"Es gab Tage, an denen ich mich mit Widerwillen an den Schreibtisch gequält habe. Aus Angst vor dem Grusel, der mich erwartete", resümiert Hans Demmel seinen Selbstversuch. "Es gab depressive Phasen und sie waren, zumindest nach meinem laienhaften Verständnis nicht schlechte Stimmung, sondern in der Nähe eines Krankheitsbildes. [...] Es wird Zeit brauchen, sich von diesen Erfahrungen zu lösen. Mein Misstrauen gegenüber jeder Veröffentlichung, auch den von mir so geschätzten, in der Anderswelt verunglimpften Mainstream-Medien, ist gewachsen. Im Moment hinterfrage ich jeden Satz, den ich lese, traue selbst dem eigenen Text nicht mehr."
Ein halbes Jahr lang hat der Journalist und langjährige n-tv-Geschäftsführer seine üblichen Nachrichtenquellen komplett gegen rechtsalternative Medien wie "Tichys Einblick", "MMNews", "KenFM", "Compact" und "Junge Freiheit" eingetauscht. Daraus ist das Buch "Anderswelt – Ein Selbstversuch mit rechten Medien" entstanden, das Demmel gemeinsam mit Journalist und TV-Produzent Friedrich Küppersbusch geschrieben hat. Dessen Aufgabe: Faktenchecks und Hintergrundinformationen liefern sowie den Einfluss auf die Wahrnehmung seines Freundes und Kollegen überprüfen.
Herr Demmel, fühlen Sie sich noch immer ein bisschen gebrainwashed?
Hans Demmel: So langsam kommen meine Systeme wieder in Ordnung. Das Brainwashing ging zum Glück nie so tief, dass ich wirklich Gefahr gelaufen wäre, nach rechts abzugleiten. Und wenn doch, dann hätte immer noch Friedrich Küppersbusch bereitgestanden, um mir den Aluhut vom Kopf zu reißen. Momente des Zweifels gab es schon zwischendurch. Da habe ich mich gefragt: Haben wir als etablierte Medien nicht vielleicht doch ein bisschen falsch gewichtet? Ich kann nicht verhehlen, dass das Experiment in mir tiefe Ängste ausgelöst hat. Wenn man sich ein halbes Jahr nur in einer dunklen, abgrundtief schrecklichen Welt bewegt, dann hinterlässt das Spuren. Wäre unser Staat wirklich so, wie er in diesen alternativen Medien beschrieben wird, dann müsste man als Bürger Widerstand leisten. Aber die meisten Beschreibungen haben einfach nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
War es das Leiden wert?
Demmel: Hätte ich vorher genau gewusst, was da auf mich zukommt, dann hätte ich es vermutlich nicht gemacht. Wenn ich allerdings sehe, welche Gefahr von diesem ständigen Brodeln unter der demokratischen Oberfläche ausgeht, dann bin ich mir wiederum sicher, dass ich dieses Buch machen musste.
Warum fiel Ihre Wahl auf Friedrich Küppersbusch als Begleiter und möglichen Retter in der Not?
Demmel: Zwei Gründe: Ich vertraue ihm journalistisch und ich vertraue ihm menschlich.
Herr Küppersbusch, haben Sie sich zwischendurch um Hans Demmel gesorgt?
Friedrich Küppersbusch: Ich hatte ein großes Urvertrauen, dass es den Hans nicht weghaut, weil ich seit langem seine journalistische Standfestigkeit kenne. Unterwegs wurde ich dann ein bisschen nervöser, weil während des Beobachtungszeitraums die Treffer näher kamen. Im Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis tauchten plötzlich die ersten Impfgegner auf, und ich bekam Äußerungen zu hören wie "Man muss ja nicht alles glauben, was die Mainstream-Medien schreiben".
Wäre die Versuchsanordnung auch mit umgekehrten Rollen vorstellbar gewesen?
Demmel: Nichts im Leben korrumpiert so sehr wie der Drang nach Applaus. Ich würde auch nicht ausschließen, dass es bei dem einen oder anderen eine massive Kränkung gab, die in einem "Jetzt zeig' ich's euch"-Gefühl mündete. Aber das sind letztlich küchenpsychologische Mutmaßungen. Ich hätte gern mit den wichtigsten Protagonisten über ihre Beweggründe gesprochen. Wir haben sie um Interviews gebeten, aber entweder gar nichts gehört oder eine freundliche Absage bekommen.
Was hat Sie während des Selbstversuchs am meisten überrascht?
Demmel: Was mich zumindest in der Dimension überrascht hat, war die schiere Menge an Hass und Beleidigungen. Selbstverständlich wendet sich das Buch nicht gegen Meinungsfreiheit, ganz im Gegenteil. Aber Meinungsfreiheit beinhaltet eben nicht, dass man permanent lügt und beleidigt.
Küppersbusch: Als ich im Journalismus anfing, las ein Gewerkschaftsmitglied typischerweise die "Frankfurter Rundschau", ein Liberaler die "Süddeutsche Zeitung" und ein wirtschaftsnaher Konservativer die "FAZ". Diese Medien unterschieden sich je nach Ausrichtung in ihrer Berichterstattung. Aber wenn ich mir als Leser die Botschaft gewünscht hätte, dass Ausländer unser Untergang sind und dass der Führer in einer Reichsflugscheibe unterm Südpol auf seine Wiederkehr wartet, dann hätten alle diese Redaktionen einhellig gesagt: Tut uns leid, aber so einen Unsinn können wir nicht bedienen. Heute leben wir in einer Medienwelt, in der manche Wunscherfüllungsmedien sagen: Okay, wenn du dafür fleißig klickst und ich dich an meine Werbekunden verkaufen kann – warum nicht?
Für wie gefährlich halten Sie das?
Demmel: Ich halte es für brandgefährlich, weil sich auf diese Weise antidemokratisches Gedankengut in bürgerliche Schichten fräst. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem vorigen Jahr besagt, dass ein Drittel der Deutschen grundsätzlich anfällig für Verschwörungstheorien ist und dass rund zehn Prozent tatsächlich an Verschwörungserzählungen glauben. Das wären immerhin sechs bis sieben Millionen Wahlberechtigte. Wir lesen oft mit Begeisterung, dass rund zwei Drittel der Deutschen den klassischen Medien eine hohe Glaubwürdigkeit bescheinigen. Das Drittel, das den Medien misstraut, unterschlagen wir dabei gern mal. Ich habe intensiv miterlebt, wie die Radikalisierung auf der Misstrauensseite durch diese alternativen Medien gezielt befeuert wird. Wir reden über die Unterminierung einer gemeinsamen Idee von Wirklichkeit, die für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbar ist.
Wie sollten klassische, seriöse Informationsmedien Ihrer Meinung nach auf diese Herausforderung reagieren?
Küppersbusch: Ich sehe darin eine permanente Anfrage an uns Journalistinnen und Journalisten: Wenn du siehst, wie die 'Anderswelt' ihre Geschichten und damit auch ihre Reichweiten generiert – bist du sicher, dass du keine dieser Methoden anwendest? Hast du auch schon mal eine geile Schlagzeile gehabt und so lange gegoogelt, bis sie stimmte? Dieser Schwund an journalistischen Qualitätsmaßstäben, der dort regelrecht goutiert wird, ist unsere einzige Chance zur Differenzierung. Wir müssen durch glasklare Transparenz und redliche, unabhängige Recherche hohe Barrieren der journalistischen Glaubwürdigkeit errichten und verteidigen.
Sie formulieren das so eindringlich, als ob Sie sich um diese Barrieren sorgten.
Küppersbusch: Sagen wir mal so: Wenn Sie heute mit dem Businessmodell "Ich mache einen TV-Sender auf" zu irgendeiner Bank gehen, müssen Sie damit rechnen, laut ausgelacht zu werden. Es sei denn, Sie sagen: Ich mache einen rechtspopulistischen Sender auf! Dann gibt's offenbar genügend Leute, die antworten: Bild TV – geile Idee! Ich bin der Letzte, der gegen eine pointierte Aussprache wäre. Aber ich vermag nicht die Not zu erkennen, aus der heraus Claus Strunz sich hinstellt und sagt, Briefwahl sei undemokratisch, und damit zur Cover-Version eines typischen Trump-Themas greift. Da will jemand den Leuten gezielt einen Floh ins Ohr setzen.
Demmel: Da würde ich schon noch einen gewissen Unterschied machen und die Kollegen bei Bild TV ein bisschen in Schutz nehmen. Aber de facto bedient es, wenn auch nicht ganz so weitgehend, die gleiche Zielgruppe: die "Merkel muss weg"-Fraktion; diejenigen, die ein Staatsversagen auf breiter Linie sehen wollen und sich von Ausländern eher bedroht fühlen. Die Grenzen sind in der Tat fließend.
Herr Demmel, Herr Küppersbusch, herzlichen Dank für das Gespräch.