Herr Benthues, wir befinden uns mitten in der vierten Corona-Welle. Wie viel Normalität empfinden Sie derzeit im Produktionsgeschäft?
Es hat sich leider eine gewisse Normalität eingestellt und die Hoffnung, im zweiten Jahr der Pandemie ein wenig freier produzieren zu können, hat sich nicht erfüllt. Es gelten noch immer sehr strikte Hygieneregeln im Büro wie am Set und wir testen sowohl die Crew als auch alle am Dreh Mitwirkenden engmaschig. Ich komme gerade zurück aus Griechenland, wo wir für die nächste Staffel „Germany’s next Topmodel“ gedreht haben. Da haben wir sogar eine eigene PCR-Maschine vor Ort, um durch regelmäßige Testungen möglichst viel Sicherheit zu gewährleisten.
Wie sehr schränkt das alles ein?
Wir versuchen uns gedanklich nicht einzuschränken. Aber sobald es um die konkrete Umsetzung geht, legen wir den Fokus natürlich auch darauf, wie wir möglichst verantwortungsvoll produzieren können. Da stellt sich beispielsweise die Frage, an welchem Set man drehen oder wohin man eigentlich reisen kann.
Schon deutlich vor der Pandemie haben Sie angekündigt, mit Redseven auch Fiction produzieren zu wollen. Was ist aus diesem Vorhaben geworden?
Wir haben erfolgreich geliefert: Wir haben gerade "Friedmanns Vier" produziert, unsere erste fiktionale Serie für RTL+ und Vox. Ganz besonders stolz macht mich, dass wir das Projekt auch selbst entwickelt haben, in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Köln, allen voran mit Sylke Poensgen, Thomas Disch und Hauke Bartel. Es handelt sich um eine Familienserie, in der es um einen Vater geht, der sich nach dem Tod seiner Frau mit drei heranwachsenden Kindern durchs Leben schlägt. Tom Beck spielt die Hauptrolle, daneben gehören Picco von Groote, Anna-Lena Schwing, Kya-Celina Barucki, Amadeo*Leo Arndt und Rojan Juan Barani zum Cast.
Wie kam es zu dem Projekt?
Vor einiger Zeit kam unsere langjährige Entwicklungschefin Berit Walch mit dem Wunsch auf mich zu, Fiction machen zu wollen. Also haben wir uns zusammengesetzt und sind das Thema angegangen. Geholfen hat uns, dass RTL zu einem Familienserien-Pitch aufgerufen hat, an dem wir uns beteiligt haben. Irgendwann wurde das Projekt dann immer konkreter, bis wir tatsächlich den Zuschlag erhielten. Das Ergebnis kann man ab dem 19. Dezember auf RTL+ und im kommenden Jahr im Free-TV bei Vox sehen.
Unsere 'Redseven Fiction' mit zwei, drei schönen Projekten zu entwickeln, ist ein realistisches Ziel.
Warum gerade eine Familienserie?
Es war unsere Vision, im deutschsprachigen Content-Markt wieder eine Familie zu etablieren, auf die sich das Publikum bestenfalls jedes Jahr aufs Neue freut – sehr zeitgemäß und divers erzählt. Wir erzählen beispielsweise von der elfjährigen Carla, die mit der Zeit immer deutlicher spürt, dass sie eigentlich ein Junge ist. "Friedmanns Vier" ist also nicht nur eine reine Herzschmerz-Geschichte, auch wenn ich beim Anschauen tatsächlich immer wieder heulen musste. Deshalb glaube ich auch, dass die Vorweihnachtszeit mit ihrer besonderen Stimmung und Emotionalität, genau der richtige Zeitpunkt für den Start unserer Serie ist, weil in der Zeit tatsächlich noch die ganze Familie vor einem Screen zusammenkommt.
Klingt so, als sei das Projekt auf mehr als nur eine Staffel angelegt.
Von uns aus gerne! Die acht Folgen, die wir produziert haben, sind erst der Anfang der Geschichte und glücklicherweise haben wir von RTL bereits das klare Commitment erhalten, weitere Bücher zu entwickeln, um im Falle eines Erfolgs nahtlos anschließen zu können.
Sie haben also Fiction-Blut geleckt?
Wir sind absolute Fiction-Rookies und uns war immer bewusst: Wenn wir Fiction machen, dann müssen wir einen eigenen Zugang finden, schließlich gibt es viele etablierte Produzenten am Markt. Unser Standbein wird immer Entertainment bleiben, aber unsere "Redseven Fiction" mit zwei, drei schönen Projekten zu entwickeln, ist schon ein realistisches Ziel.
Im Entertainment-Bereich können Sie sich auf viele etablierte Marken verlassen, darunter "Germany's next Topmodel", "The Taste" oder auch "The Biggest Loser". Letzteres kehrt im kommenden Jahr mit dem neuen Titel "Leben leicht gemacht" zurück. Ist es nicht ein Risiko, diesen bekannten Namen aufzugeben?
Den neuen Namen halte ich für eine gute Entscheidung, weil sich in ihm die Emotionalität und das Positive, das in dem Format steckt, widerspiegelt und für die vielen kleinen Veränderungen im Programm steht. Letztlich darf man sich nicht auf bestehenden Erfolgen ausruhen, erst recht nicht, wenn ein Format wie "The Biggest Loser" schon seit 13 Staffeln läuft.
Sie produzieren für ProSieben auch "Zervakis & Opdenhövel. Live", das nach schwachen Quoten inzwischen vom Montag auf den Mittwoch verschoben wurde. Wie lange muss der Atem sein, um die Sendung zum Erfolg zu führen?
Der Atem muss lang sein, aber allen Beteiligten war von vornherein bewusst, dass es ein Long-Distance-Run ist, bis wir die richtige Mischung gefunden haben. Was mich positiv stimmt: Wir haben das richtige Handwerkszeug, um erfolgreich zu sein, allen voran Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel, die diese Sendung prägen. Dazu kommt, dass wir jede Woche live senden. Und vielleicht ist auch der neue Sendeplatz eine Chance.
Mindert dieser Rückenwind ein Stück weit den Druck?
Es ist für alle Beteiligten motivierend, Teil eines hoffentlich dauerhaft erfolgreichen Abends zu sein, an dem ProSieben wochenaktuelle Programme in den Fokus stellt. Aber klar ist auch, dass das Format sein eigenes Publikum finden muss. Und wenn ein Live-Journal wie "ZOL" erst einmal etabliert ist, dann bieten sich so viele Möglichkeiten, Themen zu besetzen oder weiterzuführen. Um diese Stärken voll ausspielen zu können, müssen wir das Format weiterentwickeln – oder anders gesagt: Es braucht noch ein bisschen Patina.
Große Mutterschiffe können mehrere Beiboote haben, die allesamt ihre Berechtigung haben.
Vor wenigen Wochen hat ProSiebenSat.1 angekündigt, in Köln eine Factual-Produktionsfirma unter der Führung von Mark Land zu gründen. Warum braucht es diese Firma, wenn es doch Redseven gibt?
Ich finde diese Entwicklung richtig und konsequent. Für mich geht damit das klare Signal einher, mehr eigenen Content zu produzieren. Außerdem ist es gut, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen und so auch die Qualität der einzelnen Formate hoch zu halten. Der Blick in andere Länder zeigt außerdem, dass große Mutterschiffe mehrere Beiboote haben können, die allesamt ihre Berechtigung haben. Ich sehe das also als Chance, nicht als Bedrohung.
Externe Produzentinnen und Produzenten sehen das womöglich anders.
Schon als wir angefangen haben, schwebte dieser Vorwurf über uns. Aber alle, die damals diese Sorge äußerten, gibt es auch heute noch am Markt. Denn es ist nach wie vor so, dass die beste Idee zählt.
Die beste Idee, so hat man derzeit teilweise der Eindruck, ist es, ein altbekanntes Format neu aufzulegen. Wie empfinden Sie diese Retrowelle, die aktuell durchs Fernsehen schwappt?
Es reicht in meinen Augen nicht, eine Marke nur deshalb wieder zu beleben, weil sie früher einmal erfolgreich war. Vielmehr braucht es immer eine Vision, um sie in irgendeiner Art und Weise neu zu interpretieren. Das ist bei "TV total" extrem gut gelungen. Vielleicht kann man auf diese Weise noch das eine oder andere Format machen, aber jetzt direkt die große Retro-Welle auszurufen, wäre zu kurz gedacht. Und ganz davon abgesehen: Als Content-Produzenten sind wir gut beraten, uns immer wieder neu zu erfinden.
Herr Benthues, vielen Dank für das Gespräch.