt federführend war.
Baumann: Wolfgang hat 1-3 gedreht, ich 4-6, aber bei Heidemanns Unfall am Anfang sieht man gut, wie das Zusammenspiel funktionierte. Wolfgang hat die Außenaufnahmen auf gesperrter Autobahn gedreht, ich die Innenaufnahmen am Steuer, die Szene lief dann in einer von seinen und von meinen Folgen.
Keinerlei Kompetenzgerangel?
Groos: Nein, obwohl wir echt keine unterentwickelten Egos haben. Aber weil wir beide wissen, wie man mit dem des anderen umgeht, hatte das eher was Humoristisches als Rangelndes. Tobi kann schließlich Dinge, die ich nicht kann und umgekehrt.
Gerade angesichts der gestiegenen Anforderungen an serielles Fernsehen kannst du zu zweit eigentlich nur gewinnen.
Tobi Baumann
Zum Beispiel?
Groos: Tobi ist der totale Filmnerd und kann dir aus der Vielzahl visueller Möglichkeiten sofort den richtigen Look recherchieren. Ich bin besser in Logistik und gut darin, was man wie wann wo mit wem machen kann. Und wir kennen und schätzen die Art der Inszenierung des Anderen sehr.
Baumann: Wichtig war auch, dass jeder die Szenen des anderen kannte, also das Augenmerk darauf nie verloren hat und wusste, welche Anschlussfragen daraus resultieren. Vier Augen sehen besser als zwei.
Groos: Und vier Ohren hören besser als zwei. Diesen Austausch möchte ich kaum noch missen.
Heißt das, die Aufteilung könnte Schule machen?
Groos: Nicht aus Kostengründen, aber wenn du den Darstellern in Aussicht stellst, drei Wochen konzentriert mit zwei Regisseuren gleichzeitig zu arbeiten statt verteilt auf acht Wochen mit jeweils einem, ist das effizienter für alle. Ähnliches gilt für die anderen Gewerke.
Baumann: Wir haben über das gesamte Projekt mit UFA-Produzent und Showrunner Tommy Wosch alles gemeinsam konzipiert, geplant und entschieden. Echtes Teamwork. Gerade angesichts der gestiegenen Anforderungen an serielles Fernsehen kannst du zu zweit eigentlich nur gewinnen. Ich jedenfalls sehe nur Vorteile – auch in Anbetracht der Tatsache, dass wir uns schon vorher gut kannten und verstanden haben.
Groos: Heute übrigens immer noch. Das ist die größere Kunst.
"Faking Hitler" steht ab dem 30. November bei RTL+ Premium zum Abruf bereit