Herr Beckmann, wenn man sich die Quoten der Samstagabendshows im Ersten so betrachtet, dann käme man nicht auf die Idee, dass das TV-Lagerfeuer erloschen ist. Wie ist es aus Ihrer Sicht darum bestellt?
Die Frage ist doch, wie man das Lagerfeuer definiert. Das lineare Programm ist, bedingt durch neue Online-Konkurrenz, von den Reichweiten weit entfernt, die man früher als Straßenfeger bezeichnet hat. Dennoch empfinde ich es als großes Lagerfeuer und gelungen Unterhaltung, wenn wir auch heute noch mehr als sechs Millionen Menschen erreichen. Das ist beispielsweise der Jahresschnitt von "Klein gegen groß"! Die Flamme brennt vielleicht etwas kleiner, aber sie brennt.
Das Erfolgsgeheimnis dürfte auch darin liegen, dass es Ihnen gelingt, Jung und Alt gleichermaßen vor den Fernseher zu locken. Selbst Ihre Schlagershows schauen heute nicht mehr nur Senioren.
Das Kompliment gebührt Florian Silbereisen und dem MDR. In den Shows sieht man viele junge Menschen, die eine Party feiern. Das färbt auch auf die Zusammensetzung des Publikums vor dem Bildschirm ab. Letztlich gilt für die Silbereisen-Shows das, was auch für unsere anderen Primetime-Sendungen gilt: Wir bekennen uns eindeutig zur Familienunterhaltung und haben einen klaren Kompass. Das ist ein Qualitätsmerkmal – und jeder, der samstagabends bei uns einschaltet, kann sicher sein, dass er bei uns ein Angebot für die gesamte Familie findet. Das Qualitätsversprechen hilft uns jetzt, weil sich der Markt in unsere Richtung entwickelt.
Worauf führen Sie das zurück?
Diese Entwicklung ist kein Zufall. Wenn man sich die zehn erfolgreichsten Shows des Jahres ansieht, dann liefen acht davon im Ersten. Da zeigt sich: Qualität hat im Moment Konjunktur – und andere müssen sich an unserer Qualität orientieren.
Vor allem aber setzen inzwischen auch andere auf Florian Silbereisen, RTL hat ihn inzwischen für "Deutschland sucht den Superstar" verpflichtet.
Es gehört zur Wahrheit, dass die Köpfe, die in der Unterhaltung erfolgreich sind, bei vielen Sendern gefragt sind. Deshalb wird man damit leben müssen, dass Stars auf mehreren Kanälen auftreten können. Auf der anderen Seite wissen unsere Moderatorinnen und Moderatoren auch, was sie an der ARD haben. Das gilt für Kai Pflaume, Alexander Bommes oder Jörg Pilawa, die ja beim NDR beheimatet sind, aber auch für viele andere Gesichter wie Eckart von Hirschhausen und jetzt auch Carolin Kebekus, die bei uns im Ersten vor der Kamera stehen.
Macht es das für Sie nicht schwerer, sich abzugrenzen?
Ich habe im Moment überhaupt kein Abgrenzungsproblem, weil wir der Maßstab sind. Wenn der Erfolg unserer Shows dazu führt, dass unsere Konkurrenz mehr auf Qualität setzt, dann ist das eine Entwicklung, die ich sehr begrüße. Aber jeder kommerzielle Sender, der sich auf dieses Feld begibt, muss wissen, dass er gegen sehr erfolgreiche öffentlich-rechtliche Sender antritt, die seit Jahrzehnten auf ein klares Qualitätsversprechen setzen.
Wie viel Raum für Innovation gibt es eigentlich vor dem Hintergrund der Vielzahl an bewährten Formaten?
Das ist ein Luxusproblem, das nicht gerade den Innovationsdruck erhöht. Gleichwohl wissen wir auch: Wer stillsteht, wird auf Dauer nicht gewinnen können. Die Innovationen sind allerdings nicht nur auf die Shows selbst begrenzt, sondern auch auf die Umfelder. Nehmen Sie unsere Quiz-App, für die sich fast zweieinhalb Millionen Menschen registriert haben. Gut 50.000 Menschen spielen jeden Tag bei "Wer weiß denn sowas?" mit und bauen auf diese Weise eine Bindung zum Programm auf. Bei "Gefragt – Gejagt" hatten wir das Problem, dass das Spielprinzip zu schnell für die klassische Texteingabe ist. Also haben wir eine Sprachsteuerung eingebaut - eine Technik, die es bis dahin bei Quiz-Angeboten im App-Bereich so nicht gab. Dazu kommt, dass wir viele Formate, die perspektivisch fürs Erste gedacht sind, in unseren Dritten Programmen ausprobieren. Dort können wir sie unterhalb des bundesweiten Radars entwickeln, so wie es in der Vergangenheit bei "Gefragt – Gejagt" der Fall war. Diese Strategie setzen wir fort. Aktuell arbeiten HR und NDR an einer neuen Show, bei der wir herausfinden wollen, ob sie sich für den Vorabend oder den Hauptabend im Ersten eignen könnte.
Die Briten haben unter dem Titel "Beat the Chasers" einen sehr erfolgreichen Ableger von "Gefragt – Gejagt" gestartet. Ist das perspektivisch auch ein Format fürs Erste?
Das kann ich im Moment nicht bestätigen, aber "Beat the Chasers" ist uns nicht entgangen. Selbstverständlich denken wir über die Weiterentwicklung von bestehenden Formaten nach.
Wenn man das Ziel hat, die Gesellschaft abzubilden, dann ist die Gleichstellung von Mann und Frau aber nur der allererste Schritt.
2022 wollen Sie auch "Verstehen Sie Spaß?" weiterentwickeln – mit Barbara Schöneberger als Moderatorin. Was sagt es über die Innovationskraft der ARD-Unterhaltung aus, dass sie die erste Frau seit vielen Jahren ist, die am Samstagabend eine Show moderiert?
Guido Cantz hat das sehr gut gemacht, und jetzt erhoffen wir uns neue Akzente, die Barbara Schöneberger in diese Traditionsshow des SWR einbringen wird. Es ist auch ein klares Signal, dass die ARD mehr Frauen in der Unterhaltung braucht. Und wenn sie so großartig sind wie Barbara Schöneberger – dann allemal. Wir haben einen zu hohen Männeranteil und wenn wir das Thema Diversität ernst nehmen, dann müssen wir handeln. Das lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen. Denn wir wollen ja auch das Publikum auf diesem Weg mitnehmen. Aber klar ist auch, dass wir größere Schritte gehen müssen, um die Unterschiede zu verringern.
Da reicht es dann, wenn "Verstehen Sie Spaß?" jetzt von einer Frau moderiert wird?
Sicher nicht. Denken Sie an Carolin Kebekus, deren Vertrag der WDR gerade verlängert hat. Sie wird in Zukunft eine viel größere Rolle im Ersten spielen. Bei "Gefragt – Gejagt" wiederum war uns klar, dass ein neuer Jäger eine Jägerin sein muss – und das Publikum hat Adriane Rickel in der letzten Staffel wunderbar aufgenommen. Kein Jäger war zu Beginn jemals so erfolgreich. Daneben haben wir ein Casting gemacht, in dem wir ausschließlich Moderatorinnen gesucht haben. Das hat uns nicht nur Applaus gebracht, weil auch einige Frauen sagten, dass es nicht sein kann, dass die erste Voraussetzung für den Job das Geschlecht ist. Das kann ich gut verstehen, umgekehrt muss man aber auch solche Signale setzen, um den Willen zur Veränderung deutlich zu machen. Wenn man das Ziel hat, die Gesellschaft abzubilden, dann ist die Gleichstellung von Mann und Frau aber nur der allererste Schritt. Diversität ist ein viel breiteres Thema. Es geht auch um People of Color oder Migrationshintergründe. Wir wollen ein buntes Fernsehen und das bedeutet, dass es auch bunt präsentiert wird.
Eine der wohl diversesten Shows ist der Eurovision Song, für den Sie ja nun auch verantwortlich sind. Wie sehr schlägt ihr Herz für diesen Wettbewerb?
Ich habe den ESC als NDR-Fernsehdirektor jahrelang von der Seite begleitet und großen Respekt vor der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen, die wirklich viel Herzblut in das Projekt stecken. Dieser Job ist wirklich aufreibend. Leider schauen wir in Deutschland auf den ESC immer ein wenig wie auf eine Weltmeisterschaft. Dabei müssten doch eigentlich das Verbindende, Bunte und das gemeinsame Feiern im Vordergrund stehen.
Dennoch wäre eine vordere Platzierung doch mal wieder wünschenswert.
Da ich weiß, wie viel Geld ein Sieg kostet, sage ich mit Blick aufs kommende Jahr: Hauptsache nicht Erster. (lacht) Im Ernst: Natürlich wollen wir wieder wettbewerbsfähiger werden. Dazu zählt auch eine Vereinfachung der Vorauswahl. Zuletzt hatte ich das Gefühl, dass die Regeln zum Vorentscheid eher komplex waren. Wir wollen wir sie so anpassen, dass sie sich in zwei Sätzen erklären lassen. Der ESC wird in Zukunft mehr denn je als Aufgabe der gesamten ARD gesehen. Dabei hilft, dass die Häuser längst crossmedial aufgestellt sind. Auf diese Weise können wir die Zusammenarbeit zwischen Fernsehen, Radio und Online noch besser verzahnen.
Lassen Sie uns noch kurz über die Serien am ARD-Vorabend sprechen. Da wollte nur "In aller Freundschaft – Die Krankenschwestern" zuletzt nicht so recht zünden. Geht's damit weiter?
Nein. Wir haben uns gegen eine Fortsetzung von "In aller Freundschaft – Die Krankenschwestern" entschieden, weil die Quoten in diesem Fall gerade auch im Vergleich zu "In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte" nicht ausreichend waren. Das spricht nicht gegen die Leistung des Teams, es sagt nur aus: auf diesem Platz, mit diesem Konkurrenzumfeld können wir mit dem Ableger nicht genug punkten, um ein erneutes Invest zu rechtfertigen. Abseits davon sind wir inzwischen auf fast allen Sendeplätzen zweistellig, und nachdem die Werbeeinbrüche, die wir zu Beginn der Corona-Pandemie erlebt haben, überwunden sind, werden wir im kommenden Jahr sicher noch eine Schippe drauflegen können.
Wie soll das gelingen?
Unser Ziel war es immer, Serien zu entwickeln, die nicht nur im Ersten, sondern auch in den Dritten funktionieren. Im NDR ist "Morden im Norden" sehr erfolgreich, das Publikum in Bayern freut sich über "Hubert ohne Staller". Durch die hohe Folgenzahl werden wir bald in der Lage sein, Serien auf Strecke zu zeigen und sie mit passenden Serien zusammen zu programmieren. Helfen werden uns dabei auch zwei neue "Wapo"-Serien, die wir in Auftrag gegeben haben. Diese spielen in Duisburg und in der sächsischen Schweiz. Gleichzeitig haben wir im Ersten die Programmfarben der einzelnen Tage inzwischen sehr präzise definiert, sodass wir uns im letzten Schritt trauen werden, eine neue tägliche Schiene aufzumachen.
Was erhoffen Sie sich davon?
Mit unseren Quizprogrammen bespielen wir mittlerweile sehr erfolgreich auch den Vormittag des Ersten. Ich halte es perspektivisch für denkbar, dass uns ähnliches auch mit den Vorabend-Serien gelingen kann.
Herr Beckmann, vielen Dank für das Gespräch.