Herr Pratt, einfacher Einstieg: Wie fällt die Bilanz für Prime Video 2021 aus?

Das Jahr war aus unserer Perspektive herausragend! Die vorherigen Jahre waren stark durch Aufbau von Strukturen und Personal bei Prime Video und Amazon Studios in Deutschland geprägt. 2021 konnten wir erstmals ein Programm in ganzer Breite anbieten, angefangen mit „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, was überragend gestartet ist. Nicht nur aufgrund der medialen Aufmerksamkeit. Zum Start war die Serie die meistgestreamte Serie bei Prime Video in Deutschland, die begleitende „Spiegel“-Dokumentation war in den Top20, das Buch war in den Top10 der meistverkauften Bücher und der Podcast bei Audible war in den Top5. Das war ein erfolgreiches Projekt über mehrere Amazon-Departments hinweg und somit ein Paradebeispiel für unsere 360-Grad-Strategie. 

Bei Prime Video, wie auch anderen Steamingdiensten, laufen alle Neustarts immer ohne Angaben von Zahlen "über den Erwartungen" und es scheint nur Rekorde zu geben. Haben Sie die goldene Formel für Erfolg gefunden oder sind Ihre Erwartungen einfach so unglaublich niedrig?

Nein, wir bei Amazon gehen da anders vor. Wir probieren viel aus. Manchmal scheitern Projekte und manchmal sind sie erfolgreich. Wir lernen daraus und verstärken unseren Fokus auf das was erfolgreich ist. Also die erste Staffel unserer Comedyshow „LOL: Last One Laughing“ war die bis dato meistgestreamte Serie bei Prime Video in Deutschland aller Zeiten, im Herbst dann abgelöst durch die zweite Staffel. Das ist wirklich die totale Superlative. Nichts wurde bislang bei Prime Video in Deutschland mehr geschaut als „LOL“. Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ war das ein bisschen anders: es war die bis dato meistgesehene Produktion des Jahres bei Prime Video. Meine Aufgabe bei Amazon Studios ist es ja, mit meinem Team die großen Leuchttürme zu liefern und wir freuen uns sehr, dass das mit unseren Projekten in diesem Jahr besonders gut geklappt hat.

Am Ende aber bleiben zwei Staffeln „LOL“ in der Wahrnehmung als größerer Überraschungs-Erfolg hängen als „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“….

Klar, was aber auch am Genre liegt: „LOL“ ist ein Programm für alle mit Talents, die alle Altersklassen ansprechen. Das können die Großeltern mit den Enkeln schauen. Diese Breite hat eine Highend-Serie wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ in ihrem sehr speziellen Genre natürlich nicht, aber das macht sie nicht weniger wichtig für uns. Sie hat die Reputation unseres Service, als „Premium-Content-Provider“ enorm verbessert. Es war auch härtere Kost mit gesellschaftlicher Relevanz. Das wollen wir eben auch, da ist Nutzung allein nicht das einzige Kriterium.

Bei „LOL“ haben Sie sich für eine wöchentliche Veröffentlichung entschieden. Warum?

Die Überlegung war, wie man bei einem so breit angelegten Format beim Launch auch Effekte wie Mund-zu-Mund-Propaganda besser für sich nutzen kann. Die Schwierigkeit beim Bingewatching ist die inzwischen eingetretene Übersättigung in der wir uns befinden. Das überwältigt die Zuschauer doch manchmal, das kenn ich von mir selbst. Also haben wir uns zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von PR, Marketing und Social dafür entschieden, etwas zu bauen, das mit dem Prinzip der Vorfreude arbeitet und in diesem Fall über drei Wochen hinweg im Gespräch bleibt. Das hat wahnsinnig gut funktioniert. Natürlich gab es auch die Fragen, warum es nicht alle Folgen auf einmal sehen kann. Ein Bedürfnis zu kreieren, nehmen wir mal als Kompliment. Den Watercooler-Effekt gleich mehrfach zu haben, war gut.

 

"Meine Aufgabe ist es nicht die teuerste Serie zu machen, sondern die beste."

 

Also wird es das in Zukunft häufiger geben?

Im Show-Bereich werden wir uns das stark anschauen. Wir stehen ja kurz vor dem Start von „Celebrity Hunted“ und auch dort werden wir die sechs Folgen wie bei „LOL“ über drei Wochen veröffentlichen. Bei „One Mic Stand“ überlegen wir es auch, haben aber noch nichts entschieden. Wo immer es einen Wettbewerb gibt, finde ich diesen Modus super spannend, weil man damit die Beteiligung des Publikums stärken kann, das sich über seine Favoriten etc. austauscht. Die Premiere der zweiten Staffel von „LOL“ haben wir deutschlandweit in Kinos übertragen und damit mehr als 14.000 Zuschauer erreicht, es war die Nummer 2 der Kino-Charts an dem Tag. Für mich belegt das nochmal: Das Format hat auf Anhieb echte Fans gewonnen.

Die Branche hat mit einerseits mit viel Begeisterung auf das Format reagiert. Wettbewerber, gerade lineare Sender, haben oft verschnupft kommentiert, dass das „Scheckbuchfernsehen“ sei, weil das Format über einen entsprechend teuer eingekauften Cast funktioniere. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Nein, die Behauptung lässt den Erfolg des innovativen Konzepts total aus. Es ist auch eine interessante Behauptung, weil ich denken würde, dass alle Marktteilnehmer sich überlegen, wie viel Geld sie ins Programm stecken können und wo mehr Investment vielleicht auch mehr Reichweite bringt. Und ich kann versichern, dass wir auch genau ausrechnen, was wir investieren wollen. Wir kalkulieren natürlich auch, haben klar gesetzte Investment-Ziele für jedes Projekt und werfen nicht einfach Geld zum Fenster raus…

Vermutlich ist es der Umstand, dass Amazon es könnte. Aber bleiben wir beim Thema Comedy, da bleiben Sie mit „One Mic Stand“ dran. Wie bekommt man u.a. Harald Schmidt zu einem Comedy-Comeback?

Da würde ich in erster Linie Fred Kogel erwähnen und ein großes Dankeschön an ihn aussprechen. Fred als echte deutsche Produzenten-Koryphäe hat mit seinen fantastischen Kontakten geholfen, Harald Schmidt für dieses Projekt zu gewinnen. Leonine Studios und wir haben gemeinsam als die Neuen im Markt natürlich auch den Anspruch, die Erwartungen zu heben und zu überraschen. 

Gleichzeitig entdeckt Amazon mit Comedy und Reality beliebte Genres, die zugänglicher sind als die ersten Amazon Studios-Produktionen wie damals „Transparent“ in den USA. Entdecken Sie den Mainstream für sich?

Ich verstehe was Sie meinen, würde aber sagen: Diesen Weg sind wir in Deutschland immer schon gegangen. Ich bin jetzt seit sieben Jahren bei Amazon Prime Video und der Ansatz war immer schon Breite, zuschauer-orientierte und herausragende Unterhaltung für Deutschland und die Welt zu liefern. Dabei werden wir übrigens auch immer mal wieder scheitern, das gehört dazu. Trial & Error. Es gab ja auch schon Projekte, die wir gecancelt haben. Zum Glück zahlt sich das nun aus und viele Projekte gehen dafür  nun auch durch die Decke. Und wenn wir von herausragender Unterhaltung sprechen, dann meinen wir das wörtlich so: Wenn wir in diesem riesigen existierenden Angebot mit einer neuen Idee kommen, dann muss das in irgendeiner Weise herausragen. Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist es der internationale Serienwettbewerb mit dem wir uns messen, bei „LOL“ mit allen deutschen Comedyformaten. Wenn wir einen drauflegen, dann kann das mal über die teilnehmenden Persönlichkeiten passieren, wie bei „Celebrity Hunted“. Es kann auch übers Storytelling sein: Bei unseren kommenden Serienprojekten haben wir mit „The Americans“-Produzent Stephen Schiff, der bei „Luden“ den Writer’s Room berät, und Sebastian Krawinkel, der das Production Design für „Der Greif“ verantwortet und Art Director für u.a. „Inglourious Basterds“ oder dem „Bourne Ultimatum“ war, echte Koryphäen reingebracht und ihnen mit den deutschen Kreativen so viel Zeit für Buch und Kreation gegeben, wie es woanders nicht der Fall wäre. Oder der Unterschied liegt in den Drehtagen, wo wir auch mal mehr investieren und länger drehen mit mehr Takes, damit es perfekt wird, wie bei unserer kommenden Comedyserie „Love Addicts“. 

 

"Die Schwierigkeit beim Bingewatching ist die inzwischen eingetretene Übersättigung in der wir uns befinden."

 

Um nochmal auf die Genre-Vielfalt zurück zu kommen: Nach Comedy jetzt mit „Celebrity Hunted“ auch Reality… ist für Sie kein Genre mehr undenkbar? 

Ja, wobei sich die Genres in denen wir aktiv sind, eben aus dem Wunsch ergeben, unseren Zuschauern Spektakuläres und Herausragendes zu produzieren. Deutschland hat eine der größten TV-Industrien der Welt und viele Bereiche z.B. Krimi, Drama, Reportage, Magazin sind extrem stark besetzt. Da gibt es weniger Ansatzpunkte etwas Herausragendes anzubieten.  Aber es gibt sicher noch andere Genres in die wir uns vorwagen werden, weil wir einen Ansatzpunkt haben, etwas außergewöhnlicher umzusetzen als es andere bisher gemacht haben.

Im linearen Fernsehen erleben wir gerade eine gewisse Nostalgie. Ist das etwas was Sie beschäftigt oder das Sie aufgreifen wollen?

Wenn die Zuschauer „Wetten, dass…? und „TV Total“ zurückwünschen, dann finde ich es  vollkommen legitim diese Shows wieder aufleben zu lassen. Wir haben das mit z.B. „Pastewka“ ja auch schon erfolgreich bedient. Mich beschäftigt aber weniger die Nostalgie als der Blick nach vorne. Als Zuschauer freue ich mich über manches Comeback, aber als Programmmacher freue ich mich neue Wege zu gehen und Grenzen zu durchbrechen. Mich reizt es viel mehr, mit Kreativen aus Deutschland etwas zu schaffen, was dann auch über Deutschland hinaus bei Prime Video Fans findet und global Millionen von Menschen erreichen kann. Und da können wir in Deutschland noch besser werden. Es ist schon anders als damals 2006 als ich die Filmschule abgeschlossen habe. Damals waren Großprojekte wie „Der Greif“ gar nicht denkbar in Deutschland. Heute geht das. 

Dann lassen Sie uns über die kommenden Serienprojekte für Prime Video sprechen. „Der Greif“ klingt alleine aufgrund des Fantasy-Genres so als wäre es die bislang teuerste Produktion, die Amazon Studios in Deutschland stemmt….

Ja, es ist mit Abstand das ambitioniertes und aufwändigste Projekt was wir bislang beauftragt haben. Das kann man schon sagen. Wobei Geld alleine noch keine gute Serie macht. Es kommt auf die Kreativen an, in diesem Fall die herausragenden Showrunner Erol Yesilkaya und Sebastian Marka und der Produzent Quirin Berg. Jedes Mal, wenn ich Motivfotos und Muster sehe, dann bin ich beeindruckt von dem, was da entsteht. Anfang kommenden Jahres drehen wir dann auch „Die Therapie“, unser erstes Serienprojekt mit Sebastian Fitzek und Produzentin Regina Ziegler. Beide Projekte werden 2023 auf Prime Video zu sehen sein.

Können Sie etwas über das Budget dieser Serien sagen, wenn sie von den aufwändigsten sprechen, die Sie bisher beauftragt haben?

Meine Aufgabe ist es nicht die teuerste Serie zu machen, sondern die beste. Aber ich kann Ihnen garantieren: Wir investieren massiv in Inhalte und Personal in Deutschland. Unser Amazon Studios Team in München hat sich innerhalb von zwei Jahren verfünffacht. Wir produzieren derzeit zwischen fünf und acht Originals pro Jahr. Es dreht sich um Klasse, statt Masse. Zusätzlich lizensieren und koproduzieren wir eine Menge im deutschsprachigen Raum. Wir erhöhen unser Volumen schrittweise, behalten aber immer im Blick, dass ein deutsches Amazon Original große Teile der Prime-Mitglieder im deutschsprachigen Raum begeistern soll und zusätzlich potentiell Zuschauer auf der ganzen Welt. Deutschland zählt weltweit zu den erfolgreichsten Territorien von Prime Video. Das liegt nicht zuletzt an unseren lokalen Originals. Unsere Amazon Original Serien sind in der Regel über die Maßen gut ausgestattet. 

 

"Wenn wir in diesem riesigen existierenden Angebot mit einer neuen Idee kommen, dann muss das in irgendeiner Weise herausragen."

 

Während die beiden Projekte als dann 2023 kommen, was steht 2022 auf dem Programm bei Prime Video? Gefühlt gibt es eine Vorliebe für Young Adult Fiction, wenn ich mir „Love Addicts“ oder das gerade beim Seriencamp vorgestellte „Damaged Goods“ anschaue…

Unsere Fiction-Strategie fußt auf zwei formalen Säulen. Wir haben einerseits die großen Leuchtturm-Produktionen, die wirklich alle Altersgruppen ansprechen sollen und die andere Denkrichtung sind Produktionen für konkrete Zielgruppen. Da haben wir konkret die 20-30-Jährigen im Blick - und da gehören „Damaged Goods“ und „Love Addicts“ dazu, die gerade schon in Produktion bzw. in Produktionsvorbereitung sind und dann nächstes Jahr bei uns starten. 

Und in welche Kategorie fällt dann die Serie „Luden“?

Da kommen wir zu unseren aktuellen inhaltlichen Schwerpunkten: Comedy ist nach wie vor und wird auch in Zukunft ein Schwerpunkt für uns sein. Im Show-Bereich haben wir mit „Last One Laughing“ ordentlich aufgetrumpft, im Filmbereich starten wir vor Jahresende „One Night Off“ und im Serienbereich haben wir „Love Addicts“ in Vorbereitung. Mit dem Bereich Romance legen wir gerade erst los. Da sind wir z.B. in der Drehvorbereitung für einen sehr schönen Liebesfilm, über den ich in Kürze mehr sagen kann. Neben Comedy und Romance gibt es einen Bereich, den ich mal mit “Spektakuläres Genre“ überschreiben würde - und da gehört für mich neben „Die Therapie“ und „Der Greif“ auch „Luden“ rein. Die Reeperbahn ist über Deutschland hinaus ein Inbegriff für Liebe, Lust und Laster. Und dem geben wir eine richtig große Bühne. 

Aber das bedeutet „One Night Off“, der erste deutsche Film von Prime Video, bleibt nicht allein?

Nein, „One Night Off“ kommt Ende des Jahres und ist fantastisch geworden. Martin Schreier hat da visuell ein beeindruckendes Werk abgeliefert. Und wir wollen den Bereich Film definitiv weiter ausbauen. Mehrere Projekte sind gerade parallel in der Vorbereitung, darunter eben ein wunderbarer Liebesfilm, aber auch echte Genre-Werke im Bereich Action, Fantasy, Horror und Co. Das freut mich persönlich sehr. 

Wenn wir konkret auf Anfang 2022 schauen, welche Projekte kommen da denn als nächstes zu Prime Video?

Das ist natürlich die dritte Staffel „LOL: Last One Laughing“, die wir schon produziert haben. Und „One Mic Stand“, über das wir gesprochen haben. Das sind zwei Highlights die wir im ersten Halbjahr bringen. Die zweite Staffel „Binge Reloaded“ kommt Anfang des Jahres. Zu den internationalen Highlights gehören „Hotel Transilvanien 4“, die US-Serie „Reacher“, die zweite Staffel von „Star Trek: Picard“ und die vierte Staffel von „The Marvelous Mrs Maisel“.  Am 26.11. kommt die Doku „Unzensiert: Bushidos Wahrheit“, noch im Dezember unser Film „One Night Off“, die Serien „Die Discounter“ von Produzent Christian Ulmen sowie „6 Zimmer, Küche Bad“ und natürlich "Celebrity Hunted".  

Wo die dritte Staffel von „LOL“ schon gedreht ist und Anfang 2022 kommen soll, dann dürfte die vierte Staffel nicht fern sein oder?

Eine vierte Staffel „Last One Laughing“ ist nur eine Frage des Wann, nicht des Ob - und 2022 hat auch zwölf Monate, da könnte es mehr als eine Staffel geben.

Herr Pratt, herzlichen Dank für das Gespräch.