Herr Draeger, nach fast zwei Jahrzehnten kehrt "Geh aufs Ganze" mit Ihnen wieder auf den Bildschirm zurück. Was war Ihr erster Gedanke, als Sat.1 vor einigen Wochen mit der Idee auf Sie zukam, ob Sie diese Sendung noch einmal moderieren wollen?

Jörg Draeger: Ganz ehrlich? "Verarschen kann ich mich selbst! April, April!" (lacht)

Und der zweite Gedanke?

Draeger: Mich rief der jetzige Herstellungsleiter an, der schon in den 90er Jahren, als wir mit der Show von Sat.1 zu Kabel Eins gewechselt sind, im Rennen war. Da dachte ich zunächst, er meldet sich aus nostalgischer Erinnerung. In diesem Augenblick habe ich überhaupt nicht begriffen, was er eigentlich von mir wollte. Aber als ich verstand, dass er es mit einer Neuauflage wirklich einst meint, habe ich schlicht und ergreifend Ja gesagt.

Kurz bevor Sie vor wenigen Monaten ins "Promi Big Brother"-Haus zogen, haben Sie vor laufenden Kameras eine für alle sichtbar ziemlich gute Bewerbung abgeliefert. Hat das geholfen?

Draeger: Den Wunsch, diese Sendung noch einmal präsentieren zu dürfen, habe ich eigentlich vor vier oder fünf Jahren aufgegeben, weil ich sicher nicht Johannes Heesters nacheifern wollte. Bis dahin sprach ich auf jedem meiner zahlreichen Jakobswege mit dem lieben Gott: Bitte, lass mich doch nochmal! Der Auftritt bei "Promi Big Brother" hat sicher einiges bewirkt. Beim Sender, aber auch beim Publikum: An den Reaktionen habe ich gemerkt, dass die Euphorie der Menschen auf der Tribüne nicht gespielt war.

Jetzt haben Sie nicht nur den Zonk dabei, sondern auch Daniel Boschmann. Wo sehen Sie Ihre Rolle in der Show, Herr Boschmann?

Daniel Boschmann: Wir wollen die Show in ihren Grundzügen belassen, aber ihr den Anstrich von 2021 geben. Wer mit Jörg spielen möchte, muss deshalb zunächst an mir vorbei. Die Aufgabe war für mich allerdings nicht so einfach, weil Jörg und der Zonk eine echte Symbiose sind und ich bei der Aufzeichnung der Gefahr ausgesetzt war, wie ein kleiner Fanboy zu wirken. Tatsächlich war es für mich eine tolle Kindheitserinnerung, die ich mit meiner Oma geteilt habe. Wenn wir früher zusammen Jörg Draeger bei "Geh aufs Ganze" sahen, habe ich gedacht, dass das ein Beruf sein könnte, der mir auch Spaß machen würde.

Konnten Sie sich bei den Aufzeichnungen etwas abschauen?

Boschmann: Jörg hat eine wunderbare Eigenschaft: Er schafft in der Show ein sehr intimes Gefäß. Drumherum kann die ganze Stadt brennen, aber Jörg zieht jeden einzelnen mit seiner sonoren Stimme in den Bann – fast ein bisschen wie die männliche Loreley. (lacht) Das hat mich schon damals begeistert: Wenn er auftrat, war der Zirkus sofort da. Er kam einfach mit seinem schönen Zaubersakko raus und am Ende standen alle mit leeren Händen, aber guter Laune da. Das muss man erst mal schaffen.

Geh aufs Ganze © Sat.1/Frank Hempel Jörg Draeger hat auch bei der Neuauflage von "Geh aufs Ganze" wieder viele Umschläge dabei.

In welcher Schule lernt man das, Herr Draeger?

Draeger: Das lehrt dich das Leben durch verschiedenste Situationen. Bei mir war es der Spagat vom 68er-Revoluzzer zum Hauptmann und Major der Bundeswehr – da können Sie sich ungefähr vorstellen, was ich alles mitgemacht habe. Dazu kommt die erwähnte Symbiose zwischen dem Zonk und mir. Dieses Vieh begleitet mich seit mehr als 30 Jahren und alles, was ich erreicht habe – sogar mein Haus auf Teneriffa -, habe ich dem Zonk zu verdanken. Inzwischen herrscht diese Symbiose aber auch mit Daniel.

Das ging aber schnell.

Draeger: Daniel ist der beste Gastgeber, den man sich wünschen kann. Er schafft es, dass sich alle – das Publikum, der Zonk und sogar ich – wohlfühlen. Das ist eine verdammt hohe Kunst. Dabei hatten wir uns vor einer Aufzeichnung sogar mal gestritten.

Worüber denn?

Boschmann: Geld, es geht immer ums Geld. (lacht)

Draeger: (lacht) Wir leben seit Wochen mit der großen Aufgabe, in kurzer Zeit aus einer Daytime- eine Primetime-Show zu machen – und derer sogar gleich drei. Da liegen einfach mal die Nerven blank, wenn alle für das Ergebnis brennen. Das ist doch völlig normal. Aber wenn man sich danach umarmen kann, weil man spürt, dass wir alle dasselbe Ziel verfolgen, nämlich das Publikum zu unterhalten, dann ist das ein tolles Gefühl.

Sie sagen es selbst: Eigentlich ist "Geh aufs Ganze" eine Vorabendshow. Wie schwierig ist es, aus dieser kleinen, feinen Idee den Glamour für die Primetime zu herauszukitzeln?

Draeger: Das ist eine Herkulesaufgabe, für die es tatsächlich Daniel braucht. Ich kann ja nicht 90 Minuten mit Umschlägen und Toren durch die Gegend laufen. Die Spiele sind jetzt ein Modul, und das, was drumherum passiert, ist keineswegs nur Beiwerk, sondern ein integrativer Bestandteil. Eigentlich haben wir aus zwei möglichen Sendungen eine ganze gemacht. Wieder eine Symbiose.

Drei Aufzeichnungen haben Sie absolviert. Reicht's Ihnen jetzt?

Draeger: Es reicht doch nie. Ich hoffe allerdings, dass ich rechtzeitig gewarnt werde, wenn es doch mal reichen sollte.

Sie sind 76, aber man merkt es Ihnen nicht an.

Draeger: Irgendwann wird ganz bestimmt der Moment kommen, an dem der Wille nicht mehr übereinstimmt mit der Anzahl der Stufen vom Auftrittstor nach unten. Da muss man höllisch aufpassen, nicht den richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Noch habe ich aber nicht den Eindruck, dass es so weit ist.

 

"Vor über 20 Jahren war ich direkt von der Quote abhängig, heute ist das glücklicherweise nicht mehr der Fall."
Jörg Draeger

 

Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Sie "Geh aufs Ganze" einmal freiwillig abgegeben haben.

Draeger: Sagen wir es so: Es gibt manchmal im Leben eine gewisse freiwillige Unfreiwilligkeit. (schmunzelt)

Ohne Sie hat die Show nicht funktioniert.

Draeger: So manche Erkenntnis bedarf mindestens 18 oder 20 Jahre, aber dafür ist sie dann doppelt stark.

"Geh aufs Ganze" fügt sich ein in eine Art Retro-Boom, den wir in den vergangenen Wochen im Fernsehen erlebt haben. Wie ist das zu erklären?

Boschmann: Wir leben in einer Zeit, in der die Gesellschaft überlastet ist mit Dingen, die jeder Einzelne nicht mehr für sich selbst klären kann. Wer heute die Nachrichten-App öffnet, fragt sich doch schon nach der dritten Meldung, warum man heute überhaupt noch vor die Türe gehen soll. Da kommt eine Show wie "Geh aufs Ganze" gerade recht. Das, was wir machen, ist nicht komplex, dafür aber mit Herz, Verstand und Liebe gemachte Unterhaltung. Wir erwecken ein gutes Gefühl wieder zum Leben, das viele noch aus den 90ern kennen. Wenn Sie so wollen, dann ist "Geh aufs Ganze", aber auch all das andere, das gerade wiederkommt, ein sicherer Hafen in unsicheren Zeiten.

Hatten Sie die Sorge, dass es dieses Publikum, das in den 90er Jahren in bunten Kostümen mitgespielt und mitgefiebert hat, heute womöglich gar nicht mehr vorhanden ist?

Boschmann: Mir selbst fehlt natürlich der Vergleich, aber normalerweise sind wir es heutzutage ja gewohnt, dass sich das Publikum erstmal zurücklehnt und sagt: "Liefere mal ab und dann sag ich dir, ob ich es mag." Im Falle von "Geh aufs Ganze" haben wir dagegen viel Vorkredit bekommen. Die Leute waren von Anfang an dabei. Das ist nicht selbstverständlich.

Jörg Draeger: Die Grundstimmung im Studio war wirklich irre und hat mich dann auch zu Tränen gerührt, auch wenn ich mir eigentlich vorgenommen hatte, nicht zu heulen.

Jetzt muss es allerdings auch dem TV-Publikum gefallen. Was ist Ihre Erwartung an das Comeback von "Geh aufs Ganze"?

Boschmann: Eine emotionale Belohnung hatten wir schon, jetzt folgt die betriebliche. Und wenn es eine ähnlich hohe Quote wie bei "TV total" wird, dann werden wir nicht sauer sein. (lacht)

Draeger: Vor über 20 Jahren war ich direkt von der Quote abhängig, heute ist das glücklicherweise nicht mehr der Fall. Das Alter hat auch seine Vorteile. (lacht) Natürlich hoffe ich auf eine sensationelle Quote, weil das alle, die an der Show mitgearbeitet haben, absolut verdient hätten. Und klar, ich würde gerne noch ein paar Staffeln dran hängen. Außer "Geh aufs Ganze" habe ich im Fernsehen jedenfalls keine Pläne mehr.

Herr Draeger, Herr Boschmann, vielen Dank für das Gespräch.

"Geh aufs Ganze", freitags um 20:15 Uhr in Sat.1