Frau Schwetje, die Nachrichten waren lange geprägt durch die Corona-Krise, jüngst kam auch noch die Flutkatastrophe dazu. Wie sehr geht ein Sender wie ntv in diesen Zeiten ans Limit?

Schon allein die Corona-Krise fühlt sich an wie ein Marathon im Sprint-Tempo. Wir haben es mit einer andauernden Breaking-News-Situation zu tun, bei der insbesondere am Anfang niemand wusste, welche Auswirkungen sie haben wird. Und jetzt kam mit der Flut eine weitere Herausforderung für die Berichterstattung dazu. Das ist schon eine besondere Situation, weil auch viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst von der Katastrophe betroffen sind, wir aber gleichwohl zuverlässig für unser Publikum da sein müssen. Ein großer Bestandteil meiner Arbeit bestand in den vergangenen Tagen und Monaten darin, auf die Belegschaft zu achten, schließlich können wir als Team nur dann verlässlich unseren Job machen, wenn es allen soweit gut geht. 

Jüngst hat RTL mehrfach das Programm von ntv übernommen. Hat die Kurzfristigkeit der Katastrophe möglich gemacht, was vorher undenkbar schien?

Durch die Bündelung unserer journalistischen Kräfte in der RTL News arbeiten wir zunehmend Hand in Hand, um die Menschen auf allen Kanälen bestmöglich und schnell zu informieren. Daher war das durchaus schon vor der Flutkatastrophe geplant. Nun bot sich mit der Flut der richtige Moment, um diese Pläne in die Tat umzusetzen. Für das RTL-Publikum war es wahrscheinlich etwas ungewohnter als für das Publikum von ntv, aber uns war es wichtig, auch bei RTL eine großflächige Informationsschiene anzubieten, weil die Menschen insbesondere in den Tagen nach der Katastrophe Orientierung suchten.

Schadet es der Quote von ntv, wenn RTL zeitweise zum Nachrichtenkanal avanciert?

In einer solchen Situation geht es nicht um die Quote. Wir haben einen Job zu erledigen, nämlich umfassend zu informieren, und können mit unserer Berichterstattung im besten Fall sogar Leben retten. Wir haben mit den RTL/ntv Spezials am Donnerstag- und Freitagnachmittag jeweils über 4,5 Millionen Menschen erreicht. Das bestätigt unsere Entscheidung, durch die parallele Übertragung möglichst breit verschiedene Zielgruppen zu informieren. 

Sind solche Übernahmen perspektivisch verstärkt denkbar?

Was am Ende so einfach aussah, war von den Planungen extrem aufwendig. Aber wir können das und wenn es Sinn macht, dann werden wir das in Zukunft wieder so handhaben. Gerade im Fall der Flutkatastrophe war es richtig, die Kräfte zu bündeln, weil es immer wieder Schwierigkeiten gab, unsere Reporter über die Mobilfunknetze zu erreichen. In solchen Situationen auf ntv und die große Breaking-News-Erfahrung des Teams zurückgreifen zu können, ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal im deutschen Fernsehmarkt. 

 

"Ich wünsche mir, dass unsere Reporterinnen und Reporter wieder verstärkt mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen können."

 

Ruhig dürfte es auch in den kommenden Wochen nicht werden, schließlich steht in zwei Monaten die Bundestagswahl an. Wie sieht der Fahrplan von ntv bis Ende September aus?

Das Thema Wirtschaft ist tief in der DNA von ntv verankert. Daher machen wir am 8. September in der Primetime um 20:15 Uhr den Talk „Wer schafft Wirtschaft“, in dem wir schauen, wie Start-ups, kleine Betriebe und große Konzerne die verschiedenen Wahlprogramme für sich bewerten. Und schon ab dem 23. August wollen wir die Talkshow mit Micky Beisenherz wöchentlich zeigen - übrigens auch nach der Bundestagswahl. Gleichzeitig wird die Sendung künftig den Namen des Gastgebers tragen: Aus #timeline wird also #beisenherz.

Was hat den Ausschlag für die höhere Schlagzahl gegeben?

Micky Beisenherz ist ein unglaublich vielseitiger Moderator, weil er sich in keine Kategorie einordnen lässt. Das gilt daher auch für den Talk, der ergänzend zu unseren Nachrichtenstrecken Orientierung gibt und gleichzeitig zu überraschen weiß. Das Grundprinzip, mehrere Themen in einer Sendung zu diskutieren, bleibt daher bestehen, auch wenn wir die Sendung ständig weiterentwickeln. Im Vorfeld der Wahl werden wir mit den Auftritten der Generalsekretäre der Parteien zudem einen zusätzlichen Akzent setzen. 

Wie viele andere Talkshows mussten auch Sie wegen Corona auf Publikum verzichten. Planen Sie eine Rückkehr?

Grundsätzlich funktioniert die Sendung auch ohne Publikum gut, da sich so die Dichte der Gespräche verstärkt hat. Wir werden sehen, ob wir zukünftig wieder Publikum dabeihaben. Derzeit steht das aber nicht im Fokus. Generell ist es mir allerdings wichtig, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Das war leider in den vergangenen eineinhalb Jahren kaum möglich. 

Wie möchten Sie das ändern?

Ich wünsche mir, dass unsere Reporterinnen und Reporter wieder verstärkt mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen können. Das wird derzeit durch die Pandemie erschwert, aber auch durch eine zunehmende Aggressivität gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Ab Ende August werden wir mit unserem „Trendbarometer Spezial“ von verschiedenen Locations senden und vor Ort mit den Wählerinnen und Wählern über wichtige Themen wie den Klimawandel sprechen. Viel wichtiger als Sondersendungen, die wir im Vorfeld der Wahl machen, ist mir allerdings, was wir Tag für Tag in unserem Programm bieten. Da geht es sehr stark um Verlässlichkeit und um Vertrauen, gerade vor dem Hintergrund zunehmender Desinformationskampagnen. 

Wie wollen Sie konkret dagegen angehen?

News sind das beste Mittel gegen Fake. Das hat vor allem etwas mit journalistischem Handwerk zu tun, aber auch mit einer Sensibilität, die man im Team schaffen muss. Am Ende ist es Recherche, vielleicht ein Anruf mehr, um eine Geschichte als falsche zu identifizieren. Für Bilder und Videos wiederum braucht es besondere Expertise, da haben wir ja ein extra Verifizierungsteam. Zusätzlich bekommt bei uns jeder eine Basisschulung, sodass sich schon viel erreichen lässt. Aber oft sind es die subtilen Sachen, die mir Sorge bereiten. Wenn Menschen nur noch Nachrichten lesen, die, geprägt von einem bestimmten Algorithmus, ihr Mindset bestätigen. Das hat nichts mehr mit Pluralität zu tun und ist im Zweifel äußerst gefährlich, wie die zahlreichen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten zeigen. Unsere Aufgabe besteht deshalb darin, die Vielfalt der Meinungen abzubilden. 

 

"Ich bin keine Freundin des Polarisierens."

 

Amerikanische Nachrichtensender gehen viel mehr auf Polarisierung und einseitige Darstellungen. Ist das möglicherweise ein Vorbote für das, was auch nach Deutschland schwappen könnte?

In den USA konnte man in den vergangenen Jahren beobachten, dass sich Fox News und CNN als starke Gegenpole herausgebildet haben. Das mag aus Quotensicht eine Zeit lang erfolgreich gewesen sein, aber wir sollten uns davon nicht verführen lassen. Unser Anspruch ist das nicht. Wir wollen Themen von allen Seiten beleuchten, verschiedene, durchaus auch kontroverse Meinungen abbilden, damit sich die Menschen selbst ein Bild machen können. 

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den geplanten Start des Fernsehsenders von „Bild“?

Wir alle sehen, dass in der deutschen Fernsehlandschaft gerade sehr viel in Bewegung ist. Ich freue mich über möglichst viele Angebote im Nachrichtenbereich - auch das hat ja etwas mit Pluralität zu tun. Dennoch ist es ein ganz schöner Ritt, einen solchen Sender auf die Beine zu stellen, weil es bedeutet, rund um die Uhr verlässlich in Alarmbereitschaft zu sein. Das ist keine Kleinigkeit. Ich habe Respekt vor jedem, der das versuchen will. 

Sie fürchten sich also nicht vor der Konkurrenz?

Wir sind eine erfolgreiche crossmediale Nachrichtenmarke und setzen weiterhin auf unsere Stärken. Ich bin keine Freundin des Polarisierens. Lediglich zu polarisieren, weil alle um uns hektisch werden, ist nicht unser Weg. Im Gegenteil, wir müssen in der Gesellschaft wieder mehr miteinander sprechen. Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer wissen es zu schätzen, dass wir ihnen nicht irgendetwas vorgeben wollen. Das hat ja auch gerade der Reuters Digital News Report 2021 bestätigt. ntv hat nicht nur bei der Nutzung in den vergangenen 12 Monaten stark zugelegt, sondern vor allem auch beim Vertrauen. Die Menschen wissen, dass sie bei uns zuverlässig informiert werden und vertrauen uns als Nachrichtenmarke – ob im TV oder bei unseren digitalen Angeboten. Wir liegen hier ja nicht ohne Grund auf Platz 2 in Deutschland, vor „Spiegel“ & Co.

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Der Umzug von ntv in das Nachrichtenstudio in Deutz liegt inzwischen mehr als zehn Jahre zurück. Wie sieht’s eigentlich mit einem neuen Anstrich aus?

Wir arbeiten daran. Durch Corona sind wir noch nicht so weit, wie wir sein wollten. Aber keine Sorge, das Thema haben wir auf der Agenda.

Frau Schwetje, vielen Dank für das Gespräch.